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Die Weimarer Reichsverfassung hat einen schlechten Ruf. Sie gilt vor allem durch den berüchtigten Notstandsartikel 48 als Fehlkonstruktion, die dazu beigetragen habe, dass aus einer Demokratie am Ende eine Diktatur wurde. Doch dieses bis heute durch die Geschichtsbücher geisternde Urteil ist falsch. Ausgewiesene Kenner der Materie aus unterschiedlichen Disziplinen unterziehen in diesem Buch das überkommene Bild einer grundlegenden Revision. 2019 wäre die Weimarer Reichsverfassung 100 Jahre alt geworden. Sie ging mit der Weimarer Republik im Jahre 1933 unter und wurde in der Folgezeit kaum…mehr

Produktbeschreibung
Die Weimarer Reichsverfassung hat einen schlechten Ruf. Sie gilt vor allem durch den berüchtigten Notstandsartikel 48 als Fehlkonstruktion, die dazu beigetragen habe, dass aus einer Demokratie am Ende eine Diktatur wurde. Doch dieses bis heute durch die Geschichtsbücher geisternde Urteil ist falsch. Ausgewiesene Kenner der Materie aus unterschiedlichen Disziplinen unterziehen in diesem Buch das überkommene Bild einer grundlegenden Revision.
2019 wäre die Weimarer Reichsverfassung 100 Jahre alt geworden. Sie ging mit der Weimarer Republik im Jahre 1933 unter und wurde in der Folgezeit kaum angemessen gewürdigt. Stattdessen machte man sie häufig für das Scheitern der ersten deutschen Demokratie verantwortlich. Der Band tritt diesem verbreiteten Bild entgegen, indem er über Inhalte und Protagonisten, Institutionen und Innovationen, Symbolik wie Nachleben der Weimarer Verfassung informiert. Dabei erweist sich vor allem deren Modernität als beeindruckend. Sie führte das Frauenwahlrecht ein, etablierte den Sozialstaat, regelte wegweisend das Verhältnis von Staat und Religion und stellte einen ausführlichen Grundrechtskatalog auf.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.09.2018

