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Hagar Olsson,(...) Wenn Sie zum Geist dieser Gedichte etwas zu bemerken haben, bitte, teilen Sie es mir mit. (Gestrichen: wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht.) Das wird meinem Verständnis, ob in Übereinstimmung mit Ihrer Auffassung oder im Gegensatz dazu, auf die Sprünge helfen. Dichter sind kritiklos.Der PanzerzugFünfzig Waggons voll Hoffnungen ließ ich verladen nach eurem AmerikaLeer kehren sie wieder zurück...Fracht der EnttäuschungNun rüste ich Panzerzüge mit steinharten Masken in wachsamen SchartenTausende Waggongs voll Erfüllung kehren sie heim.

Produktbeschreibung
Hagar Olsson,(...) Wenn Sie zum Geist dieser Gedichte etwas zu bemerken haben, bitte, teilen Sie es mir mit. (Gestrichen: wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht.) Das wird meinem Verständnis, ob in Übereinstimmung mit Ihrer Auffassung oder im Gegensatz dazu, auf die Sprünge helfen. Dichter sind kritiklos.Der PanzerzugFünfzig Waggons voll Hoffnungen ließ ich verladen nach eurem AmerikaLeer kehren sie wieder zurück...Fracht der EnttäuschungNun rüste ich Panzerzüge mit steinharten Masken in wachsamen SchartenTausende Waggongs voll Erfüllung kehren sie heim.
Autorenporträt
Edith Södergran wurde 1892 in St. Petersburg geboren. Ihre Muttersprache war Schwedisch, die Umgangssprache Deutsch. Nach der Revolution völlig verarmt, verbrachte sie die letzten Lebensjahre im finnisch-russischen Grenzort Raivola. Hier enstand ein schmales lyrisches Werk, allgemein als Beginn der Moderne im Norden betrachtet. Södergran starb 1923 in der Johannisnacht an Lungentuberkulose.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2004

