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Der neue Roman des serbischen Autors Dragan Velikic erzählt die Geschichte von Adam Vasic, der anlässlich der Dreißigjahrfeier seines Abiturs in seine kroatische Geburtsstadt Pula zurückkehrt. Dort lebt sein alter Schulfreund Stevan, der sich im Leben nicht zurechtgefunden hat und in ein Asyl in einer alten Villa am Rande der Stadt verbracht wurde. Stevan ist von einer historischen Figur besessen: Viktor von Domaszewski, der während der k. u. k.Monarchie in Pula lebte und vom Bau eines visionären Hafens träumte, bis er eines Tages spurlos verschwand. Als Adam sich daranmacht, das Rätsel…mehr

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Produktbeschreibung
Der neue Roman des serbischen Autors Dragan Velikic erzählt die Geschichte von Adam Vasic, der anlässlich der Dreißigjahrfeier seines Abiturs in seine kroatische Geburtsstadt Pula zurückkehrt. Dort lebt sein alter Schulfreund Stevan, der sich im Leben nicht zurechtgefunden hat und in ein Asyl in einer alten Villa am Rande der Stadt verbracht wurde. Stevan ist von einer historischen Figur besessen: Viktor von Domaszewski, der während der k. u. k.Monarchie in Pula lebte und vom Bau eines visionären Hafens träumte, bis er eines Tages spurlos verschwand. Als Adam sich daranmacht, das Rätsel Domaszewski zu lösen, tut sich zwischen den Mauern der alten Villa ein bedrohlicher Abgrund auf.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.09.2004

Der Koffer der Erinnerung
Sehnsucht nach Schiffen: Dragan Velikic kehrt nach Pula zurück

Die istrische Stadt Pula ist für das Werk Dragan Velikics das, was Danzig für Günter Grass oder Dublin für James Joyce bedeutet. "Via Pula" hieß sein erster Roman von 1991. Auch "Dante Platz" (1999) spielte in der Hafenstadt am Mittelmeer. Die Älteren erinnerten sich daran, wie es früher war, in der italienischen oder in der österreichischen Zeit, von der nur einige Gebäude geblieben sind. Den Jüngeren wurde erst später klar, was es bedeutet, wenn Machtverhältnisse wechseln. Jetzt sprechen sie von der jugoslawische Zeit als einer fernen Vergangenheit. Velikic trat 1999 der "Gruppe 99" bei, in der serbische, kroatische, bosnische und slowenische Autoren Zusammengehörigkeit demonstrierten. Zuvor war er vier Jahre lang Chefredakteur des regimekritischen Senders Radio B92.

1953 in Belgrad geboren, wuchs er im kosmopolitischen Pula auf. In seinem neuen Roman "Dossier Domaszewski" läßt er Adam Vasic, einen Mann um die Fünfzig, nach Pula zurückkehren. Anlaß der Reise sind die Dreißigjahrfeier seines Abiturs und der Tod des Vaters, dessen Bankkonto er auflösen muß. Doch diese Verpflichtungen spielen kaum eine Rolle und werden im Verlauf der Erzählung mit ein paar raschen Sätzen erledigt. Adam Vasic versucht, an alte Freundschaften anzuknüpfen. Er trifft sich mit dem schürzenjägerischen Zdravko, der zum Rechtsanwalt wurde. Er hofft darauf, seiner ersten Jugendliebe Sandra zu begegnen. Doch die lebt mittlerweile in London, so daß er sich in Erinnerungen an sie verliert: an den ersten Kuß, an die Nacht, als er in einem Wäldchen beim Friedhof zum ersten Mal mit ihr schlief, an den Augenblick, als sie ihm beiläufig mitteilte, sie habe vor ihm schon mit Zdravko geschlafen.

Und dann ist da noch Stevan, der wichtigste Freund von damals. Er ist gerade zum wiederholten Mal aus einer psychiatrischen Klinik geflohen, die am Rand der Stadt in einer alten Villa untergebracht ist. Früher war sie der Ort unschuldiger Kinderspiele. Nun besucht Adam Vasic hier das Krankenzimmer des abwesenden Freundes. Diese leere Gedächtniskammer, in der er mit seinen Erinnerungen und einem anderen Patienten, der ihm einen Apfel anbietet, allein ist, bildet das Zentrum des Romans. Der stille Ort außerhalb von Raum und Zeit ist der ruhende Pol inmitten all dieser Suchbewegungen, dieser Bewußtseinsreise in die Tiefenschichten der eigenen Herkunft und in die Historie. Es ist die große Kunst Dragan Velikics, die Geschichte des Landes und individuelles Erleben so miteinander zu verflechten, daß sie ununterscheidbar sind. Auch Stevan hat das Unterscheidungsvermögen verloren. Er ist besessen von der Geschichte des Hafenbaumeisters Victor Domaszewski, den er für seinen Vorfahren hält. Domaszewski entwarf großartige Pläne für Hafenanlagen, die viel zu teuer und gewaltig gewesen wären, um realisiert zu werden. Eines Tages verschwand er spurlos - so wie auch Stevan verschwunden ist.

