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Schreiben ist Leben, ein Art Leben - so könnte man die Texte von Agnès Rouzier umschreiben. Nur schreibend leben wir, doch zugleich mit dem Schreiben sind wir in der Abwesenheit gefangen. So unternimmt sie es in den sechs bzw. acht Briefen an Rilke, das Schreiben und zugleich das Leben durch das eigene Schreiben zu bannen, es für sich selbst wohnbar, lebbar zu machen. In den Briefen nutzt Agnès Rouzier Rilke-Zitate als auslösendes Element für ihre Antworten, doch was bezweckt sie mit den Antworten, an einen toten Dichter? In der Situation des Briefe-Schreibens wird die Problematik des…mehr

Produktbeschreibung
Schreiben ist Leben, ein Art Leben - so könnte man die Texte von Agnès Rouzier umschreiben. Nur schreibend leben wir, doch zugleich mit dem Schreiben sind wir in der Abwesenheit gefangen. So unternimmt sie es in den sechs bzw. acht Briefen an Rilke, das Schreiben und zugleich das Leben durch das eigene Schreiben zu bannen, es für sich selbst wohnbar, lebbar zu machen. In den Briefen nutzt Agnès Rouzier Rilke-Zitate als auslösendes Element für ihre Antworten, doch was bezweckt sie mit den Antworten, an einen toten Dichter? In der Situation des Briefe-Schreibens wird die Problematik des Schreibens noch potenziert: der Adressat ist abwesend, der Leser ist nicht zugegen und das Schreiben ist eine Handlung, die sich an einen Raum richtet, der leer ist. Das Schreiben vertieft die Einsamkeit - es gibt nur Erinnerungsstücke, ganz so, als seien sie mit dem fernen Empfänger gemeinsam erlebt, gemeinsam heraufbeschworen und geteilt. Aber der Dichter ist tot, er ist unerreichbar: die Antworten sind Antworten an sich selbst, die Fragen sind Fragen, die schon immer gestellt sind, nur in den Rilke-Briefen sind sie in eindringlichster Art ausgedrückt. Jeder Augenblick gelebt angesichts des Todes, angesichts eines Lebens, das sich nicht in Wohlgefallen übt, sondern in der existenziellen Frage: wie lebe ich, kann das Schreiben mich erretten oder ist der Satz "Ich will, dass das Wort abreisen einen Sinn hat" - eine denkbare Lösung - für Agnès Rouzier die einzige Lösung ? - um dann im 6. (ursprünglich letzten) Brief zu enden. "jener Frieden: der Friede in gewisser Weise". So ist es ein seltsamer Zufall des Schicksals, dass die Briefe an einen toten Dichter zuerst in der Schweizer Zeitschrift Furor erschienen sind - in ihrem Sterbemonat.Agnès Rouzier antwortet auf Briefe von Rainer Maria Rilke. Diese Texte sind 1981 in einer schweizer Zeitschrift zuerst erschienen - im Sterbemonat der Autorin. Sie antwortet auf ausgewählte Briefstellen, ganz so, als seien diese Briefe an sie gerichtet.
Autorenporträt
Agnès Rouzier wird im Januar 1936 in Paris geboren und ist am 15. Oktober 1981 im Schloss Goursac (Saint-Cybranet, Dordogne) gestorben. Sie ist die Tochter des Physikers Fernand Holweck und von Marie-Agnès Kirmann. Antoine de Saint-Exupéry ist ihr Patenonkel. Ihr Vater wird 1941 von der Gestapo verhaftet und stirbt durch die Folter. Ihre Mutter wird deportiert und stirbt im KZ Ravensbrück 1944. Danach wird sie von einer Tante groß gezogen. Sie heiratet den Innenarchitekten Pierre Rouzier (1934-1996). Das Paar lebt in dem kleinen Dorf Turnac (Dordogne) und beschäftigt sich mit der Restaurierung und dem Verkauf alter Häuser. Der Unternehmer Bernard Benson, der später durch sein Buch "Le Livre de la Paix" (Der Weg ins Glück) bekannt geworden ist, wird ihr Geschäftspartner. Ab 1964 beginnt Agnès Rouzier zu schreiben. Ihr erster Roman Hélène sollte bei Gallimard in der Sammlung Le Chemin erscheinen. Warum dies nicht geschah, ist unbekannt. Das Manuskript ihres zweiten Romans Le Prince Russe geht verloren. Ihr drittes Buch Non, rien erscheint 1974 bei Seghers/Laffont. Mehrere Artikel erscheinen in der Zeitschrift Change. Die Lettres à un écrivain mort erscheinen in Nr. 4 der Schweizer Zeitschrift Furor (Oktober 1981).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2018

