Produktdetails
  • Verlag: Edition 52
  • Seitenzahl: 156
  • Deutsch
  • Abmessung: 240mm
  • Gewicht: 522g
  • ISBN-13: 9783935229296
  • ISBN-10: 3935229291
  • Artikelnr.: 12926225
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Andreas Platthaus zählt den kanadischen Zeichner zu einem der wichtigsten Illustratoren der letzten zehn Jahren und ist besonders von diesem Comic-Roman begeistert, in dem sich Seth aus seiner Sicht auf der Höhe seiner grafischen Sicherheit befindet und den er als "Meilenstein des Genres" empfand. Die erzählte, fiktive Unternehmensgeschichte eines Ventilatorenherstellers lobt er als akribisch recherchierte "Suche nach der verlorenen Zeit". Wenn sich der Verlag vor Drucklegung auch noch einen Textkorrektor geleistet hätte, wäre es für den Rezensenten eine perfekte Ausgabe geworden.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.11.2004

Handlungsreise zum letzten Ziel
Meisterstücke illustrativen Trugs: Zwei Comicromane des kanadischen Zeichners Seth auf deutsch

Es gehört nicht viel dazu, den kanadischen Zeichner Gregory Gallant, der unter dem Pseudonym Seth arbeitet, zu einem der wichtigsten Illustratoren der letzten zehn Jahre zu ernennen. Die stete Präsenz, die seine in Farben und Linien wie aus den fünfziger Jahren herübergeretteten Bilder in nordamerikanischen Zeitschriften bis hin zum "New Yorker" haben, ist Beleg genug dafür - auch wenn gerade diese mit größtem Selbstbewußtsein zum eigenen Thema gemachten Auftragsarbeiten in Europa fast unbekannt sind. Daß Seth aber nun mit seinen zwei großen Comicromanen ins Deutsche übersetzt worden ist, darf man einen Glücksfall nennen. Denn sie sind so amerikanisch in Sujet und Setting, wie man es sich nur denken kann.

Das macht aber gerade ihre Stärke aus. Und das Erstaunliche an ihnen. Denn Seth, der in Ontario aufwuchs, ist mehr als die meisten seiner Kollegen aus den Vereinigten Staaten in den Genuß von europäischen Comics gekommen. Natürlich waren es vor allem französische, die über Québec ins Land kamen, und so konnte der 1962 geborene Gregory in seiner Kindheit die großen Klassiker der französischen Ligne claire kennenlernen: Hergés "Tim und Struppi", Edgar Pierre Jacobs "Blake und Mortimer", Jaques Martins "Alix". Dazu kamen die einheimischen Einflüsse aus Frankokanada: nahezu unbekannte Cartoonisten wie Albert Chartier oder Harry Mayerovitch. Und dann natürlich die große Tradition der amerikanischen Illustratoren wie Chas Addams oder Peter Arno, aber auch - wichtiger als alle anderen - Charles Schulz und seine "Peanuts". Der bedingungslose Liebhaber Seth hat gerade damit begonnen, seinem Idol Schulz ein publizistisches Denkmal zu errichten, indem er die neue Gesamtausgabe der "Peanuts"-Folgen buchkünstlerisch betreut. Der erste Band, vor einem halben Jahr erschienen, zählt zum Schönsten, was der amerikanische Buchmarkt jemals hervorgebracht hat.

Von Schulz hat Seth die Beschränkung aufs Wesentliche gelernt, und vor allem die in unterschiedlicher Breite gehaltene Linienführung, die seine Tuschearbeit auszeichnet. Ihr gehen allerdings akribische Studien und Entwürfe voraus, die noch die kleinsten Details festlegen. Dementsprechend langsam zeichnet Seth. Seine 1991 begonnene Heftserie "Palookaville", in der er seine langen Geschichten in Fortsetzungen erzählt, ist bis heute gerade einmal bei der Nummer 16 angelangt, und die Publikationsabstände wachsen immer weiter. In der dritten Ausgabe hatte 1993 die dann sechs vollständige Hefte umfassende Comicgeschichte begonnen, die Seths Ruhm begründete: "It's a Good Life If You Don't Weaken". Als "Eigentlich ist das Leben schön" ist sie nun auf deutsch in einem Sammelband erschienen, zeitgleich mit "Clyde Fans", dem ersten Teil des neuen Projekts von Seth, das auch in Kanada noch nicht zum Abschluß gelangt ist.

