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In den letzten fünf Jahren ist viel passiert: ein vermeintlich progressiver Regierungswechsel, die antisemitischen und rassistischen Anschläge in Halle und Hanau, die verfassungsfeindliche Gefahr von rechts wächst. Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah blicken im neuen Vorwort zurück und stellen fest: Wir sind immer noch nicht weit genug gekommen, wir müssen weiter über Rassismus und Antisemitismus reden, dieses Buch bleibt ein Manifest gegen Heimat.
17 Autor_innen geben in 14 viel beachteten und drei neuen Essays Einblick in ihren Alltag und halten Deutschland den Spiegel vor: einem
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Produktbeschreibung
In den letzten fünf Jahren ist viel passiert: ein vermeintlich progressiver Regierungswechsel, die antisemitischen und rassistischen Anschläge in Halle und Hanau, die verfassungsfeindliche Gefahr von rechts wächst. Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah blicken im neuen Vorwort zurück und stellen fest: Wir sind immer noch nicht weit genug gekommen, wir müssen weiter über Rassismus und Antisemitismus reden, dieses Buch bleibt ein Manifest gegen Heimat.

17 Autor_innen geben in 14 viel beachteten und drei neuen Essays Einblick in ihren Alltag und halten Deutschland den Spiegel vor: einem Land, das sich als vorbildliche Demokratie begreift und gleichzeitig einen Teil seiner Mitglieder als »anders« markiert, kaum schützt oder wertschätzt.

Mit Beiträgen von Zain Salam Assaad, Simone Dede Ayivi, Max Czollek, Anna Dushime, Olga Grjasnowa, Enrico Ippolito, Sharon Dodua Otoo, Reyhan Sahin, Sasha Marianna Salzmann, Mithu Sanyal, Nadia Shehadeh, Margarete Stokowski, Deniz Utlu, Dana Vowinckel, Vina Yun, Hengameh Yaghoobifarah und Fatma Aydemir.

Autorenporträt
Fatma Aydemir, 1986 in Karlsruhe geboren, war Kolumnistin und Redakteurin bei der taz. 2017 erschien ihr Debütroman Ellbogen, für den sie mit dem Franz-Hessel-Preis ausgezeichnet wurde. Ihr zweiter Roman Dschinns wurde mit dem Robert-Gernhardt-Preis und dem Preis der LiteraTour Nord 2023 ausgezeichnet und stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. 
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.03.2019

Nervt!

"Eure Heimat ist unser Albtraum": Vierzehn Publizisten und Autoren, die oft nur über die Länder ihrer Eltern schreiben sollen, widmen sich einem sehr deutschen Begriff

Ja, Ausländer und Kinder von Ausländern nerven, nerven auch Ausländer wie mich. Die Unbekannten, die zu laut Italienisch sprechen in der Bahn. Die Freunde, die orientalisch spät zum Essen kommen. Und die Verwandten, die zu viel kochen, streiten, trinken. Überall nerven sie. Fast überall. Nur nicht im Journalismus, denn dort sind sie - die Ausländer, Migranten, Einwanderer, Flüchtlinge, Aussiedler - Ausnahmen, sind selten Redakteure. Sie schreiben, sprechen meistens dann, wenn deutsche Redakteure was übers Kopftuch wissen wollen und über Erdogan und Putin und andere Mächtige aus ihren alten Heimatländern oder den Heimatländern ihrer Eltern.

Doch jetzt erscheint ein Buch, das anderes zeigt. Da schreiben vierzehn Publizisten, Schriftsteller, Autoren, die nicht Matthias, Ronja, Hannes heißen, deren Familien aus Russland kommen, aus der Türkei, Korea, Polen und aus anderen Ländern, oder die die Schoa überlebten. Sie schreiben über Deutschland, und schon der Titel schlägt Deutschen ins Gesicht. "Eure Heimat ist unser Albtraum", sagt das Cover.

