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Charlotte Grasnick, die im April 2009 verstarb, hat ein bedeutendes lyrisches Werk hinterlassen. Die Liebesgedichte sind dabei das Rückgrat ihres Werkes. Entstanden über Jahrzehnte zeichnen sie die Geschichte einer intensiven Begegnung nach - vom ersten Kennenlernen über die Leidenschaft und mitunter schwierige Ehejahre bis hin zu einer späten Aussöhnung, vor allem mit sich selbst. Das Gespräch mit dem Geliebten ist dabei oft Gespräch über Geliebtes: Bilder und Musik, Theater und Dichtung. Ohne Perücken und Masken. Nackt ans Leben gewendet dringt hier eine Dichterin zum Kern der Dinge vor. "Das Gedicht ist die Zeit / unserer mühsamen Wege."…mehr

Produktbeschreibung
Charlotte Grasnick, die im April 2009 verstarb, hat ein bedeutendes lyrisches Werk hinterlassen. Die Liebesgedichte sind dabei das Rückgrat ihres Werkes. Entstanden über Jahrzehnte zeichnen sie die Geschichte einer intensiven Begegnung nach - vom ersten Kennenlernen über die Leidenschaft und mitunter schwierige Ehejahre bis hin zu einer späten Aussöhnung, vor allem mit sich selbst. Das Gespräch mit dem Geliebten ist dabei oft Gespräch über Geliebtes: Bilder und Musik, Theater und Dichtung. Ohne Perücken und Masken. Nackt ans Leben gewendet dringt hier eine Dichterin zum Kern der Dinge vor. "Das Gedicht ist die Zeit / unserer mühsamen Wege."
Autorenporträt
Charlotte Grasnick (1939-2009) wuchs als Tochter eines Universitätsprofessors in Thüringen auf. Nach dem Gesangsstudium in Dresden war sie unter Felsenstein als Altistin im Chor der Komischen Oper. Sie war verheiratet mit dem Lyriker Ulrich Grasnick. Neben drei veröffentlichten Lyrikbänden hinterließ sie ein Prosamanuskript und an die 2000 handgeschriebene Seiten mit zumeist noch unveröffentlichten Gedichten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2010

„ich denk so ein / Mundstück ist Glatteis zwischen / den Lippen öffnet die schnellen Seelenventile”
Der Himmel hinter Ostkreuz
Aus einer ästhetischen Enklave: Die gesammelten Gedichte der Charlotte Grasnick
Manche Bücher haben etwas von einer Flaschenpost. Dieses gehört dazu. Drei Gedichtbände sind darin enthalten, die zu Lebzeiten der Autorin erschienen sind, der erste 1984, der letzte 2003. Im Frühjahr 2009 ist Charlotte Grasnick in Berlin gestorben, im Alter von 69 Jahren. Geboren war sie kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, im September 1939, aufgewachsen in Thüringen. Nicht zur Freude ihres Vaters, eines Lehrers, der nach dem Krieg Universitätsprofessor in Rostock wurde, gab sie 1959 die nach dem Abitur begonnen Arbeit als Röntgenassistentin auf, begann ein Gesangsstudium in Dresden, heiratete und ging 1963 nach Ost-Berlin, an die Komische Oper unter Walter Felsenstein.
Ihr Mann, Ulrich Grasnick, fand eine Anstellung beim Berliner Rundfunk, veröffentlichte ab den frühen siebziger Jahren seine Gedichte im Verlag der Nation und baute in Berlin-Köpenick einen der vielen privaten Literaturzirkel in der DDR auf, die nicht nur Lektüregruppen waren, sondern „creative writing”-Kurse, ehe es diesen Begriff und die dazugehörenden universitären oder außerakademischen Literaturinstitute gab. Vieles, was hier entstand, blieb lange in der Schublade, so die Prosa des Elektrotechnikers Reinhard Jirgl, der an der Volksbühne arbeitete und erst nach der Wende ein bekannter Autor wurde.
Irgendwann in den frühen achtziger Jahren, als Jirgl den Kreis schon verlassen hatte, stieß Benjamin Stein hinzu, 1970 in Ost-Berlin geboren, noch ein Junge, aber schon fest entschlossen, ein Schriftsteller zu werden. Das ist ihm inzwischen gelungen. 1995 erschien sein Debüt „Das Alphabet des Juda Liva”, in diesem Frühjahr der zweite Roman, „Die Leinwand”, über den Fall Wilkomirski, bei dem 1995 ein Schweizer Musiker die von ihm erfundenen Erinnerungen eines NS–Opfers an seine Kindheit in einem Vernichtungslager als authentisch veröffentlichte (SZ vom 22. Februar 2010).