Vorbild
und Mahnung
Eine Anthologie analysiert die Vorzüge
und Schwächen der Weimarer Reichsverfassung
VON ROLF LAMPRECHT
Die Autoren verneigen sich vor der „ersten demokratischen Verfassung auf deutschem Boden“ – und vor ihrem honorigen Ziel: die „Legitimität staatlicher Herrschaft ganz auf den Gedanken der Volkssouveränität“ zu stützen. Wer da spontan ans Grundgesetz denkt, der irrt.
Die Rede ist nicht von der 1949 verabschiedeten Bonner Verfassung, sondern von der letztlich gescheiterten Weimarer Verfassung, die 1919 in Kraft trat; nicht von der Emanzipation des „Souveräns“, der fein ziselierten Rechtsfigur, die das Kollektiv aller Wahlbürger repräsentiert, sondern von den vergeblichen Bemühungen des Vorgängers, der nach 13-jährigem Schattendasein im zerstrittenen Vielparteienstaat von Weimar seinen Geist aufgab.
Hier beginnt sich der Bogen zu schlie-ßen: 1919 bis 2019. Ein anspruchsvolles Werk widmet sich dem bevorstehenden 100-Jahre-Jubiläum. „Das Wagnis der Demokratie“ heißt die Anthologie, in der außer den Herausgebern, den Rechtsprofessoren Horst Dreier und Christian Waldhoff, zehn sachkundige Wissenschaftler „die Anatomie“ der Verfassung von Weimar abhandeln, eher liberale Autoren wie der in Berlin und Yale lehrende ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm. Seine Mitstreiter, allesamt kompetente Vertreter ihres Fachs, beurteilen die Weimarer Ägide aus historischer, juristischer und soziologischer Sicht, sie fragen kritisch, wie es um das Demokratieverständnis stand und wo das Ideal der Gleichberechtigung blieb.
Dreier begreift den Text von Weimar als Befreiungsschlag. Als Zäsur nach Zeiten, in denen Monarchen willkürlich herrschten und die Untertanen zu gehorchen hatten. Entsprechend wohlwollend interpretiert er die Verfassung. Um deren Akzeptanz zu belegen, trägt er Fundstelle um Fundstelle zusammen. Was allerdings den Umkehrschluss nahelegt, dass sie punktuell um Beachtung kämpfen musste.
Im Gegensatz zum Grundgesetz – das ist ein Unterschied von vielen. Aus der Sicht von heute erscheint die „Reichsver-fassung“ als – mutiger – Versuch, als „Ge-sellenstück“ der Demokratie, wie Christian Waldhoff anmerkt. Aus der Sicht von 1919 hingegen war sie ein Riesensprung. Noch wenige Monate vorher, im Oktober 1918, hatte Kaiser Wilhelm II. nur widerstrebend akzeptiert, dass der Reichskanzler formell das Vertrauen des Reichstages benötigte. Ein letztes Aufzucken. Kurz danach war er nur noch eine Fußnote der Geschichte. Der letzte Souverän von Gottes Gnaden machte Platz für den Volkssouverän. Und der musste sich an seine neue Rolle erst gewöhnen. Auf manchen Konservativen dürfte Artikel 1, Satz 2: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“ wie eine rote Kampfparole gewirkt haben.
Was brachte die Verfassung? Manches wurde, weil überfällig, endlich Realität, wie etwa das aktive und passive Wahlrecht für Frauen. Die Renaissance von fortschrittlichen Ideen aus der gescheiterten Revolution 1848/49 ergab sich fast von selbst, vieles stand schwarz auf weiß in der sogenannten „Paulskirchen-Verfassung“.
Grundrechtsähnliche Vorschriften wie Freiheit der Person, Rückwirkungsverbot von Gesetzen, Anspruch auf den gesetzli-chen Richter, Presse- und Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit waren mithin keine Fremdworte. Doch es fehlte die Systematik. Dreier beklagt „die Heterogenität und Artenvielfalt der hier versammelten Normen“, 57 an der Zahl.
Mit dem Wissen von heute springen die folgenschweren Defizite der Weimarer Verfassung ins Auge; sie kannte keine Bindungswirkung. Manches Grundrecht war nicht mehr als eine Hülse. Artikel 109 garantierte Männern und Frauen „dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten“. Die Umsetzung versandete. Es blieb alles beim alten vorsintflutlichen Zustand. Die Osnabrücker Rechtprofessorin Pascale Cancik hält unnachsichtig fest: „Der Zustand größter Rechtlosigkeit begann für erwachsene Frauen mit der Heirat.“
