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Der Autor Jens Sparschuh schafft es ganze 26 mal, einen Reiseroman zu erzählen mit Wörtern, die alle mit dem gleichen Buchstaben des Alphabets beginnen. Sein Reiseroman endet schließlich beim 'zynischen Zoll', dessen Geschichte 1985 beim ersten Erscheinen in der DDR die Zensur nicht schadlos überstand. Der Geraer Künstler Kay Voigtmann hat die Geschichten eigenwillig illustriert - filigran und detailreich. Sie wirken ebenso skurril und überraschend wie Sparschuhs Wortwitz.

Produktbeschreibung
Der Autor Jens Sparschuh schafft es ganze 26 mal, einen Reiseroman zu erzählen mit Wörtern, die alle mit dem gleichen Buchstaben des Alphabets beginnen. Sein Reiseroman endet schließlich beim 'zynischen Zoll', dessen Geschichte 1985 beim ersten Erscheinen in der DDR die Zensur nicht schadlos überstand. Der Geraer Künstler Kay Voigtmann hat die Geschichten eigenwillig illustriert - filigran und detailreich. Sie wirken ebenso skurril und überraschend wie Sparschuhs Wortwitz.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2004

Zoll zückt Zettel
Jens Sparschuhs Reiseroman „Waldwärts” aus dem Jahre 1985
In Diktaturen sieht man es nicht ungern, wenn Dichter mit der Sprache spielen - sie könnten auch auf schlimmere Gedanken kommen. Was aber am Sprachspiel bloß spielerisch-harmlos und was daran zuletzt doch politisch und anstößig ist, bestimmt im Zweifelsfall der Zensor. So erging es Jens Sparschuh 1985 mit seinem „von A bis Z erlogenen” Reiseroman „Waldwärts” in der DDR. Weil sich in diesem ästhetisch alliterierenden Alphabet zu allerletzt doch Spurenelemente einer unschönen Wirklichkeit verirrt hatten, musste das Wörtchen „zynisch” aus der Verbindung mit „Zoll” gestrichen werden. Zoll zückt Zettel, / zählt / zynisch / Zündhölzchen, so darf es nun aber endlich in der Neuausgabe heißen, zu der Kay Voigtmann groteske Packpapierzeichnungen von Menschen und Tieren beigesteuert hat, die damals wohl auch den Ärger der Zensur auf sich gezogen hätten. Diesmal aber hat es der Zeichner den zynischen Zöllnern so richtig gezeigt. Vor einem Laternenmast, an dem ein Schild mit der Aufschrift „Zerrgebiet” befestigt ist (schließlich sind wir im Z-Kapitel), sieht man zwei besonders fiese Vertreter dieses Berufs mit ausgesuchtem Zynismus Zündhölzer zählen, die sie wahrscheinlich gerade erst beschlagnahmt haben.
Bei Buchstabenexperimenten im Roman vermutet man gern Georges Pérec und die französische Schule als Vorbild, aber hier fühlt man sich eher an den Kinderbuchklassiker „Lustiges Tier-ABC” des großen Franz Fühmann aus dem Jahre 1962 erinnert. Obwohl es sich bei Sparschuhs Roman fraglos um ein Experiment handelt, scheut man sich, ihn „experimentell” zu nennen. Dafür fehlt ihm die Sittenstrenge einer Art von Literatur, die sich von der Poesie dort am meisten verspricht, wo sie ganz „Verfahren” geworden ist. In „Waldwärts” hingegen hat sich der Autor wie zum Zeitvertreib eine Sprach-Übung auferlegt: Wie weit kommt man durch den Wald und die Welt, wenn man alle Wörter des jeweiligen Kapitels mit dem selben Buchstaben zu beginnen hat?
Es jeht janz jut, kann man feststellen, denn es darf berlinert werden, was es dem „J”-Kapitel ermöglicht, „Julius’ Jargon” zu reproduzieren: „jaloppierte jeradezu jelassen jeradeaus.” So gut gelaunt, ja albern geht es auf diesen Seiten immer wieder zu, und nicht von ungefähr kommt einem Heinz Erhardt in den Sinn („gerade Gewürzgurke gegessen”). Ab geht also die Post und führt beim Buchstaben B bereits in ein Berlin, in dem die Leute „knorke” sagen und „Berta Buhmke” heißen. In der City alles wie erwartet: „Chausseestraße,/ Chaos:/ Chrom. Coupés./ Chaisen.” Keine Frage, dieser Reiseroman spielt weder heute noch in der DDR des Jahres 1985, sondern in einem mit geringem atmosphärischen Aufwand alludierten Vorkriegs-Berlin. Und so geht die Reise dahin, registriert „großes Gähnen” auf „Gustavs Gartenparty” und „kolossales Krachen, / Klirren, Knirschen / kollidierender Karossen” auf der „Königgrätzer/ Ecke Kopenhagener”. Mit einem Audi und 26 Buchstaben, so viel ist klar, kommt man eigentlich überall hin. Nebenbei auch zum Nordpol, wenn auch festzuhalten ist: „Nebenbei notiert: nächtliche Nieserei nahm Nordpolnahme netten, nostalgischen Nimbus”. Endlich aber muss es auch einmal „waldwärts” gehen, und das tut es im 23. Kapitel. Woran sich die heikle X-Frage anschließt und, schlimmer noch, die nach dem Y. XY bleibt ungelöst, denn dazu fallen selbst Sparschuh keine Wörter ein. Schließlich sind wir „zurück am Ziel”, wo „Zäune. Zäune. Zäune” warten (auch das wäre ein Fall für den Zensor gewesen) und „zahllose (zivilisierte!) Zuschauer” Zungen zeigen und zuhause „Zuckerschnecken” und „zähe Zwiebelzervelatwurst” gereicht werden. Damit wir nicht vergessen, dass dieses Buch in der DDR geschrieben wurde.
CHRISTOPH BARTMANN
JENS SPARSCHUH: Waldwärts - Ein Reiseroman von A bis Z erlogen. Mit Illustrationen von Kay Voigtmann. Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, Wien, Zürich 2004. Unpaginiert, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2004

