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Der Reichstag ist eines der wenigen Gebäude, die stets im Brennpunkt des Geschehens und im Spannungsfeld der deutschen Geschichte standen. Michael S. Cullen erzählt mit der Kenntnis des Insiders die Bau- und politische Geschichte des heutigen Bundestages von der langwierigen Planung, über die Kaiserzeit, Weimarer Republik, Hitlerdiktatur, als Symbol der offenen deutschen Frage bis zur Verhüllung durch Christo und den Umbau durch Sir Norman Foster.

Produktbeschreibung
Der Reichstag ist eines der wenigen Gebäude, die stets im Brennpunkt des Geschehens und im Spannungsfeld der deutschen Geschichte standen. Michael S. Cullen erzählt mit der Kenntnis des Insiders die Bau- und politische Geschichte des heutigen Bundestages von der langwierigen Planung, über die Kaiserzeit, Weimarer Republik, Hitlerdiktatur, als Symbol der offenen deutschen Frage bis zur Verhüllung durch Christo und den Umbau durch Sir Norman Foster.
Autorenporträt
Michael S. Cullen, 1939 in New York geboren, lebt seit 1964 in Berlin. Er hat zahlreiche Werke zur Berliner Stadt- und Kulturgeschichte veröffentlicht, besonders zur Geschichte des Reichstags. 1992 wurde er in die Expertenkommission zum Umbau des Reichstags berufen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.11.1995

Punschterrine der Geschichte
Michael S. Cullen erklärt das Schicksal des Reichstagsgebäudes

Goethes Satz: "Wir Deutschen fürchten eine Hauptstadt", geschrieben in "Wilhelm Meisters Wanderjahren", war nach der Reichsgründung von 1871 aktueller denn je: Das Mißtrauen der dem Föderalismus zuneigenden deutschen Länder gegen Berlin prägte auch das Vorhaben, einen zentralen Parlamentsbau zu errichten. Jahrzehntelang begnügte man sich mit einem Provisorium, ehe nach zwei Wettbewerben, endlosen Diskussionen und Planänderungen 1894 der Reichstag in Berlin vollendet war.

Seine Baugeschichte endete damit keineswegs. Bis ins Jahr 1908 zog sich die Ausschmückung des Monumentalbaus hin, den, bemerkenswert genug, die Sozialdemokraten respektierten und Konservative bis hin zu Kaiser Wilhelm II. als "Gipfel der Geschmacklosigkeit" schmähten. Der Modernitätsfuror der wanziger Jahre kesselte in Wettbewerben und Umbauentwürfen den ungeliebten Prunkbau mit megalomanen Hochhäusern ein. Das Askese-und Funktionalismusideal der Nachkriegsmoderne rückte der Ruine beim schleppenden und ratlosen Wiederaufbau mit Abschmückungskommissionen und glasgefüllten Fassadendurchbrüchen auf den Leib.

Die Geschichte dieses Parlamentsgebäudes - und indirekt auch die des deutschen Parlamentarismus - ist nun in Michael S. Cullens Reichstag-Band nachzulesen. Stilsuche als Suche nach nationaler Identität, Bilderstürmerei als nachfolgender, ebenso angestrengter Versuch, sich von vermeintlichen Fesseln der Geschichte zu befreien, bilden den roten Faden der akribischen chronologischen Auflistung. Cullen kennt wie wohl kein zweiter den Reichstag - und er bewundert ihn nicht völlig, aber doch fast bedingungslos. So bleibt es oft dem Leser überlassen, zwischen den Zeilen die Widersprüchlichkeit dieses Gebäudes, seine Schwächen im Kolossalen zu entdecken, die in Architektur und Dekor den schweren Weg der Deutschen in die Einheit nachzeichnen.

Die aktuellen endlosen Debatten um jene Kuppel, die nach dem Umbau des Reichstags durch Norman Foster das deutsche Parlament überwölben soll, haben ihre Entsprechung in den Diskussionen der Entstehungszeit. Paul Wallot, der Schöpfer des Reichstags, verzweifelte fast über der Aufgabe - aus einer steinernen Kuppel wurde eine gläserne, aus einem in jeder Hinsicht majestätischen Symbol ein Symbol des Aufbruchs. Obwohl die Kaiserkrone sie krönte, assoziierte man mit dem sichtbaren eisernen Tragewerk der Kuppel den Triumph der Technik, den Vorschein eines nicht nur baulichen Fortschritts. Die Erbitterung hierüber dürfte es sein, die Wilhelms II. vernichtendes Urteil über die "Punschterrine" grundiert. So wie umgekehrt die demonstrativen Rückgriffe in den Dekorationsfundus der Renaissance und des Barock den prominenten Berliner Baumeister Ludwig Hoffmann veranlaßten, den Gesamtbau einen "geschmückten Leichenwagen" zu nennen.

Als 1990 erstmals über den Um- und Ausbau des Reichstags zum Sitz des deutschen Parlaments debattiert wurde, hagelte es Begriffe wie "Zwingburg", "wilhelminischer Protzkasten" oder "düstere Herrschaftsarchitektur" von der einen Seite, "Würdebau" oder "fortschrittsträchtiger qualitätvoller Historismus" von der anderen. Cullens Buch belegt die Oberflächlichkeit solcher Urteile. Was entstand, war ein Gebäude des schwer errungenen Konsenses. Mit gutem Grund schrieb Wallot im Mai 1890 einem Kollegen: "Bezüglich des ,Characters' der Architektur bitte ich Sie, mich nicht verantwortlich zu machen. Ich hatte keine Zeit, dabei selbsttätig zu sein". Er hätte sein Licht nicht so unter den Scheffel zu stellen brauchen. Am Ende attestierte der gefürchtete Architekturtheoretiker Cornelius Gurlit dem aus Kompromissen geborenen Bau: "Ein vielgestaltetes Wesen wurde zu einem riesigen Ganzen zusammengefaßt. Da wächst eine alte, oft besprochene Hoffnung der Reife entgegen, daß wir nämlich auch eine nationale und unserer Zeit eigenartige Baukunst finden werden."

Die Zeit war es, die dann endgültig und auf ganz andere Weise den Reichstag zum Bauwerk einer nationalen eigenartigen Baukunst werden ließ. Der Reichstagsbrand, der im Februar 1933 den Untergang der Weimarer Republik beleuchtete, hinterließ seine Spuren, die Zerstörung des Zweiten Weltkriegs und der Wiederaufbau von 1957 an setzten weitere Zeichen. Norman Foster will sie dem Gebäude bewahren. So wird der Reichstag bleiben, wie Michael S. Cullen ihn im Rückblick auf seine Baugeschichte charakterisiert: "Bedeutend nicht so sehr wegen seiner Architektur als in seiner Symbolwirkung und in seinem Symbolgehalt". DIETER BARTETZKO

Michael S. Cullen: "Der Reichstag". Parlament, Denkmal, Symbol. Mit Vorworten von Rita Süssmuth, Christo und Jeanne-Claude. be.bra Verlag, Berlin 1995. 396 S., 150 Abb., geb., 58,- DM.

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