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Das Buch zeichnet die wechselvolle Geschichte der Juden des Osmanischen Reiches und der Türkei nach. Es beleuchtet die Entstehung des modernen türkischen Nationalstaats und dessen Minderheitenpolitik, die die Situation der Juden entscheidend veränderte. Es untersucht die Beziehungen zwischen NS-Deutschland und der Türkei im Zweiten Weltkrieg, die ambivalente Politik Ankaras gegenüber Flüchtlingen und Exilsuchenden sowie das Schicksal der in Europa lebenden türkischen Juden während der Schoah. 'Nach unserer Kenntnis ist dies die wichtigste Arbeit über die sephardischen Juden türkischen Ursprungs, die Opfer des Holocaust wurden' (Michael Halévy).…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch zeichnet die wechselvolle Geschichte der Juden des Osmanischen Reiches und der Türkei nach. Es beleuchtet die Entstehung des modernen türkischen Nationalstaats und dessen Minderheitenpolitik, die die Situation der Juden entscheidend veränderte. Es untersucht die Beziehungen zwischen NS-Deutschland und der Türkei im Zweiten Weltkrieg, die ambivalente Politik Ankaras gegenüber Flüchtlingen und Exilsuchenden sowie das Schicksal der in Europa lebenden türkischen Juden während der Schoah. 'Nach unserer Kenntnis ist dies die wichtigste Arbeit über die sephardischen Juden türkischen Ursprungs, die Opfer des Holocaust wurden' (Michael Halévy).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.10.2008

Das vergessene Schicksal der türkischen Juden
Tausende ließ Ankara noch 1942 ausbürgern und überließ sie so ihrem Los in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten
Manchmal taucht ein Thema auf, und man fragt sich, warum es erst jetzt erforscht wird. Corry Guttstadts Werk „Die Türkei, die Juden und der Holocaust” zählt zu eben diesen Büchern.
Die Historikerin und Turkologin zeichnet die wechselvolle Geschichte der Juden des Osmanischen Reichs und der Türkei nach. Das Buch beleuchtet außerdem die Beziehungen zwischen dem nationalsozialistischen Deutschland und der Türkei. Es zeigt die widersprüchliche Politik Ankaras gegenüber Exilsuchenden und die passive Haltung gegenüber den jüdischen Türken, die in Deutschland und den besetzten Ländern um Hilfe baten.
Insbesondere die türkischen Juden, die in verschieden Ländern Europas
lebten und Opfer des Holocaust wurden, sind in der internationalen Forschung bisher kaum berücksichtigt worden.
Es existiert noch nicht einmal ein Gedenkbuch. Auch die Türkei zeigt wenig Elan, das Schicksal ihrer jüdischen Staatsangehörigen und weiterer Opfer des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Die Autorin betrachtet ihre Recherchen lediglich als Zwischenergebnis, da die Archive des türkischen Außenministeriums der Forschung nach wie vor verschlossen seien.
Etwa 25 000 Juden türkischer Herkunft lebten zwischen den beiden Weltkriegen in verschiedenen Ländern Europas. Die erste Generation türkischer Migranten war also mehrheitlich jüdisch. Die Massenauswanderung begann Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich die Türkei als neuer Staat unter Mustafa Kemal Atatürk formierte. Seine Partei betrieb eine Türkisierungspolitik, die eine türkisch-muslimische Vorherrschaft zum Ziel hatte. Minderheiten wie christlichen Griechen, Armenier und eben Juden wurde das Leben schwer gemacht – bis hin zu Vertreibung und Massenmord. So ließen sich jüdische Kaufleute und Teppichhändler aus der Türkei in Hamburg, Berlin, Paris, Marseille, Antwerpen und Wien nieder. Andere waren Ingenieure, Übersetzer, Krankenschwestern oder einfache Arbeiter in der Tabakindustrie.
Die Nationalsozialisten deportierten 2200 bis 2500 Juden türkischer Abstammung aus verschiedenen europäischen Ländern in die Vernichtungslager Auschwitz und Sobibor, weitere 300 bis 400 in die Konzentrationslager Ravensbrück, Buchenwald, Mauthausen, Dachau und Bergen-Belsen, wo viele von ihnen ihr Leben verloren. Der türkische Staat unternahm damals wenig, um seine Staatsbürger zu retten. Im Gegenteil: Die Politik Ankaras war darauf ausgerichtet, eine Remigration von Juden in die Türkei zu verhindern. Bereits in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg hatte die Türkei vielen im Ausland lebenden türkischen Juden die Staatsbürgerschaft entzogen. Damit verbunden war ein Einreiseverbot in die Türkei auf Lebenszeit.
War die Politik zunächst noch der Nationalstaatsbildung geschuldet, die auch zahlreiche andere türkische Staatsbürger betraf, die in Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reichs wie etwa in Griechenland und Bulgarien lebten, richtete sich diese Politik während des Nationalsozialismus vor allem gegen die Juden. Die Anerkennung der türkischen Staatsbürgerschaft wurde für sie zur Überlebensfrage, denn als Staatenlose konnten sie leichter in die Konzentrationslager deportiert werden.
Selbst noch 1942 ließ Ankara das Ultimatum der Nationalsozialisten an neutrale und verbündete Staaten zur Repatriierung ihrer jüdischen Bürger verstreichen und bürgerte mehrere tausend türkische Juden aus. Gleichwohl nutzten einige Diplomaten der Türkei ihren Handlungsspielraum, und auch jüdische Hilfsorganisationen in Istanbul konnten vereinzelt Juden aus dem besetzten Europa retten. Etwa 850 türkische Juden wurden während des Holocaust repatriiert oder ausgetauscht.
Indem Guttstadt Berichte osmanischer und türkischer Juden auszugsweise dokumentiert, Fotos zeigt und Besonderheiten einzelner Gemeinden herausstellt, ist das Buch gut lesbar und anschaulich geschrieben. Es gelingt ihr auch, die türkischen Juden nicht nur als Opfer des Holocaust zu sehen, sondern die Vielfalt der türkisch-jüdischen Gemeinden in Europa während der Zwischenkriegszeit zu zeigen.
Das Buch greift nicht nur ein wenig beleuchtetes historisches Thema auf. Angesichts eines wachsenden Antisemitismus in Europa und in der Türkei erhält es eine besondere Aktualität. Ihre Arbeit dürfte auch so manche Ansätze des Holocaustgedenkens in der deutschen Einwanderungsgesellschaft bereichern.
Das wichtige Buch zeugt von der großen Ausdauer, mit der die Autorin über mehrere Jahre hinweg in Europa, Israel, den USA und der Türkei geforscht hat: Neben der Literaturrecherche hat sie in Archiven und KZ-Gedenkstätten gesucht, Gespräche mit Überlebenden und Zeitzeugen geführt und interessante Passagen in Biographien bekannter Personen wie Ted Kollek und Elias Canetti entdeckt. Wie bei einer Ausgrabung, so scheint es, hat sie jede winzige Scherbe aufgehoben und den Staub weggepinselt. ANKE SCHWARZER
Corry Guttstadt
Die Türkei, die Juden und der Holocaust
Verlag Assoziation A, Hamburg/Berlin 2008. 520 Seiten, 26 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.04.2009