Noch vor dem Lesen ist das Ausländerherz ausländisch-warm, -gespannt, und -glücklich. Ja, dieses Buch ist jetzt der Anfang vom Ende deutscher Clans in Medien, der Anfang vom Ende dieser Parallelgesellschaft, sagt das Herz dann "Tausendundeine Nacht"-haft übertrieben.

Doch schon nach einer Seite schreit auf einmal der Deutsche im Ausländer, zumindest der in mir. Denn die Herausgeberinnen Hengameh Yaghoobifarah und Fatma Aydemir schreiben im Vorwort die falsche, böse Frage: "Will ich in einer Gesellschaft leben, die sich an völkischen Idealen sowie rassistischen, antisemitischen, sexistischen, heteronormativen und transfeindlichen Strukturen orientiert?" Will keiner! Das denkt der Deutsche im Ausländer, denkt auch: Und dieses Land ist wirklich nicht so schlimm.

Dann aber ist ein Tag im Januar in diesem Jahr im Kopf: normales Warten auf die Tram, dazu ein Streit am Telefon mit den ausländischen Verwandten - ja, in der Lautstärke von Italienern. Und dann ein Mann, ganz gut gekleidet, der plötzlich schreit. "In Deutschland spricht man Deutsch", schreit er und spuckt mich an. Die anderen, die auch warten, schauen weg. So eine Szene ist gewöhnlich, für viele Fremde Alltag. Deshalb doch der Gedanke: Vielleicht haben sie, die Heimathasser, auch ein bisschen recht.

Der erste Essay aber, geschrieben von Sasha Marianna Salzmann, macht den Kopf wieder rot und schwer und wütend. Das liegt nicht daran, dass die Dramatikerin und Romanautorin über eine Welt schreibt, die exklusiv und klein und schön ist. Dort leben ihre Mitbewohner Yazan und Mazen, Muslime, Syrer, die Salzmanns Mutter, sie ist Jüdin, einen Davidstern besorgen wollen, weil sie einen will und keinen findet. Sie sind zwar hetero, gehen jedoch in einen Schwulenclub zum Tanzen. Sind klar keine Antisemiten, keine Homophoben. Und ja, es gibt die Engel unter Fremden, unter Deutschen. Und ja, es wäre schön, wenn alle wären wie Yazan und Mazen. Dann hätte Deutschland kein Problem. Das hat es aber, weil hier auch Menschen wie Sasha Marianna Salzmann leben.

In ihrem Essay schreibt sie nicht nur von guten und geflüchteten Muslimen, sondern auch von den bösen deutschen Homosexuellen. Ja, auch Minderheiten grenzen andere Minderheiten aus, diskriminieren sie. Salzmann macht das mit dem Begriff des sogenannten "Homonationalismus". Das Wort übernimmt sie von einer Genderwissenschaftlerin, die Israel nicht kritisiert, eher hasst: Jasbir Puar. In einem Vortrag in New York erzählt Puar 2016 beispielsweise, dass Israelis die Leichen von getöteten Palästinensern ausweideten, um ihnen Organe für die Forschung zu entnehmen. Und selbstverständlich sagt sie so etwas, damit das Publikum sich gleich einmal KZs vorstellt, in denen nicht die Nazis an Juden experimentieren, sondern die Juden an Palästinensern. Doch das, was Puar alles sagt, schreibt Salzmann nicht, schreibt aber, wer in ihren Augen "homonational" ist: Jens Spahn und Alice Weidel. Ja, sie setzt sie gleich, den CDU-Minister und die Vorsitzende der neonationalen AfD. "Beide wissen", schreibt Salzmann, "dass es mit rechten populistischen Parolen schneller auf der Karriereleiter" hoch geht. Weiß Salzmann eigentlich, dass sie damit die Weltanschauung Weidels verharmlost, sie verkleinert? Und warum macht sie das?