Es gab tatsächlich, wie Dieter Grimm betont, „keinen Vorrang der Verfassung“. Man habe sogar angenommen, schreibt er, dass ein Gesetz, das der Reichstag mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen hatte, „die Verfassung durchbrechen konnte“. Eine fatale Schwachstelle! Aber noch harmlos im Vergleich zur Machtfülle des Reichspräsidenten, der, wie Paul von Hindenburg, als eine Art „Ersatzkaiser“ mit „Notverordnungen“ am Reichstag vorbei regieren konnte.
Hinzu kam die wachsende Popularität der Nazis, die noch im Nachhinein Angst erregt: 1928 lag die NSDAP bei 2,6 Prozent der Stimmen, 1930 schon bei 18,3, und En-de 1932 stieg ihr Anteil auf 33,1 Prozent. Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg unter dem Einfluss obskurer Berater Hitler zum Reichskanzler. Ein Rezept, wie zu verhindern ist, dass sich die Demokratie selbst abschafft, gab es nicht. Das berüchtigte „Ermächtigungsgesetz“ vom 23. März 1933, das die Gewaltenteilung außer Kraft setzte, öffnete die Tore zur NS-Diktatur.
Sensibilität bei Gefahr hängt auch davon ab, wie tief eine Verfassung im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Der Münchner Theologieprofessor Friedrich Wilhelm Graf erinnert an einen Aufruf „deutscher Hochschullehrer“, in dem sich etwa 300 Gelehrte (unter ihnen Albert Einstein und Max Weber) „ohne Vorbehalte und Umschweife“ zur neuen Verfassung bekennen. Eine imposante Zahl, die aber verschleiert, dass nur ein Zehntel aller Professoren unterschrieben hatte. Die Studenten reagierten bereits feindlich. Als der Staatsrechtler Gerhard Anschütz 1922 in seiner Heidelberger Rektoratsrede über „drei Leitgedanken“ der Verfassung referierte, erntete er „lautes Scharren mit den Füßen“.
Die linken Intellektuellen begrüßten die neue Verfassung. (Volljurist) Kurt Tucholsky lobte sie in der Weltbühne als „teilweise ganz vorzüglich“. Später zeigte sich Herausgeber Carl von Ossietzky enttäuscht: „Die Geschichte der neuen Verfassung ist nicht eine Geschichte ihrer Erfüllung, sondern ihrer Verletzungen.“ Deutschland fehle noch immer „der Respekt vor den Verfassungsbuchstaben, der alle gut funktionierenden Demokratien auszeichnet“.
Die Resignation der „gebrannten Kinder“ blieb haften. „Ohne die Weimar-Erfahrung“, meint Grimm, „ist das Grundgesetz nicht zu verstehen“; die „Konstruktionsfehler“ der Verfassung von 1919 sollten vermieden, „die von ihr eröffneten Wege in die Diktatur verbaut werden“. Erkenntnisse, die dann, wie die Autoren schildern, das Grundgesetz geprägt haben.
Artikel 1, Absatz 3 besiegelt den Geltungsanspruch: „Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.“ Dem Bundespräsidenten wird nur noch eine repräsentative Rolle zugebilligt. Bei Wahlen verhindert die Fünf-Prozent-Klausel, dass Miniparteien (wie in Weimar) die Arbeit des Parlaments lähmen. Kanzler lassen sich nicht mehr nach Belieben abwählen; das geht nur durch ein „konstruktives Misstrauensvotum“ – Abwahl des einen durch Wahl eines andern. Als „Schutz vor sich selbst“ ist im Grundgesetz eine „Ewigkeitsgarantie“ verankert; sie legt fest, dass niemand, auch keine wie immer geartete parlamentarische Mehrheit, die „Wesensmerkmale“ der Verfassung antasten darf. Und einmalig auf der Welt: Eine höchste allmächtige Instanz, das Bundesverfassungsgericht, sorgt unnachsichtig dafür, dass alle im Staat das Grundgesetz respektieren.
„Bonn ist nicht Weimar“. Der Titel des 1956 erschienenen Buches aus der Feder des Schweizer Publizisten Fritz René Allemann wurde zum geflügelten Wort. Und heute? Berlin lässt Weimar weit hinter sich zurück. „Das Wagnis der Demokratie“ beschreibt diesen qualitativen Sprung. Zu besichtigen ist ein Fortschritt ohnegleichen – vom schwachen zum starken Staat, mit einem weltweit bewunderten hohen Verfassungsstandard.
Eine lohnende Lektüre, eine intellektuelle Entdeckungstour.
Rolf Lamprecht schreibt über Rechtspolitik. Er ist seit 1968 Berichterstatter an den Obersten Gerichtshöfen in Karlsruhe.
Ohne die Erfahrungen
von Weimar ist das
Grundgesetz nicht zu verstehen
Horst Dreier,
Christian Waldhoff (Hg.): Das Wagnis der Demokratie. Eine Anatomie der Weimarer Reichsverfassung. Verlag C. H. Beck, München 2018.
424 Seiten, 29,95 Euro.
(Erscheint am Dienstag,
18. September.)

