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Produktdetails
  • Verlag: Vorwerk 8
  • Seitenzahl: 662
  • Erscheinungstermin: 16. Juni 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 245mm
  • Gewicht: 1304g
  • ISBN-13: 9783940384072
  • ISBN-10: 3940384070
  • Artikelnr.: 23373277
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.10.2008

Unterwegs mit dem Tross der Seelenkundler
Caroline Neubaurs Berichte über die Psychoanalyse wissen für ihren Gegenstand mühelos einzunehmen

"An dem Tag, an dem Schalke 04 gegen F. C. Union spielte, wurde im Hörsaal der Charité die uralte Partie Antigone gegen Kreon wiederaufgenommen." Das ist ein Satz von Caroline Neubaur, und zwar der erste Satz eines ihrer zahlreichen Rundfunkmanuskripte, in dem sie über ein interdisziplinäres Symposion im Mai 2001 in Berlin berichtet. Dreißig Jahre lang hat Caroline Neubaur psychoanalytische Kongresse begleitet. Sie hat noch anderes gemacht, das heißt geschrieben, sie ist aber eben auch kontinuierlich zu Kongressen in alle möglichen Städte und Länder gefahren. Im Nachwort schreibt sie, dass sie damit jetzt aufgehört hat. Das ist schade. Die Psychoanalyse wird diese Entscheidung öffentlichkeitsempfindlich treffen, sie muss sich etwas einfallen lassen. Neubaurs Berichte, unter anderem auch für diese Zeitung, liegen nun als Buch vor.

Wer im Laufe der Jahre verpasst hat, die Berichte zu lesen oder zu hören - der erste stammt aus dem Jahr 1975 -, der kann das jetzt nachholen. Man muss sich dabei nicht selbst das Leben schwermachen und alles hintereinanderweg zu lesen versuchen. Obwohl gerade der chronologische Verlauf seine Reize hat und seine Erkenntnisse mit sich bringt. Am Ende der Reise lässt sich sagen: Einen besseren Begleiter durch das verzweigte und verzwickte psychoanalytische Entdecken und Erkunden, und zwar nicht nur der letzten Jahrzehnte, wird man wahrscheinlich nicht finden. Für einen Fachbereich, der immerhin den Anspruch erhebt, etwas Grundlegendes über den Menschen auszusagen, ist der Leser mit diesem Beistand streckenweise fein raus. Jeder aber, der eine solch gute Erfahrung im Sinn und im Rücken hat, möchte gleich mehr: Man wünscht sich ein solch kluges und wortgewandtes Buch der Begleitung auch für andere Wissensgebiete, für die Soziologie etwa.

Im Nachhinein wundert man sich fast, dass Zeitungen und Rundfunk lange Jahre ein so großes offenes Ohr für die nicht immer einfach darzustellenden Belange der Psychoanalyse hatten. Und wahrscheinlich kann sich die Psychoanalyse, wenn sie sich denn über die Schulen hinweg einen Ruck gibt und dann als eine Person handeln könnte, bei Caroline Neubaur sehr herzlich bedanken - für die Aufmerksamkeit und für die Souveränität, mit der sie die Diskussionen verfolgt hat, die sich ja nicht dadurch auszeichnen, dass sie um Theorien einen weiten Bogen machten, um schneller bei Fallbeispielen zu landen.

Im Gegenteil - aber gerade das Gegenteil, die mit faltiger Stirn energisch behauptete Theorieverfangenheit, fällt in den lebendigen und ganz frei ein- und ausatmenden Texten Neubaurs gar nicht auf. Sicherlich ist dieser heilsame frische Wind auch etwas der Kongress-Situation geschuldet. Doch andererseits gilt: Es finden sich immer wieder Berichterstatter, die Diskussionen mit eiserner Hand zusammenfassen, bis denen der letzte Blutstropfen entwichen ist, worauf sie dann bleich in der Gegend hängen wie vergessene aschfahle Unterhemden an der Wäscheleine.

