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Diese Geschichte Deutschlands im Ersten Weltkrieg bietet eine ausführliche Darstellung der letzten Jahre des Wilhelminischen Reichs. Der Band untersucht die militärischen Aspekte der Kriegführung, die Entwicklung der Diplomatie und der Reichspolitik, die Rolle des Staates und die industrielle Mobilmachung, aber er zeichnet auch ein ungewöhnlich facettenreiches Bild vom Leben innerhalb Deutschlands: Er schildert die weitreichenden Folgen des Krieges für arm und reich, jung und alt, Männer und Frauen, Landbevölkerung und Städter, Protestanten, Katholiken und Juden. Die wachsende Kriegsnot wird…mehr

Produktbeschreibung
Diese Geschichte Deutschlands im Ersten Weltkrieg bietet eine ausführliche Darstellung der letzten Jahre des Wilhelminischen Reichs. Der Band untersucht die militärischen Aspekte der Kriegführung, die Entwicklung der Diplomatie und der Reichspolitik, die Rolle des Staates und die industrielle Mobilmachung, aber er zeichnet auch ein ungewöhnlich facettenreiches Bild vom Leben innerhalb Deutschlands: Er schildert die weitreichenden Folgen des Krieges für arm und reich, jung und alt, Männer und Frauen, Landbevölkerung und Städter, Protestanten, Katholiken und Juden. Die wachsende Kriegsnot wird deutlich, gleichzeitig auch der Widerstand gegen eine Fortsetzung des Schlachtens und die Stärkung der politischen Opposition.
Ein Buch für alle, die sich nicht nur für den Ersten Weltkrieg, sondern auch für die Wechselbeziehungen zwischen Krieg und Gesellschaft interessieren.
Autorenporträt
Roger Chickering lehrt als Professor am BMW Center for German and European Studies an der Georgetown University in Washington DC. Seine Hauptinteressen gelten dem deutschen Kaiserreich und der europäischen Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.03.2002