Reichspräsident Ebert als Zentaur, mit zwei großen Quälgeistern auf dem Rücken. Die extreme Rechte und Linke akzeptierten die Verfassung und die Demokratie nie. Zeichnung in der Satirezeitschrift Simplicissimus im Mai 1924.
Foto: SZ Photo
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2018

Der Reichsadler als erschrockener Papagei
Lob der Grundrechtsrepublik: Ein hochkarätig besetzter Sammelband rehabilitiert die Weimarer Reichsverfassung

Wer die Weimarer Verfassung für ein exklusives Thema der Juristen hält, täuscht sich. Wenngleich es auf den ersten Blick paradox anmuten mag, belegt das auch dieser von zwei geschichtskundigen Rechtswissenschaftlern herausgegebene Band. Er verbindet die Expertise von spezialisierten Verfassungs- und allgemeinen Neuzeithistorikern mit jener von Politikwissenschaftlern. Einigkeit zwischen allen besteht in der Ablehnung der These von Konstruktionsfehlern, die im Verfassungstext bereits einen zentralen Grund für das Scheitern der Weimarer Republik erkennt.

Die bekannten Momente der Schwäche, die gerade in der frühen Bundesrepublik zur Abstandswahrung von Weimar gebetsmühlenartig vorgetragen worden sind - ob die dualistische Struktur zwischen Parlament und Reichspräsident, das einfache Misstrauensvotum, plebiszitäre Elemente oder das unbeschränkte Verhältniswahlsystem -, kommen zur Sprache. Statt eindeutig negativer Ableitungen seien Ambivalenzen herauszustreichen: Die Überführung von Verfassungstheorie in Verfassungswirklichkeit gestaltete sich grundsätzlich ergebnisoffen und war vor allem abhängig von politischen Konstellationen, von gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Kontexten. Das verdeutlichen gleich im einführenden Beitrag die Cambridger Historiker Christopher Clark und Oliver Haardt.

Die Option zur Erfolgsgeschichte gab es. Ewald Wiederin verweist in seinem Überblick zur internationalen Ausstrahlung des Weimarer Verfassungsmodells auf dessen reibungslose Funktionsweise in anderen Staaten und unter günstigeren Ausgangsbedingungen. Christian Waldhoff ergänzt eine kontrafaktische Überlegung, um das Potential der Weimarer Konstitution zu unterstreichen: "Ein Staat mit den politisch-sozialen Startbedingungen der Bundesrepublik hätte - zumindest lange Zeit - auch mit der Weimarer Reichsverfassung glänzend reüssiert."

Das Grundgesetz, das - anders als die Weimarer Verfassung - lange Zeit nur als Provisorium wahrgenommen wurde, entfaltete eine gesellschaftlich integrierende Kraft. Bald war die Rede von einem "Verfassungspatriotismus", der eine emotionale Verbundenheit der Bürger mit der Verfassung ihres Staates zum Ausdruck bringen sollte. Ein vergleichbares Phänomen ließ sich dagegen für Weimar nicht lokalisieren. An verschiedenen Versuchen, eine entsprechende Bindekraft aktiv zu erzeugen, mangelte es indes keineswegs. Marcus Llanque erinnert in seiner klugen Bilanz von mit der Verfassung verbundenen Symbolfragen an die "institutionelle Innovation" eines Reichskunstwarts, die das Ziel verfolgte, "der neuen Ordnung eine neue Formsprache" zu verschaffen.

Für das Verfassungsexemplar, das jeder Schüler nach Beendigung der Schulpflicht überreicht bekommen sollte, ließ Edwin Redslob, der zwischen 1920 und 1933 das Amt des Reichskunstwarts ausübte, von Karl Schmidt-Rottluff einen neuen Reichsadler entwerfen. Der sorgte allerdings weniger für Einheitsstiftung als für Misstöne. Dieser Adler war einer Umfrage zufolge unbeliebt, strahlte wenig Würde aus, glich einem "erschrockenen Papagei", wie ein Kommentator in der "Vossischen Zeitung" festhielt.

Friedrich Wilhelm Graf, Theologe und Geisteshistoriker, begibt sich ebenfalls auf die Ebene der politischen Deutungskultur und erinnert an den großen "Imaginationsraum", der sich rund um die neue Verfassung auftat. Ungeachtet feierlicher Reden zum Verfassungstag am 11. August belegen die von ihm nachgezeichneten Intellektuellendiskurse eine überwiegend skeptische bis kritische Haltung. Selbst jene Stimmen, die den "Geist der Verfassung" priesen, beklagten häufig ihre bloß "papierne" Form und stellten insofern ihre Wirkmächtigkeit in Frage.

