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Christoph Hein erzählt die Lebensgeschichte Bernhard Habers über fast 50 Jahre aus der Sicht und mit den Stimmen von fünf Wegbegleitern. Es ist der Lebenslauf eines Außenseiters in der Provinz, der mit der großen Geschichte scheinbar nichts zu tun hat und doch ihren Verlauf von der Nachkriegszeit bis zur Jahrtausendwende exemplarisch spiegelt.

Produktbeschreibung
Christoph Hein erzählt die Lebensgeschichte Bernhard Habers über fast 50 Jahre aus der Sicht und mit den Stimmen von fünf Wegbegleitern. Es ist der Lebenslauf eines Außenseiters in der Provinz, der mit der großen Geschichte scheinbar nichts zu tun hat und doch ihren Verlauf von der Nachkriegszeit bis zur Jahrtausendwende exemplarisch spiegelt.
Autorenporträt
Christoph Hein wurde am 8. April 1944 in Heinzendorf/Schlesien geboren. Nach Kriegsende zog die Familie nach Bad Düben bei Leipzig, wo Hein aufwuchs. Ab 1967 studierte er an der Universität Leipzig Philosophie und Logik und schloss sein Studium 1971 an der Humboldt Universität Berlin ab. Von 1974 bis 1979 arbeitete Hein als Hausautor an der Volksbühne Berlin. Der Durchbruch gelang ihm 1982/83 mit seiner Novelle Der fremde Freund / Drachenblut.
Hein wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Uwe-Johnson-Preis und Stefan-Heym-Preis.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Alle erwarten von Christoph Hein das "große Wende-Epos", und was schreibt er? Einen Einheits-Roman, meint Rezensentin Kristina Maidt-Zinke. Was vielerlei Interpretationen zuzulassen scheint. Nicht nur, dass das im Osten angesiedelte Vertriebenenschicksal des Bernhard Haber sich ebenso hätte im Westen abspielen können (wo Politik wie "fernes Gewitter" an den "geistigen Schrebergärten des Volkes" vorbeiziehe) - der Roman ziehe sich "ziemlich zäh" hin, "beschwert von hölzernen Dialogen", und verharre "ostentativ im grauen Mittelmaß". Was die Rezensentin zum (merkwürdigen) Fazit führt, dass "das, was uns eint" kein Stoff für große Literatur sein kann, sondern nur für stickige, mit "dumpfem Dunst" angefüllte Geschichten.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.02.2004