Nun hat Benjamin Stein die gesammelten Gedichte der Charlotte Grasnick herausgegeben und mit einem Nachwort versehen. Es präsentiert die Autorin als eine Lyrikerin, in deren Werk das Liebesgedicht das Rückgrat ist und die ihren eigenen Ton erst fand, indem sie sich von allen äußeren Anlässen und vom Sprechen in der dritten Person befreite, um „als Dichterin wie auch als Frau” in der ersten Person, als „Ich” ins Zentrum ihrer Gedichte zur rücken. Weil er dies so sieht, hat Benjamin Stein diesem Buch einen Vers zum Titel gegeben, der ganz nach Liebesgedicht klingt: „So nackt an dich gewendet”.
Das Gedicht, dem er entnommen ist, ist aber kein Liebesgedicht. Es ist nach dem Untergang der DDR in den frühen neunziger Jahren entstanden, und in seinem Zentrum steht eine Erinnerung an die Kindheit und das Kriegsende: „alles in diesem Land / erinnert mich an meine Kindheit / das viele Grau und Schwarz / die Dunkelheit / ein Wiegenlied / Straßenlaternen / mit ihrem einsamen Selbstvertrauen // summe ich die weiße Fahne / entrollt sie sich aus dem Fenster / die grausamen Standarten in den Staub . . . ”
Nein, Benjamin Stein tut der Autorin keinen Gefallen, wenn er sie auf das Liebesgedicht und den reinen Ausdruck des „Ich” festlegt. Denn zur Flaschenpost, zur unverhofften Botschaft mit rätselhaftem Absender, werden diese Gedicht vor allem dann, wenn das Ich gerade nicht allein ist mit sich selbst und dem Du des Geliebten, wenn sich in seinen Versen die äußere Welt abzeichnet, von der es umgeben ist, die Gestalten der Einbildungskraft, mit denen es verkehrt. Die Figuren der Oper und des Balletts, der Trompeter Ludwig Güttler, die Komponisten Puccini und Chopin, Käthe Kollwitz kurz vor ihrem Tod im April 1945 bei Dresden, Bertolt Brecht und Helene Weigel in ihren Gräbern, der Dichter Peter Huchel, sie alle gehen in mit markanten Zügen in diese Flaschenpost ein, weil sie dem Ich dabei helfen, von sich abzusehn.
Man lese etwa das Gedicht „Einkehr in ein Gesicht”, ein Echo auf die Chausseen Peter Huchels, dem es gewidmet ist, eine Reminiszenz zugleich an die Bewachung und Bespitzelung, die den Dichter aus der DDR vertrieb: „Hinter der Stirn / Echo aus schlaflosen Nächten, / wo noch unbewacht / Verse durch Wachträume gehn. / Später die Wege, gesäumt / von geborstenen Bäumen, / erinnern den Stiefelschlag / auf den Todeschausseen”. Oder im „Trompetensolo” die Wendung ” . . . ich denk so ein / Mundstück ist Glatteis zwischen / den Lippen . . .”.
Und suche sich dann die Gedichte heraus, die von Orten, Landschaften handeln, von einer „S-Bahnfahrt mit Hölderlin” („Hinter Ostkreuz entspannt sich / der Himmel” . . . ), von der Galopprennbahn in Hoppegarten („Die nahen Gründerzeitvillen verfallen mittagsstill . . .”), von einem Museumsbesuch bei Nofretete oder den Restaurierungsarbeiten am Berliner Dom, von einem Ausflug zur Burg Stolpen östlich von Dresden, um die sich eine Spukgeschichte rankt: „wir fahren zurück / in andere zeit, / schwarz ist der Schnee / in den Straßen”.
Und man blättere dann im Zyklus „Schlaf-Licht”, man lese dem Ich hinterher, das partout dem Gefieder der Schwäne das eigene an die Seite stellen will, es aber nur zu einer sentimentalen Metapher bringt: „Zwei Schwäne kommen hungrig / und verteidigen flügelschlagend ihr Haus / meine Tränen sind die Ufer / wo ich an Land gehe”. Wenn es wenig später heißt „Bin ich der Traum, den du träumen / bin ich das Lied / das du singen wolltest”, so kann dieser gefällige Gedanke den Verdacht nicht vertreiben, dass für Charlotte Grasnick das Liebesgedicht eher eine Gefährdung war als eine Bestimmung.
