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"So ein Leben, wie ich es seit ein paar Jahren führe, hatte ich nie gewollt. Ich möchte es nicht tauschen gegen ein anderes. Alleine wäre ich damals verreckt."
Mit einer lebensbedrohenden medizinischen Diagnose beginnt die Geschichte einer Wandlung. Der sie erzählt, ist Anfang fünfzig. Als er den ersten Einschnitt übersteht, jedoch ungewiss bleibt, ob damit alles getan ist, sieht er zwei Möglichkeiten für sich: weiterzuleben wie bisher oder einen persönlichen Neuanfang zu wagen. Er entscheidet sich für den Bruch mit der bisherigen Lebensweise und den alten Gewohnheiten. Und er zieht die…mehr

Produktbeschreibung
"So ein Leben, wie ich es seit ein paar Jahren führe, hatte ich nie gewollt. Ich möchte es nicht tauschen gegen ein anderes. Alleine wäre ich damals verreckt."

Mit einer lebensbedrohenden medizinischen Diagnose beginnt die Geschichte einer Wandlung. Der sie erzählt, ist Anfang fünfzig. Als er den ersten Einschnitt übersteht, jedoch ungewiss bleibt, ob damit alles getan ist, sieht er zwei Möglichkeiten für sich: weiterzuleben wie bisher oder einen persönlichen Neuanfang zu wagen. Er entscheidet sich für den Bruch mit der bisherigen Lebensweise und den alten Gewohnheiten. Und er zieht die Bilanz seiner Vergangenheit: beim Ausräumen der alten Wohnung und dem Stöbern in Papieren; beim Wiedersehen mit Bekannten aus dem Wohnviertel, das er verlassen wird; bei der Konfrontation mit seinem früheren Leben als "Zweizimmerexistenz". Begegnungen mit Gleichaltrigen lenken den Blick auf eine ganze Generation, ihre Wünsche, ihre Ziele, ihre Ängste, auf das, was gelang, was versäumt und was verbrochen wurde. Früher selbstverständliche Verhaltensweisen erscheinen jetzt als Ausweichbewegungen, als Flucht vor sich selbst. Als er einen letzten Blick auf die Möbel seines alten Lebens wirft, bevor sie entsorgt werden, stellt der Erzähler fest: "Ich erkannte keines der Stücke wieder als meines."

Und die Sonne scheint entwickelt Einsichten in eine Krise, die sich im Rückblick als Glücksfall erweist. Mit den Worten des Erzählers: "Um der zu sein, der ich bin, muss ich vieles anders machen."
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Endlich gibt es eine neue Erzählung von Bodo Morshäuser, jubelt Rezensent Christopher Schmidt, der mit "Und die Sonne scheint" einen Nachfolger der 1983 erschienenen Erzählung "Berliner Simulation" begrüßt. Der einstige Erzähler begegnet dem Kritiker nun als emotional verkümmerte "Zweizimmerexistenz" wieder, die bis zur plötzlichen Lungen-Krebs-Diagnose von Selbstverwirklichung träumt. Schmidt liest, wie Morshäusers Protagonist das Rauchen aufgibt, sein Leben ändert, sich von Altlasten trennt und sich schließlich mit sich selbst konfrontiert. Und mit Blick auf die "profane Epiphanie" dieser Erzählung, die hier in Form einer Gruppe mysteriöser LSD konsumierender Waldbewohner auftritt, verzeiht der Kritiker dem Autor auch gern, dass die Gleichsetzung zwischen dem Sieg über den Krebs und dem Ausrufen des Endes der Nachkriegszeit etwas platt daherkommt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.07.2014