Totaler Einsatz
Roger Chickerings Gesamtdarstellung des ersten Weltkriegs
Roger Chickering ist einer der renommiertesten amerikanischen Deutschland-Historiker. Seine Bücher über die Deutsche Friedensbewegung und den Alldeutschen Verband haben die deutsche Wilhelminismus–Forschung vielfach angeregt und weitergebracht. Wir warten mit Spannung auf die in Aussicht gestellte Studie über Freiburg im Ersten Weltkrieg, welche ausweislich der schon publizierten Vorarbeiten das Musterbeispiel einer „totalen” Ortsgeschichte abzugeben verspricht.
Die hier anzuzeigende Studie ist die weitgehend unveränderte Übersetzung eines 1998 in den USA erschienen Buches (nur die bibliografischen Hinweise sind ein wenig aktualisiert), das als typisches „Textbook” vom Niveau und Umfang her Schülern der Oberstufe und Studienanfängern zugänglich sein sollte. Die deutsche Ausgabe dürfte hierzulande auch ein weiter gefasstes Publikum ansprechen. Tatsächlich ist das Buch auf dem deutschen Markt ausgesprochen willkommen, denn kurioser Weise liegt eine gut lesbare, erschwingliche und aktuelle Gesamtdarstellung des Ersten Weltkriegs nicht vor. So ausdifferenziert, wie die Forschung zum ersten Weltkrieg sich heute darstellt, (mit einem deutlichen Schwerpunkt in der „Kriegserlebnis”- und Mentalitätenforschung) ist eine echte Synthese in erschwinglichem Format ein wirkliches Desiderat. Roger Chickering konnte man am ehesten zutrauen, eine solche Gesamtdarstellung vorzulegen.
Feinde ringsum
Weitgehend ist ihm das gelungen. Die Darstellung beginnt mit einem „Prolog” über die Strukturprobleme des Vorkriegs-Kaiserreichs. Chickerings These, dass die deutsche Gesellschaft sich 1914 noch in einem Zustand der tiefen inneren Spaltung befunden habe, und dass noch 1914 Kulturkampf-Stimmung geherrscht habe, ist ebenso bedenkenswert wie seine Annahme, dass die innenpolitischen Verfeindungen weitgehend den Stil und die Phobien der Außenpolitik („Feinde ringsum”) geprägt hätten. Das ist ein weiterführender Gedanke im Feld der Wilhelminismus-Kritik. Doch das Verhältnis von deutscher Selbstisolierung in der Außenpolitik und dem selbstbewussten pragmatischen Imperialismus Englands und Frankreichs lässt sich unter dem „Primat der Innenpolitik” sicherlich nicht präzise fassen. Wenn sogar viele Friedensfreunde und Anti-Wilhelminer vor 1914 immer stärker von einer systematischen „Einkreisung” Deutschlands durch die Ententemächte überzeugt waren, so müsste eine moderne mentalitätshistorisch informierte Politikgeschichte danach fragen, welche „Brücken” des nationalen Einverständnisses denn die innenpolitischen Klüfte tatsächlich für einen Moment überwinden konnten. Das viel besprochene „Augusterlebnis” entsprang allgemeiner Überzeugung, dass Deutschland sich gegen einen unverschuldeten Angriff verteidigen müsse. Und gerade weil wir wissen, dass es so einfach nicht war, müssten wir versuchen zu verstehen, wieso die Menschen von 1914, auch die Kritiker des Imperialismus, so leicht davon zu überzeugen waren, dass ein feindlicher Überfall geplant war und der „Ring der Einkreisung” endlich gebrochen werden müsse.
Auf dieses Terrain aber begibt Chickering sich nicht wirklich. Er geht von einem vagen „Konsens” bezüglich des „Feinde ringsum” aus und belässt es bei der lakonischen Feststellung, dass die Regierung diese Befindlichkeit geschickt manipuliert habe. Dem „Augusterlebnis”, welches die jüngere Forschung inzwischen fast einhellig dekonstruiert hat, steht auch Chickering skeptisch-ablehnend gegenüber. Wichtiger aber ist ihm die Feststellung, dass die deutsche Gesellschaft im Krieg weniger vom Verteidigungskonsens zusammengehalten wurde als von einer großen Hoffnung, nämlich einer Umformung der zerklüfteten wilhelminischen Gesellschaft in eine neue Gemeinschaft, geprägt von gemeinsamen sozialen, ökonomischen und politischen Zielen. Er belegt das mit den Zitaten der üblichen Verdächtigen (Tönnies, Meinecke). Aber wären Nachweise aus populären Quellen nicht aussagekräftiger? Wurde nicht die deutsche „Klassengesellschaft im Krieg” (Jürgen Kocka) allein durch den „Verteidigungs”-Konsensus (mit imperialistischen Exuberanzen) notdürftig zusammengehalten?
Überzeugend ist die Darstellung der Armeeverfassung und militärischen Planung („Schlieffen-Plan”), den Chickering als Apotheose des Planungsfetischismus des Generalstabs ansieht, welcher Clausewitzens berühmte Warnung, den Krieg wegen seiner „Friktionen” nicht über die erste Schlacht hinaus zu planen, souverän missachtete. Die Kritik an Schlieffen und seinen Nachfolgern ist ebenso geläufig wie zutreffend, man vermisst aber einen Ansatz der Erklärung des merkwürdigen Phänomens, das die hochspezialisierten militärischen Fachleute quasi das Einmaleins ihres Berufes vergessen hatten. Hier wäre ein Blick auf die damals allgemeine Überzeugung – nicht nur in Deutschland – vom „kurzen Krieg” unbedingt notwendig gewesen. Es ist leicht nachzuweisen, dass sich die europäische Generalität insgesamt einig war über die wirtschaftlichen und sozialen Probleme eines länger dauernden „Erschöpfungs”-Krieges und dass man den Krieg auf allen Seiten als ein ebenso mächtiges wie kurzes „Gewitter” inszenieren wollte. Die Kriegsplanung versuchte gerade, den „totalen” und industrialisierten Massenkrieg zu vermeiden, auf den später doch alles hinauslief.