Adam Vasic steht zu diesem imaginären Hafenbaumeister in einer merkwürdigen, inneren Verbindung, denn er wird als "nichtrealisierter Kapitän langer Schiffswege" vorgestellt, der "sich mit Zügen abgab, um die Sehnsucht nach den Schiffen zu unterdrücken". Das Reisen ist demnach nur ein Ersatz und ist doch seine natürliche Bewegungsform, als gäbe es keinen Ort, an den er gehört, seit er Pula verlassen hat. Die Fahrt im Zug, so heißt es gleich zu Beginn, "ist ein Intervall, die Gedanken liegen unausgepackt in den Koffern des Gedächtnisses". Der Zug bewegt sich wie eine Sonde durch die Zeit und diktiert den Rhythmus der Erinnerungen. Früher, in den Schlafwagen der Jugoslawischen Eisenbahn, standen Glaskrüge mit langem Hals als fixe Orientierungspunkte in den wechselnden Landschaften des Unterwegsseins. Sie wurden häufig geklaut, den sie ließen sich auch als Weinflaschen gebrauchen. An den Wänden der Zugabteile hingen Bilder der jugoslawischen Provinzen. Was ist aus diesen Bildern, aus den Krügen geworden? Wo sind die Waggons geblieben, die beim Zerfall des Staates gerade nicht in ihren Heimatbahnhöfen parkten? Wer benutzt heute die alten Stempel, die Uniformen, die Fahrpläne? Bekannt ist nur das Schicksal der Villen Titos, denn das steht in der Zeitung: In den Ruinen hausen die Hirsche und die Rehe.

Weil die eigene Geschichte in den Zerfall des Landes eingeschrieben ist, droht auch sie zu einer Verfallsgeschichte zu werden. Sie ist assoziativ, brüchig und so sprunghaft wie die Erinnerung selbst. Es gibt keine übersichtliche Chronologie, nur wilden Andrang, keine biographische Linie, sondern disparate Bilder. Velikic kann Bedeutendes in einem Nebensatz verstecken, kann aber auch jeden einzelnen Moment erzählerisch unendlich dehnen, wenn er die aufgerufenen Erinnerungen zum Delta auffächert. Die Gegenwart verschwindet darin. Sie bezeichnet die Position des Gedächtnisses, gewinnt aber keine eigene Bedeutung. Alles Empfinden ist auf die Vergangenheit ausgerichtet.

Adam Vasic bringt von all seinen Reisen Steine mit, die er numeriert und in einem großen Glas aufbewahrt - vielleicht in einem Krug aus der Eisenbahn. Auf einer Liste trägt er ein, wann und wo er welchen Stein gefunden hat. Das Verfahren erinnert an nordamerikanische Indianer, die einen Gürtel mit Duftfläschchen tragen. Wenn ihnen etwas passiert, was sie nie vergessen wollen, öffnen sie eines der Fläschchen und riechen daran, damit sich Duft und Ereignis verbinden. Wenn sie in Zukunft an diesem Fläschchen riechen, können sie damit den vergangenen Moment heraufbeschwören. Doch Adam Vasic sammelt nicht besondere, sondern unscheinbare Augenblicke. Das ist auch dem Motto von Louis-Ferdinand Céline zu entnehmen, das Velikic seinem Buch vorangestellt hat: "Es ist nicht möglich, alles aufgrund von Tatsachen, Ideen und Worten zu erklären. Denn es existiert darüber hinaus auch all das, was man nicht weiß, und das, was man nie erfahren wird."

Es sind solche kleinen Fundstücke, die den Reiz dieser Prosa ausmachen. Ein Handlungsverlauf läßt sich nicht nacherzählen. Das wäre so, wie wenn man einen Traum in Worte zu fassen versucht. Aber genau das ist Velikic geglückt. "Das Leben ist das Material für die Träume", heißt es einmal. Er baut seine suggestive Prosa aus einzelnen, intensiven Bildern und metaphorischen Szenen von unmittelbarer Ausdruckskraft. Bärbel Schulte hat diesen poetischen, geheimnisvollen Erzählton scheinbar verlustfrei vom Serbischen ins Deutsche transponiert und seine schöne Magie bewahrt.