Auf der Suche nach der heiligen Verbindung
Rilkes Wiedergängerin: Gleich zwei Übersetzungen versuchen sich an Agnès Rouziers "Briefen an einen toten Dichter"

Agnès Rouzier (1936 bis 1981) ist eine diskrete und anspruchsvolle Autorin: Ihre Texte kreisen um existentielle Fragen, zu denen für sie in vorderster Linie das Schreiben gehört. Ihre Bilder sind oft rätselhaft: "Deine Hände, Deine feingliedrigen Hände. Deine lebendigen Hände. Die Materie. Deine Hände. Die Wörter. Ein Blick. Mit welchem Nachdruck Du sie heraufbeschwörst, dann trittst Du hinter sie zurück." So wendet sich Rouzier an Rainer Maria Rilke, an dessen Werk sie sich orientiert und mit dem sie arbeitet. Sie wählt dabei die originelle Form, auf ausgewählte und teils bekannte Passagen aus Rilke-Briefen an diverse Adressatinnen zu antworten.

Rouziers Geschichte ist kurz mit tragischer Tendenz. Als Tochter eines von der Gestapo zu Tode gefolterten Physikers und einer im Konzentrationslager Ravensbrück ermordeten Mutter wuchs sie ohne Eltern auf; ihr Patenonkel war Antoine de Saint-Exupéry. Mit ihrem Mann, dem Innenarchitekten Pierre Rouzier, lebte sie in der Dordogne; offenbar hatte sie mit psychischen Problemen zu kämpfen. Von 1964 an schrieb sie unter anderem Romane, von denen nur "Non, rien" (1974) veröffentlicht wurde. Die Briefe an Rilke erschienen 1981, ihrem Todesjahr, in der Schweizer Zeitschrift "Furor".

Die lyrische Verdichtung macht aus Rouziers Prosa eine kompakte Kost. Es überrascht daher nicht, dass sie selbst in Frankreich eher unbekannt und auch in spezialisierten Bibliotheken nicht immer vertreten ist. In letzter Zeit freilich lebt das Interesse an ihrem bisher nur antiquarisch zugänglichen Werk neu auf, der kleine Pariser Verlag Brûlepourpoint bringt aktuelle Ausgaben auf den Markt. In Deutschland gibt es überraschenderweise nun gleich zwei Übersetzungen ihrer "Briefe an einen toten Dichter", die eine von Erwin Stegentritt im Saarbrücker AQ-, die andere von Helga Dietsch im Tübinger Stauffenburg Verlag. Offenbar haben beide einen gemeinsamen Ursprung und konkurrieren nun miteinander - wie das urheberrechtlich möglich ist, bleibt ein Rätsel.

Erfreulich ist es auf jeden Fall, denn Rouziers Antworten auf und Fortsetzung von Rilke bieten so poetische wie anregende Passagen: "Mein lieber Rilke, Seltsam die Stadt. Seltsam der Spaziergang: diese dichtgedrängte Grisaille voller Geräusche. Unser Blick schweifte über alles. Wie höfliche Automaten trugen wir Deinen Brief in uns. Er markierte unsere Gestalten im Nebel." Rouzier nimmt zentrale Begriffe oder konkrete Elemente aus den Briefen auf und spielt diverse Themen durch, etwa die Rolle des Schreibens in einem endlichen Leben oder die Herausforderungen, die Alltag und Schreibblockaden bieten. Oft greift sie auch konkrete sinnliche Momente auf, das Haar, die Hände, und lässt sich - wie Rilke vom Bildhauer Rodin - von ihnen inspirieren. In ihrem Tagebuch betont sie im Januar 1978 die Bedeutung des Dichters: "Rilke zeugt vom Kostbaren, und was kostbar ist, macht uns angst, setzt unsere gesamte Existenz der Zerbrechlichkeit aus." Und fordert sich heraus: "Ich bleibe überzeugt davon, dass ich Rilke nicht gut genug verstehe. Dass ich nicht weit genug über die Oberfläche hinausgehe. Es müsste eine ,heilige' Verbindung hergestellt werden." Genau das versucht sie in den Briefen.