Wahrscheinlich ohne es zu wissen, antwortet auf die Frage der Journalist Enrico Ippolito, er schreibt im Buch in seinem Text: "Die Menschen, die sich am wenigsten mit ihrem eigenen Verhalten auseinandersetzen wollen, verstehen sich meistens als links." Aber um Salzmann, um Linke, Rechte geht es nicht. Ihm geht es darum, eine Geschichte zu erzählen, die viele Ausländer auswendig können. Der Text ist so gebaut wie eine Short Story, in der dritten Person erzählt Enrico Ippolito über seinen Helden. Dessen Haar ist schwarz, der Name italienisch, deshalb schleudern die Kinder in der Schule ihm schon mal das Wort "Spaghettifresser" entgegen. Doch "war Spaghettifresser so schlimm wie Hurensohn?", fragt sich der Held selbst in einer Rückblende. Denn die Geschichte spielt in einer Bar im Jetzt: Der Held trinkt Bier mit einer Freundin, sie reden über den Rassismus, streiten. Die Freundin glaubt nicht daran, dass er überall ist, der Held denkt anders. Am Ende steht ein kleiner, großer, wahrer Satz: "Natürlich ist er, bin ich, der Spaghettifresser, ein Rassist."

Ja, Rassismus lebt in jedem Land, in jeder Gesellschaft auf der Welt, das ist bewiesen. Es ist nicht nur ein Problem der Deutschen. Das zu erkennen schafft nicht jeder, in diesem Buch nicht und im Leben nicht.

Es gibt dann noch zwei andere Texte, die so stark sind wie die Erzählung von Enrico Ippolito. Einen schreibt Sharon Dodua Otoo; sie hat 2016 den Bachmann-Preis gewonnen. Otoo erzählt von einem Gespräch mit ihrem Sohn. Er heißt Tyrell, hat vor drei Jahren die Schule aufgegeben. "Die Narben sind noch immer frisch", schreibt Otoo. Es geht darum, dass Tyrell dankbar ist, dafür, wie seine Mutter ihn auf den Rassismus vorbereitete, den er in der Schule erlebte. Es geht auch darum, wie sehr es schmerzt, wenn eine Mutter so was hört. Doch hat Otoos Erzählung ein typisch-ausländisch-emotionales Happy End: "Ich habe gekämpft, damit ich mich wohlfühlen kann, Berlin als meine Heimat zu bezeichnen. Diesen Kampf zu führen, ist Teil meiner Heimat geworden. Inzwischen liebe ich es", sagt Tyrell.

Kaum Liebe, doch viel Wut ist im Essay von Fatma Aydemir, die vor zwei Jahren einen Roman veröffentlicht hat und seit 2012 für die "taz" schreibt. Aydemir erzählt im Heimat-Albtraum-Buch über sich selbst, darüber, dass sie in ihrer Jugend immer zwei Parolen hörte: "Ausländer sind faul" und "Ausländer nehmen uns die Arbeit weg", die irrer- und teilweise aus denselben Mündern kamen. Sie schreibt über ihren "German Dream", und er geht so: Aydemir will Deutschen wirklich ihre Arbeit wegnehmen, nicht die Arbeit, die Deutsche für sie vorsehen, sondern die Arbeit, die sie selbst will. Fast jede Seite ist ein Schlag, ist Kraft.

Anders als andere Seiten anderer Essayisten. Im Buch schreiben auch Ausländerkinder, die schlechte Germanisten spielen oder deutscheste Floskeln hoch- und runterfahren - sie trennen tatsächlich Spreu vom Weizen. Es gibt Geschmackloses über migrantische Vaginas, es gibt Kitsch, der klingt wie alte Songs von Xavier Naidoo; klar, aus der Zeit, als er noch nicht Spezielles über Juden sang; denkt man aber an Salzmann und an Puar, ist das dann kurz doch nicht so klar.

Und es gibt auch noch ein Massaker mit Gender-Unterstrichen, das zum Teil Texte zu Karikaturen macht. Denn wie, bitte schön, soll man so einen Satz laut lesen können wie diesen "Vielleicht ist ein_e dicke_r, queere_r Kanak_in mit einem Bombenoutfit zu viel Schock für Annika"?