Caroline Neubaur dagegen schreibt, als hätte sie eine umwerfende intellektuelle Herzensfreude an einem konzentrierten und kontroversen Gespräch, ob dieses nun in London, Paris, Buenos Aires oder in Stuttgart stattfand. Diese mitteilsame Freude an Ideen und Erkenntnissen kommt nur bei jenem Beobachter auf, der leichtfüßig mit dem kleinen Tross der Seelenwissenschaftler mithalten kann - ansonsten schleppt man sich ja nur mit arger Mühe durch die unzähligen Argumente voran, als müsste ein Wanderer mit Blasen an den Fersen noch Stunden durch die Bergwelt marschieren.

Müdigkeit scheint es im psychischen und geistigen Haushalt Caroline Neubaurs nicht zu geben. Sie wird wahrscheinlich noch einige jener Skeptiker mit links mitzureißen vermögen, die die Psychoanalytiker nur aus der Ferne eines gepflegten halben Desinteresses beobachten. Das hängt sowohl an ihrem Wissen wie auch an ihrem Temperament. Wenn sie über Psychoanalyse und Psychoanalytiker schreibt, rückt sie dem Leser diesen Gedankenkreis so nahe, dass man sich gleich fragen muss, wie es ohne die Psychoanalyse überhaupt sollte weitergehen können. "Gäbe es einen Joachim Kaiser der Psychoanalyse-Kritik", damit hat sie einmal einen Satz in einem ihrer Kongressberichte begonnen: Es reicht völlig, dass die Psychoanalyse-Kritik eine Caroline Neubaur hat.

EBERHARD RATHGEB

Caroline Neubaur: "Der Psychoanalyse auf der Spur". Vorwerk 8, Berlin 2008. 661 S., geb., 48,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2008