Wortlos beim X
Jens Sparschuhs Buchstabenspiel "Waldwärts" als illustriertes Buch

Aufgeschlagen, angesehen, artistische Arbeit akklamiert, Anlage aller Abschnitte angestaunt. So ungefähr müßte eine Rezension aussehen, die Jens Sparschuhs Reiseroman "Waldwärts" gerecht werden wollte. Denn der 1985, noch in der DDR, erstmals erschienene Text gliedert sich in sechsundzwanzig Kapitel, die jeweils nur aus Wörtern bestehen, die mit dem gleichen Buchstaben beginnen: das ganze Alphabet durch.

Diese ans Wahnwitzige grenzenden poetologischen Konzepte kannte man bislang vor allem von dem französischen Schriftsteller Georges Perec, der es 1969 fertiggebracht hat, einen ganzen Roman zu verfassen, in dem kein einziges "e" vorkommt. Allerdings ist "La Disparition" deutlich umfangreicher ausgefallen als Sparschuhs angeblicher Reiseroman, der doch eher den Eindruck eines Gedichtzyklus erweckt, auch wenn durch das Leitmotiv einer Autofahrt eine narrative Klammer geschaffen wird. Doch schon die Notwendigkeit, die Protagonisten wechseln zu lassen, weil sich natürlich auch die Namen den jeweiligen Buchstabenvorgaben anpassen müssen, zerstört den angedeuteten Erzählfluß.

Doch das ist kein Verlust, denn der Reiz des Projekts ergibt sich allein aus seinem rigiden Konzept. Dabei kann man es Sparschuh nachsehen, daß er bisweilen trickst - etwa beim Buchstaben J, wo kräftig berlinert wird, um Begriffe wie "Jeschenke", "jrößter Jeheimtip" oder "jaloppierte" einbeziehen zu können. Aber da die Erzählung schon im B-Kapitel die Peripherie und im C-Teil die City Berlins erreichte, hat diese Lösung einiges für sich. Ärgerlicher ist die gelegentliche Verwendung fremdsprachlicher Wendungen wie "et cetera", "last not least" oder "peu à peu", die zwar im Deutschen wie ein einziger Begriff verwendet, aber denn doch nicht so geschrieben werden, weshalb im Schriftbild die strenge Geschlossenheit des Konzepts verlorengeht. Und wie Sparschuh bei G der Satz "Geradegehen geht gegenwärtig gerade so" durchrutschen konnte, ist unbegreiflich.

