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Cyril Parks wächst Anfang des letzten Jahrhunderts an der Nordwestküste Englands auf. Nach dem Tod seiner Mutter wird er als Lehrling von dem Tätowierer Eliot Riley aufgenommen, einem notorischen Trinker und Querulanten, der zugleich ein begnadeter Künstler ist. Bei ihm lernt er alles über die Abgründe des Lebens und die hohe Kunst des Tätowierens. In den dreißiger Jahren verläßt Cyril Parks seine Heimatstadt und schifft sich nach Amerika ein, wo er sich auf Coney Island als "Elektrischer Michelangelo" niederläßt. Auf dem ewigen Jahrmarkt vor den Toren New Yorks, zwischen Freakshows und…mehr

Produktbeschreibung
Cyril Parks wächst Anfang des letzten Jahrhunderts an der Nordwestküste Englands auf. Nach dem Tod seiner Mutter wird er als Lehrling von dem Tätowierer Eliot Riley aufgenommen, einem notorischen Trinker und Querulanten, der zugleich ein begnadeter Künstler ist. Bei ihm lernt er alles über die Abgründe des Lebens und die hohe Kunst des Tätowierens. In den dreißiger Jahren verläßt Cyril Parks seine Heimatstadt und schifft sich nach Amerika ein, wo er sich auf Coney Island als "Elektrischer Michelangelo" niederläßt. Auf dem ewigen Jahrmarkt vor den Toren New Yorks, zwischen Freakshows und Achterbahnen, verliebt er sich in die Zirkusakrobatin Grace, die mit einem ungewöhnlichen Auftrag an ihn herantritt... Sarah Halls von der englischen Kritik gefeierter Roman ist ein atmosphärisch dichtes, virtuos erzähltes Buch voller skuriller Figuren und Begebenheiten, in denen sich das universelle Drama der Menschheit widerspiegelt.
Autorenporträt
Peter Torberg, geboren 1958 in Dortmund. Er übersetzte u.a. Oscar Wilde, Mark Twain, Raymond Federman, Michael Ondaate, Rudyard Kipling und für DuMont James Coltrane und James Buchan.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.04.2006

Tätowiertes Menschenrecht
Bildung bis aufs Blut: Sarah Halls Michelangelo der Hautkunst

Cyril Parks ist der "Elektrische Michelangelo", sein Meisterwerk ist der mit mehr als hundert Augen tätowierte Körper einer schönen Frau. Die Augen wirken geheimnisvoll und hieroglyphisch: Als Cy ihr das immer gleiche Motiv von den Fußsohlen bis zum Halsausschnitt in die Haut sticht, zerstört er Grace' Leib, um ihn zugleich neu zu erschaffen. "Tätowieren hieß zu verstehen, daß die Menschen in all ihrer verwirrenden Rätselhaftigkeit nur danach trachteten, ihre Körper zurückzugewinnen", so die 1974 geborene britische Schriftstellerin Sarah Hall in ihrem zweiten Roman, der eindringlich den Zauber einer vergessenen Kunst entfaltet. "Tätowieren hieß zu verstehen", so Hall weiter, "daß der Körper erst zerstört und befreit werden mußte, um wiedergeboren zu werden und unters Joch zu kommen. Es ging um Emanzipation und Sklaverei, um Asche und Phönix. Es ging um Schönheit und Zerstörung, das war der ganze Trick."

In ihrem 2004 für den Booker Prize nominierten Roman erzählt Sarah Hall von farbenprächtigen Verwandlungen, von der Sehnsucht ihrer Figuren nach einer souveränen, von den Primärfarben des Lebens erhellten Existenz. Als berühmtester Tätowierer von ganz Coney Island erfüllt Cy Parks seinen Kunden den amerikanischen Traum von Freiheit und Glück. Cy ist der Sohn einer Engelmacherin aus dem nordenglischen Küstenort Morecambe: Halls Roman handelt auch von der Flucht aus dem Dunkel eines moribunden Empire ans Licht der Neuen Welt. In Morecambe, dem "Blackpool des armen Mannes", wo Cys Mutter zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein heruntergekommenes, in den Wintermonaten vor allem von Schwindsüchtigen besuchtes Hotel leitet, täuschen der billige Glanz der alten Promenade und das laute Treiben auf den Bühnen der Pavillons und Cabarets längst nicht mehr über den bevorstehenden Ausverkauf hinweg. In Morecambe gastieren Artisten mit exotischen Fähigkeiten, Komiker, Feuerschlucker und Jongleure, eine Miss India Rubber, die sich die Beine hinter die Schultern klemmt und von der Bühne des Taj Mahal bis zum Ende des Westpiers läuft und wieder zurück: Die effektvollen, von Hall zumeist in ungeschönter Drastik ausgemalten Bilder des Leids, in denen die Sterbenden des Bayview-Hotels etwa "Blut und Schleim in die Schüsseln spuckten wie teuflischen Laich", durchdringen jedoch das vordergründige Tableau der flüchtigen Vergnügungen und verleihen dem Roman die dunkle Patina eines genrehaften Schauerstücks.