Denn was sind in diesen Gedichten die blühenden Kastanien, die sich in „Tränenbäume” verwandeln, gegen den schwarzen Kaffee? „Am dunkelsten/ in der Mitte / – wie ein Auge – / heller am Rand / vom weißen Porzellan – bis zum Grund kann ich nicht blicken.” Was sind die Spiegel-Metaphern gegen Zeilen wie diese: „lange / betrachtet die Bienenkönigin / ihren freien Tag”. Was ist die Ohnmacht gegenüber dem Geliebten gegen die Zeilen über die Macht des Inspizienten? „Er sagt: jetzt / und der Mond steigt auf / über den Dächern. / Er setzt ein Gewitter in Gang, / fühlt sich ein wenig/ wie Gott, / wenn am Horizont / auf sein Zeichen die Sterne erlöschen, / gibt den Schuß ab, / und die Diva stirbt pünktlich / mitten im Satz . . . ”
Zum Flaschenposthaften dieser Gedichte gehört nicht nur, dass sie als Hintergrundwelt eine ästhetische Enklave am Rande der Hauptstadt der DDR ahnen lassen, in der man Malern Modell sitzt und Gedichte sehr wichtig sind. Zum Flaschenposthaften gehört auch, dass hier, wie bei Erich Arendt oder in Peter Huchels „Garten des Theophrast” die mediterranen, alttestamentarischen wie griechischen Figuren selbstverständlich anwesend sind. Manches von diesen Mythenparaphrasen bleibt im Gedächtnis, so der Faun, der sich Ariadne annähert: „Faun, / nicht Schlingenleger, / nicht der berechnende Vogelfänger, / nicht der Wolf mit Geduld, / eher fauler Jäger des Zufalls, / der am Ende / nach kaum begonnenem Spiel / gähnend zurücksinkt / in den heißen Nachmittag / und schlafend vergißt, / daß er eben / ein Feuer entfachte.”
Der Titel enthält nicht nur die These des Herausgebers, hier sei vor allem eine Liebeslyrikerin zu entdecken. Er enthält auch ein Partizip Perfekt. Es steht in dieser Lyrik dort, wo sonst im Gedicht der Gegenwart oft das Spiel mit Slang oder Song steht. Es signalisiert das Sich-Einnisten dieser Gedichte in die Schriftsprache, irgendwo zwischen „Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens” und „Auferstanden aus Ruinen”. LOTHAR MÜLLER
CHARLOTTE GRASNICK: So nackt an dich gewendet. Gesammelte Gedichte. Mit 19 Zeichnungen von Dieter Goltzsche. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Benjamin Stein. Verbrecher Verlag, Berlin 2010. 240 Seiten, 21 Euro.
„Er sagt: jetzt, / und der Mond steigt auf / über den Dächern. / Er setzt ein Gewitter in Gang . . . ”
„Es ist schon spät. / Traurigkeit kommt mit einer / Zigarette am Abend”: Charlotte Grasnick, gezeichnet von dem Graphiker und Zeichner Dieter Goltzsche, der 1934 in Dresden geboren wurde und in Berlin lebt. Foto: Verbrecher Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wie eine "Flaschenpost" erreicht dieser Gedichtband der 2009 gestorbenen Charlotte Grasnick Lothar Müller, also als unerwartete Nachricht von unbekanntem Absender. Der Rezensent informiert über den Hintergrund der Lyrikerin, die 1939 geboren wurde, 1963 als Sängerin nach Ost-Berlin ging und mit ihrem Mann, dem Lyriker Ulrich Grasnick eine Literaturgruppe in der DDR unterhielt. Benjamin Stein, ebenfalls Mitglied dieses Zirkels und selbst Schriftsteller, hat nun diese aus drei zu Lebzeiten der Autorin erschienenen Gedichtbänden zusammengestellte Edition herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, lässt Müller wissen. Er findet allerdings, dass sie Grasnick mit der Auswahl des Titels zu Unrecht auf Liebeslyrik festlege. Dabei sind nach Ansicht des Rezensenten gerade die Liebesgedichte die schwächeren, weil die Autorin hier zum Sentimentalen und Abgenutzten neigt. Dafür werden dem Rezensenten die Gedichte, in denen sich Grasnick von sich selbst abwendet und anderen Dichtern oder mythische oder alttestamentarische Figuren zuwendet oder die "ästhetische Enklave" ihrer DDR-Existenz beschreibt, als die eigentlich packenden Texte dieses Bandes.

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