Das alles nervt natürlich. Und es ist gut, dass es so nervt. Denn jetzt endlich schreiben die Anderen. Sie schreiben nicht mehr über Sachen, die deutsche Redakteure von ihnen wissen wollen. Sie schreiben über sich und über Deutschland, wie es sich anfühlt, hier zu leben. Sie schreiben Falsches, Ideologisches, Unlesbares, aber auch Literarisches, Wahrhaftes, Starkes. Ihr Buch will Manifest sein gegen Heimat, das sagt der Text auf dem Einband, natürlich weil er nerven will. Und deshalb könnte jetzt auch ein genervter Deutscher kommen und erklären: In diesem schlimmen Deutschland geht es allen Autoren besser, als es ihnen in den Ländern gehen würde, aus denen sie oder ihre Großeltern und Eltern kamen. Doch Schlechtes gegen anderes Schlechte aufzurechnen, das ist unlogisch und verkehrt.

Dass Ausländer und Kinder und Enkel von Ausländern das Wort Heimat nicht fühlen können, das ist vielleicht ihr Schicksal, ist auch meins; ein Immer-durcheinander-Sein, weil man nicht weiß, wo das Zuhause ist; ein Anders-Sein, doch gleichzeitig ein Deutsch-sein-Wollen. Dass einige das Heimat-Wort dann hassen, das ist ihr Recht. Wie auch ihr Wunsch nach dem perfekten Deutschland. Das wollen Deutsche auch. Aber muss ein Land erst perfekt sein, damit man es Heimat nennen kann? Sehr sicher: nein. Doch vielleicht reicht es schon, wenn Deutschland ein Land wird, in dem kein Anderer, Fremder früher aus der Bahn aussteigen muss, als er wollte. Vielleicht könnten die Anderen, Fremden dann das Heimat-Wort auch sagen und auch fühlen.

Wie aber geht das? Und wann kommt das? Wahrscheinlich dann, wenn in den deutschen Köpfen nicht nur Natur, Wald, Wiesen sind, wenn sie an Heimat denken, sondern auch nervige Ausländer und Kinder von Ausländern. Dazu braucht Deutschland mehr von ihren Büchern, Essays, Texten, die uns, euch, alle nerven. Überall.

ANNA PRIZKAU.

"Eure Heimat ist unser Albtraum", herausgegeben von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah, Ullstein, 208 Seiten, 20 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2019