Du musst dein Nachtleben ändern!
Bodo Morshäuser war mal ein wichtiger Schriftsteller seiner Generation. Dann kam die Krise.
Jetzt ist er zurück mit einem neuen Buch, das Krankheits- und Rechenschaftsbericht zugleich ist
VON CHRISTOPHER SCHMIDT
Rauch steigt auf, ein Brandsatz kokelt in der Umkleidekabine, und die, die ihn gelegt haben, kaufen, ganz brave Bürgerkinder, auf dem Weg nach draußen noch schnell einen Hut für „Sarah, die sich Sally nennt“, einen Hut also, wie ihn die Sally Bowles aus Christopher Isherwoods „Goodbye to Berlin“ trägt. Dieser Hut ist ein emblematisches Requisit, er weist Sarah als literarische Wiedergängerin von Isherwoods Sally aus. DessenRoman ist die Referenzgröße der nun wieder erhältlichen Berlin-Erzählung von Bodo Morshäuser.
  Abfackeln wollen die drei jungen Leute das Kaufhaus, das ja, aber nicht beklauen, selbst wenn es gleich in Flammen stehen sollte. Denn es geht hier allein um die Geste, den großen Geldschein, auf den man sich nicht herausgeben lässt. Schon sprüht das Wasser aus der Sprinkleranlage, die durchnässten Brandstifter verschwinden in der Menge der Demonstranten vor dem Kranzlereck und tanzen „einen unbekannten Tanz“. Dann heißt es: „Wir sind nicht mehr empört.“
  Es ist der letzte Satz in Bodo Morshäusers „Die Berliner Simulation“. 1983 erstmals erschienen, avancierte das Buch zur Kult-Lektüre der Generation post ‘68, deren Lebensgefühl es artikuliert; es machte den Autor schlagartig berühmt und zum Teil der Suhrkamp-Kultur. Die Coda der Erzählung bildet ein rausch- und kaleidoskophafter historischer Schnellkurs zum Thema Berliner Protest- und Gegenkultur, der nicht zufällig in die beschriebene Kaufhaus-Szene mündet. Man muss diese Schlusssequenz als parodistische Reprise lesen, die anspielt auf den historischen Brandanschlag im Berliner Kaufhaus des Westens, diese symbolische Trutzburg des Antikommunismus. Eine Phantasmagorie natürlich, herbeifantasiert, um den Wandel des Zeitgeistes zu dokumentieren.
   Denn die Vorzeichen haben sich geändert: Die Pflastersteine der einstigen politischen Revolte, sie liegen nun in den Händen einer anarchischen Spaß-Guerilla, Anfang der Achtziger gehört der Häuser- und Straßenkampf genauso zum Lifestyle wie die durchgetanzten Nächte in der damaligen Szene-Disco „Dschungel“. So endet der Aufbruch auf dem Dancefloor, ist doch das Feindbild so diffus wie der Sprühregen aus der Sprinkleranlage, diesem Wasserwerfer in der harmlosen Spar-Version. Happening statt Attentat, heißt die Devise, und Parolen sind auch nur Graffiti-Kunst aus der Spraydose, Ausdruck von subkulturellem Hedonismus. Man ist schließlich erklärtermaßen nicht-empört.
  Der Mentalitätswandel ist dem Buch selbst eingeschrieben, das noch im hohen Ton gedrechselter Innerlichkeitsprosa beginnt – („Diese Bar ist mir bekannt als Ort, an dem ich alle Lust verliere, woanders hinzugehen“) – und erst im zweiten Teil rauschhaft Fahrt aufnimmt, ein Wechsel von Art-Rock zu Punk gewissermaßen.
  „Im Kopf des Berliners existieren nicht zwei, sondern anderthalb Berlin“, heißt es einmal: „in dem des Westlers Berlin und Ostberlin, in dem des Ostlers Berlin und Westberlin“. Der Osten aber, die Mauer, sie spielen hier keine Rolle. Morshäuser erzählt vom alten Westberlin, das er als eine Blase beschreibt, als Kulissenstadt und Scheinwelt der „subventionierten Unruhe“, als Simulation eben, wie geschaffen für den Versuch, der belasteten deutschen Vergangenheit zu entfliehen. Die Stadt als Labor der Herkunftslosigkeit, so versteht sie die international zusammengesetzte Clique im Buch, stellvertretend für eine neue popkulturelle Welt-Community. Es ist schon eine sehr bewusste Setzung, dass der Hit der Band, auf deren Konzert der Erzähler nach seiner Sally sucht, „Do you believe in the West World“ heißt.
  Er hat das junge Mädchen aus England gefunden und wieder verloren in der großen Stadt. Und weil diese Stadt eben eine Simulation ist, passt es, dass er seine Sehnsuchtsfigur als Chimäre wiedertrifft, ein gemeinsames Leben, vor allem ein Nachtleben, nur imaginiert. Aus einem Spiegel geschlüpft, tritt sie ihm erneut entgegen, da steht Morshäuser ganz in der Tradition der deutschen Märchenprosa. Mit Sätzen wie „Die Zukunft, das war jetzt, sagte die Stimme“, „,Welche Farbe hat Berlin?‘ Sie sagte ,Grün‘“ oder „Wenn ich uns sähe, sähe ich uns als Vorschlag“, wurde er zum New Romantic der neueren deutschen Literatur.
  Der Erzähler aber, er zeigt Sally seine Stadt, und daraus wird dann eine erzählerische Besichtigung der ideellen Innenarchitektur jener wilden Jahre in der Berlin-Blase, die objektiv 1989 geplatzt ist, aber subjektiv noch lange überdauert hat. Davon erzählt das zweite Buch von Bodo Morshäuser, das zusammen mit der Neuausgabe der „Berliner Simulation“ erschienen ist, nicht bei Suhrkamp, sondern im Berliner Nischenverlag Hanani. Davor war der Autor acht Jahre lang literarisch verstummt. Da es also um einen Neubeginn geht, rekurriert Morshäuser auf sein Prosa-Debüt, die „Berliner Simulation“.
