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Wer die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts ernst nimmt, kann schwerlich an die Fortschrittsmythen glauben, die in den liberalen und sozialistischen Traditionen des politischen Denkens die Erwartung eines kommenden Friedens begründen.Hans Joas geht es weder um eine pazifistische Moralisierung noch um eine »realpolitische« Entmoralisierung des Krieges. Seine Absicht ist es vielmehr, die Chancen und Dilemmata verschiedener sozialwissenschaftlicher Analysen von Krieg und Gewalt deutlich zu machen. Neben verschiedenen Friedenskonzeptionen aus Sozialphilosophie und Sozialwissenschaft stehen…mehr

Produktbeschreibung
Wer die Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts ernst nimmt, kann schwerlich an die Fortschrittsmythen glauben, die in den liberalen und sozialistischen Traditionen des politischen Denkens die Erwartung eines kommenden Friedens begründen.Hans Joas geht es weder um eine pazifistische Moralisierung noch um eine »realpolitische« Entmoralisierung des Krieges. Seine Absicht ist es vielmehr, die Chancen und Dilemmata verschiedener sozialwissenschaftlicher Analysen von Krieg und Gewalt deutlich zu machen. Neben verschiedenen Friedenskonzeptionen aus Sozialphilosophie und Sozialwissenschaft stehen deshalb auch weitgehend vergessene »militaristische« Traditionen zur Debatte, etwa die Kriegsideologien der deutschen und französischen Soziologie während des Ersten Weltkriegs.
Autorenporträt
Hans Joas, geb. 1948, ist Professor für Soziologie und Sozialphilosophie und Inhaber der Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2000

An der Friedensforschungsfront
Vielbemuttertes Stiefkind: Hans Joas liest der Soziologie die Leviten

Wo um Werte gestritten wird, wird es ernst. Vor allem dann, wenn es um letzte oder höchste Werte geht. Schon Max Weber meinte drastisch, daß es sich zwischen den Werten nicht um "Alternativen" handele, "sondern um unüberbrückbar tödlichen Kampf, so wie zwischen ,Gott' und ,Teufel'". Zwischen diesen gibt es keine Relativierungen und Kompromisse. Der Wertphilosoph Nicolai Hartmann sah gar eine regelrechte "Tyrannei der Werte" heraufziehen, die einen neuen "Fanatismus" entfesselte.

Es ist also kein Wunder, daß der Kampf um die Verteidigung der eigenen Werte in der Geschichte oft mit äußerster Brutalität und Gewalt ausgetragen wurde, und wenn es sich bei den Kombattanten um Staaten handelte, bedeutete dies: Krieg. So sind Geschichte und Gegenwart reich an Beispielen bewaffneter Konflikte, denen kontradiktorische Werte zugrunde lagen. Der Einsatz der Nato auf dem Balkan ist das vorerst letzte Beispiel eines militärischen Einsatzes, dessen Legitimität sich auf die Durchsetzung von Werten, nämlich der Durchsetzung von Menschenrechten, berief.

Angesichts stets erneut entfesselter Kriege und anhaltender innerstaatlicher Gewalttätigkeit spricht wenig dafür, an einen "Fortschritt" zu glauben, an eine Zukunft gewaltfreier Konfliktlösung oder gar einen "ewigen Frieden". Die neuzeitliche politische Philosophie stand von Anfang an im Zeichen der bangen Frage der Gewalt, ihren stärksten Ausdruck fand sie in Hobbes' Leviathan, der die Gewalt aller gegen alle unterbinden soll, indem er sämtliche Bürger seiner Zwangsgewalt unterwirft. Anders als in der politischen Philosophie ist ein solches Interesse an der Gewalt in der Soziologie offenbar nicht so stark entwickelt. Obwohl das Gewaltproblem heute virulenter ist denn je, wird in der gegenwärtigen Forschung oft beklagt, daß die Beschäftigung mit der Gewalt ein Stiefkind der Disziplin geblieben sei.

Dieser Klage steht jedoch eine stattliche Zahl sozialwissenschaftlicher Publikationen und Kolloquien zur Gewalt gegenüber, insbesondere in den letzten Jahren. So versammelt der Soziologe Hans Joas in dem Band "Kriege und Werte" seine Texte aus den neunziger Jahren zum Thema Krieg und Gewalt: Rezensionen und Aufsätze etwa zur kriegsbegeisterten Professorenpublizistik im Ersten Weltkrieg, zur Gewalterfahrung im Vietnamkrieg, zur "Modernität des Krieges", zum Zusammenbruch der DDR, zu "Krieg und Frieden in der soziologischen Theorie". Daß man einigen Textpassagen in verschiedenen Aufsätzen gleich zwei- oder dreimal begegnet - Folge eines probaten Textbausteinsverfahrens -, macht die Lektüre gelegentlich etwas redundant. Es hätte sicher auch nicht geschadet, die Aufsätze um einige Wiederholungen zu erleichtern, zumal eine Reihe von ihnen für den Abdruck überarbeitet wurde.

Der Band läßt erkennen, wie polarisierend das Thema auch auf die sozialwissenschaftlichen Betrachter wirkt. Für viele friedensforschende Soziologen verschoben sich nach 1989 nachhaltig die Koordinaten der Bewertung von Staat, Gewalt und Krieg. Dies galt erst recht nach dem Golfkrieg von 1991, der zu einem tiefgreifenden Revirement insbesondere in der linken Friedensforschung führte. Die einschneidenden Änderungen politischer Werthaltungen sind für Hans Joas Anlaß zu bitterer Klage über abtrünnige Weggefährten: Während die "linke Friedensforschung von 1989" den Staat "vor allem als Gefahr, als Quelle von Spannungen mit anderen Staaten" gesehen habe, sei "plötzlich gerade von den Linken die Forderung nach einer Stärkung und rigorosen Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols" erhoben worden.