Eine solche Perspektive hätte auch den Blick eröffnen können auf eines der größten Probleme jener Anfangszeit des Krieges, nämlich den deutschen Vormarsch durch Belgien und die diesen begleitenden scheußlichen Kriegsverbrechen. Chickering konnte selbstverständlich die neue brillante Synthese von Horne und Kramer noch nicht berücksichtigen (SZ vom 02.01.02), aber die mannigfachen Vorarbeiten dieser und anderer Historiker zu Problemen der deutschen „Atrocities” sind leider weithin unberücksichtigt geblieben. Aber nur aus der Dialektik von Kriegswirklichkeit und Kriegspropaganda lässt sich erklären, warum dieser Krieg in kurzer Frist zu einem regelrechten „Kulturkrieg” oder sogar zu einem „Religionskrieg” werden konnte, was neben der militärischen und wirtschaftlichen „Totalisierung” das wichtigste und heute in der internationalen Forschung am stärksten beachtete Phänomen ist. An dieser Diskussion möchte Chickering offensichtlich nicht wirklich teilnehmen, auch wenn er einige Seiten dem „Aufruf der 93” und anderen Ausuferungen des Kriegstopos vom „Kulturkrieg” widmet.
Aber man kann den „Kulturkrieg” der Deutschen und ihren Kampf gegen den Vorwurf, Barbaren zu sein, nicht erfassen, wenn nur die deutsche Seite gesehen wird und die Extrempropaganda des alliierten „Zivilisationskrieges” nicht einmal am Horizont erscheint.
Prägnant und quellengesättigt stellt Chickering dar, wie der Krieg wirtschaftlich und militärisch „total” wurde. Unter den lakonischen Kapitelüberschriften „Der Krieg geht weiter” und „Der Krieg wird total” wird die allmähliche Entwicklung und die Gewöhnung an den Krieg minutiös nachgezeichnet. Tatsächlich war es ja nicht so, dass jemand von vorneherein einen totalen Krieg gewollt oder gar proklamiert hätte – der Krieg breitete sich langsam über alle Sphären des privaten und öffentlichen Lebens aus. Man wollte ihn jederzeit beenden, aber konnte es nicht, solange die bürokratischen, wirtschaftsorganisatorischen und militärischen Abläufe noch funktionierten. Das ist wohl das Besondere an diesem Krieg, dass sich die militärische, ökonomische, politische Potentialität erst in seinem Verlauf erwies und in allen Ländern zu der Überzeugung führte, man müsse und könne den Gegner militärisch und ökonomisch „ausbluten” „abnutzen” und was der neuen rabiaten Kriegsmetaphern noch waren. In Chickerings sehr präziser, zum Teil luzider Darstellung werden die ökonomischen und politischen Transformationen der deutschen Kriegsgesellschaft überaus deutlich, beispielsweise im Rahmen der von Rathenau initiierten kriegswirtschaftlichen Konzentration und der Ernährungspolitik mit ihrem Übergang zur Kommando-Wirtschaft. Das Hindenburg- Programm von 1916 und sein Scheitern im Zuge der zivil-militärischen Spannungen und wegen des aufgeblähten kriegsbürokratischen Apparates sind meisterhaft dargestellt. Auch der finanzielle Konservativismus, der Steuern scheute und Anleihen favorisierte und so gar nicht zur Theorie des „totalen” gesellschaftlichen Einsatzes für den Krieg passte (genauso wenig wie die diversen „Kriegszielprogramme” von relevanten gesellschaftlichen Interessengruppen) wird überaus gut sichtbar. Chickerings Darstellung des „Kohlrübenwinters” 1916/17, der Veränderungen im Stadt-Land-Verhältnis, das Problem der staatlichen Kontrolle der knappen Ressourcen und die daraus folgende grundsätzliche „Delegitimierung” des Staates, der in seiner Rolle als „Schiedsrichter über den Hunger” offensichtlich überfordert war – das ist alles vorzüglich beschrieben und wird sich dem Leser als Konstrukt der deutschen Klassengesellschaft im Krieg einprägen. Innovativ im Rahmen einer notwendig knappen Gesamtdarstellung sind die Ausführungen über die von der Kriegsgesellschaft generierten neuen Formen der Kriminalität. Hieraus folgte eine Erosion der Staatsautorität, mit Konsequenzen noch für die Weimarer Republik.
Die Wacht an der Somme
Viele andere Themen werden angesprochen, so die Entwicklung der politischen Parteien im Krieg, wobei Chickering insbesondere die Entwicklung der Sozialdemokratie und der nationalistischen Gruppen untersucht. Er zeigt in diesem Zusammenhang sehr nachdrücklich, dass auch auf Seiten der Linken der Friedenswille Funktion der Kriegssituation blieb. Solange Deutschland „an allen Fronten siegte”, blieben die Friedensfühler unglaubwürdig und Kriegszielvorstellungen auch auf der Linken nachweisbar. Allerdings weist Chickering zurecht auf eine Tatsache hin, die in der kritischen Geschichtsschreibung zum Wilhelminismus in den letzten Jahrzehnten eine vergleichsweise geringe Rolle gespielt hat: Die Diskussion um Friedens- und Kriegsziele wurde überschattet und strukturiert von der Überzeugung, dass Deutschland einen Verteidigungskrieg führe.
Zu erklären wie das möglich wurde angesichts der Tatsache, dass Deutschland seine Verteidigung quasi exportierte und zum Beispiel die „Wacht am Rhein” an die Somme verlegte, bleibt weiterer mentalitätshistorischen Forschung überlassen. In dieser Hinsicht wäre ein Blick auf den Kriegsschuldvorwurf und den Versailler Vertrag eigentlich zwingend gewesen. Doch bleibt der „Krieg nach dem Krieg” leider ganz ausgeblendet. Gleichwohl ist dieses Buch eine beeindruckende Gesamtdarstellung, originell und zuverlässig.
GERD KRUMEICH
ROGER CHICKERING: Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg. C.H. Beck Verlag, München 2002. 320 Seiten, 14,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Rückhaltlose Steigerung
Deutschland im Ersten Weltkrieg / Von Wolfgang J. Mommsen

