Dieser Download kann aus rechtlichen Gründen nur mit Rechnungsadresse in A, B, BG, CY, CZ, D, DK, EW, E, FIN, F, GR, HR, H, IRL, I, LT, L, LR, M, NL, PL, P, R, S, SLO, SK ausgeliefert werden.
Kind hinterm Mond
Lob des Internets: Tim Renner und
Bruder rennen offene Türen ein
„Digital ist besser“ hieß das erste Album der Hamburger Band Tocotronic. Es erschien im Jahr 1995 und im gleichnamigen Lied ging es um eine Gesellschaft, „in der man bunte Uhren trägt“. So war der Titel damals wohl leider nicht die smarte Antwort des Pop auf alle Fragen, die das noch junge Internet aufwarf. Stattdessen gab er Antwort auf ein anderes altes Menschheitsproblem: Zeiger oder Ziffer, Swatch oder Casio? So passt der Titel gut zu dem neuen Buch, das der Musikproduzent Tim Renner mit seinem Bruder, dem Journalisten Kai-Hinrich Renner geschrieben hat: „Digital ist besser – Warum das Abendland auch durch das Internet nicht untergehen wird“. Auch dieses Buch wirkt ein bisschen wie ein 16 Jahre alter Popsong: Alles klingt gut und bekannt, man nickt so mit, gleichzeitig reichen die Gedanken oft nur bis zum eigenen Handgelenk.
Hier also die These: „Politiker, Boulevardzeitungen und Großfeuilletonisten“ machen in den alten Medien immer wieder Stimmung gegen die neuen. Wenn die aus altem Adel stammende Gattin eines inzwischen zurückgetretenen Ministers im Boulevard-Fernsehen gegen den „Tatort Internet“ polemisiert, ist das kein Wunder, schließlich ist das Netz gerade dabei, den Eliten von gestern „ihre Deutungshoheit zu entreißen“. Die digitale Evolution verlangsamen solche Kritiker aber bestenfalls. So verschieben sich die Machtverhältnisse zugunsten derer, die nicht durch klassische Bildung, sondern vom Pop sozialisiert wurden. Wie die meisten und besonders natürlich wie Tim Renner, der auf die Kultur des Selbermachens im Netz gut vorbereitet war, weil er schon als Jugendlicher Mixtapes aufgenommen und Fanzines entwickelt hat, später dann CEO und Chairman bei Universal Music Deutschland wurde und danach eine eigene Firmengruppe aufbaute.
Bewerbung beim Verlierer
All diese Haltungen teilt man auch als Kleinfeuilletonist irgendwie, zumal sie ganz nett erzählt werden. Wenn mal wieder jemand behauptet, die Jugend von heute habe einfach keine Lineale mehr, dann fällt dazu auch unsereinem nicht viel mehr ein, als zu erklären, dass sie dafür eben Computer hat. Natürlich sammelt auch der Freiherr zu Guttenberg auf Facebook seine Unterstützer.
Trotzdem ist die liberale Grundhaltung des Buches nicht falsch. Falsch ist nur die Form. „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“ hieß damals ein weiteres Lied auf dem gleichen Tocotronic-Album. Diese Lage scheinen die Autoren so zu fürchten, dass sie sich dafür entschieden haben, die Welt lieber gründlich auf etwas vorzubereiten, was sie längst realisiert hat. „Urheberrechtsverletzung – Wer ungefragt die Ideen anderer nutzt, kann Neues schaffen“ heißt ein Kapitel, dessen Inhalt nicht nur für Blogger und YouTube-Filmer, sondern auch für alle offensichtlich ist, die jemals ein Kinderlied umgedichtet haben. Außerdem erfährt man, dass Informationen im Netz „als bewegte Bilder“ auftreten, weil sich lange Texte auf dem Bildschirm doch so schlecht lesen lassen.
Das Buch ist also eine kuriose Mischung. Das meiste steht bereits im Inhaltsverzeichnis in Überschriften wie „Der Prosumer am Auslöser – Wie mit der digitalen Fotografie jeder zu seinem eigenen Andy Warhol werden kann“. Das zugehörige Kapitel lesen dann alle mit Mehrwert, die die letzten Jahre auf dem Mond verbracht haben. Dabei fragt man sich allerdings, warum sich die Gewinner der großen Veränderung nicht einfach an den Händen, sondern lieber an den Kritikern der Digitalisierung reiben? Warum muss man das alles noch einmal erklären, und zwar im „Wie-sag-ich’s-meinem-Kinde“-Modus? Kapitel über Themen wie „Wie der Buchhandel in der Digitalisierung mit altem Know-how und neuem Sortiment bestehen kann“ erzählen eine andere Geschichte. Sie lesen sich wie eine Bewerbung um Beraterverträge in Wirtschaft und Politik – was legitim wäre. Aber seit wann bewerben sich die Sieger bei den Verlierern, die Klügeren bei den Uneinsichtigen? Die digitale Evolution steht offensichtlich doch auf tönernen Füßen.
Frei nach dem Künstler Raoul Vaneigem könnte man sagen, dass wir keine Welt wollen, in der die richtige Haltung mit der Gefahr erkauft wird, vor Langeweile zu sterben. Leute, die über die Revolution reden, ohne einen subversiven Satz zu schreiben – solche Leute haben eine Leiche in ihrem Mund. Da würde der Titel von Tim Renners vorherigem Buch dann allerdings auch ganz gut passen: „Kinder, der Tod ist gar nicht so schlimm“. JAN FÜCHTJOHANN
KAI-HINRICH RENNER, TIM RENNER: Digital ist besser. Warum das Abendland auch durch das Internet nicht untergehen wird. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2011. 246 Seiten, 22 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
15.03.2011, Frankfurter Rundschau Nichts wird besser, alles wird gut -- "Warum singen, wenn man sampeln kann? Tim und Kai-Hinrich Renner verteidigen die Multimedia-Revolution gegen ihre Kritiker."
01.04.2011, Manager Magazin Das Netz will nur spielen -- "Das Buch verhilft zu mehr Gelassenheit im Umgang mit digitalen Medien."
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
"Wirklich interessant - auch im Hinblick auf die Plagiatsaffäre von Karl-Theodor zu Guttenberg - wird es in den Kapiteln über Urheberrechtsverletzung und die 'sinnlose' Unterscheidung zwischen Original und Kopie. Die Autoren beziehen alle Mediengattungen in ihre Analyse mit ein und liefern gute Überlegungen zu Qualitätsstandards und Datenmissbrauch." (Financial Times Deutschland, 09.03.2011)
Nichts wird besser, alles wird gut
"Warum singen, wenn man sampeln kann? Tim und Kai-Hinrich Renner verteidigen die Multimedia-Revolution gegen ihre Kritiker." (Frankfurter Rundschau, 15.03.2011)
Das Netz will nur spielen
"Das Buch verhilft zu mehr Gelassenheit im Umgang mit digitalen Medien." (Manager Magazin, 01.04.2011)
Digital ist besser
"Fundiert und optimistisch." (Maxima, 01.06.2011)