  Dreißig Jahre, nachdem dessen Erzähler in der Menschenmenge verschwunden ist, sehen wir ihn wieder als „Zweizimmerexistenz“ unter lauter anderen Zweizimmerexistenzen, als monadischen Single und verwunschenen Kiez-Prinzen mit komfortabler innerer Verwahrlosung. Bindungsscheu ist er, stets will er sich alle Optionen offen haltend, keine Beziehung eingehen, die nicht jederzeit kündbar ist – „Schöneberger Besuchs-Ehe“ hat das Bernd Cailloux in seinem Roman „Gutgeschriebene Verluste“ genannt, einem thematisch verwandten Buch über dieselbe Alterskohorte, die Generation Selbstverwirklichung. Seine Unerlöstheit wird dem Ich bei Morshäuser erst bewusst, als ihm die Diagnose Lungenkrebs gestellt wird.
  „Und die Sonne scheint“, der Titel zitiert eine Zeile aus einem Rammstein-Lied, schildert eine Zwischenzeit, den Transit von „Tumortown“ nach „Wellville“, von Tumorhausen nach Gesundheim, wie Morshäuser das Wortpaar des amerikanischen Autors Christopher Hitchens übersetzt, der 2011 seinem Krebsleiden erlag. Die Krankheit bedeutet permanenten Aufschub, das Warten auf die OP, die gut verläuft, dann auf das Ende der Chemotherapie, schließlich auf die Abschlussuntersuchung, bei der kein neuer Befall festgestellt wird. „Der Sterbenskranke ist der sachlichste Mensch“, schreibt Morshäuser, denn es gehe ihm nur um die eine Sache, die Krankheit, die er hat und ihre Kehrseite: das Leben.
  Die quälende Phase der Ungewissheit nutzt der Erzähler, um sein Leben zu ändern, die Ernährung – mehr Brokkoli – um- und alte Gewohnheiten abzustellen. In seiner Raucherwohnung hält er es nicht mehr aus, sie kommt ihm vor wie eine Giftmülldeponie; er zieht bei Martine ein, die ihn überhaupt erst zum Arzt geschleppt hat, löst seinen Haushalt auf, trennt sich von vielem, was sich angesammelt hat über die Jahre, ein uferloser Prozess, bei dem er sich immer wieder festhört in der Plattensammlung, festliest in den abgelegten Manuskripten. Das Ausmisten ist auch eine Konfrontation mit sich selbst, der eigenen Vergangenheit, und sie führt zu dem Befund, geraucht zu haben, wenn es ihm „drohte, gutzugehen“, und wie so viele um ihn herum gelebt zu haben, als wollte er sterben. Die Unabhängigkeit ist längst zum goldenen Käfig geworden und dessen Insasse zum Angestellten seiner selbst und seiner Routinen, immer schön dem „Ich-Flow“ hingegeben. In der „Berliner Simulation war bereits vom „Krebs des Identischen“ die Rede.
  Auch im neuen Buch gibt es wieder eine profane Epiphanie. Bei einem Spaziergang im Grunewald in der Nähe des Grabes der Velvet-Underground-Ikone Nico trifft er auf eine Gruppe rätselhafter Waldbewohner, die sich selbst „die Überlebenden“ nennen. Sie erinnern ihn an die LSD-Nächte seiner Jugend dort im Wald, zugleich stehen diese Geister der Vergangenheit für den Fluch seiner eigenen zombieesken Generation. Deren Todestrieb beruhe darauf, dass sie den Krieg der Eltern weiterkämpften, als Terroristen die Gewalt nach außen richteten, oder als Drogensucht gegen sich selbst. „Wir waren ein Müllhaufen, Sally, eine Staubwolke“, heißt es in der „Berliner Simulation“. Im neuen Buch greift Morshäuser das Bild der Staubwolke auf. „Nico, die Waldbewohner, der Erzähler dieses Berichts und alle Ähnlichen, sie stoben immer noch umher als Staubwolke oder als Sandkörner des Sturms, der Neunzehnhundertfünfundvierzig zu toben aufgehört hatte, jedoch noch nicht beendet war und der selbst in diesen Tagen, da ich hier sitze, einen immer noch umweht.“
  Jetzt aber soll der Nachkrieg beendet sein, als Sieg über den Krebs. „Ich bin nicht mehr der Gezeichnete, ich bin der Zeichner“, sagt der Erzähler. Und schließt die Tür hinter seinem alten Leben ab. Die Zukunft heißt Martine, doch dass die Frau, ohne die er verreckt wäre, im Buch nur einen Namen hat, aber kein Gesicht, ist neben der etwas forcierten Parallelisierung von Krebs und Krieg das einzige, was einen an dieser kühl und im besten Sinne nachdenklich erzählten Geschichte einer Läuterung etwas skeptisch macht.
Bodo Morshäuser: Und die Sonne scheint. Eine Erzählung. 148 Seiten, 16 Euro. Und: Die Berliner Simulation. Eine Erzählung (Neuausgabe). 128 Seiten, 14 Euro. Beide im Hanani Verlag, Berlin 2014.
Der Häuser- und Straßenkampf
von einst, er mündete im
hedonistischen „Ich-Flow“
Morshäuser erzählt von einem
schwierigen Transit, dem von
Tumorhausen nach Gesundheim
Die Pflastersteine der politischen Protestbewegungen, sie gingen irgendwann über in die Hände der Spaß-Guerilla.
Foto: Paul Glaser
  
  
Bodo Morshäuser ,
geboren 1953 in Berlin, veröffentlichte zuletzt die Romane „In seinen Armen das Kind“ (2202) und „Beute machen“ (2006). Foto: M. Maurer / Hanani Verlag
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