Roger Chickering gehört in den Vereinigten Staaten unzweifelhaft zu den besten Kennern der jüngeren deutschen Geschichte. Nun wird seine Untersuchung "Imperial Germany and the Great War" auch in einer deutschen Übersetzung einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Gesamtdarstellungen über den Ersten Weltkrieg, die sich auf dem Niveau des gegenwärtig nahezu unüberschaubar gewordenen Forschungsstandes bewegen, gibt es nur sehr wenige. In dieser Hinsicht schließt der handliche Band eine Lücke. Er besticht darüber hinaus durch die ausgewogene Präsentation der politischen Vorgänge und der militärischen Ereignisse, der ökonomischen und sozialen Verhältnisse sowie der Rolle der gesellschaftlichen Gruppen.

Chickering hält sich nicht lange mit den Ursprüngen des Ersten Weltkrieges auf, die Analyse der diplomatischen Verwicklungen ist nicht seine Sache. Statt dessen beschreibt er die nationalistischen Massenstimmungen in Deutschland bei Kriegsbeginn. Ungeachtet zahlreicher Gegenstimmen herrschte anfänglich weithin Kriegsbegeisterung vor - allerdings verbunden mit der Erwartung, daß der Krieg zu einer raschen Entscheidung führen werde. Damit ist Chickering sogleich beim Schlieffen-Plan und seinem Scheitern. Ende 1914 stellte sich die schreckerregende Erkenntnis ein, daß sich der Krieg über Jahre hinstrecken könnte. Damit änderten sich die Qualität und das Szenario des Krieges.

Nicht geniale strategische Operationen, sondern die Fähigkeit zur optimalen Mobilisierung der wirtschaftlichen Ressourcen sowie der Finanzierung einer immer gewaltigeren Kriegsmaschine wurde kriegsentscheidend, und in dieser Hinsicht hatten die Mittelmächte von vornherein die schlechteren Karten. Demgemäß behandelt Chickering vor allem die inneren Verhältnisse, insbesondere die Organisation der Rüstungsproduktion sowie das zunehmend unlösbarere Problem der Versorgung der Armee und der Zivilbevölkerung mit Nahrungsmitteln und Versorgungsgütern. Dabei verweist er auf die bürokratischen Hemmnisse, die dem effizienten Handeln der Staatsbehörden im Wege standen.

