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1970 verließ die junge Mexikanerin Alma Guillermoprieto New York, um in Havanna als Dozentin an der Staatlichen Ballettschule zu lehren. Fast ein Jahr lang arbeitete sie in Studios ohne Spiegel. Ihre schlecht ausgebildeten, aber vor Ehrgeiz glühenden Schüler trainierten ohne dieses als individualistisch verschrieene Hilfsmittel. Und doch fand die junge Frau inmitten chronischen Mangels und revolutionärem Durcheinander ein Volk von begeisterten, hingegebenen Menschen, die sie tief berührten und ihr Leben in neue Bahnen lenkten. Dieses großartige Erinnerungsbuch einer Frau, die heute als eine…mehr

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Produktbeschreibung
1970 verließ die junge Mexikanerin Alma Guillermoprieto New York, um in Havanna als Dozentin an der Staatlichen Ballettschule zu lehren. Fast ein Jahr lang arbeitete sie in Studios ohne Spiegel. Ihre schlecht ausgebildeten, aber vor Ehrgeiz glühenden Schüler trainierten ohne dieses als individualistisch verschrieene Hilfsmittel. Und doch fand die junge Frau inmitten chronischen Mangels und revolutionärem Durcheinander ein Volk von begeisterten, hingegebenen Menschen, die sie tief berührten und ihr Leben in neue Bahnen lenkten. Dieses großartige Erinnerungsbuch einer Frau, die heute als eine der besten Lateinamerika-Spezialisten für den New Yorker schreibt, führt zurück in eine Zeit, als noch ein ganzer Kontinent an Fidel Castros Lippen hing, während das politische Experiment, über das er stundenlang redete, bereits gescheitert war, als Tänzer und Revolutionäre dieselbe geschichtsträchtige Bühne bevölkerten und selbst ein Pas de Deux sich in einen zutiefst politischen Akt verwandeln konnte.
Autorenporträt
Alma Guillermoprieto, geboren in Mexiko, aufgewachsen in den Vereinigten Staaten, lebt heute in der mexikanischen Hauptstadt. Seit über zwanzig Jahren berichtet sie unter anderem für den New Yorker und die New York Review of Books aus Lateinamerika und gilt längst als eine Autorität auf dem Gebiet der politischen Reportage. Ihre Arbeiten finden sich in zwei Büchern gesammelt: The Heart that bleeds (1994) und Looking for History (2001). 1991 erschien Samba, ein Buch über Brasilien und seine musikalische Volkskultur.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.01.2010

Noch jung und schon gelähmt
Verzweifelt im revolutionären Kuba: Alma Guillermoprietos „Havanna im Spiegel”
Im Jahr 2008 wurde Alma Guillermoprieto vom US-Magazin Foreign Policy unter die 100 einflussreichsten Intellektuellen gezählt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten schreibt die mexikanisch-amerikanische Journalistin unter anderem für den New Yorker und die New York Review of Books über Lateinamerika. Zwei Sammelbände mit ihren Reportagen sind in den USA bereits erschienen. Nun hat der Berenberg Verlag mit seiner Ader für journalistische Arbeiten von literarischem Wert ein Buch Guillermoprietos ins Deutsche übersetzen lassen, ihr jüngstes Werk „Dancing with Cuba” aus dem Jahr 2004. „Havanna im Spiegel” ist allerdings kein weiterer Band mit Reportagen, sondern eine ausgreifende, zusammenhängende Erinnerung an das Jahr 1970.
Guillermoprieto ist damals gerade 21 Jahre alt, lebt in New York und denkt nicht im Traum daran, einmal Journalistin zu werden. Stattdessen gehört sie zu den fortgeschrittenen Schülern im Tanzensemble von Merce Cunningham und schaut herab auf alle Nichtkünstler und Nicht-Avantgardisten. Trotzdem steckt sie voller Selbstzweifel. Als Cunningham ihr die Möglichkeit eröffnet, ein Jahr als Lehrerin für Modernen Tanz nach Havanna zu gehen, folgert sie, dass der Meister bereit ist, auf sie zu verzichten. Enttäuscht nimmt sie das Angebot aus Kuba an. Zwar wird sie schließlich nur ein halbes Jahr bleiben. Aber das reicht, um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben.
