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In Tunesien, Ägypten, Libyen und anderen arabischen Ländern kämpfen Bürger für die Demokratie - aber für welche? Steht am Ende eine "islamische Republik" oder ein säkularer Staat nach westlichem Muster? Ist ein demokratischer Rechtsstaat auf der Basis der Scharia überhaupt denkbar? Gudrun Krämer beschreibt eindrucksvoll, wie Muslime seit Jahren über Demokratie, Toleranz, Menschenrechte und das Verhältnis von Religion, Recht und Staat debattieren und welche Bedeutung diese Debatten für die gegenwärtige Entwicklung in den arabischen Ländern haben. Sie zeigt, welche reformistischen Ansätze es im…mehr

Produktbeschreibung
In Tunesien, Ägypten, Libyen und anderen arabischen Ländern kämpfen Bürger für die Demokratie - aber für welche? Steht am Ende eine "islamische Republik" oder ein säkularer Staat nach westlichem Muster? Ist ein demokratischer Rechtsstaat auf der Basis der Scharia überhaupt denkbar? Gudrun Krämer beschreibt eindrucksvoll, wie Muslime seit Jahren über Demokratie, Toleranz, Menschenrechte und das Verhältnis von Religion, Recht und Staat debattieren und welche Bedeutung diese Debatten für die gegenwärtige Entwicklung in den arabischen Ländern haben. Sie zeigt, welche reformistischen Ansätze es im Islam gibt, und macht mit den aktuellen islamistischen Strömungen bekannt. Das Buch ist ein "Muss" für alle, die die Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern besser verstehen wollen.
Autorenporträt
Gudrun Krämer ist Professorin für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin und Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 2010 wurde sie mit dem Gerda-Henkel-Preis ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2011

Arabellion und Islam
Gudrun Krämer sieht Chancen für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt

Um ehrlich zu sein: Die Arabellion, der seit dem vorigen Dezember stattfindende Aufstand der arabischen Bevölkerungen gegen ihre Dauer-Despoten und autokratischen Herrscher, kam für den Westen völlig überraschend. Noch mehr überraschte freilich, dass es nicht überwiegend Islamisten waren, die diesen "arabischen Frühling", etwa im Namen ihrer "islamischen Lösung", einleiteten, sondern eher Muslime, die gerade nicht den religiösen Diskurs in den Mittelpunkt ihrer Bestrebungen stellten. In Tunesien als Protest gegen schlechte Lebensbedingungen, geringe Löhne und fehlende Arbeitsplätze ausgebrochen, griff die Demokratiebewegung auf Ägypten, den Jemen, Bahrein und, in kurzen Abständen, auch auf die meisten anderen Länder der islamischen Hemisphäre über. Manches spricht dafür, dass Nordafrika und der Nahe Osten seither eine politische und kulturelle Wende erleben, die als Jahrhundertprojekt erscheint.

Der islamistische Diskurs hatte spätestens seit 1979, der Umwälzung Chomeinis in Iran, so sehr überwogen, dass der Eindruck entstanden war, aus eigener Kraft werde der Islam niemals Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entwickeln können. Nun, so weit ist es - trotz der ersten Erfolge der Arabellion - auch noch lange nicht. Zwar haben drei, wenn nicht vier arabische Herrscher ihren Thron verloren, und der Syrer Baschar al Assad schlägt brutal um sich, um ihn zu behalten, doch in den anderen Ländern ist der erste Schwung der Revolution erlahmt; oder die Demonstranten wurden, wie im Königreich Bahrein, mitleidlos niedergeknüppelt oder erschossen.

Gudrun Krämers neues Buch "Demokratie im Islam. Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt" ist nicht eigentlich aus Anlass der aktuellen Lage geschrieben worden, sondern besteht zum größten Teil aus Aufsätzen und Vorträgen, die schon einmal publiziert worden sind. Nur das letzte, das achte Kapitel, das sich dem Thema Kritik und Selbstkritik im Islam widmet, ist neu. Und natürlich die kurze Einleitung, in der die Autorin, Islamwissenschaftlerin mit Schwerpunkt islamische Moderne, ihrer Hoffnung auf den Erfolg dieser für viele ganz unvermutet aufgetretenen Bewegung Ausdruck gibt. Die Demonstranten, so die Autorin, hätten durch ihre vielgestaltige Aktivität endlich jenes "Könnensbewußtsein" bewiesen, das man ihrem Teil der Welt schlicht abgesprochen habe.