"Er hatte einen Blick für das Groteske im Leben", heißt es über Cy, dessen Blick die Erzählung weitgehend lenkt und das Geschäft der professionellen Unterhaltung nicht weniger durchschaut als die Lügen und Legenden in Morecambe. Es ist dieser desillusionierende, nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit strebende Blick ihres Protagonisten, der Sarah Halls Roman Schönheit und Tiefe verleiht: Daß Cy das "Wunder jenseits der Quälerei", an das er bereits seit seiner Kindheit glaubt, schließlich ausgerechnet in der kaleidoskopischen Traumwelt eines antiseptischen Zimmers am Rande des Vergnügungsparks von Morecambe entdeckt, ist überraschend und zugleich - angesichts der blutvollen Symbolik, mit der Hall Cys Bestimmung schon auf den ersten Seiten des Romans vorzeichnet - schicksalhaft zwingend. "Was", so Cy, der im Winter 1921 eine Lehre beim größten "Ritzer" der Stadt beginnt, "wenn Blut einem Geschichten erzählen konnte? Was, wenn Blut einen in Bilder hineinlocken konnte? Was, wenn es jenseits des Schauderns vor all dem Dreck und Schleim des Körpers noch etwas gab, das der Mühe wert war?" Im Tätowierstudio des charismatischen, von den Bewohnern Morecambes beargwöhnten Eliot Riley, dem nachgesagt wird, "sein Handwerk auf den abgetrennten Köpfen von Schlachttieren zu üben", erfährt Cy Geheimnisse über Leben und Tod.

"Der Elektrische Michelangelo" ist ein atmosphärisch dichtes und sinnliches Buch, ein kleines Meisterstück der effektvollen Inszenierung von Raum und Zeit und von der ins Unwirkliche überzeichneten Figur des Eliot Riley. Der vom Alkohol, von Haß und Verachtung und anderen Dämonen getriebene Riley ist "ein Graveur wie William Blake", "ein Bildhauer", "ein Bernini": Dieser Riley ist der Funke, der Sarah Halls Roman über weite Strecken erleuchtet und auch den jungen Cy Parks fasziniert. Als Cy im Frühjahr 1933, nach Jahren der Lehre, nach Jahren der Pein und dem qualvollen Tod seines Lehrers eine Passage nach Amerika kauft, hat Riley seine Spuren an ihm hinterlassen "wie ein Naturereignis, wie ein Erdbeben, das einen Flußlauf verändert, wie ein Vulkan, der Berge mit Lava brandmarkt, wie ein Blitz, der in einen Baum einschlägt".

Die plastische Schilderung der Verwandlung, die Cy durch Riley erfährt, ist das eigentliche Ereignis des Romans. In der zweiten, in Amerika spielenden Hälfte wird er gewissermaßen in eine andere Tonart transponiert. Im hypnotischen Märchenland von Coney Island, wo Cy bereits nach wenigen Wochen sein Geschäft eröffnet, setzt er jedoch mit einer Reprise ein, die trotz ihrer Lebendigkeit etwas enttäuscht. "Wie sich zeigte, war Coney Island Morecambes reicherer, verrückter amerikanischer Verwandter": Die Notwendigkeit, erneut eine surreale, gänzlich im Absonderlichen aufgestellte Szenerie en détail auszumalen, die sich dabei vom Milieu des Vergnügungsparks in Morecambe nicht grundlegend unterscheidet, mindert die Dynamik der Erzählung über eine beträchtliche Länge. Sie nimmt erst wieder Fahrt auf, als Cy im Frühling 1940 die ätherische Grace kennenlernt, die allmählich auch Rileys gespenstische Präsenz aus seinem Leben verdrängt.

Grace wird zu Cys mächtigster Erfahrung; ihr Wunsch, am ganzen Körper mit dem gleichen rätselhaften Motiv tätowiert zu werden, wird zur größten Herausforderung an seine Kunst und zu ihrer Erfüllung. Tätowieren, so Cy, hatte etwas mit der "Sichtbarmachung von Bedeutung zu tun, mit visueller Kurzform, mit einem Hinweis, aus welchen Elementen ein einzelner bestand". Tätowieren, so die von Sarah Hall formulierte Utopie, verwandelt den Körper des einzelnen in einen unabhängigen, mit allen Menschenrechten versehenen Staat. Nie hat man im Luna Park von Coney Island ein erhabeneres und schöneres Bild gesehen als jenes der sich entblößenden Grace, die den Blicken der Schaulustigen mit der Magie ihrer 109 Augen gegenübersteht.

THOMAS DAVID

Sarah Hall: "Der Elektrische Michelangelo". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Peter Torberg. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2005. 415 S., geb., 22,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Überaus lobend äußert sich Thomas David über diesen Roman um den Tätowierer Cyril Parks, den die britische Schriftstellerin Sarah Hall vorgelegt hat. Der im heruntergekommenen Milieu der Vergnügungsparks von Morecambe und Coney Island angesiedelte Roman hat ihn sichtlich fasziniert. Er bescheinigt ihm "Schönheit und Tiefe", für die er den "desillusionierenden, nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit strebenden Blick" Cyrils verantwortlich macht. Hall erzähle von "farbenprächtigen Verwandlungen, von der Sehnsucht ihrer Figuren nach einer souveränen, von den Primärfarben des Lebens erhellten Existenz". Eindringlich entfalte sie dabei den Zauber der vergessenen Kunst der Tätowierung. Ausführlich referiert David die im Roman vorgenommene geradezu philosophische Deutung dieser Kunst. Vor allem aber überzeugt ihn die Schreibweise der Autorin. So würdigt er den Roman als ein "atmosphärisch dichtes und sinnliches Buch" und als "kleines Meisterstück der effektvollen Inszenierung". Kritisch betrachtet er lediglich eine dramaturgische Schwäche im zweiten Teil des Romans, die zu einigen erzählerischen Längen führt.

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