„Eine Erinnerung an die Revolution” heißt das Buch im Untertitel. Das orientiert und führt zugleich auf eine falsche Fährte. Denn Guillermoprieto schildert nur zur Hälfte ihre Eindrücke vom jungen und doch schon lahmenden Sozialismus. Die andere Hälfte ihrer Rückschau gilt der Seelen- und Bewusstseinskrise einer einsamen jungen Frau, die sie selbst war. Diese doppelgleisige Besinnung wirkt mitunter irritierend, weil die Autorin hierzulande noch keinen Namen hat und also nicht von vornherein die Autorität besitzt, sich selbst ebenso wichtig zu nehmen wie ihr vermeintliches Thema Kuba. Man muss Guillermoprietos heutigen Rang mitdenken, um ihren Erinnerungscocktail genießen zu können. Dann erst begreift man ihren Bericht auch als ein Stück existentieller Archäologie zum Thema Wie-ich-wurde-was-ich-bin.
Die überzeugte Verfechterin der New Yorker Avantgarde wird im Tanzunterricht in Havanna bald mit einem ganz anderen, alternativen Avantgarde-Begriff konfrontiert. „Hier ist vanguardia das, was mit der Partei zu tun hat”, erklärt ihr einer der eifrigen Schüler. „Bei euch ist es etwas”, ergänzt, halb fragend, eine andere, „das die Leute vielleicht nicht verstehen, das aber neue Wege in der Kunst eröffnen kann”. Die Volksferne des eingeflogenen Avantgarde-Gedankens missfällt den Schülern. Trotzdem würden sie gern mal eine exemplarische Choreographie vorgetanzt bekommen. Alma, kaum älter als ihre Schüler, weiß allerdings nicht, ob sie Cunninghams Arbeit einfach unentgeltlich ausleihen darf. „Das musst du mir jetzt erklären”, hakt der Schüler nach, „er verkauft sein Kunstwerk, als ob es eine Ware ist?”
Die Ruhe ist nicht revolutionär
Auch mit der Vermittlung von Cunninghams Konzept der stillness, des ruhenden, interesselosen „Seins” stößt die junge Lehrerin an Grenzen. Castro fordert allerorten Bewusstsein, revolutionäres Bewusstsein zudem. Alma zeigt mit dem eigenen Körper, worauf ihr New Yorker Meister hinaus will. „Aber es war nutzlos: Ruhe mitten in einer Revolution zu suchen hatte keinen Zweck.” Guillermoprieto wird durchaus mitgerissen vom kubanischen Aufbruchsgeist, wundert sich aber zugleich über die verbreitete Großtönerei.
Ein kritischer Künstlerfreund erklärt ihr: „Absolut alles wird hier ideologisiert. Du kannst nicht sagen, dass du Makkaroni lieber magst als Spaghetti, ohne sofort in eine Debatte über Dialektik und Kulturkolonialismus verwickelt zu werden.” Eine Nebenwirkung dieser über die Ufer getretenen Ideologisierung behindert Almas tägliche Arbeit. Es gibt im Tanzsaal keine Spiegel, denn das elementare Hilfsmittel zur tänzerischen Körperkontrolle steht unter Verdacht, einen allzu individualistischen Hochmut zu schüren.
Stärker als den einen oder anderen Ärger empfindet Guillermoprieto allerdings bald eine persönliche Schuld. Die politisierte Jugend der Insel macht ihr schmerzlich klar, wie wenig sie selbst bisher über die Ungerechtigkeit der Welt nachgedacht oder dagegen gehandelt hat. Dass sie in den USA noch auf keiner Anti-Vietnam-Demo war, wagt sie niemandem zu sagen. Sie entflammt für Fidel, erträumt sich sogar eine zufällige Affäre mit ihm und phantasiert – endlich im Vollbesitz der nötigen Schlagworte – vom nahenden Zusammenbruch des Kapitalismus.