Islamismus, Dschihadismus und Terrorismus, dazu Regime wie das iranische, sudanische, das der Taliban in Afghanistan, aber auch das saudi-arabische, haben in der Vergangenheit erheblich zu einem einseitigen Bild des Islam im Westen beigetragen; differenzierende, korrigierende Darstellungen haben es schwer. Ihnen wird doch oft - und nicht immer zu Unrecht - Wunschdenken und Naivität unterstellt. Ein Resultat dieser Polarisierung ist in unseren Landen der oft giftige Streit zwischen "Islamophoben" und "Islamophilen". Weder das eine noch das andere kann man der Autorin vorhalten. Sie benennt klar die Defizite der in vielerlei Hinsicht vormodernen Kultur des Islam. Doch hinter einem - besonders von den Fundamentalisten gern gepflegten - Bild des unveränderlichen Islam, der sich gegen die diabolischen Machenschaften einer feindseligen Welt wehren muss und für den die ebenso unveränderliche Scharia steht, beschreibt Frau Krämer abweichende islamische Welten. Schon das erste, umfangreiche Kapitel "Einheit und Vielfalt" bringt einen gedrängten Überblick über Facetten der islamischen Religion und Kultur, die sich essentialistischer Einmauerung verschließen, ihr jedenfalls widersprechen.

In den folgenden Kapiteln wird außerdem deutlich, dass allzu lange bei der Beurteilung der Region allzu vieles allein unter dem Gesichtspunkt der Religion gesehen worden ist. Doch die zahlreichen Putsche und Staatsstreiche, mit denen dieser Teil der Welt zu kämpfen hatte, waren Machtspiele, bei denen der Islam oft genug entweder eine marginale Rolle spielte oder instrumentalisiert wurde. Die orientalische Despotie ist zudem viel älter als alle Religionen, die im Orient entstanden. Frau Krämers Darlegungen münden in die Einsicht, dass vieles, was als festgefügte Wahrheit über "den Islam" daherkommt, sich bei genauerem Hinsehen als weniger festgefügt erweist.

Ist die Scharia ein Essentialismus, der für alle Zeiten Reformen verhindert? Man kann so argumentieren, stützt damit freilich die Ansichten der Islamisten, die deshalb ja auch von vielen als mit dem Islam identisch bezeichnet werden. Die im Westen noch immer wenig beachteten Reformdenker, deren Früchte offenbar bei einem Teil der Demonstranten und Aufständischen offenkundig zu reifen beginnen, sehen in der Scharia stärker allgemeine Prinzipien, wie Gerechtigkeit, niedergelegt, die es neu zu bedenken und zu interpretieren gilt. Ohne eine mutige inhaltlich schöpferische Interpretation im Sinne des "Könnenbewußtseins" allerdings wird das nicht abgehen. Die "Fixierung (der Scharia) der Islamisten auf diesseitiges Handeln, auf Fragen des Rechts, der Politik und damit in letzter Konsequenz der Macht wird auch in muslimischen Kreisen sehr kritisch vermerkt", schreibt die Verfasserin. Inhaltlich könnten jedoch auch Menschenrechte, der Gleichheitsgrundsatz, das Mehrheitsprinzip und die Gewaltenteilung im Rahmen der Scharia diskutiert werden.

Einfach, das weiß die Autorin, ist das nicht, denn die nomokratische, in der Theozentrik der koranischen Gottes-Vision wurzelnde Auffassung des Verhältnisses von Mensch und Gott, Gläubigen und Ordnung hat den Islam bis heute stark geprägt. Auch in der Arabellion in Ägypten, Libyen oder Syrien gibt es islamische, ja islamistische Strömungen. Andererseits hat die säkulare "aufgeklärte" Moderne des 20. Jahrhunderts nicht nur Demokratie und Pluralismus hervorgebracht, sondern auch Nazi-Vernichtungslager und den Gulag.

WOLFGANG GÜNTER LERCH

Gudrun Krämer: Demokratie im Islam. Der Kampf für Toleranz und Freiheit in der arabischen Welt. Verlag C.H.Beck, München 2011. 219 S., 14, 95 [Euro] .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Alle Macht liegt beim Volk. Dass diesem demokratischen Denkmuster auch die Revolutionen im Nahen Osten gehorchen, hat Michael Thumann aus dem Buch "Demokratie im Islam" der Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer erfahren. Obwohl sich der Islam als Ideologie gegen die Kolonialherrschaft entwickelt habe, folge er doch wie beispielsweise im islamischen Recht der Schura den westlichen Ideen von Rechtsstaatlichkeit, wie Krämer es für Thumann pointiert und überzeugend darstellt. Der "reine Islam" existiert nach Krämer daher nur als religiöse Fantasie, abseits jeder Realpolitik. "Eine erhellende Bestandsaufnahme zur rechten Zeit" meint Thumann.

© Perlentaucher Medien GmbH