Entschädigt wird man durch wunderbare Ideen, etwa die arabische Grußformel "Salem suleikam", den stummen X-Abschnitt, das einsame "Yes!" beim Y, das eine frivole Zweisamkeit andeutet, oder die grandiose Pointe am Ende des C-Kapitels, wo mit Begriffen wie Champagner, Cherry, Cognac, Cointreau oder Cincano ein großes Besäufnis geschildert wird und dann auf einer Extraseite nur ein einziges Wort steht: Charité. Auf solche Weise ermöglicht Sparschuh einen Assoziationsspielraum, der die zwangsläufigen Lücken in den geschilderten Begebenheiten leicht ausfüllen läßt.

Das Buch hätte wohl dennoch keine Neuauflage erlebt, wenn die Büchergilde Gutenberg nicht auf den Gedanken gekommen wäre, den Text von Kay Voigtmann illustrieren zu lassen. Der in Gera lebende sechsunddreißigjährige Maler ist am Beginn einer großen Karriere, hat jüngst erst die Bilder zu Burkhard Spinnens Erinnerungsbuch "Lego-Steine" gezeichnet, und seine detailverliebten aquarellierten Collagen zu "Waldwärts" stehen in bester Tradition sowohl der Buchkunst der zwanziger Jahre (denen viele Motive ihre Stimmung verdanken) als auch moderner Illustration, wie sie Michael Matthias Prechtl oder der britische Zeichner David Hughes entwickelt haben. Insektengleich sind die Menschen gezeichnet, mit dürren Extremitäten und seltsam verwachsenen Gesichtern, und die durchweg bronzebraune Farbgebung trägt zusätzlich dazu bei, daß die Figuren wie aus Chitin geschnitten erscheinen.

Doch was Voigtmanns Illustrationen besonders gelungen macht, ist nicht einmal seine ersichtliche Freude am Spiel, die ihn etwa auf einem Nummernschild die Initialen und das Geburtsdatum Sparschuhs unterbringen läßt, sondern die weitgehende Unabhängigkeit seiner Zeichnungen vom Text. Auch Voigtmann läßt sich auf die assoziative Freiheit ein, die Sparschuhs Text gestattet, und bebildert deshalb bisweilen allegorisch und dann auch wieder dem Wortlaut der Vorlage entsprechend. Konstanze Berner als bewährte Buchgestalterin hat dazu ein Seitenlayout entwickelt, das Text und Bild gleichwertig behandelt und dadurch das Wechselgespräch zwischen beiden erst ermöglicht. Es ist leichter, Sparschuhs Text zu lesen, wenn man Voigtmanns Bilder hat. Das schönste Ziel eines illustrierten Buches ist somit erreicht. Zugeklappt, zufrieden zurückgelehnt, zwinkernde Zustimmung zum zauberhaften Zieleinlauf.

ANDREAS PLATTHAUS

Jens Sparschuh: "Waldwärts". Ein Reiseroman von A bis Z erlogen. Mit Illustrationen von Kay Voigtmann. Edition Büchergilde, Frankfurt am Main 2004. 132 S., Abb., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Zugeklappt, zufrieden, zurückgelehnt, zwinkernde Zustimmung zum zauberhaften Zieleinlauf", urteilt Andreas Platthaus abschließend über Jens Sparschuhs bereits 1985 in der DDR erschienenen Text. Dieser "von A bis Z erlogene" Reiseroman beschreibt eine Autofahrt in 26 Kapiteln, in denen - angelehnt an das Alphabet jeweils nur Worte des gleichen Buchstabens verwendet werden. Der Reiz des Textes, so der Rezensent, liege in dem "ans Wahnwitzige grenzende poetologische Konzept". So sieht er ihm das Berlinern beim Buchstaben J nach, ärgert sich aber über Fremdwörter, wie peu a peu, die im Schriftbild "die Geschlossenheit des Konzeptes" stören. "Wunderbar" findet er Ideen wie den "stummen X-Abschnitt" oder die "grandiose Pointe" bei C, wo die Aufzählung von alkoholischen Getränken auf einer Extraseite mit dem einzigen Wort "Charite" endet. Platthaus lobt diesen geschaffenen "Assoziationsraum", den auch Illustrator Kay Voigtmann richtig nutze. Ihn macht er auch für die Neuauflage verantwortlich. Die "detailverliebten aquarellierten Collagen", mal allegorisch mal textgenau, lassen den Text verständlicher werden, lobt Platthaus. Betont wird auch die "bewährte Buchgestalterin" Konstanze Berner.

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