Diese Gier nach Leichengeruch
Zwischen Tuberkulose und Weltherrschaft: Edith Södergran
Wäre Thomas Mann der finnlandschwedischen Dichterin Edith Södergran in Davos begegnet (was gut möglich gewesen wäre, denn sie weilte dort, wie Manns Gattin, im Jahre 1912), hätte der „Zauberberg” um eine merkwürdige Figur reicher sein können. Was uns von ihrem Äußeren überliefert ist, klingt ohnehin wie eine Schriftstellerphantasie: „Das Gesicht war kräftig, der Mund breit, der Ausdruck eigentümlich, eine Mischung aus Freude und Leiden, die Augen groß, grau, schimmernd wie Mondschein. Diese Augen hatten etwas Fesselndes, in ihnen lag eine seltsam suggestive Kraft”, heißt es in den Erinnerungen der Freundin und Kollegin Hagar Olsson.
In Skandinavien ist Edith Södergrans Ruf als Wegbereiterin der lyrischen Moderne unangefochten; dass sie mit 31 Jahren an Lungentuberkulose starb, nachdem sie den größten Teil ihres Lebens in der Abgeschiedenheit des finnisch-russischen Grenzdorfs Raivola verbracht hatte, förderte die Legendenbildung um ihre einsame und tragische Dichterexistenz. Im deutschen Sprachraum wurden mehrfach Versuche unternommen, das schmale Werk der Frühvollendeten bekannt zu machen, aber das Urteil blieb zwiespältig, schwankend zwischen der Begeisterung eines Horst Bienek, der Södergran vor knapp dreißig Jahren mit Rimbaud, Pound und Ungaretti auf eine Stufe stellte, und der Süffisanz eines Peter Rühmkorf, der in ihrer Lyrik nur „das übliche Symbolgewucher einer fundamentalen Frustration” entdeckte.
Ob die im vorigen Jahr von Klaus-Jürgen Liedtke übersetzte und edierte Gedichtsammlung (SZ vom 24. Januar 2003) an dieser Situation etwas ändern wird, sei dahingestellt. Eine wichtige Ergänzung dazu ist in jedem Fall die vom selben Herausgeber betreute Auswahl von Briefen Edith Södergrans aus den letzten neun Jahren ihres Lebens. Überwiegend sind sie an Hagar Olsson gerichtet, die Schriftstellerin und Kritikerin, die im Januar 1919 Södergrans zweiten Gedichtband „Septemberlyran” rezensierte und dafür mit einer schwärmerischen, ja maßlosen Zuneigung der jungen Lyrikerin belohnt wurde.
Die Korrespondenz mit Olsson und anderen Intellektuellen aus der schwedischsprachigen Minderheit, die im gerade von Russland emanzipierten Finnland den kulturellen Ton angab, war für die Schwerkranke lebenswichtig, denn nach einem letzten Besuch in Helsinki im Herbst 1917 verließ sie die Sommervilla ihrer Familie in Raivola nicht mehr, wo sie mit ihrer Mutter - der Vater war an Tuberkulose verstorben, das Vermögen in der Oktoberrevolution verloren gegangen - ein karges Dasein fristete. Aus den Briefen erfahren wir, dass sie auf Spenden ihrer Freunde angewiesen war, um ihre Medikamente bezahlen zu können.
Brennender Schaffensdrang
Was an Södergrans Dichtungen exaltiert und esoterisch anmuten mag, wird durch ihre brieflichen Äußerungen zwar nicht relativiert, aber ins Licht ihrer Lebensbedingungen, ihres Temperaments und ihrer künstlerischen Ziele gerückt. Können ihre Willenskraft und ihr brennender Schaffensdrang noch heute mitreißen, so muss ihr Gefühlsüberschwang, ihr Hang zu Extremen die Mitwelt oft genug enerviert haben. „Wir wollen rücksichtslos zueinander sein und scharf wie Diamanten”, fordert sie im Frühstadium des Kontakts mit Hagar Olsson, um später zu klagen: „Es ist manchmal ein so gereizter Ton in Deinen Briefen, bin ich es, die Dich irritiert?” Was für eine Frage, murmelt der heutige Leser und verfolgt mitleidig, wie Edith im Laufe der Jahre immer wieder auf Hagars Besuche hofft und immer wieder enttäuscht wird.
Ihre Neigung, Haustiere zu vermenschlichen und Menschen, insbesondere den Anthroposophie-Begründer Rudolf Steiner, zu Heiligen zu stilisieren, bestätigt Rühmkorfs Frustrationstheorie. Wer wäre an ihrer Stelle nicht frustriert gewesen? 1892 in Sankt Petersburg geboren, erkrankt die Sechzehnjährige an Tbc und tritt den Weg durch die Heilanstalten an. In der Schweiz kommt sie mit der europäischen Kulturszene in Berührung, muss dann aber mit der Mutter auf die weltferne karelische Halbinsel zurückkehren. Eine unglückliche Liebe tut ihr übriges. In den Briefen findet man kein Lamento über jene Umstände - sondern unverzagt streitet sie für ihre Poesie.
Ihr fast arrogantes Selbstbewusstsein wird konterkariert durch Realismus und Ironie: „Man wird nicht bestreiten können, dass meine Gedichte ,Chic‘ haben”, schreibt sie, und die „verborgene Gier nach Leichengeruch” in einem ihrer Werke wähnt sie ganz nach dem „Geschmack des Publikums”. Ihre Anfälligkeit für Umsturz- und Erlösungsutopien, ihr Nietzsche-Enthusiasmus, die Unbefangenheit, mit der sie für sich und ihresgleichen die „geistige Weltherrschaft” beansprucht, mögen befremdlich wirken, zeugen indes von einer Zeitgenossenschaft, die noch die entlegensten Ränder Europas infiziert hatte.
Die Briefe der Edith Södergran vermitteln nicht nur etwas von der fiebrigen Euphorie, mit der die Epochenkrankheit Tuberkulose oft einherging, sondern auch von der Aufbruchsstimmung des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, der das einundzwanzigste nichts mehr entgegenzusetzen weiß.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
EDITH SÖDERGRAN: Scharf wie Diamanten. Ausgewählte Briefe 1914-1923. Aus dem Schwedischen von Sieglinde Mierau und Klaus-Jürgen Liedtke. Hrsg. v. Klaus-Jürgen Liedtke. Gemini Verlag, Berlin 2003. 130 Seiten, 18 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Sie hätten sich begegnen können, in Davos, im Jahr 1912, Thomas Mann unddie schwedische Dichterin Edith Södergren - und sie wäre, meint dieRezensentin Kristina Maidt-Zinke, eine wunderbare Thomas-Mann-Figurgewesen. Von eigentümlichem Äußeren und zugleich ein typisches Kind dereuphorischen Phase der Moderne, Verkörperung einer "Aufbruchstimmung",die uns heute sehr fremd anmutet. Jung ist Södergren gestorben, an derTuberkulose, derentwegen sie in Davos war - und lange Jahre hat sieabseits aller Hauptorte und Hauptpfade der Moderne verbracht, im Hausihrer Mutter, im karelischen Raivola. In Skandinavien ist Södergranberühmt, bei uns einer im letzten Jahr erschienenen Gedichtausgabe zumTrotz, nicht. Kennenlernen kann man sie nun in ihren Briefen, vor alleman die Kritikerin Hagar Olsson, der sie, nachdem diese sie freundlichbesprochen hatte, eine Fernfreundschaft antrug. Aus ganz fernen Zeitenscheint das befremdlich Überbordende der Gefühle, der Ästhetik, derSelbsteinschätzung zu stammen, stellt Maidt-Zinke fest. Der Entdeckungaber scheint ihr die Dichterin allemal wert.

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