Gerade gegenüber dem Grundrechteabschnitt des Weimarer Verfassungswerkes war regelmäßig der Vorwurf zu vernehmen, er bestehe aus heterogenen, einander widerstreitenden Programmsätzen, die ins Leere liefen und keine rechtsbindende Kraft entfalteten. Für Horst Dreier spricht schon der zeitgenössische Diskurs eine andere Sprache. Er hält die Bezeichnung der "Grundrechtsrepublik Weimar" überhaupt für angebracht, verfolgte der zweite Hauptteil der Verfassung doch eine dezidiert sozial-integrierende Absicht. Er war "als Symbol der Einigkeit und des Aufbruchs in eine neue, sozial gerechtere, von den Ideen der Freiheit und Gleichheit beherrschte und von einem starken Bürgersinn geprägte Gesellschaft konzipiert" - ohne diesen Kraftquell letztlich freisetzen zu können, wie wir heute wissen.

Der sozialpolitische Anspruch der Verfassung, wie ihn auch Michael Stolleis genau nachzeichnet, war aber von Anfang an sehr hoffnungsvoll und konstruktiv vorhanden. Im Verfassungsausschuss ließen sich eine große Schnittmenge und Kompromissbereitschaft zwischen Vertretern der unterschiedlichen politischen Lager ausmachen. Es sei gelungen, das Fundament eines "entwicklungsfähigen demokratischen Sozialstaats" zu legen. Ein solches sollte auch den mit dem Ende der Monarchie weggefallenen sozialmoralischen, zeremoniellen Legitimationsgrund der Verfassung kompensieren.

Der Bruch mit dem Kaiserreich war indes nicht so gewaltig wie dem ersten Anschein nach. Traditionsüberhänge des Konstitutionalismus aus dem neunzehnten Jahrhundert stellen gleich mehrere Autoren in Rechnung: so Peter Graf Kielmansegg, der in einer feinsinnigen Analyse des Reichspräsidenten die Formel vom "republikanischen Monarchen" aufgreift, Gertrude Lübbe-Wolff, die ein anachronistisches Parlamentarismusverständnis diagnostiziert, Pascale Cancik, die langlebigen Geschlechterrollen nachspürt, oder Monika Wienfort, die an die hartnäckige Traditionswahrung alter Eliten, zumal in Richterschaft und Verwaltung, erinnert.

Wer von einer Neuauflage alter Kaiserherrlichkeit träumte, bekam stattdessen das Ende des Rechtsstaats. Im Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 erkennt Dieter Grimm eine entscheidende Zäsur, weil es die förmlich nie außer Kraft gesetzte Weimarer Verfassung faktisch vollständig demontierte. Zugleich betont der frühere Bundesverfassungsrichter abschließend noch einmal den großen Spielraum, den diese Verfassung über Jahre hinweg für alternative Entwicklungsverläufe eröffnet habe. Eine so facettenreich gestaltete Verfassungsgeschichte, wie sie dieses Kompendium offeriert, faltet Paragraphen gleichsam ins Dreidimensionale und lässt uns das mit ihr verquickte "Wagnis der Demokratie" aus vielfältigen Blickwinkeln nachvollziehen.

ALEXANDER GALLUS

Horst Dreier und Christian Waldhoff (Hrsg.): "Das Wagnis der Demokratie". Eine Anatomie der Weimarer Reichsverfassung.

C. H. Beck Verlag, München 2018. 424 S., geb., 29,95 [Euro].

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"Eine so facettenreich gestaltete Verfassungsgeschichte (...) lässt uns das mit ihr verquickte "Wagnis der Demokratie" aus vielfältigen Blickwinkeln nachvollziehen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Alexander Gallus

"Eine lohnende Lektüre, eine intellektuelle Entdeckungstour."
Süddeutsche Zeitung, Rolf Lamprecht