Wer hier die Füße unter wessen Tisch hat
Autorinnen und Autoren, die in erster, zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, erzählen, was das für sie bedeutet: „Eure Heimat ist unser Alptraum“
Heimat. Es gibt wahrscheinlich kaum einen Begriff, der dermaßen aufgeladen und gleichzeitig so schwer zu fassen ist. Begreift man sie als Sehnsuchtsort wie die Romantiker oder als deckungsgleich mit dem Nationalstaat, wie es Ende des 19. Jahrhunderts üblich wurde? Braucht Heimat Natur oder kann auch eine Großstadt Heimat sein? Kann man sie unironisch lieben, wie es die Heimatfilme suggerieren, oder muss man sie hassen, wie es die sogenannte Anti-Heimatliteratur vorgemacht hat, die im Österreich der Sechziger- und Siebzigerjahre die Provinz als Brutstätte des Dumpfen und Reaktionären in Szene gesetzt hat? Meint Heimat eine Welt der Regionen, die man der Globalisierung entgegensetzt, oder existiert sie überhaupt nur in der Erfahrung des Verlusts?
Am weitesten kommt man wahrscheinlich noch über das Ausschlussverfahren. Wenn man sich Heimat dadurch nähert, was sie nicht ist oder nicht sein kann. Das ist der Ansatz des Sammelbandes „Eure Heimat ist unser Albtraum“. Vierzehn Autorinnen und Autoren, die in erster, zweiter oder dritter Generation in Deutschland leben, loten aus, was dieses Wort für sie bedeutet, das in anderen Sprachen kaum Entsprechungen hat. Entstanden sei die Idee, so die Herausgeberinnen Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah, als das frühere Innenministerium die Zusätze „für Bau und Heimat“ erhielt und mit Horst Seehofer einen Chef, der sich erst einmal für mehr Abschiebungen und eine restriktivere Migrationspolitik aussprach. (Und der bei der Antrittspressekonferenz sein Ministerium dann auch noch versehentlich „Heimatmuseum“ nannte.)
Der Titel ist auf dem Cover so gesetzt, dass einem auf den ersten Blick nur die Worte „Heimat ist Albtraum“ ins Auge springen. Als solchen nehmen viele Deutschland auch oft wahr. Der Journalist Enrico Ippolito erzählt, wie einer wie er, der „nicht Müller oder Schmidt“ heißt, entweder höre, dass er „aber gut Deutsch“ spreche oder dass er ja zurückgehen könne, wenn ihm etwas nicht passt. „Jedes Mal hatte er sich gefragt, wohin er denn eigentlich zurückgehen solle. Er war hier in Deutschland aufgewachsen.“ Margarete Stokowski, die als Kleinkind mit ihrer polnischen Familie nach Berlin kam, schreibt vom ambivalenten Verhältnis zu ihrer Muttersprache, das paradoxerweise aus der perfekten Integration entstand: Ihre Großeltern wollten, dass die Kinder in der Öffentlichkeit Deutsch sprechen. Was ihr das Gefühl gab, „dass meine Muttersprache etwas ist, was ich besser loswerden“ sollte. „Polnisch war gleichbedeutend mit arm, gleichbedeutend mit: besser nicht da.“
Der eindringlichste Text ist von Fatma Aydemir und heißt schlicht „Arbeit“. Er kreist um diesen Begriff, der in Deutschland mit Ethos und Moral gleichgesetzt wird, um Gastarbeiter wie ihren türkischen Großvater, der sieben Tage die Woche in einer Stahlfabrik schuftete, und um Überarbeitung als Lebensgefühl einer Bevölkerungsgruppe, deren Status an ihre Erwerbstätigkeit gekoppelt ist. Noch am Tag ihrer Einbürgerungsfeier musste Aydemir einen aktuellen Lohnnachweis vorlegen.
Das Interessante an dem Buch ist, dass die Autorinnen und Autoren gar nicht erst versuchen, sich mit der verlorenen Heimat zu beschäftigen oder der Frage, wo denn nun die eigene Heimat sei. So wie es die Schriftstellergeneration zuvor getan hat, der oft das Label „Migrationsliteratur“ angeklebt wurde. Hier sprechen Menschen, die Deutschland so selbstverständlich als ihre Heimat ansehen, dass sie darüber nicht viele Worte verlieren müssen. Und die sich vor allem fragen, wo ihr Platz in dieser Heimat ist und wie sie diesen gestalten.
Diese Selbstverortung passiert in dem Band durch Sprache und literarisches Erzählen. Vina Yun, Kind koreanischer Einwanderer in Österreich, beschwört die Geschmäcker ihrer Kindheit, all die Gerichte, mit denen ihre Mutter die Verbindung zur Heimat hielt. Doch das vertraute Essen, eigentlich eine Form der Kommunikation und des familiären Miteinanders, wird für die Tochter zu einer „Quelle der Scham“, weil es „unsere Eltern und uns zu ‚Ausländern‘ machte“.