Seit 1916 wurde der Weltkrieg, so Chickerings These, zu einem totalen Krieg, und zwar in dem Sinne, daß nunmehr die rückhaltlose Steigerung der Kriegsanstrengungen auf allen Ebenen der Gesellschaft auf der Tagesordnung stand. Dies wurde durch zwei fundamentale Ereignisse signalisiert: die Berufung Paul von Hindenburgs und Erich Ludendorffs in die Oberste Heeresleitung und das sogenannte "Hindenburg-Programm" vom Frühherbst 1916. Dieses hatte die Mobilisierung der gesamten Bevölkerung für den Kriegseinsatz sowie eine Verdreifachung der Rüstungsproduktion unter weitgehender Zurückschneidung der sogenannten Friedensindustrien zum Ziel. Gleichwohl war Deutschland von einer Militärdiktatur noch weit entfernt. Der Fehlschlag des "Hindenburg-Programms" zeigte die Grenzen der Möglichkeiten, aus der deutschen Wirtschaft, die durch die Seeblockade der Alliierten schwer beeinträchtigt war, die Produktionsleistungen herauszuholen, ohne die der Krieg auf Dauer nicht zu führen war.

Für die Kriegsmoral der Bevölkerung war kurzfristig gesehen vielleicht noch entscheidender, daß der im Januar 1917 schließlich doch noch eröffnete unbeschränkte U-Boot-Krieg zwar große Versenkungsziffern erbrachte, aber nicht den erwarteten kriegsentscheidenden Beitrag zu den militärischen Operationen - ein Gesichtspunkt, der vielleicht noch eine stärkere Berücksichtigung hätte finden können. Alle propagandistischen Anstrengungen, unter weitgehender Indienstnahme der meinungsführenden Eliten, einschließlich der Kirchen, Künstler und Literaten, konnten fortan die Kriegsmoral an der Heimatfront, aber auch der Frontsoldaten nicht mehr aufrechterhalten.

Insofern ist es überzeugend, daß Chickering sein besonderes Augenmerk der Entwicklung in der zweiten Hälfte des Krieges zuwendet, unter der bestechenden Formel: "Der Krieg betrifft alle". Er zieht zu diesem Zweck vor allem die materialreichen Untersuchungen der sogenannten Carnegie-Reihe aus den zwanziger und dreißiger Jahren heran, obschon letztere ein wenig veraltet sind und zu einer Überbewertung der langfristigen schädlichen sozialen Auswirkungen des Krieges neigen. Insgesamt vermittelt Chickering ein informatives Bild der Lage der gesellschaftlichen Gruppen während des Krieges. Die Rolle der sozialistischen Linken als Träger der Kriegsgegnerschaft wird allerdings überbewertet; die Januar-Streiks 1917 waren in erster Linie ausgelöst durch die Enttäuschung gerade auch der gemäßigten Gruppen der Arbeiterschaft über die Ergebnislosigkeit der Friedensverhandlungen in Brest Litowsk. Etwas problematisch sind die quantitativen Analysen des Epilogs, die, wie Chickering selbst einräumt, auf ungesicherten statistischen Daten beruhen; sie legen eine mechanistische Interpretation des historischen Prozesses nahe, die eigentlich nicht Chickerings Sache ist.

Einzelne Mängel sind vor allem der Übersetzung zuzuschreiben, wie die unglückliche Verwendung des Begriffs "Kommandant" auf Ludendorff und Hindenburg. Die Sommeroffensive war ein Beispiel höchst blutiger Offensivkriegsführung. Jedoch fielen nicht 60 000, sondern "nur" 30 000 britische Soldaten während der ersten Angriffswelle.

Roger Chickering: Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg. Verlag C. H. Beck, München 2002. 292 Seiten, 14,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Dieses Buch war "lange überfällig", stellt Wolfgang Kruse begeistert fest. Dem amerikanischen Historiker Roger Chickering sei es gelungen, ein "schmales Taschenbuch" in ein Standardwerk über den ersten Weltkrieg zu verwandeln. Angesichts der Fülle der Publikationen zu diesem Thema verblüfft den Rezensenten, dass der Autor kultur- und erfahrungsgeschichtliche Forschung mit politik- und sozialgeschichtlicher Forschung "souverän" und durchweg wissenschaftlich überzeugend verbindet. Und gleichzeitig, schwärmt der Rezensent, erzähle Chickering auch noch eine "packende" wie "verstörende" Gesellschaftsgeschichte der Jahre 1914 bis 1918. Doch trotz dieses großen Lobs übt Kruse auch Kritik: Die revolutionären Strömungen gerade am Ende des Krieges, die letztlich mit dazu beigetragen hätten, eine Monarchie in eine Demokratie zu überführen, kämen leider zu kurz. Auch die Übersetzung von Simone Ameskamp findet der Rezensent nicht immer gelungen.

© Perlentaucher Medien GmbH