JÖRG MAGENAU

Dragan Velikic: "Dossier Domaszewski". Roman. Aus dem Serbischen übersetzt von Bärbel Schulte. Marebuchverlag, Hamburg 2004. 186 S., geb., 18,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.06.2004

Ein Pfirsich auf den Bergen des Herzens
Kakanien war und bleibt: Dragan Velikic legt das Dossier eines möglichen Architekten an
Dieses Buch ist kein Pageturner. - Hier müsste jetzt eigentlich ein Aber kommen, das die feineren Qualitäten des Werkes jenseits von Spannung und Lesesog hochhält, welche für die ein oder andere Lektüremühe und Kopfanstrengung reichlich entschädigten. Mit diesem „Aber” jedoch tut der Rezensent sich schwer. Er ahnt zwar, in welche Richtung man opportunerweise argumentieren müsste, er kann dieses „Aber” jedoch einfach nicht mit Leben füllen.
Der 1953 in Belgrad geborene Autor Dragan Velikic, ein achtbarer Intellektueller und engagierter Zeitgenosse, der mit seinen zwei bisher ins Deutsche übertragenen Büchern bei der Kritik viel Anerkennung gefunden hat - dieser Velikic hat seinem neuen Buch, „Dossier Domaszewski”, ein Motto von Louis-Ferdinand Celine vorangestellt. Das ist vor allem aus zwei Gründen interessant: Erstens, weil es demonstriert, dass das, was Velikic offenbar sagen wollte, sich auch in einer Grammatik der Klarheit und Transparenz ausdrücken lässt. Und zweitens, weil es einem in Erinnerung ruft, dass die Ödnis des Buches nichts mit seinem Thema zu tun hat. Das Motto von Celine lautet: „Es ist nicht möglich, alles aufgrund von Tatsachen, Ideen und Worten zu erklären. Denn es existiert darüber hinaus auch all das, was man nicht weiß, und das, was man nie erfahren wird.”
Leider ist es nun so: Wer sich unter Anstrengung und entnervt durch dieses Buch und seine zunehmend schwummerigere Poetisiererei und sein völlig enthemmtes Reflexionsgemurkel gekämpft hat, wird für sich zumindest eine Lehre ziehen: Dass er von allem, was über Tatsachen, geschweige denn Ideen und Worte hinausgeht, nie wieder etwas hören will. In dieser zugegeben kindlichen Trotzphase sollte man noch einmal an den Anfang des Buches, zum Motto von Celine, zurückfinden: Damit man in der geraden Wohlgesetztheit seiner Worte sich wieder klar macht, dass all das, „was man nicht weiß, und das, was man nie erfahren wird”, natürlich eigentlich der dankbarste Stoff der Literatur sein könnte.
Nun müssen wir beim „Dossier Domaszewski” allerdings unterscheiden zwischen dem, was wir in einem metaphysischen Sinn nicht wissen, und dem, was wir vor allem deshalb nicht wissen, weil wir es nicht verstehen. Und das ist viel, sehr viel. Velikic nämlich hat für sich erkannt, dass der Königsschleichweg über die Berge der Tatsachen die Metapher ist. Und so gibt es kaum einen Satz in diesem Buch, der sich nicht in Metaphern wände. „Ich taste”, scheint diese von jeder Sprachökonomie unkontrollierte Stillage zu murmeln, „ich taste mich in Bereiche vor, die eigentlich jenseits der Worte liegen.” Diese Metaphern sind dabei weder schön noch raffiniert, geschweige denn kostbar, sie sind viel eher wie ein neurotischer Sprachfehler, bei dem man auch irgendwann resigniert, weil man begreift, dass der arme Patient sonst ganz verstummte.
Um was geht es im „Dossier Domaszewski”? Ohne unsere Hand ins Feuer legen zu wollen, vermutlich um irgendwie dieses: Adam Vasic kehrt für fünf Tage in seine kroatische Geburtsstadt Pula zurück. Zum einen möchte er dort das Bankkonto seines verstorbenen Vaters auflösen, zum anderen steht die Dreißigjahrfeier seines Abiturjahrgangs an. Mancherlei Anlass also, Erinnerungen nachzuhängen. Adam streift durch die Stadt, beobachtet ihre Bewohner, sucht bestimmte Orte auf, trifft einige Freunde von früher und raucht auf dem Balkon seines Hotelzimmers Zigaretten. Dabei ist immer wieder die Rede von Victor Domaszewski, der „in österreichischer Zeit” als Architekt und Baumeister in Diensten der k.u.k. Marine ziemlich viele Häfen Europas besichtigte, die Synthese all dieser Häfen eigentlich in Pula bauen wollte, aber wegen irgendeines Vorfalls die Armee und damit sein Amt vorzeitig verlassen musste, sich darauf in sein heimatliches Galizien zurückzog, wo er bis zu seinem Tod jede Menge Skizzen visionärer, nie realisierter Häfen entworfen haben muss. Irgendwie so. Warum aber Adam und vor allem sein Freund Stevan, der ein bisschen pillepalle geworden ist (wegen Domaszewski?, muss wohl so sein), von eben diesem Domaszewski wie verhext sind? Keinen blassen Schimmer.
Philosophischerseits aber vermutlich deshalb, weil dieser Baumeister (von dem wir im übrigen ansonsten nichts erfahren - weshalb uns die mehrfach dringlich in den Raum gestellte Frage ein wenig ratlos ließ, ob er, Domaszewski, wohl Pfirsiche mochte?) vor allem Entwürfe hinterließ - und Entwürfe, so könnte man ja, wenn es denn sein muss, sagen, changieren irgendwie zwischen Sein und Nicht-Sein, und genau das soll nun mal - siehe Motto - das Thema des Buches sein. Die Wirklichkeit der Möglichkeit. Und dass im „Saldo des Lebens” (eine Genitiv-Metapher, die sich durch dieses Textgewebe wie ein roter Faden zieht) auch all das zu Buche schlägt, was nur Traum geblieben ist. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig platt, aber einer der wenigen eindeutigen Sätze sagt nun mal ausdrücklich: „Der Traum ist für mich seit je das Maß der Welt.” Muss also stimmen.
Der Kakanier Domaszewski also als Kronzeuge des Musil’schen Möglichkeitssinns. O.k. In welchem Verhältnis das aber zu der Behauptung steht, „dass das Leben kein Addieren, sondern ein Subtrahieren ist”, dürfte schon schwieriger zu sagen sein. Weiter scheint es um die Aufhebung all jener Zeiten zu gehen, die sich - Achtung: Mitteleuropa-Diskurs - gerade hier, in Istrien, in so ungleichzeitiger Weise überlagern. Und so wenig in Wahrheit die Zeiten geschieden sind, so wenig sind es auch die Körper und deren gedankliche Emanationen. Weshalb man sich nur einen Ruck geben muss, und dann lässt sich auch im postkommunistischen Jugoslawien noch erahnen, ob der k.u.k. Marine-Baumeister Domaszewski Pfirsiche mochte.
Gedanken dieser Größendimension gibt es auf jeder Seite mehrere. Mei, Bücher sind nun mal ein Quell der Weisheit. Und von sieben Siegeln verschlossen.
IJOMA MANGOLD
DRAGAN VELIKIC: Dossier Domaszewski. Aus dem Serbischen von Bärbel Schulte. marebuchverlag, Hamburg 2004. 185 Seiten, 18 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Den Handlungsverlauf dieses Romans von Dragan Velikic kann man eigentlich gar nicht nacherzählen, stellt Jörg Magenau fest und versucht es trotzdem. Die Hauptfigur Adam Vasic reist in seine Heimatstadt Pula um an einem Klassentreffen teilzunehmen und um nach dem Tod seines Vaters dessen Bankkonto aufzulösen. Dabei begebe Vasic sich auf eine "Bewusstseinsreise" in die eigene Vergangenheit und in die Vergangenheit seines Landes, fasst Magenau zusammen. Er sieht die "große Kunst" des serbischen Autors eben darin begründet, dass es ihm gelingt, mit der individuellen Geschichte seines Helden auch die "Geschichte des Landes" zu schildern und sie so miteinander zu verknüpfen, dass sie "ununterscheidbar" werden. Dabei ist es Velikic "geglückt", die traumhafte Erlebnisqualität seines Protagonisten eindrucksvoll darzustellen, so der Rezensent angetan. Er zeigt sich von dieser "suggestiven Prosa" sehr eingenommen und schwelgt in den darin entwickelten "intensiven Bildern und metaphorischen Szenen". Dass es Bärbel Schulte dann auch noch gelungen ist, den "poetischen geheimnisvollen Erzählton scheinbar verlustfrei" ins Deutsche übersetzt, freut den Rezensenten besonders.

© Perlentaucher Medien GmbH