Zentrales Prinzip ihres Schreibens - denn um eine "écriture" im Sinne des (Post-)Strukturalismus handelt es sich - ist das Fragmentarische, wie Helga Dietsch in ihrem Nachwort überzeugend darstellt; hier stellt sich Rouzier in die Nähe zu Maurice Blanchot. Sie pflegt dabei einen reihenden und diskontinuierlichen Stil, der eher einem Bedürfnis nach sprachlicher Weitung entspringt als einer Verknappung der Mittel. Im Grunde sucht Rouzier den Raum ("espace") zu weiten: den der Wahrnehmung und des Denkens, des Ausdrucks, ja des Schriftbildes. In der so geschaffenen Arena möchte sie ein komplexes Wechselspiel von Ruhe und Bewegung entfalten, genauer "Mobilität, die ebenso Immobilität ist: alles annehmen-zerstören". Wem das wohlfeil paradox klingt, der sei darauf verwiesen, dass Rouzier als Erste an Widersprüchen und Zersplitterungen leidet; sie sucht die Versöhnung. Fragmentarisches Schreiben kann schmerzhaft sein: "Die Zerstückelung wurde uns jetzt zur Qual. Zum Inbegriff der Qual. In den Fragmenten, Materie wie mit Gewalt zerschlagen: seltsam präzise Trugbilder."

Die Übersetzungen von Stegentritt und Dietsch sind beide schön aufgemacht und haben jeweils Stärken und Schwächen. Sie kämpfen mit der Schwierigkeit, dass Rouzier konkrete Beobachtungen mit abstraktesten Überlegungen kurzschließt: Leser und Übersetzer wissen oft nicht, auf welchem Fuß tanzen, und der Kontext hilft bei einer sprunghaften Schreibweise selten weiter. Manche Entscheidungen sind dennoch nicht nachvollziehbar, etwa wenn beide ein Wort mit gleich zwei Ausdrücken übersetzen. Oder wenn aus dem Original "Tu es innocent, et, fatal" etwas ganz anderes wird: "Das ist Deine Natur und Dein Schicksal" (Dietsch). Ähnlich rätselhaft ist die "sensualité", aus der Stegentritt nicht Sinnlichkeit, sondern Empfindsamkeit macht. Einen Vorteil hat Dietschs Ausgabe insofern, als sie durch ausführlichere Anmerkungen hilft und im Nachwort versucht, den Text lyriktheoretisch zu erläutern.

Überwiegender Eindruck ist jedenfalls die Freude über die Entdeckung sowie darüber, dass es offensichtlich grenzüberschreitend eine kleine Gruppe leidenschaftlicher Personen gibt, die Rouziers Werk dem Vergessen entreißen wollen. Ein großes Publikum wird es wohl kaum finden, aber den Liebhabern sinnlicher Gedankenschwere sei es ans Herz gelegt.

NIKLAS BENDER

Agnès Rouzier: "Briefe an einen toten Dichter".

Aus dem Französischen von Erwin Stegentritt.

AQ-Verlag, Saarbrücken 2017. 84 S., br., 8,90 [Euro].

Agnès Rouzier: "Mein lieber Rilke". Briefe an einen toten Dichter.

Aus dem Französischen von Helga Dietsch. Stauffenburg Verlag, Tübingen 2017. 82 S., br., 16,80 [Euro].

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