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Reinhard Höhn (1904-2000) war zeitweise einer der prominentesten Managementdenker der jungen Bundesrepublik und unter ihnen wohl der umstrittenste. In den 1960er Jahren prägte seine als »Harzburger Modell« bekannt gewordene Führungslehre die westdeutsche Unternehmenslandschaft. Für seinen kooperativen Ansatz erhielt Höhn viel Lob, während Kritiker in seiner Arbeit die Gemeinschaftsideologie der Nationalsozialisten fortgeführt sahen. Alexander O. Müller untersucht dieses Spannungsfeld, indem er Höhns Leben, seine wichtigsten politischen Stationen und - mit Blick auf die Grundlagen des…mehr

Produktbeschreibung
Reinhard Höhn (1904-2000) war zeitweise einer der prominentesten Managementdenker der jungen Bundesrepublik und unter ihnen wohl der umstrittenste. In den 1960er Jahren prägte seine als »Harzburger Modell« bekannt gewordene Führungslehre die westdeutsche Unternehmenslandschaft. Für seinen kooperativen Ansatz erhielt Höhn viel Lob, während Kritiker in seiner Arbeit die Gemeinschaftsideologie der Nationalsozialisten fortgeführt sahen. Alexander O. Müller untersucht dieses Spannungsfeld, indem er Höhns Leben, seine wichtigsten politischen Stationen und - mit Blick auf die Grundlagen des »Harzburger Modells« - auch seine inhaltliche Entwicklung rekonstruiert.
Autorenporträt
Alexander O. Müller, Dr. phil., geboren 1982, studierte Politikwissenschaft und Neuere und Neueste Geschichte an der Technischen Universität Chemnitz. Er ist wissenschaftlicher Volontär am Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Zeitgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.01.2020

Brauner Managerlehrer
Neue Biographien über Reinhard Höhn

Hunderttausende besuchten seine Managementseminare in den 1960er und 1970er Jahren, galt er doch als Erfinder des "Harzburger Modells": Reinhard Höhn gehörte zu den profiliertesten westdeutschen Managementlehrern der Nachkriegszeit. Immer wieder holte ihn aber auch seine Nazi-Vergangenheit ein. Nun sind zwei Biographien über den vor 20 Jahren verstorbenen Höhn erschienen. Autoren sind Johannes Jenß (Die "Volksgemeinschaft als Rechtsbegriff", Peter Lang Verlag, 2017) und Alexander O. Müller. In der kritischen Bewertung über Höhns Rolle im Dritten Reich sind sie sich einig, nur bei Faktendetails weichen sie voneinander ab. Beide Bücher sind gut zu lesen, wobei Müllers Werk umfangreicher und aktueller ist. "Die Angehörigen der ehemaligen SS- und SD-Führungselite brauchten im Schnitt etwa zehn Jahre, um in der Normalität bundesrepublikanischer Bürgerlichkeit anzukommen", schreibt Müller. Höhn schaffte es in deutlich kürzerer Zeit. Innerhalb der "Volkswirtschaftlichen Gesellschaft" fand er ein neues Betätigungsfeld und übernahm alsbald die Leitung der neu gegründeten "Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft". Mit über einer halben Million Seminarteilnehmern gehörte sie in Deutschland zu den renommiertesten und erfolgreichsten Institutionen ihrer Branche. Über seine politische Vergangenheit sprach Höhn ungern und zumeist nur, wenn er es tatsächlich musste. Hitler und dem Nationalsozialismus schwor Höhn nie öffentlich ab, noch bekannte er sich zu ihm. Im Jahr 1966 fragte er in einer seiner Schriften: "Wer war eigentlich nach 1945 Proletarier: Der Arbeiter, der seinen, wenn auch geringen, Besitz erhalten hatte, oder der Bürger, der ehemalige Klassenfeind, der ausgebombt war beziehungsweise flüchtend aus dem Osten kam?" Über solche Gedanken leitete er, laut Müller, regelmäßig auf unverfänglichere Themen wie das Betriebsverfassungsgesetz über.

