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Das neue europäische Interesse am Thema Vertreibung, welches die Kriege der Jahre 1991 - 1999 im ehemaligen Jugoslawien ausgelöst haben, manifestierte sich im politischen Raum auf unterschiedliche Weise: 1999 initiierte der Bund der Vertriebenen das Projekt eines primär nationalen "Zentrums gegen Vertreibungen", 2002 empfahl der Deutsche Bundestag die Bildung eines "Europäischen Zentrums gegen Vertreibungen"und 2004 regten sowohl die Parlamentarische Versammlung des Europarats wie die Kulturminister der Visegrad-Staatengruppe, Deutschlands und Österreichs die Gründung einer europäischen…mehr

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Produktbeschreibung
Das neue europäische Interesse am Thema Vertreibung, welches die Kriege der Jahre 1991 - 1999 im ehemaligen Jugoslawien ausgelöst haben, manifestierte sich im politischen Raum auf unterschiedliche Weise: 1999 initiierte der Bund der Vertriebenen das Projekt eines primär nationalen "Zentrums gegen Vertreibungen", 2002 empfahl der Deutsche Bundestag die Bildung eines "Europäischen Zentrums gegen Vertreibungen"und 2004 regten sowohl die Parlamentarische Versammlung des Europarats wie die Kulturminister der Visegrad-Staatengruppe, Deutschlands und Österreichs die Gründung einer europäischen Einrichtung zur Beschäftigung mit dem Thema Zwangsmigration in Zentraleuropa im 20. Jahrhundert an. Treibende Kraft der beiden letztgenannten Initiativen waren dabei Polen und Deutschland. Das von diesen beiden Staaten, der Slowakei und Ungarn unter temporärer bzw. partieller Mitwirkung der Tschechischen Republik und Österreichs konzipierte "Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität"ist im Sommer 2005 formell gegründet worden.

Die vorliegende Dokumentation zeigt die Entwicklung dieser parallelen Initiativen, beleuchtet aber auch die "Werkstatt" der Gedenk- und Jubiläumskultur, in der Geschichtspolitiker der Regierungen und Parlamente - bisweilen unter Mithilfe von Historikern - erste Elemente einer künftigen europäischen Erinnerungskultur aushandeln. Neben rund 60 offiziellen und halbamtlichen Quellen enthält der Band auch Hintergrundberichte des Herausgebers.
Autorenporträt
STEFAN TROEBST, geb. 1955, Osteuropahistoriker und Slavist, ist Professor für Kulturstudien Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig und stellvertretender Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO), ebenfalls in Leipzig. 2004 fungierte er als Berater der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Christina Weiss, sowie des Komitees für Migration, Flüchtlinge und Bevölkerung der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2007

Protokoll einer Ernüchterung
Die Abwehrschlacht gegen Erika Steinbachs Zentrumsprojekt

Am 11. August 2000 machte Erika Steinbach, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, die Botschafter von acht ost- und südosteuropäischen Staaten schriftlich mit ihrer Absicht bekannt, eine unabhängige Stiftung zu gründen, die der Aufarbeitung, Dokumentation und Ächtung von Vertreibungen im 20. Jahrhundert gewidmet sein werde. Sie lud die angeschriebenen Länder ein, sich an einem Dialog über die Gestaltung eines solchen Vorhabens zu beteiligen. Dieser Diskussionsanstoß und der vier Wochen später erschienene Gründungsaufruf der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen waren die Auslöser der zwei Jahre später mit Macht einsetzenden öffentlichen Debatte darüber, wo, in welcher Form und in welchem Rahmen der Schicksale von Zwangsdeportierten zu gedenken sei. Beides hätte eigentlich an den Anfang einer Dokumentation unter dem Titel "Vertreibungsdiskurs und europäische Erinnerungskultur" gehört. Doch dann hätte der SPD-Abgeordnete Markus Meckel im Geleitwort schon nicht mehr behaupten können, Frau Steinbach habe "ein fertiges Konzept" erstellt und anschließend die Nachbarn aufgefordert, "sich diesem Konzept einfach nur anzuschließen, ohne an seiner Ausarbeitung beteiligt zu sein".