Gleichzeitig stößt sie die strukturelle Kunst- und Intellektuellen-Feindlichkeit der revolutionären Kader ab. So kommt irgendwann mehrerlei Unglück zusammen: Als Tänzerin ohne Projekt, als Revolutionärin unbegabt, als kritischer Geist alleingelassen beschließt Alma Guillermoprieto, sich umzubringen. Denn von allem anderen abgesehen sind ihr auch die tropische Hitze und das ständige Gegrapsche der Männer unerträglich. Die gealterte Autorin hält sich mit abgeklärten Kommentaren aus der Jetztzeit angenehm zurück. Sie schildert ihre jugendliche Verzweiflung, die nachgeholte Politisierung und simultane Frustration durch die Revolution weitgehend aus den Augen der naiv-intelligenten Tänzerin. Das führt den Leser näher an Almas aufgewühltes Herz heran.
Die zahlreichen Wortwechsel – Guillermoprieto weist darauf bereits im Prolog hin – sind allerdings nur selten authentisch, sondern weitgehend „nachgebaut”, dies aber mit erheblichem Geschick. Bei soviel Fingerspitzengefühl verwundert es jedoch, dass die Autorin, vor allem gegen Ende des Buches, immer loser mal dieses, mal jenes näher beleuchtet und dabei den anfänglichen Zug weitgehend verliert. Oder hat sie den Leser einfach nur gekonnt hingehalten, bis sich am Schluss das Disparate ihrer Erinnerungen nicht mehr kaschieren lässt?
Etwas unbefriedigt bleibt man in der Tat zurück, weil Guillermoprieto weder den politischen noch den persönlichen Bogen sauber abschließt. Ebenso gut könnte man die Autorin allerdings dafür bewundern, dass sie das bizarre Dreieck aus Tanz, Revolution und Todessehnsucht überhaupt zwischen zwei Buchdeckel bekommen hat.
Eine gültige Kurzformel für ihre problematische Beziehung zur Insel hat sie womöglich erst vor wenigen Jahren gefunden, als sie im Interview einen entsprechenden Fragekomplex mit den Worten abrundete: „Was kann ich sagen? Kuba ist tropisch, ich bin es nicht.” MERTEN WORTHMANN
ALMA GUILLERMOPRIETO: Havanna im Spiegel. Eine Erinnerung an die Revolution. Berenberg Verlag, Berlin 2009. 397 Seiten, 25 Euro.
Kein Ort für Traumtänzer: Havanna in der Dämmerung, 1977 Foto: akg-images / AP
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Merten Worthmann sieht in diesen Erinnerungen der amerikanischen Autorin Alma Guillermoprieto einen weiteren Beleg für das Gespür des Berenberg Verlag, literarisch hochstehenden Journalismus ausfindig zu machen. Die hierzulande eher unbekannte Guillermoprieto, setzt uns Worthmann in Kenntnis, gehört in den USA zu den profilitiersten Autorinnen, vom Magazin Foreign Policy wurde sie zu den hundert einflussreichsten Intellektuellen gerechnet. In diesem Buch erinnert sie sich an das Jahr 1970, da sie, als junge sehr avantgardistische Tänzerin im Ensemble von Merce Cunningham, vom Meister nach Kuba als Lehrerin geschickt wird. Gekränkt bis verzweifelt ob dieser Zurückweisung, begibt sie sich ins revolutionäre Havanna, in dem Avantgarde vor allem Parteinähe bedeutete und Spiegel im Tanzsaal nicht geduldet wurden, weil sie dem "individualistischen Hochmut" Vorschub leisteten. Und auch wenn sich ihr Entsetzen über die "strukturelle Kunst- und Intellektuellenfeindlichkeit" schwerlich mit dem Willen zur Revolution verbinden lassen, so wie auch die politischen und persönlichen Bögen in diesen Erinnerungen manchmal ein wenig disparat verlaufen, so bewundert Worthmann doch, wie Guillermoprieto das "bizarre Dreieck aus Tanz, Revolution und Todessehnsucht" abschreitet.

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