Verweigerte Rettung
Ankara, das "Dritte Reich" und die türkischen Juden

Es ist viel geschrieben worden über die bürokratische Gründlichkeit, mit der die Deutschen den Holocaust betrieben. Dem rassistischen Wahn sollte keine noch so kleine Gruppe entgehen. Auch etwa 2500 Menschen ursprünglich osmanisch-türkischer Herkunft wurden Opfer des Vernichtungswillens, weil sie jüdischen Glaubens waren oder von den Nationalsozialisten als Juden definiert wurden. Über diesen nahezu unbeachteten Aspekt der mörderischen Sorgfalt berichtet nun Corry Guttstadt in einem vorzüglichen Buch. Auch wenn es der Autorin hauptsächlich um das tödliche Schicksal jener Menschen geht, so bietet ihre Studie weit mehr. Sie holt ihr Thema tief in der Vergangenheit ab.

Die Juden waren im Osmanischen Reich eine in sich selbst bereits heterogene Minderheit in einem Mosaik aus zahlreichen Ethnien und Religionsgemeinschaften. Unter diesen stellten die im 16. Jahrhundert zugewanderten spanischen Juden, die Sepharden, zweifellos die heute bekannteste, jedoch nicht die einzige Gruppe. Die Toleranz der Osmanen gegenüber ihren Minoritäten war stets eine situative und pragmatische gewesen. Allerdings änderten sich im Verlauf von Jahrhunderten die Rahmenbedingungen und die Bereitschaft zur Toleranz. Durch Wanderungsbewegungen innerhalb und durch Immigration aus ehemals osmanischen Regionen des zerfallenden Riesenreichs nahm der jüdische Anteil der Bevölkerung während des 19. Jahrhundert sprunghaft zu. Dies insbesondere in den großen Städten und im von einer christlichen Mehrheit bestimmten europäischen Teil des Vielvölkerstaats. Gerade dort kam es zu ersten antijüdischen Vorfällen.

Die Juden bildeten keineswegs eine reiche Oberschicht, vielmehr handelte es sich um Arbeiter, Handwerker, kleine Gewerbetreibende. Sie waren in besonderem Maß von den wirtschaftlichen Folgen der friedlosen Jahre seit der jungtürkischen Revolte 1908 betroffen. Die neuen Machthaber gaben als Preis für den Anschluss an die Moderne das Vielvölkerkonzept des Osmanischen Reichs auf und setzten ganz auf die Türkisierung des Landes. Das betraf nun nicht allein die kulturelle oder politische Situation der Minderheiten, vielmehr kam es auch zu gezielten wirtschaftlichen Verdrängungen, Berufsverboten, Entlassungen. Mit der Gründung des Nationalstaats 1923 fielen dann die Minderheitenrechte vollends fort.

