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Ausgeklügelt, elegant, klug und zutiefst radikal: ein kleiner, feiner Anarchistenroman. Mara, eine so depressive wie misanthrope Konferenzdolmetscherin, will endlich ihre Ruhe haben. Ein Jahr mindestens. Und so nimmt sie in einem obskuren Heimatkundemuseum in der Provinz eine Stelle als Saalwächterin an. Dumm nur, dass sie schon rasch befördert wird und einem geschwätzigen Tierpräparator zur Hand gehen soll. Soll das Schweigejahr nicht für die Katz sein, gilt es, drastischere Maßnahmen zu ergreifen - die zu allseitigem Erstaunen eine Art Happy End mit sich bringen (außer vielleicht für den…mehr

Produktbeschreibung
Ausgeklügelt, elegant, klug und zutiefst radikal: ein kleiner, feiner Anarchistenroman. Mara, eine so depressive wie misanthrope Konferenzdolmetscherin, will endlich ihre Ruhe haben. Ein Jahr mindestens. Und so nimmt sie in einem obskuren Heimatkundemuseum in der Provinz eine Stelle als Saalwächterin an. Dumm nur, dass sie schon rasch befördert wird und einem geschwätzigen Tierpräparator zur Hand gehen soll. Soll das Schweigejahr nicht für die Katz sein, gilt es, drastischere Maßnahmen zu ergreifen - die zu allseitigem Erstaunen eine Art Happy End mit sich bringen (außer vielleicht für den Präparator). Sabotage, Wahnsinn und Anarchie: Würde Thomas Bernhard leben, wäre er eine Frau und lebte er in Argentinien - es wäre sein Buch!
Autorenporträt
Peter Kultzen, geboren 1962 in Hamburg, studierte Romanistik und Germanistik in München, Salamanca, Madrid und Berlin. Er lebt als freier Lektor und Übersetzer spanisch- und portugiesischsprachiger Literatur in Berlin.

María Sonia Cristoff wurde 1965 in Trelew, Patagonien, geboren und lebt heute in Buenos Aires. Sie gehört zu den wichtigsten argentinischen Journalistinnen und veröffentlicht regelmäßig in der Tageszeitung "La Nación".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Knapp, aber hymnisch bespricht Irene Bazinger den neuen Roman der argentinischen Autorin Maria Sonia Christoff, die sie für ihre Kunst der grotesken Konstellationen, absonderlichen Assoziationen und Verschrobenheiten schätzt. Mit der Geschichte um die Simultandolmetscherin Mara, die aus Kommunikations-Überdruss beschließt, eine Stelle als Saalwächterin eines Museums anzunehmen und unglücklicherweise bald einem geschwätzigen Restaurator für ausgestopfte Pferde zur Seite gestellt wird, gelingt Christoff einmal mehr eine wunderbar plastische und bizarre Erzählung, die individuelle Erfahrungen mit der Weltgeschichte zu verbinden weiß, schwärmt die Kritikerin. So liest Bazinger neben Verweisen auf Joris Karl Huysmans und oder Bruce Chatwin auch Passagen über die Kolonialisierung Südamerikas, die Probleme von Flugpionierinnen zu Beginn der Luftfahrt oder das Klonen von Tieren und bewundert, wie es der Autorin gelingt, mit beeindruckender Leichtigkeit und Dichte aus dem "Tollhaus der Gegenwart" zu berichten. Nicht zuletzt lobt die Rezensentin die Übersetzung von Peter Kultzen, der Christoffs detailverliebte, "heißkalt schnörkellose" Sprache gekonnt ins Deutsche überträgt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2016

Dem Wörtersee entrinnen
María Sonia Cristoff setzt im Roman "Lasst mich da raus" auf Kommunikationsverweigerung

Es gibt Tage, an denen redet Mara von morgens bis abends. Allerdings möchte sie nichts davon wirklich sagen, all die Worte haben mit ihr rein gar nichts zu tun: Sie ist eine gefragte Simultandolmetscherin und in dieser Eigenschaft auf unzähligen politisch-ökonomischen Kongressen und Konferenzen rund um den Globus unterwegs.