Eine so wesentliche Auslassung, gepaart mit einer Falschbehauptung über einen Hauptakteur in diesem Diskurs weckt zunächst einmal Misstrauen gegen die Ausgewogenheit der Auswahl und die Lauterkeit des Herausgebers dieser Dokumentation. Zu Unrecht, wie sich bald herausstellt, denn hier wird schonungslos Zeugnis abgelegt von der Mühsal der Geschichtspolitik. Troebst verzichtet darauf, die ausufernd geführte publizistische Vertreibungsdebatte nachzuzeichnen, und bringt stattdessen ans Licht, was der Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben ist: die von Parlamentariern, Regierungsbeamten und Historikern geführte Abwehrschlacht gegen das Zentrumsprojekt.

Es war die feste Absicht der Kulturstaatsministerin Weiß, der Stiftung von Erika Steinbach und Peter Glotz mit einem "Europäischen Netzwerk gegen Vertreibungen" den Wind aus den Segeln zu nehmen. Stefan Troebst sollte ihr dabei helfen. Doch seine Mitschriften von den dazu anberaumten Ministertreffen, Expertensitzungen und Anhörungen lesen sich wie das Protokoll einer Desillusionierung. Von den fünf Ländern, die anfänglich positiv auf Frau Weiß' Initiative reagiert hatten - Polen, Tschechische Republik, Slowakei, Österreich, Ungarn - nahm eines, die Tschechische Republik, mit dem erklärten Willen teil, das ganze Unternehmen zu torpedieren; drei zeigten mehr oder weniger höfliches Desinteresse. Polen, das gleichfalls über weite Strecken Obstruktion - und gleichzeitig sogar ein Konkurrenzprojekt im Europarat - betrieb, sicherte sich am Ende die institutionelle Kontrolle über das im Februar 2005 feierlich ins Leben gerufene "Netzwerk Erinnerung und Solidarität".

Der Name ist Programm, und das Programm heißt: größtmögliche Unverbindlichkeit. Die Dokumente erzählen, wie die ursprüngliche Absicht, sich über Vertreibungen in europäischem Geist zu verständigen, blockiert, verwässert und schließlich zunichte gemacht wurde. Nunmehr soll das Netzwerk offen sein für "die Geschichte des 20. Jahrhunderts, eines Jahrhunderts der Kriege, der totalitären Diktaturen und der Leiden der Zivilbevölkerung - als Opfer von Kriegen, Unterdrückung, Zwangsmigration sowie als Opfer von imperialistischen, nationalistischen, rassistischen und ideologisch motivierten Repressionen". Also für alles und nichts. Wie Troebst im Nachwort zu der Einschätzung kommt, dass diese Gründung "eine europäische Erfolgsgeschichte" sei, bleibt sein Geheimnis, denn seit dem Regierungsantritt der Kaczynskis gibt das Warschauer Sekretariat kaum noch Lebenszeichen von sich.

STEFAN DIETRICH

Stefan Troebst (Herausgeber): Vertreibungsdiskurs und europäische Erinnerungskultur. Deutsch-polnische Initiativen zur Institutionalisierung. Eine Dokumentation. Fibre-Verlag, Osnabrück 2006. 263 S., 24,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Ernüchterung stellt sich bei Rezensent Stefan Dieterich über der Lektüre von Stefan Troebst herausgegebenem Band "Vertreibungsdiskurs und europäische Erinnerungskultur" ein. "Schonungslos" führt der Band, der das Projekt des europäischen Zentrums gegen Vertreibung dokumentiert, für ihn die "Mühsal der Geschichtspolitik" vor Augen. Dabei begrüßt er den Verzicht auf eine Darstellung der uferlosen publizistischen Vertreibungsdebatte, zumal der Band wesentlich interessanteres bietet: die Dokumentation der von Parlamentariern, Regierungsbeamten und Historikern geführten "Abwehrschlacht gegen das Zentrumsprojekt", die der Öffentlichkeit weitgehend verborgen geblieben ist. Troebsts Mitschriften von Ministertreffen, Expertensitzungen und Anhörungen verdeutlichen seines Erachtens, wie das ursprüngliche Konzept mehr und mehr verwässert wurde, bis man sich schließlich auf ein Konzept maximaler Unverbindlichkeit einigte.

© Perlentaucher Medien GmbH