Nach dem Mord an den Armeniern verdrängte die Türkei jetzt große Teile ihrer ursprünglichen Bevölkerung. Der soziale Druck und die drohende Verarmung führten zum Massenexodus, Hunderttausende verließen das Land, nicht nur die Juden. Mit Zahlen ist Frau Guttstadt äußerst vorsichtig, zitiert aber die Schätzung von 70 000 jüdischen Menschen, die zum Teil in Westeuropa ihre neue Heimat fanden. In einigen Unterkapiteln informiert die Verfasserin über das Leben dieser Geflüchteten in Frankreich, Belgien, der Schweiz, den Niederlanden, Italien, Österreich und Deutschland. Während das Gros der Emigranten in Frankreich Aufnahme fand, ließen sich in Deutschland nur rund 1000 von ihnen nieder, die Hälfte davon in Berlin. Nach 1933 waren die türkischen Juden in Deutschland von rassistischer Verfolgung zwar nicht völlig ausgenommen, es schützte sie aber ihre fremde Staatsangehörigkeit. Die nationalsozialistischen Machthaber nahmen zunächst noch Rücksicht auf die Reaktionen neutraler Staaten, auch die der Türkei. Aber trotz durchaus vorhandener Sympathien für Deutschland und den Nationalsozialismus wich Ankara einem Bündnis wie im Ersten Weltkrieg aus, praktizierte dann aber eine "einseitige Neutralität". Andererseits ließ sich die Türkei nicht daran hindern, vielen deutschen Wissenschaftlern Exil zu bieten, die ihrerseits die Modernisierung des Landes vorantrieben. Nur für Juden, die vor den Nationalsozialisten flohen, war hier kein geeignetes Ziel. Denn die türkische Regierung duldete und förderte Maßnahmen gegen die noch im Land lebenden Juden und unternahm alles, um eine jüdische Einwanderung zu unterbinden. Schon 1938 wurde die Immigration von ausländischen Juden verboten. Guttstadt weist allerdings darauf hin, dass der Antisemitismus in der Türkei zu keinem Zeitpunkt den vernichtenden Charakter annahm, wie er das in Deutschland tat.

Nach der militärischen Besetzung großer Teile des Kontinents und der Radikalisierung der antijüdischen deutschen Politik hin zum Völkermord waren die Juden in ganz Europa der Verfolgung ausgesetzt. Guttstadt stellt ausführlich die zentrale Rolle heraus, die dem Auswärtigen Amt hierbei zukam. Eine Zeitlang bemühten sich die Diplomaten darum, zumindest die Juden aus neutralen Ländern von den Nachstellungen auszunehmen, um außenpolitische Verwicklungen zu vermeiden. Das galt auch für die ursprünglich aus der Türkei stammenden Menschen. Die Autorin schildert das Verfolgungsgeschehen in den verschiedenen besetzten Ländern, greift dabei auch immer wieder individuelle Biographien heraus. Hierfür hat sie Archive in ganz Europa konsultiert und zahlreiche Zeitzeugen interviewt. Die Akten des türkischen Außenministeriums aber blieben ihr verschlossen. Insgesamt ergibt sich ein deprimierendes Bild. Es wird deutlich, dass die türkische Regierung durchaus die Möglichkeit hatte, Einfluss auf die Deutschen zu nehmen oder rettend einzugreifen. Tatsächlich blieb es bei Einzelinitiativen türkischer Diplomaten, die geschildert werden. Eine konsequente Politik zur Rettung der türkischen Juden unterblieb, weil Ankara lediglich daran interessiert war, jedwede Rückwanderung zu verhindern. Eine ultimative deutsche Aufforderung, die Juden zu repatriieren, ließ die türkische Regierung seit Oktober 1942 mehrfach verstreichen, entzog ihnen im Gegenteil die schützende Staatsangehörigkeit. Corry Guttstadt bilanziert eine "verweigerte Rettung" - leider ist das die Wahrheit.

MARTIN KROEGER

Corry Guttstadt: Die Türkei, die Juden und der Holocaust. Verlag Assoziation a, Berlin 2008. 516 S., 26,- [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ahlrich Meyer würdigt Corry Guttstadts umfassende Studie über die türkische Politik gegenüber ihren jüdischen Staatsangehörigen in Europa als wichtigen Beitrag zur "länderübergreifenden Holocaust-Forschung". Die Autorin räume darin nicht zuletzt mit dem "Mythos" von heroischen Rettungsversuchen türkischer Diplomaten auf und dokumentiere in ihrem Buch vor allem Passivität und "Desinteresse" der türkischen Konsulate gegenüber ihren in Bedrängnis geratenen jüdischen Staatsangehörigen, so der Rezensent. Dennoch verurteilt Guttstadt nicht einseitig, sondern bezeugt durchaus auch Beispiele von Initiativen einzelner türkischer Diplomaten zur Rettung von Juden, wie der Rezensent feststellt. Laut Autorin war die Türkei zwar nicht an sich antisemitisch, allerdings hegte die türkische Regierung durchaus Sympathien für Nazideutschland, erklärt Meyer. Die Autorin entreißt mit ihrem an Interviews, Archivrecherchen und Bilddokumenten reichen Buch den etwa 2500 ermordeten türkischen Juden, deren "Schicksal bis heute nicht erforscht" ist, eindrucksvoll dem Vergessen, lobt Meyer eingenommen.

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