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Helmut Schreiber (1903-1963), der seit den 1920er-Jahren untern dem Namen "Kanalag" auftrat, pflegte nicht nur Umgang mit den Größen des Films und des magischen Metiers, sondern auch mit denen des Naziregimes. Mehrere Auftritte vor Hitler auf dem Obersalzberg waren die Höhepunkte seiner Karriere als Magier. Zudem hatte sich Schreiber des Films bemächtigt und begegnete als Aufnahmeleiter in München um 1923 unter anderem Alfred Hitchcock. In Berlin stand er in engem Kontakt zu jüdischen Filmproduzenten und -künstlern und stieg in der frühen Tonfilmzeit zum Produktionsleiter auf. Sein einstiger…mehr

Produktbeschreibung
Helmut Schreiber (1903-1963), der seit den 1920er-Jahren untern dem Namen "Kanalag" auftrat, pflegte nicht nur Umgang mit den Größen des Films und des magischen Metiers, sondern auch mit denen des Naziregimes.
Mehrere Auftritte vor Hitler auf dem Obersalzberg waren die Höhepunkte seiner Karriere als Magier. Zudem hatte sich Schreiber des Films bemächtigt und begegnete als Aufnahmeleiter in München um 1923 unter anderem Alfred Hitchcock.
In Berlin stand er in engem Kontakt zu jüdischen Filmproduzenten und -künstlern und stieg in der frühen Tonfilmzeit zum Produktionsleiter auf. Sein einstiger Freund, Max Heilbronner, floh schon aus Deutschland, die gemeinsame Produktionsfirma gehörte nun Schreiber. Eine seiner letzten Berliner Produktionen war 1939 das antisemitische Musical "Robert und Bertram", im Anschluss wurde er 1942 Bavaria-Produktionschef in München. 1943 reiste er im Tross des Reichsministers Albert Speer nach Nordeuropa und zauberte zur "Weihnachtsfreude" der deutschen Besatzungssoldaten.
Sein Entnazifizierungsverfahren blieb voller Widersprüche. Mochte Schreibers Filmkarriere auch beendet sein, gelang ihm schon unmittelbar nach der Währungsreform 1948 als Berufszauberer "Kalanag" ein sagenhafter Neuaufstieg, seine Show wurde weltbekannt. Auf den Film als bestes Kontrollinstrument seiner magischen Arbeit mochte er indes nicht verzichten.
Unter Nutzung bislang unbekannten Film- und Archivmaterials nähert sich dieser Band dem rätselhaften Komplex "Kalanag".
Autorenporträt
Rolf Aurich, geboren 1960, ist Lektor, Redakteur und Autor an der Deutschen Kinemathek, Berlin. Er lebt in Potsdam.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Hanns-Georg Rodek erfährt in Rolf Aurichs Biografie über den NS-Hofmagier Kalanag alias Helmut Schreiber endlich die Wahrheit über den großen Illusionisten. Ein Augenwischer, lernt Rodek, war Schreiber vor allem, was seine eigene Haltung im Dritten Reich betraf. Im Buch nun tritt Schreiber dem Rezensenten nicht nur als Illusiionskünstler entgegen, sondern auch als Leitfigur in Goebbels Kinoreich, als Produktionsleiter der Tobis und Chef der Bavaria, der außerdem seinen Magischen Zirkel gekonnt gleichschaltete. Die perfekte Täuschung eben, meint Rodek.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.08.2016

Hitlers Magier
Die Geschichte von „Kalanag“, dem
wendigen deutschen Illusionskünstler
VON HARALD EGGEBRECHT
Es gibt ein Foto, dessen Unwahrscheinlichkeit einen gewissermaßen anspringt. Und doch ist es wahr: Da sitzt „der Führer“ in weißer Galauniform auf dem Obersalzberg in einem Sessel, umgeben von tief dekolletierten begeisterten Damen der Nazientourage, und ein befrackter Herr mit dicker Hornbrille, Stirnglatze und einer Art Heinz-Erhardt-Frisur steht da und demonstriert unmittelbar vor der Nase des Diktators Zauberkunststücke.
  Dieser Mann trug den Künstlernamen Kalanag, nach dem großen Elefanten in Rudyard Kiplings „Dschungelbuch“. Das ist jener Dickhäuter, der den Knaben Toomai zum sagenhaften nächtlichen Tanz der Elefanten bringt. Bürgerlich hieß der Zauberer Helmut Schreiber und war einer der großen Entertainer der Bundesrepublik in den Fünfzigerjahren, also eine jener Gestalten mit keineswegs lupenreiner Vergangenheit, die wie etwa Herbert von Karajan, Gustaf Gründgens oder Heinz Rühmann dem Wirtschaftswunderland zu kulturellem Glanz verhalfen.