Die Rapperin Reyhan Şahin tastet sich an ihre sexuelle Selbstbestimmung heran, indem sie sich an die Wörter herantastet, die das Deutsche für Sexualität hat, was beinahe an konkrete Poesie erinnert.
Und die Bachmann-Preisträgerin Sharon Dodua Otoo schreibt über Rassismus in Form eines Dialoges zwischen Mutter und Sohn. Die beiden reden darüber, was man erlebt, wenn man schwarz ist. Die Mutter will ihren Sohn beschützen vor den Erfahrungen, die er täglich in der U-Bahn oder in der Schule macht, aber während des Gesprächs kehren sich die Rollen um. Denn es ist der Junge, der eine fast schon altersweise Sicht auf das Leben hat: Leute, die ihm rassistisch kommen oder ihm seine Erfahrung mit Diskriminierung absprechen wollen, betrachte er mit Nachsicht: „Als ich anfing, weiße Menschen in dieser Hinsicht mehr als Kinder zu betrachten, konnte ich akzeptieren, dass es einige Dinge gibt, die sie einfach aus eigener Erfahrung nicht wissen.“
Der Sammelband ist gewissermaßen die literarische Entsprechung des Buches „Das Integrationsparadox“, mit dem der Soziologe Aladin El-Mafaalani im Herbst für Aufsehen sorgte. El-Mafaalanis These ist, dass das Thema Integration nicht deswegen zu Konflikten führe, weil Integration nicht gelinge, sondern weil Deutschland längst plural und vielfältig sei. Er skizziert die deutsche Gesellschaft als großen Tisch, an dem sich die unterschiedlichsten Gruppen versammeln, darunter eben auch die Kinder und Enkel der Einwanderer. Und die wollen nicht nur dort sitzen, sondern auch bestimmen, was auf den Tisch kommt. Oder was man zum Gesprächsthema macht. Immer wieder geht es in „Eure Heimat ist unser Albtraum“ darum, welche Diskussionen man führen muss und welche nicht mehr. Wie man sich nennt und wie man wahrgenommen werden will.
Das schließt mit ein, dass man auch mal aufstehen darf, wenn einem das Tischgespräch nicht passt. Das ist das Thema des Berliner Politikwissenschaftlers Max Czollek, der in dem Band mit dem Text „Gegenwartsbewältigung“ vertreten ist. Er hat es satt, dass man als Jude nie für sich selbst stehen dürfe, sondern immer als Teil einer „konstruierten Gruppe“ wahrgenommen werde, „hinter der bestimmte Erwartungen und Zuschreibungen stehen“. Seinen Gegenvorschlag hat er vor Kurzem in die gleichnamige Streitschrift gegossen: Desintegriert euch! Weil Heimat eben auch das Recht bedeutet, sich ihrer Umklammerung zu entziehen.
VERENA MAYER
Wer nicht Müller oder Schmidt
heißt, bekommt zu hören, er
könne ja gehen. Aber wohin?
Die Enkel der Einwanderer
sitzen mit am Tisch und wollen
das Gesprächsthema bestimmen
Fatma Aydemir, Hengameh Yaghoobifarah (Hg): Eure Heimat ist unser Albtraum. Mit Beiträgen von Sasha Marianna Salzmann, Sharon Dodua Otoo, Max Czollek, Mithu Sanyal, u.a.. Ullstein Verlag, Berlin 2019. 208 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Klug und horizonterweiternd findet Rita Vock dieses Buch, das ihr zeigt, wie rassistisch sie ist beziehungsweise alles um sie herum. Ob die afrobritische Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo von Diskriminierungserfahrungen ihres Sohnes berichtet, Herausgeberin Fatma Aydemir beklagt, dass die Jobs am Ende doch an "die Weißen" gingen oder der Journalist Enrico Ippolito seine generelle Genervtheit über den "Rassismus" entgegenschleudert, die Rezensentin ist gleichermaßen beeindruckt von den Beiträgen in diesem Band. Denn auch wenn sie ahnt, dass hier nicht unbedingt die Zukurzgekommenen der Mediengesellschaft schreiben, so erfahren doch diejenigen, die von echter Ausgrenzung betroffen sind, dass es selbst "erfolgreichen Kulturschaffenden" ähnlich gehe, ist Vock überzeugt. Was die Autoren für einen Rassismus-Begriff haben, verrät die Rezensentin nicht, auch ihr eigener bleibt schleierhaft.

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