Wir haben es also mit einer vollständigen und einer weiteren, immerhin in sich geschlossenen Geschichte zu tun. In "Clyde Fans" hat Seth eine graphische Sicherheit erreicht, die sich in den mittlerweile sieben Jahren der Arbeit daran nicht verändert hat. Es ist Ligne claire in Vollendung und gleichzeitig eine Hommage an den "New Yorker"-Stil der fünfziger Jahre. Woher diese Liebe stammt, erzählt wiederum der noch etwas unsichere Band "Eigentlich ist das Leben schön". Dort berichtet Seth über die Suche seines Alter ego nach dem vergessenen Cartoonisten Kalo. Die Fiktion ist so perfekt, die Handlung des Comics derart deutlich autobiographisch geprägt, daß es schwerfällt zu akzeptieren, daß es Kalo nie gegeben hat. Seth ist so weit gegangen, für den Anhang der Geschichte sogar die wenigen angeblichen Arbeiten des Cartoonisten zusammenzutragen - ein Meisterstück illustrativen Trugs.

Aber auch das Toronto der achtziger Jahre ersteht aus diesen Seiten, und Seth versteht es wie kaum ein anderer, Stadtstimmungen zu erzeugen. In "Clyde Fans", der gleichfalls akribisch recherchierten, aber auch fiktiven Unternehmensgeschichte eines Ventilatorenherstellers, die über das ungleiche Brüderpaar Abraham und Simon Matchcard erzählt wird, deren Vater die Firma ins Leben gerufen hat, ist es die kanadische Provinzstadt Dominion, deren Erscheinungsbild des Jahres 1957 hier verewigt wird. Und zugleich entwirft Seth in diesem neuen Comicroman das Porträt eines Handlungsvertreters wider Willen, das es an Intensität mit den nicht nur thematisch, sondern auch in deren Tristesse und Unausweichlichkeit ähnlichen Theaterstücken "Tod eines Handlungsreisenden" oder "Glengarry Glen Ross" aufnehmen kann. "Clyde Fans" ist graphisches Drama der ruhigsten Sorte - und gerade deshalb zutiefst beunruhigend.

"Eigentlich ist das Leben schön" ist da gefälliger, abwechslungsreicher - und entsprechend populär in Nordamerika. Doch erst "Clyde Fans" zeigt Seth ganz bei sich: auf der Suche nach der verlorenen Zeit, und zwar nach einer, die vor der eigenen Geburt liegt. Erst in diesem Jahr ist in Kanada "Bannock Beans and Black Tea", die in einzelnen Anekdoten erzählte Autobiographie über die Kindheit von Seths Vater John Gallant, erschienen, die wiederum der Sohn mit seinen Illustrationen zu einem bibliophilen Kleinod gemacht hat. Dort, in den banal-traurigen Reminiszenzen an eine denkbar harte Kindheit auf der unwirtlichen Prince-Edward-Insel, ist der Kern sowohl des Sethschen Arbeitsethos wie auch seiner Sehnsucht zu finden. Das Bemühen, aus der Armut des Alltags das Schöne herauszupräparieren, treibt ihn an, ganz wie es seinem Vater durch die Erinnerungen an seine Jugend gelungen ist, die dem Sohn die beste Kindheitsunterhaltung waren. Der Zauber, den noch das unglücklichste Leben ausstrahlt, wenn man es isoliert und in seiner Besonderheit darstellt, prägt Seths Comics. Mit ihnen kann nun ein weiterer Meilenstein des Genres auch hierzulande bewundert werden. Und wenn sich der Verlag auch noch einen Textkorrektor vor Drucklegung geleistet hätte, wäre es eine perfekte Ausgabe geworden.

Seth: "Eigentlich ist das Leben schön". Aus dem Englischen übersetzt von Uli Pröfrock und Kai Wilksen. Edition 52, Wuppertal 2004. 176 S., Abb., br., 20,- [Euro].

Seth: "Clyde Fans". Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Kötter. Edition 52, Wuppertal 2004. 160 S., Abb., br., 20,- [Euro].

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