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Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Eine erweiterte Neuausgabe zur rechten Zeit sieht Jens Bisky in Eberhard Sieberts Kleist-Bildbiografie. Angenehm unspekulativ und angesichts der schwierigen Quellenlage erstaunlich reich an Abbildungen von Karten, Porträts, Kunstwerken und weiteren kulturhistorisch relevanten Dingen findet er den Band. So streitbar ihm manches Kleist betreffende noch immer erscheint, so sehr freut sich der Rezensent über diese Fundgrube, der er auch Inspirierendes zum Kleist-Grab entnimmt. Vermisst hat Bisky das Politische, den "Kriegsreform-Dichter" Kleist. Dem Autor wie dem Kleist-Archiv ist er dennoch höchst dankbar für diese Publikation.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2009

Das Leben nennt der Derwisch eine Reise
Wie sah seine Pistole aus? Eine opulente Bildbiographie erschließt die Welt Heinrich von Kleists
So recht wollen die „Richter des hohen, heimlichen Gerichts”, die „Vorläufer der geflügelten Heere”, dem wackeren Waffenschmied Theobald Friedeborn aus Heilbronn nicht glauben, dass Zauberei die Tochter, das Käthchen, ihm abspenstig und dem Grafen vom Strahl zu eigen machte. Reichten zur Verführung des Herzens nicht rote Wangen, leuchtende Augen? „Es ist wahr”, antwortet Theobald den Richtern, „ich sah ihn nicht zur Nachtzeit, an Mooren und schilfreichen Gestaden . . . umherwandeln und mit den Irrlichtern Verkehr treiben. (. . .) Ich sah, den Satan und die Scharen, deren Verbrüderten ich ihn nannte, mit Hörnern, Schwänzen und Klauen, wie sie zu Heilbronn, über dem Altar abgebildet sind, an seiner Seite nicht.”
Über den Altären in Heilbronn wird man den Satan und seine Scharen freilich vergeblich suchen. Man findet ihn aber in der Heimatstadt Heinrich von Kleists. Seit Russland die als Kriegsbeute geraubten Kirchenfester 2002 zurückgab, kann man auch das einzigartige Antichrist-Fenster in der Marienkriche in Frankfurt an der Oder wieder bestaunen.
Auf 19 von 35 Scheiben sind Satansfiguren zu entdecken. Vier davon hat der Germanist und Bibliothekar Eberhard Siebert nun in die zweite Ausgabe seiner Kleist-Bildbiographie aufgenommen. Knapp verweist er auf die Parallelle zum „Käthchen von Heilbronn”. Aber die Bilder verführen selbstverständlich zu weiteren Fragen. In den Jahren, in denen Kleist die prägenden Eindrücke empfing, dürfte er das Antichrist-Fenster, Abbild einer verkehrten, inversen Weltordnung, häufiger gesehen haben als seinen Vater. Besaß er Bilder für die Erfahrung verwirrter, umstürzender Verhältnisse, schon bevor er Krieg und Revolution kennenlernte?
Zum Wohle seiner Leser versagt sich Eberhard Siebert solche Spekulationen. Er will eine Biographie in Bildern erzählen: in Porträts der Beteiligten, mittels Ansichten und Karten, durch Abbildungen der von Kleist erwähnten Kunstwerke, auch mit Hilfe kulturhistorisch aufschlussreicher Darstellungen. Welche Uniformen trug man? Wie könnte die Pistole ausgesehen haben, mit der der Dichter sich am 21. November 1811 erschoss?
Als Insel-Taschenbuch hat Siebert diese Bildbiographie 1980 zum ersten Mal herausgegeben. Für die Neuausgabe durch das Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn, wurde die Zahl der Abbildungen auf 501 verdoppelt. Die stolze Zahl imponiert umso mehr angesichts der desolaten Überlieferungslage – ein Kleist-Nachlass existiert bekanntlich nicht; was wir haben, ist durch Zufall, oft auf Umwegen auf uns gekommen; beinahe jedes dritte Datum dieses Lebenslaufes ist in der Forschung umstritten. Schon für den Geburtstag sind zwei Termine im Angebot: der 10. oder der 18. Oktober 1777. Bisher kennen wir nur zwei authentische, zu Lebzeiten angefertigte Porträts: die Miniatur, die Kleist seiner Verlobten Wilhelmine von Zenge übergab, als er sie verließ, um in Frankreich herauszufinden, wozu er auf der Welt war. Daneben gibt es das „Gefangenschaftsporträt” aus dem Jahr 1807.
Siebert nimmt des weiteren eine Kohle-Zeichnung hinzu, die Wilhelmine nach ihrer Eheschließung mit dem Philosophen Krug angefertigt haben soll. Außerdem folgt er Barbara Wilk-Mincu, die 2007 eine in Privatbesitz befindliche Miniatur für authentisch erklären wollte. Über beides ließe sich trefflich streiten. Dankbar aber ist jeder Kleist-Freund, sie alle, einschließlich der zweifelhaften, beisammen zu haben. Das Kapitel „Zur Geschichte des Kleist-Grabes sowie des Grabes von Henriette Vogel” wird sehr bald großen Nutzen stiften. Immerhin gibt es in Vorbereitung des Jubiläums 2011 endlich Geld, um den unwürdigen Zustand am Kleinen Wannsee zu beenden und die Umgestaltung, die das Grab während der Nazi-Zeit erfuhr, rückgängig zu machen.
Ergänzungen aus dem Feld der Politik, der Haupt- und Staatsaktionen, hätten der Bild-Biographie gut getan. Kleists Napoleonhass etwa verliert seine Ausnahmestellung, sein Pathologisches, wenn man ihn mit englischen Karikaturen vergleicht, in denen Napoleon ebenfalls als „böser Geist der Welt” erscheint, als „Wolf”, der keine Gnade verdient. Der Patriot und Kriegsreform-Dichter Kleist kommt überhaupt zu kurz in diesem Buch – gleichviel, es bleibt eine Fundgrube. Mit der Publikation hat sich das Kleist-Archiv unter Günther Emig wiederum als lebendiger Ort der Dichterverehrung erwiesen. Für das anstehende Kleist-Gedenkjahr 2011 wünschte man sich aus Heilbronn einen Bildatlas zum Nachleben des Vernuftromantikers. JENS BISKY
EBERHARD SIEBERT: Heinrich von Kleist. Eine Bildbiographie. Kleist-Archiv Sembdner, Heilbronn 2009. 364 Seiten, davon 100 Farbseiten, 501 Abb, 48 Euro.
Man sah ihn nicht mit den Irrlichtern Verkehr treiben
„Und frage nichts mehr, ob es rühmlich sei”: Das Kleist-Grab, vermutlich kurz vor 1889, mit falschem Geburtsjahr auf dem Stein. Abb. aus dem besprochenen Band
Ein authentisches Kleist-Porträt? Es ist im Besitz einer aus Frankreich stammenden Familie. Abb. aus d. bespr. Band
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