Ein Holzwurm will nach oben
Ob Osten, ob Westen, grau ist es überall: Christoph Heins Roman „Landnahme”
Längst ist zusammengewachsen, was zusammengehört. Die halb rührenden, halb beklemmenden Szenen eines Kleinstadtkarnevals, mit denen Christoph Hein seinen neuen Roman beginnen lässt, sind auf verwechselbare Weise ost- und westdeutsch zugleich: Nicht die kleinste Nuance deutet darauf hin, dass Funkenmariechen, Prinzenpaar und Blaskapelle im gewendeten Sachsen paradieren. In den Niederungen der Provinz scheinen alle Unterschiede aufgehoben zu sein; die friedliche, aber gnadenlose „Landnahme” durch das potentere Wirtschaftssystem ist offenbar abgeschlossen.
Das fiktive Städtchen Guldenberg am real existierenden Flüsschen Mulde trägt nicht von ungefähr ein Zahlungsmittel im Namen; es erinnert, kurios genug, an die Serie „Das Erbe der Guldenburgs”, die im Westfernsehen die entschlossene Hinwendung zum Reich-und-schön-Eskapismus markierte. In Guldenberg wurde während der letzten Jahre „viel gebaut und restauriert”, wie es bei Hein lapidar heißt. Die Stadt besitzt ein Rathaus, einen Marktplatz, eine Kirche und eine Burg, aber sie hat kein Gesicht. In dem trockenen, lakonischen Protokollton, den der Autor beherrscht wie kaum ein anderer, tritt ihre Null-Identität fast gespenstisch zutage.
Das weckt gewisse Erwartungen an das Folgende. Doch Christoph Hein, der zu den Koryphäen der kritischen DDR-Literatur gehörte und sich jetzt, bisweilen schwer nachvollziehbar, zu Deutschlands Humoristen rechnet, ist nicht angetreten, um das überfällige große Wende-Epos nachzuliefern. Er erzählt vielmehr eine DDR-Geschichte, an der man nur wenig verändern müsste, um sie im gleichen Zeitraum unter bundesrepublikanischen Verhältnissen spielen zu lassen. Mehr noch: Er lässt keinen Zweifel daran, dass der Lebenslauf seines Protagonisten, ein so genanntes Vertriebenenschicksal, sich in den Grundzügen kaum anders gestaltet hätte, wenn das Land noch heute zweigeteilt wäre. Auch im Westen gibt es Karrieren wie die von Bernhard Haber, der 1950 als Zehnjähriger mit seinen Eltern aus Breslau nach Guldenberg kommt, als Flüchtlingssohn traumatische Kränkungen einstecken muss und später seinen Underdog-Komplex in die eiserne Energie des Emporkömmlings ummünzt.
Um ein solches Psychogramm nicht allzu tief ins Klischee absinken zu lassen, bedarf es zunächst eines erzähltechnischen Tricks. Christoph Hein hat die Chronik vom unaufhaltsamen Aufstieg des Bernhard Haber in Fragmente zerlegt und auf fünf Stimmen verteilt. Der Schulkamerad, der mit Bernhard zeitweilig dieselbe Bank drückte, die Jugendliebe, die ihn verließ, die Schwägerin, die ihn verführte, der Kumpel, den er in lukrative Machenschaften einbezog, und der Geschäftsfreund, mit dem ihn schon vor der Wende unternehmerische Ambitionen verbanden – sie alle berichten, was sie über Haber wissen, als sollten sie eine Zeugenaussage machen oder eine Grabrede halten, und nutzen dabei die Gelegenheit, ein paar Schlaglichter auf ihre eigene Biographie zu werfen. So werden fünf Jahrzehnte ostdeutscher Alltagsgeschichte aus der Perspektive kleiner Leute im Schnelldurchlauf rekapituliert, und wenn es nicht gerade um DDR-spezifische Phänomene wie die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft oder die Aktivitäten von Fluchthelfern geht, hat der West-Leser das unangenehme Gefühl, den gleichen Mief, die nämliche Beschränktheit auch diesseits der Mauer kennen gelernt zu haben. Dass man an Politik „nicht interessiert” gewesen sei, wird mehr als einmal betont, und was in einem halben Jahrhundert an Historischem sich ereignet, der Aufstand des 17. Juni, Mauerbau und Mauerfall, zieht vorüber wie ein sehr fernes Gewittergrollen, ohne die geistigen Schrebergärten des Volkes zu tangieren.
Wahnsinn im Blumenbeet
Das Porträt Bernhard Habers, das aus den bruchstückhaften Eindrücken und Erinnerungen seiner Wegbegleiter wie ein Puzzle zusammengesetzt werden muss, lässt zwar Fragen offen, hält jedoch keine Überraschungen bereit; es zeigt Leerstellen, aber keine Farbflecken. Der schlesische Tischlersohn mit dem Spitznamen „Holzwurm” ist untersetzt, wortkarg und schwer von Begriff, dafür verfügt er über berserkerhafte Körperkräfte und sturen Durchhaltewillen. Später erweist er sich als handwerklich geschickt, zielstrebig und opportunistisch. Die Demütigungen, die seine fremdenfeindlichen Kleinstadtnachbarn ihm, dem „Polacken”, von Jugend an zufügen, nimmt er äußerlich stoisch hin, während in seinem verschlossenen Innern alle Rachsucht umgewandelt wird in den Vorsatz, es den anderen zu zeigen. Das gelingt ihm, aber seine Laufbahn ist unspektakulär. In jungen Jahren schließt er sich der Agitationskampagne an, die Bauern in die Genossenschaft drängt, dann schleust er Republikflüchtlinge nach Berlin und investiert seinen Profit in eine zeitgemäß ausgestattete Tischlerwerkstatt, mit der er den Übergang in die kapitalistische Wirtschaftsform als erfolgreicher Mittelständler bewältigt.
Obwohl seine physische Präsenz, sein „Duft von Kraft und Entschlossenheit”, ihm bei der Weiblichkeit allerlei Chancen sichert, heiratet Bernhard Haber eine unscheinbare, ihn vergötternde Frau. Sie kommt nicht zu Wort, seine Beziehung zu ihr bleibt im Dunkeln. Am Ende gehört er, „abgearbeitet, müde und fett”, zu den Guldenberger Honoratioren, die von einem Podest auf der Rathaustreppe den Nachwende-Karneval dirigieren. Als sein Sohn, ein junger Bilderbuchsachse, sich ausländerfeindlich gebärdet, weist Haber ihn zurecht: Er hat seine Herkunft nicht vergessen. Und wird so auf seine alten Tage noch zum Deuter des Lehrstücks, das sein Leben uns vorgeführt hat: „Es sind arme Flüchtlinge, ihnen geht es schlecht genug. Sie tun uns nichts, und sie nehmen uns nichts weg.” Da hat es fast den Anschein, als sei Christoph Hein seinem Dauervorsatz, „Chronist ohne Botschaft” zu sein, ausnahmsweise untreu geworden.
Es muss aber mit dieser ziemlich zäh sich hinziehenden, von hölzernen Dialogen beschwerten, im grauen Mittelmaß ostentativ verharrenden Geschichte noch eine andere Bewandtnis haben. Eine, die zurückführt zur topographischen und mentalitätsgeschichtlichen Verwechselbarkeit des Ortes Guldenberg. Als der alte Haber, Bernhards invalider Vater, in den fünfziger Jahren seine gerade notdürftig eingerichtete Tischlerwerkstatt durch Brandstiftung verliert, spricht der Apotheker zu seinem Sohn, dem Banknachbarn Bernhards: „Eine Stadt ist zu vielem fähig, mein Junge, da reicht eine kleine Dummheit aus, und dann findest du in einem so hübschen Nest wie dem unseren nicht mehr genug Sauerstoff, um zu atmen, mein Junge. Diese schönen Vorgärten, diese entzückenden Blumenbeete vor den kleinen Häusern, sie verströmen den Geruch von Neuritis und Wahnsinn, denn sie werden mit Depressionen gedüngt.” Hier ist die Rede von einer deutschen Wirklichkeit, die jenseits der Systeme und Ideologien schlummert und von Zeit zu Zeit böse erwacht.
Wenn Christoph Hein schon nicht den großen Wende-Roman vorlegt, so hat er immerhin, frei von allen geschichtsphilosophischen Ambitionen, einen Einheits-Roman geschrieben. Das, was uns eint, scheint als Stoff für kurzweilige, erschütternde oder erhebende Literatur jedenfalls nicht zu taugen: Es verströmt einen dumpfen Dunst, der einem dem Atem verschlägt, wenn man kein Humorist ist.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
CHRISTOPH HEIN: Landnahme. Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 358 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2004