Ein Steinbruch der Kongresse
Caroline Neubaurs gesammelte Psychoanalyse-Berichte als Buch
Caroline Neubaurs Interesse an der Psychoanalyse beruht auf einer familiären Verbindung: Ihr Großvater Ludwig Beck wurde als einer der konservativen Verschwörer am 20. Juli 1944 im Bendlerblock erschossen – „und ich beobachte an mir bis heute”, schreibt Neubaur, „dass mich seine Hinrichtung verfolgt”. Die Folgen des Nationalsozialismus auch für die nachgeborenen Generationen – eines der großen Themen, die mit einiger Verspätung dann in den Debatten der deutschen Psychoanalytiker auftauchten; kein Wunder, dass die Enkelin dabei sein wollte.
Über dreißig Jahre, von 1975 bis 2007, hat die 1941 geborene Caroline Neubaur über psychoanalytische Kongresse berichtet, im Rundfunk und in Zeitungen, auch in der Süddeutschen Zeitung. Und es ist wahrlich verdienstvoll, die Psychoanalyse überhaupt ins öffentliche Bewusstsein gehoben zu haben – die Zunft ist ja denkbar ungeschickt im Umgang mit den Medien. Allerdings ist Neubaur selbst keine Analytikerin, sondern Literatur- und Religionswissenschaftlerin, die sich analytischer Ansätze als Kulturtheorie bedient. Ihr fehlt also das Erkenntnismittel, das den Psychoanalytiker, jenseits aller theoretischen Klimmzüge, ausmacht: die therapeutische Praxis.
Gemeinde und Journalismus
Das bringt Neubaur, wenn sie als Journalistin arbeitet, in eine merkwürdige Zwitterstellung. Einerseits will sie, das wird am Insider-Duktus deutlich, durchaus dazugehören zur großen psychoanalytischen Kirche; andererseits soll sie, so verlangt es der Auftrag, die Kongresse dieser Vereine doch mit dem gebotenen Abstand begleiten und kritisieren. Statt nun einen konsequenten Außenstandpunkt einzunehmen und die Fachdebatten journalistisch zu kommentieren, ist die Autorin stets strebend um Zugehörigkeit bemüht: wir unter uns, die Wissenschaftler- und Analytiker-Gilde. Das führt zu Berichten, die zwar der Chronistenpflicht nachkommen und an Differenziertheit nichts zu wünschen übriglassen, die dem ambitiösen analytischen Diskurs der Kongresse aber oftmals weiträumige theoretische Betrachtungen folgen lassen. Immer wieder fehlt es dabei an Klarheit; journalistisches Handwerk hätte hier nach dem Geschmack des Rezensenten durchaus genügt.
Das ist insofern schade, als zwischen 1970 und heute innerhalb der (vielfach gespaltenen) psychoanalytischen Gemeinde Wichtiges passiert ist. Da ist einerseits die Internationalisierung der Analyse: Analytiker verschiedener Kulturen (Südamerika!) treten in einen intensiven Gedankenaustausch. Neue Ansätze gewinnen an Terrain und relativieren Sigmund Freud: Zu nennen ist vor allem die Trias Melanie Klein, Wilfred Bion und Donald W. Winnicott – wobei Neubaur aus ihrer Vorliebe für Klein (und den Berliner Analytiker Hermann Beland) keinen Hehl macht. Lacan und Derrida treten, als wissenschaftsmodische Übergangsphänomene und Referenzmodelle, an die Stelle von Adorno und Frankfurter Schule.
Jahre der Debatten
Schließlich, und das ist vielleicht das Wichtigste, beginnt die deutsche Psychoanalyse eine lange, noch nicht abgeschlossene Trauerarbeit über das Dritte Reich (und das Verhalten mancher Analytiker während dieser Zeit) und sucht den Kontakt zur israelischen Psychoanalyse: der von der Französin Janine Chasseguet-Smirgel inaugurierte Hamburger Kongress 1985, die von Shmuel Erlich angeregten Nazareth-Konferenzen, die Tagung der „Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung” in Jerusalem 1999, der Weltkongress der Analytiker, der 2007 erstmals seit 85 Jahren wieder in Berlin stattfinden konnte – dies sind Wegmarken eines Neubeginns.
Freilich ist Neubaurs jetzt vorliegendes Buch nur als Nachschlagewerk brauchbar. Wer nämlich tatsächlich versucht, sich durch diese sehr voluminöse Addition von Summaries, Porträts und Stellungnahmen hindurchzuarbeiten, der wird doch bald ärgerlich werden. Denn eine Zusammenballung ereignisbezogener Arbeiten ergibt noch kein Buch – auch wenn jeder Journalist insgeheim gerne glaubt, seine Arbeiten hätten über den Tag hinaus Bestand. Die Lektüre dieser Artikel beweist das Gegenteil: Erstens sind die meisten der Original-Kongressbeiträge irgendwo nachlesbar (und wer sich für ein präzises Thema interessiert, ist da besser aufgehoben); zweitens ist die Lektüre auch engagierter Wissenschaftsartikel in der Masse ermüdend, weil stets dieselbe halbessayistisch-berichtende Form bedient wird.
Caroline Neubaur weiß das natürlich – und ist trotzdem, wider alle Vernunft, ihrem Wunsch gefolgt, die jahrelangen Kongressbesuche auch zwischen Buchdeckeln zu sehen. Eine beeindruckende Gruppe von insgesamt sieben Psychoanalytikern, die ein „kollektives Nachwort” verfasst haben, gibt der Autorin das Geleit; der Religionswissenschaftler Klaus Heinrich steuert das Vorwort bei. Aber das nutzt dem Leser nicht viel: Neubaurs Buch ist ein Steinbruch, die Vorarbeit für eine noch zu schreibende Geschichte der psychoanalytischen Debatte in kritischer Absicht. Es ist zu hoffen, dass Neubaur eine solche Arbeit mit frischem Mut in Angriff nimmt. CHRISTIAN GAMPERT
CAROLINE NEUBAUR: Der Psychoanalyse auf der Spur. Verlag Vorwerk 8, Berlin 2008. 662 Seiten, 48 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dreißig Jahre Berichterstattung von den psychoanalytischen Kongressen rund um den Globus - für Eberhard Rathgeb ein schönes Stück Arbeit. Voller Respekt blättert er in dem Band, der Caroline Neubaurs Berichte versammelt und stellt fest: Kein brauchbareres Kompendium durch das psychoanalytische Entdecken weit und breit. Rathgeb staunt über die Aufmerksamkeit und die Souveränität, mit der Neubaur die Diskussionen verfolgt. Zugleich erscheint ihm die Frische und Mitteilsamkeit der Texte über immerhin nicht ganz theoriearme Themen absolut bemerkenswert. Das Wissen und das erkenntnisvermittelnde Temperament der Autorin haben es geschafft, dass Rathgeb sich am Ende fragt, wie es ohne eine so tolle Einrichtung wie die Psychoanalyse überhaupt sollte weitergehen können.

© Perlentaucher Medien GmbH