Hans Joas hingegen rechnet sich zu denjenigen, die Kurs gehalten haben. So sind auch seine Texte von einer selbstreferentiellen Ebene durchzogen, auf der es darum geht, die Friedensbewegung ins rechte Licht zu rücken und vermeintliche Falken zu rüffeln. Dies zeigt sich etwa in seiner politischen Entgegnung auf Karl Otto Hondrichs Buch "Lehrmeister Krieg". Der Soziologe Hondrich hatte 1992 anhand des Golfkriegs demonstriert, daß Kriege mit politisch-gesellschaftlichen Lernprozessen verbunden seien, indem sie "die kollektiven Vorstellungen aus ihren Gefühlsverankerungen" reißen. Auch der Golfkrieg habe, wie Hondrich festhielt, zu einem Wandel der kollektiven Einstellung zu Krieg und Frieden geführt, da die Empörung gegen den Krieg zunehmend von der Einsicht abgelöst worden sei, "daß einem Aggressor auch mit Gewalt entgegenzutreten sei".

Diese Einsicht aber ist Joas zuwider. Beleidigt wirft er Hondrich "Ignoranz gegenüber der Friedensforschung" vor und daß er die "marxistische" Theorie vom "friedlichen Charakter der Industriegesellschaft" nicht berücksichtigt habe; das Buch sei "schlampig und schlecht", "leichtfertig und verantwortungslos" geschrieben, "theoretisch und empirisch sorglos". Kann man aber Hondrich allen Ernstes mit der "chauvinistischen Professorenpublizistik des Ersten Weltkrieges" in Zusammenhang bringen?

Hondrich machte damals aus seiner Verabscheuung von Krieg und Gewalt keinen Hehl. Solches kann man wiederum von den kriegsbegeisterten Professoren im Ersten Weltkrieg nicht behaupten; auch die Soziologen unter ihnen überschlugen sich vor Kriegseuphorie und erhofften vom Krieg eine regelrechte kathartische Wirkung. Werner Sombart, Georg Simmel und anfangs auch Max Weber - die führende Riege der deutschen Soziologen stellte sich, ohne zu zögern, in den intellektuellen Kriegsdienst, wobei ihre ausländischen Kollegen ihnen um nichts nachstanden. Auch etwa Emile Durkheim war der festen Überzeugung, daß Frankreich in diesem Krieg seine großen Werte verteidige, ja einen Feldzug gegen den Militarismus führe, wie Joas in einem Aufsatz über die Kriegsideologen im Ersten Weltkrieg zeigt.

Interessant ist daher die von Michael Mann aufgeworfene Frage, ob es eine "militaristische Tradition in der Soziologie" gebe. Joas überprüft diese Frage in einem Aufsatz anhand von Ludwig Gumplowitz, Franz Oppenheimer, Carl Schmitt und Otto Hintze, ein Ausflug in die Theoriegeschichte, der jedoch eher melancholisch stimmt. Denn bei den Betrachtungen zu Gumplowitz und Oppenheimer bleibt es bei Zusammenfassungen aus der Sekundärliteratur; bei Carl Schmitt und Otto Hintze staunt man bereits über die Auswahl der beiden Kandidaten, die ja kaum als Soziologen durchgehen können. Welche Relevanz hat ihre Betrachtung also für die Frage nach einer "militaristischen Tradition in der Soziologie"? Auch daß Max Weber in dieser Untersuchung fehlt, ist erstaunlich; der Leser muß sich mit dem Hinweis begnügen, daß "über Weber das Entscheidende zu unserer Frage von anderen schon gesagt wurde".

Bescheidenheit ist eine Zier. Gleichwohl will Hans Joas in seinem Beitrag über den "Traum von der gewaltfreien Moderne" nichts Geringeres als "das Selbstvertrauen des machtpolitischen Realismus erschüttern" und gleichzeitig die liberalen Friedenskonzeptionen "illusionslos" auf ihre Überzeugungskraft befragen. Diese Befragung ist schnell durchgeführt, denn gleich darauf steht schon das Ergebnis fest, daß die "liberalen Konzeptionen" nicht nur "normativ attraktiver, sondern auch empirisch haltbarer" als der machtpolitische Realismus seien. Der liberal gestimmte Leser kann sich beruhigt zurücklehnen. Auf eine Erläuterung dieses Befundes muß er jedoch vergeblich warten.

ANDREAS ANTER

Hans Joas: "Kriege und Werte". Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000. 316 S., br., 39,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Das Thema der Studien findet Rezensent Wolfram Wette hochinteressant, die Ansätze und Ergebnisse von Joas` dann schon weniger. Das hat zum einen damit zu tun, dass er als Historiker anders vorgegangen wäre und den "ideengeschichtlichen" Zugriff des Soziologen problematisch findet. Etwas enttäuscht scheint er auch davon zu sein, dass es sich in erster Linie um die Kritik an der liberal-aufklärerischen Tradition handelt, die für die Persistenz der Phänomene von Krieg und Gewalt keine schlüssige Erklärung findet. Wenn es aber um Joas` eigene Position geht, komme dieser, am Beispiel des Kosovo-Krieges, zu wenig spezifischen Erklärungen - und auch der Titel sei irreführend, da mit den "Werten", so Wette, nichts anderes gemeint ist als "Kriegsgründe und Kriegsrechtfertigungen".

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