Mara ist Argentinierin, knapp älter als dreißig und hat die Schnauze voll von all den Sprechblasen, die sie in ihrer Banalität immer verzweifelter machen. Sie beschließt, ein Jahr lang das Geschäft mit der Kommunikation zu verlassen und sich der "Kunst des Schweigens" zu widmen. Zu diesem Zweck nimmt sie im "heruntergekommenen Provinzmuseum" einer Kleinstadt, wo sie niemanden kennt, einen Posten als Saalwächterin an, weil sie so ihr Geld verdienen kann, ohne viel reden zu müssen.

In dieser Phase ihres Selbstversuchs, den sie "Gleichmütigkeitsprojekt" nennt ("nur das Allernötigste sagen, vor allem aber: keine einzige Frage stellen"), beginnt der Roman "Lasst mich da raus". Alles läuft gut für Mara, dann jedoch sollen zwei von ihr beaufsichtigte ausgestopfte Pferde, identitätsstiftende Symbole des argentinischen Nationalstolzes, für eine Ausstellung restauriert werden, und ausgerechnet sie wird ausgewählt, um dem überaus geschwätzigen Tierpräparator temporär zu assistieren. Dadurch geraten ihr subtiles Gleichgewicht des Schweigens und der Rückzug aus der Welt des rhetorischen Overkills in arge Gefahr.

Die 1965 geborene argentinische Autorin María Sonia Cristoff ist eine Spezialistin für bizarre Konstellationen, die sie in aller kuriosen Verschrobenheit und abgründigen Assoziationsfülle auf erstaunlich knappem Raum plastisch wie animiert auszuführen vermag. In ihrem neuen, wieder hochkonzentrierten Roman verschmilzt sie das private Schicksal der weitgereisten Mara, die nichts mehr hören und sehen will, mit theoretischen Erwägungen über die gesellschaftlichen Zusammenhänge dieser Verweigerung. Die "Sättigung", eine der "stärksten Triebfedern, die sich auf Erden überhaupt finden lassen", spiegelt sich nicht bloß im individuellen Erfahrungskosmos der Erzählerin, die alles, was sie hinter sich lässt, "gnadenlos satt" hat, sondern in der gesamten Weltgeschichte. So sind die stets im Präsens gehaltenen narrativen Sequenzen des Romans durch Auszüge aus einem Notizheft unterbrochen, in denen Mara Artikel, Chroniken oder Bücher anderer Autoren wie Joris-Karl Huysmans oder Bruce Chatwin zitiert. Sei es die Kolonialisierung Südamerikas oder das übermütig unfachgerechte Anlegen eines Ziergartens, das Klonen von Tieren oder die Schwierigkeiten, die Flugpionierinnen zu Anfang der Luftfahrt hatten - immer steht die vergangene wie die vergehende Zeit im Mittelpunkt. Denn die Moderne ist auch in Argentinien nicht zu stoppen, die Mythen des Landes werden dekonstruiert, der Begriff der Nation als "Bollwerk" gegen ausländische Einflüsse gerät mit der Globalisierung ins Wanken, Autos haben längst die hochgeschätzten einheimischen Pferde abgelöst.

Mara sieht sich mit ihrem einsamen Standhalten plötzlich auf dem Weg "vom Überdruss zum Anarchismus". Wut ist das stärkste Gefühl, das sie in sich entdeckt, weil sich der Lauf der Dinge nicht bremsen, schon gar nicht zum Besseren wenden lässt. Im Spannungsfeld von Tradition und Chaos verschlägt es der Übersetzerin irgendwann tatsächlich die Sprache. Es entpuppt sich als Ausweg aus dem Tollhaus der Gegenwart: Schweigen als Chance, Besinnung als Aufbruch.

Im magischen Realismus der María Sonia Cristoff passt alles ohne literarische Kraftanstrengung zu allem und wird dabei ebenso federleicht in Frage gestellt. Ihre souveräne wie heißkalt schnörkellose Prosa, von Peter Kultzen elegant aus dem Spanischen übertragen, mäandert zielsicher durch die Irrungen der Zeit und der Zeiten, präzise surreal und grotesk wie bewegend bis in liebevoll überformte Details: "An der gekachelten Wand lehnt ein Wischmopp mit einer Plastikstange, bei dessen Anblick sie unweigerlich an die dünnen Männchen von Giacometti denken muss, nur dass dieses hier sozusagen weint."

IRENE BAZINGER

María Sonia Cristoff: "Lasst mich da raus". Roman.

Aus dem Spanischen von Peter Kultzen. Berenberg Verlag, Berlin 2015. 160 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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