  Mit seiner Kalanag-Show veranstaltete er erfolgreiche Tourneen auch über den Atlantik nach Südamerika und in die USA. Er galt als der glamouröseste Illusionist seiner Zeit, heute vergleichbar einem David Copperfield. Doch bis Kriegsende war für Helmut Schreiber die Zauberei nur ein leidenschaftlich und virtuos betriebenes Hobby – er hatte in den Zwanzigerjahren als Aufnahmeleiter beim Film begonnen und es in der Nazizeit zum höchst effektiven Produzenten gebracht, unter anderem bei der Tobis, später bei der Bavaria. Nebenher wurde er Präsident des „Magischen Zirkels“ im Dritten Reich, den er strikt und durchaus machtbewusst führte.
  Schreiber trat sofort 1933 in die NSDAP ein und nutzte jede Chance, seine Position zu stärken und seine Vorstellung einer „totalen Unterhaltung“, so Rolf Aurichs schöne Formulierung, durchzusetzen. Unterhaltung in diesem Sinn waren für ihn der Film ebenso wie die Zauberei. Übrigens trat auch Karajan gleich mehrmals in die Partei ein, aus Karrieregründen.
  Rolf Aurich, Jahrgang 1960, Lektor, Redakteur und Autor bei der Deutschen Kinemathek in Berlin, hat die Archive durchforstet und kann aus seinen Funden nun ein scharf konturiertes Porträt des wendigen Karrieristen Helmut Schreiber zeichnen, der auch nicht zögerte, sich einen Doktortitel anzumaßen, den er nie erworben hatte. Solche Karl-May-artigen Sünden sind vergleichsweise lässlich. Schlimmer war die Bedenkenlosigkeit, mit der Schreiber-Kalanag mit seinem Kompagnon und Freund, dem Filmarchitekten Max Heilbronner umging, der mit ihm eine Produktionsfirma in Berlin gegründet hatte. Nach Heilbronners Flucht 1933 ins französische und später weiter ins amerikanische Exil übernahm sie Schreiber ganz. Zudem hatte Heilbronner Schreiber auch noch eine Generalvollmacht über sein ganzes Vermögen gegeben. Nach dem Krieg klagte Max Heilbronner auf Wiedergutmachung und Entschädigung. Anfang der Fünfzigerjahre endete der Streit mit einem außergerichtlichen Vergleich. Schreiber äußerte sich 1946 bei seinem Hamburger Entnazifizierungsverfahren durchaus frech: „Er hat den Fehler gemacht, dass er geflohen ist. Ich machte ihm den Vorwurf, dass er die Firma im Stich gelassen hat. Er hatte so viele Freunde in Berlin, er hätte ruhig dableiben können. Wie viele Filmleute sind in Deutschland geblieben.“
  Auch im Magischen Zirkel verloren jüdische Artisten ihre Mitgliedschaft, Schreiber „säuberte“ seinen Verein. Als Produzent betreute er das bei aller raffinierten Unterhaltsamkeit eindeutig antisemitische Film-Musical „Robert und Bertram“ von 1939. Die Mächtigen zu unterhalten und der Macht nahe zu sein, gelang Schreiber unübersehbar gut.
  Nach 1945 geriet er in amerikanische Gefangenschaft. Doch nachdem er den Fragebogen in München gefälscht hatte, wich er in die Britische Zone nach Hamburg aus. Als Fürsprecher für seine politische Dekontamination fanden sich zwei unverdächtige Ehrenmänner, die während des Naziregimes bei der Bavaria untergeschlüpft waren und so überlebt hatten: Gunter Groll und Axel Eggebrecht.
  Helmut Schreiber alias Kalanag erweist sich in Rolf Aurichs Buch als einer jener Korken, die immer oben schwimmen. Dennoch muss man zugeben, dass er als Magier seinesgleichen suchte. Er war letztlich ein typischer Vertreter jener Zeit, der sich ohne Skrupel insoweit dem Regime auslieferte, als es seinem Aufstieg nutzte. Selbst Gegner des Regimes wie Erich Kästner, Axel Eggebrecht und mancher andere mussten sich ducken, wollten sie nicht ihr Leben gefährden. Nicht jeder konnte oder wollte ins Exil gehen und fand sich daher in aller Abwehr gegen die Nazis dennoch von ihnen beschmutzt. Schreiber-Kalanag aber begab sich freiwillig in die Nähe der braunen Machthaber und sorgte höchstselbst für ihre gute Unterhaltung.
Rolf Aurich: Kalanag. Die kontrollierten Illusionen des Helmut Schreiber. Verbrecher Verlag, Berlin 2016. 180 Seiten, 14 Euro.
Im Dritten Reich führte
er seinen „Magischen Zirkel“
durchaus machtbewusst
Illusionskünstler auf der Bühne wie im Filmstudio –
Helmut Schreiber, der berühmt wurde unter seinem Künstlernamen Kalanag.
Hier eine Aufnahme von einem Nachkriegsauftritt.
Foto: dpa Bildarchiv
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