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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Mit viel Verständnis für einen alten Herrn in Schönbrunn: Michaela und Karl Vocelka legen pünktlich zum nahenden 100. Todestag ihre Biographie des Habsburger Kaisers Franz Joseph I. vor.
Mitten im Ersten Weltkrieg, am 21. November 1916, starb Kaiser Franz Joseph I. von Österreich, zugleich König von Ungarn. Auch wenn sein Nachfolger, Karl I., noch zwei Jahre bis zur Auflösung der Monarchie im Jahre 1918 regierte, ging mit diesem Tod eine Ära zu Ende, was bereits von den Zeitgenossen innerhalb und außerhalb der Doppelmonarchie so erlebt wurde. Er selbst hat sich als "letzter europäischer Monarch der alten Schule" gesehen - und damit noch zu Lebzeiten zu diesem seinem späteren Image als rückwärtsgewandtem "altem Kaiser" maßgeblich beigetragen.
Pünktlich zur hundertjährigen Wiederkehr von Franz Josephs Todesjahr liegt eine Biographie des österreichisch-ungarischen Monarchen vor. Verfasst wurde sie vom vormaligen Professor für Österreichische Geschichte an der Universität Wien, Karl Vocelka, und seiner Ehefrau Michaela, Archivarin und Mitarbeiterin des Simon Wiesenthal Archivs. Sie gibt in gut lesbarer Form eine Synthese des derzeitigen Forschungsstandes nicht nur zur Persönlichkeit des Kaisers selbst, sondern auch zur politischen Geschichte seiner langen Regierungszeit (1848-1916).
Zu Recht wird von den Autoren einleitend festgestellt, dass der Kaiser, was das historiographische und mediale Interesse betrifft, bis heute im Schatten seiner Gattin Elisabeth (Sisi) steht, wenngleich seine langjährige Präsenz im öffentlichen Raum (in Denkmälern, bildlichen Darstellungen bis hin zu Briefmarken) dazu beigetragen habe, in diesem Kaiser das Symbol einer geradezu "entzeitlichten" Herrschaft der habsburgischen Dynastie zu sehen. Letzteres freilich, die Entstehungsgeschichte dieses bis heute wirksamen Kaiser-Mythos, müsste zeitlich wohl etwas genauer differenziert werden. Ist doch Franz Joseph I. bis heute im kollektiven Bildgedächtnis entweder als schöner Jüngling oder aber als alter Kaiser präsent, während die lange Zeit seiner eigentlichen Mannesjahre - und die "erfolgreichen" Jahre seiner Herrschaft - kaum mit abrufbaren Bildern aufwartet.
Die neue Biographie hat sich allerdings nicht die Dekonstruktion eines Mythos zum Ziel gesetzt, sondern sie will, basierend auf dem chronologischen Grundgerüst seiner Lebensdaten und den wichtigsten politischen Ereignissen seiner Regierungszeit, den Kaiser selbst als Persönlichkeit und Herrscher näherbringen. Dass dies für die Frühzeit und die späten Jahre besonders gut gelingt, lässt sich auf den Forschungsstand zurückführen, den die skizzierte bildhafte Wahrnehmung des Kaisers geradezu beispielhaft zum Ausdruck bringt: Wir wissen darüber Bescheid, wann der Knabe seinen ersten Zahn bekam, seine ersten Wörter sprach, wir kennen sein (wenig aussagekräftiges) Jugendtagebuch; seine sattsam bekannte Begeisterung fürs Militär, seine jugendlich euphorische Liebe zu seiner jungen Braut - all das ist vielfach durch immer wieder herangezogene mehr oder weniger glaubhafte Zeugenaussagen - unter anderem auch durch Franz Josephs eigene Briefe - belegt. Man erfährt häufig überlieferte Details über den Tod des Kaisers, der, ähnlich wie sein Vorgänger Joseph II., noch an seinem letzten Lebenstag bis achtzehn Uhr gearbeitet habe, um zwei Stunden später zu sterben.
Nach wie vor bleibt sein Bild jedoch, wenn es um die entscheidenden Fragen des Jahrhunderts geht, mangels neu herangezogener Quellen erstaunlich blass: Zur Nationalitätenfrage, dem Lebensproblem des Vielvölkerstaates, wird das nach wenigen Seiten formulierte Fazit, der Kaiser scheine, "im Korsett des Ausgleichs gefangen, das Problem der anderen ethnischen Gruppen und die Sprengkraft ihrer Forderungen unterschätzt zu haben", kaum überraschen, ebenso wie man des Kaisers Position zu den drängenden innenpolitischen Fragen (Arbeiter-, Frauenfrage, Sozialpolitik) oder auch seine wechselhafte Politik gegenüber der Kirche in diesem Band vergeblich suchen wird.
Die Problematik ihrer themenspezifischen Auswahl (Revolution, italienische Kriege, deutscher Krieg, Verfassungsfrage und Ausgleich, Balkan-Politik, Weltkrieg) ist den Autoren sehr wohl bewusst. Begründet wird das Themenspektrum mit der Bedeutung für das Leben des Kaisers, was durchaus schlüssig ist, ging es ihnen doch vor allem darum, Franz Josephs "private" Biographie in den Kontext dieser Ereignisse zu stellen. Es wird daher seinen ersten zwanzig Regierungsjahren relativ viel Raum gegeben, wodurch der junge Kaiser als Gegner von revolutionären Forderungen und konstitutionellen Freiheiten auch persönlich gut greifbar wird.
Ähnlich überzeugend wird der alte Kaiser vor der Herausforderung der drohenden Katastrophe des Ersten Weltkriegs geschildert: Das bereits bekannte Bild eines letztlich überforderten Monarchen und seine persönliche Tragik wird zwar menschlich nachvollziehbar und facettenreich beschrieben - die Tatsache freilich, dass der Kaiser selbst als einer der wichtigsten politischen Akteure wohl auch unter das "halbe Dutzend verbrecherischer Dummköpfe" (Gaetano Salvemini), zu reihen sei, welche die Urkatastrophe zu verantworten hatten, wird dabei jedoch verständnisvoll ausgeblendet.
Der Zielsetzung gemäß, der Persönlichkeit des Kaisers klarere Konturen als bisher zu verleihen, sind auch seinen privaten Beziehungen ausführliche Passagen gewidmet. Seine bisher weniger bekannte Liaison mit Anna Nahowski wird dabei zumindest gleichwertig neben die mit der "Freundin" Katharina Schratt gestellt; und die "melancholische" (heute wohl: depressive) Grundstimmung des Monarchen, insbesondere nach dem Tod seines Sohnes Rudolf, eindrucksvoll dargelegt. "Abgestumpft", wie Franz Joseph sich selbst bezeichnete, wird er wohl tatsächlich seine letzten Jahre erlebt haben.
Indirekt belegt diese Biographie neuerlich und eindrucksvoll das Paradoxon der letzten Jahre der Habsburgermonarchie: Gerade dieser Kaiser, der dank der langen Dauer seiner Herrschaft die Monarchie zusammenhalten konnte, illustriert die heute nur noch schwer nachvollziehbare Problematik eines monarchischen Systems, in dem die Entscheidung über Krieg und Frieden in den Händen eines einzigen, "abgestumpften" Mannes lag.
BRIGITTE MAZOHL
Michaela und Karl Vocelka: "Franz Joseph I. Kaiser von Österreich und König von Ungarn 1830-1916". Eine Biographie.
Verlag C. H. Beck, München 2015. 458 S., Abb., geb., 26,95 [Euro].
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News, 9. Januar 2016