Begnadeter Vorleser
Christoph Hein stellt "Landnahme" im Frankfurter Schauspiel vor

Das Vorlesen macht ihm Spaß. Im überfüllten Kleinen Haus des Frankfurter Schauspiels konnte das Publikum jetzt erleben, wie sich ein Schriftsteller sichtlich und hörbar am eigenen Text erfreute. Christoph Hein bewies, daß er nicht nur ein Meister der Rollenprosa, sondern auch des Rollensprechens ist. Mit seinem kurz angebundenen Stakkato-Humor riß er seine Zuhörer immer wieder zu Beifallsstürmen hin. Auf der Bühne blüht er auf - schließlich hatte er seine Karriere 1963 begonnen: bei Benno Besson, der ihn damals auch gelegentlich als Schauspieler einsetzte, bevor Hein zum Hausautor der Ostberliner Volksbühne wurde. Diesmal trat der Schriftsteller in eigener Sache auf. Frankfurt war die vierte Station seiner triumphalen Lesereise mit seinem jüngsten Roman.

Unter dem Titel "Landnahme" ist das Buch bei Suhrkamp erschienen. Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz stellte den Schriftsteller, den der Luchterhand Verlag 1983 als "Kultautor der DDR" entdeckt hatte, denn auch als Freund Siegfried Unselds vor. Der Suhrkamp-Verleger hatte lange um Hein geworben. Aber erst vor vier Jahren war dieser mit seinem Roman "Willenbrock" zu Suhrkamp umgesiedelt, wo inzwischen sein Gesamtwerk betreut wird. Nach Richard von Weizsäcker, Jutta Limbach und Peter Turrini führte diesmal Frank Schirrmacher, Feuilleton-Herausgeber dieser Zeitung, in das Werk des Schriftstellers ein. Er hob die "Entemotionalisierung" der Sprache des Verfassers sowie den Humor in diesem Buch über die Leiden der Vertreibung und Assimilation hervor.

Die klassische Einfachheit seiner Sprache weist Hein tatsächlich als den Suhrkamp-Autor aus, für den Unseld ihn gehalten hatte. Die Rollenprosa, mit der er sich 1982 in seiner Novelle "Der fremde Freund" ("Drachenblut") einen Namen gemacht hatte, ist und bleibt seine Spezialität. Fünf Personen erzählen von Bernhard Haber, der nach dem Krieg als Vertriebener mit seinen Eltern von Schlesien ins sächsische Städtchen Bad Guldenberg kommt und sich dort, allen kleinbürgerlichen Demütigungen und sozialistischen Realitäten, trotzend zum erfolgreichen Unternehmer entwickelt. Das geht nicht ohne ein Opfer, und dieses Opfer hat Schirrmacher in Umkehrung jüdisch-christlicher Tradition in dem ermordeten Vater des Protagonisten ausgemacht. Muß die "schuldige Vaterwelt" also erst ausgelöscht werden, damit Haber wieder heimisch werden kann? Der Text legt diese Lesart zumindest nahe.

Ungewiß bleibt, ob dies die "Landnahme" ist, auf die sich der Titel des Buchs bezieht. Hein hält sich wie immer bedeckt. "Wir wissen nicht, wozu er gehört, worauf er schwört", sagte Schirrmacher. Was wir aber wissen, ist, daß er einen wunderbar trockenen Humor hat, eine Mischung aus Berliner Unverfrorenheit und angelsächsischem Understatement. Wohl nicht zufällig, sondern zu seinem eigenen und zum Vergnügen des Publikums las der Autor gleich zwei Passagen aus dem vorletzten der fünf Kapitel, in dem sich Habers Schwägerin Katharina Hollenbach daran erinnert, wie sie einst den Freund ihrer prüden Schwester getröstet hatte: ein Schelmenstück, eine Eulenspiegelei im biederen Alltag einer Republik, in der alles seinen sozialistischen Gang gehen durfte, sofern es der oligarchische Kegelverein des Ortes zuließ.

CLAUDIA SCHÜLKE

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