Viele deutsche Unternehmen schickten ihr Management, später auch die Sekretärinnen, nach Bad Harzburg, wo Höhn - mit staatlicher Unterstützung wegen der Nähe zur innerdeutschen Grenze - ein Bildungszentrum aufgebaut hatte. Für die strukturschwache Region war die Akademie über Jahrzehnte ein Glücksfall. Als aber auch Beamte und Soldaten bei Höhn ausgebildet wurden, erregten sich Presse und Sozialdemokraten. So fragte der Abgeordnete Hans Batz im Jahr 1972, ob der Bundesregierung bekannt sei, "dass der ehemalige Vorgesetzte des Judenmörders Eichmann im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeit Bundeswehroffiziere ausbilde?" Der zuständige Minister antwortete, dass die Soldaten ein Recht auf Fortbildung hätten und sich ihre Bildungsstätte frei aussuchen dürften. Doch hat Höhn wirklich alte braune Lehren in Bad Harzburg unterrichtet? Sein "Harzburger Modell" plädierte für einen neuen Führungsstil im Unternehmen, die sogenannte "Führung im Mitarbeiterverhältnis". In Abkehr von absolutistischen Führungsformen sollten betriebliche Entscheidungen nicht mehr von einem oder einigen wenigen an der Spitze getroffen werden, sondern jeweils von Mitarbeitern auf den Ebenen, wo sie sich als notwendig erwiesen. Das grundlegend Neue bestand darin, den Mitarbeiter nicht mehr durch einzelne Aufträge zu führen. "Für die Verantwortung galt, dass der Mitarbeiter die Handlungsverantwortung und der Vorgesetzte die Führungsverantwortung trug", schreibt Müller.

Höhn predigte diesen Grundsatz, fast unverändert, über Jahrzehnte. In den siebziger und achtziger Jahren wuchs die Kritik an ihm. Sozialforscher monierten, Demokratisierung in Unternehmen könne man auf diese Weise nicht vorantreiben. Wissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg zeigten sich überzeugt, dass das Harzburger Modell ungeeignet sei, bestehende Beschaffenheiten in Unternehmen zu verändern. Traditionelle Machtstrukturen würden verschleiert und auf autoritative Art neu gerechtfertigt, Initiative und Einsatzfreude gerade nicht gefördert. Höhn konterte die Kritik in zahlreichen Schriften. Auch in dieser Zeitung wollte Höhn 1962 schreiben, durfte es aber nicht, wie Jenß mit Quellen aus dem Bundesarchiv belegen kann (Seiten 162f.) - eine Tatsache, die in der F.A.Z.-Geschichte von Peter Hoeres auf Seite 79 bestätigt wird. Müller berichtet allerdings davon, dass Höhn zwanzig Jahre später in dem von der F.A.Z. herausgegebenen Spezialblatt "Blick durch die Wirtschaft" auftreten durfte. Nach Höhns Tod im Jahr 2000 schrieb der Rechtshistoriker Bernd Rüthers in der "Neuen Juristischen Wochenschrift" über die damals veröffentlichten Nachrufe: "Der historische Zusammenhang zwischen dem Führerprinzip in der SS und der Führungslehre der Akademie in Bad Harzburg war und ist ausgeblendet." Rüthers meinte damit vermutlich, dass in Höhns Management-Lehre die militärische Hierarchie, die auch in der SS galt, übernommen wurde. Jenß indes hält die "etwas polemisch anmutende Verknüpfung des Harzburger Modells mit der NS-Vergangenheit recht konstruiert". Bis heute umstritten sind die Spätfolgen des Harzburger Modells. Manche sagen, diese könnten in den jüngsten Skandalen deutscher Großunternehmen zu besichtigen sein. Manager mit Charakter seien in Bad Harzburg jedenfalls nicht ausgebildet worden. Aber war es anderswo besser? Inzwischen ist über Höhns Lehren der Wind der Veränderung hinweggefegt. Als der Rezensent vor kurzem einen jungen Professor für Managementlehre zum Harzburger Modell fragte, wusste dieser damit gar nichts anzufangen - obwohl seine Schwiegereltern in Bad Harzburg leben.

JOCHEN ZENTHÖFER

Alexander O. Müller: Reinhard Höhn - Ein Leben zwischen Kontinuität und Neubeginn, be.bra wissenschaft verlag, Berlin 2019. 337 Seiten. 46 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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