Produktdetails
  • Verlag: Predita
  • Seitenzahl: 320
  • Abmessung: 335mm
  • Gewicht: 2280g
  • ISBN-13: 9783934519800
  • ISBN-10: 3934519806
  • Artikelnr.: 24736404
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.05.2001

Pflicht und Kür
Fünfunddreißig in- und ausländische Autoren über das versunkene Preußen, die preußischen Tugenden und den deutschen Widerstand

Karl-Günther von Hase/Reinhard Appel (Herausgeber): Preußen 1701/2001. Eco Verlagsgruppe Serges Medien, Köln 2001. 318 Seiten, 49,95 Mark.

Verlegerisch liegt es in der brandenburg-preußischen - und territorial bekanntlich durchaus bis über den Rhein hinausreichenden - Luft, ein solches Buch im Preußen-Jahr 2001 zu "machen". Zwei Altprominente werden als Herausgeber tätig: der ehemalige Fernsehmoderator Reinhard Appel und der frühere Fernsehintendant und Chef des Bundespresseamtes unter Konrad Adenauer und Ludwig Erhard, Karl-Günther von Hase. Beide kennen zwar nicht Gott, aber dafür die Welt. Wer kann ihrem Ruf (oder auch nur ihrem Telefonanruf) widerstehen, wenn es darum geht, zum Thema Preußen zur Feder zu greifen oder wenigstens einen veröffentlichten Text zum Wiederabdruck aus der Schublade des Empire-Sekretärs zu holen? Aus der Pflicht wird dann eine Kür, zumal mehr als dreihundert Abbildungen dem geneigten Leser zusätzlich einen informativen Augenschmaus bieten.

Bundespräsident Johannes Rau - wie es sich protokollarisch gehört: an erster Stelle - meint, daß für den von den Alliierten versenkten Staat zu lange und zu oft "nur Schwarz oder Weiß" gegolten habe. Dabei sei Preußen "immer mehr Idee und Haltung als eine geographische Bezeichnung" gewesen. Er fragt sich, ob den Deutschen "mehr preußisches Pflichtgefühl gut" tue. Pflichtgefühl lasse sich mißbrauchen, aber die Köpfe des Widerstandes gegen Hitler hätten die Gefahr falsch verstandener Pflichterfüllung erkannt; die Rückbindung an das Gewissen sei immer erforderlich. Preußen sei immer mehr gewesen als "Kasernenhof, Wilhelminismus und Junkertum". Es gebe Traditionslinien und Einstellungen, "die es lohnt, beleuchtet und wiederentdeckt zu werden".

Fünfunddreißig Autoren aus dem In- und Ausland haben sich auf Entdeckungsreise gemacht - von Eberhard Diepgen über Bronislaw Geremek, John C. Kornblum, Lothar de Maizière sowie Wilhelm Karl Prinz von Preußen und Michael Prinz von Preußen bis Hans-Jochen Vogel. Richard von Weizsäcker, Schwabe von Geburt, aber Hauptmann während des "Dritten Reiches" im Infanterieregiment 9 in Potsdam und an der Ostfront, nimmt Preußen unter expräsidialen Schutz. Über Preußens Auflösung durch den Beschluß des Alliierten Kontrollrates vom 25. Februar 1947 stellt er fest: "Es war Preußen, das man treffen wollte, weil man ihm das ganze Unglück des Jahrhunderts zuschrieb. Das war freilich eine arge Vergewaltigung der Geschichte."

Hart geht der Bundespräsident der Jahre 1984 bis 1994 mit den alliierten "Friedensmachern" von 1919 ins Gericht. Seine scharfe Kritik des Versailler Vertrages erinnert an den Weizsäcker-Vater Ernst, der von 1938 bis 1943 Staatssekretär des Auswärtigen Amts war: "Die Kapitulation von 1918 war eine schwere und doch im Lichte der Tradition eine verantwortungsbewußte Tat. Aber nun, da Deutschland sich in das Geschick fügte, verloren die Gegner jedes Maß. Man setzte Deutschland das Kainsmal der alleinigen Kriegsschuld auf die Stirn, verurteilte es in Grund und Boden und demütigte es, wo und wie man nur konnte." Drachenzähne seien damals gesät worden, "die furchtbar aufgehen sollten. Das politische Klima der jungen Weimarer Republik war von Anfang an vergiftet."

In der höchsten Führungsschicht der Nationalsozialisten habe es kaum Preußen gegeben: "Unter denen, die um ihres Gewissens willen Widerstand gegen Hitler geleistet haben und hingerichtet wurden, stammten die meisten aus Preußen. Diese Haltung ist es, die die deutsche Geschichte ehrt und uns verpflichtet."

Hier nun sekundiert Marion Gräfin Dönhoff - publizistische Wegbegleiterin der Weizsäcker-Familie über Jahrzehnte hinweg und geborene Ostpreußin - dem Altbundespräsidenten. Zunächst erteilt sie Außenamtsstaatssekretär Ernst von Weizsäcker für sein Verhalten in der Krise um die Tschechoslowakei 1938 die höheren gräflichen Widerstandsweihen, um dann Seitenhiebe auf die britische Politik vor dem Zweiten Weltkrieg auszuteilen. Anschließend konstatiert sie: "Der preußische Geist, der sich mit bürokratischen Verordnungen nicht bannen läßt, der war am 20. Juli noch einmal in Erscheinung getreten." Die Alliierten hätten mit ihrer Meinung, daß Preußen von jeher ein Hort des Militarismus und der Reaktion gewesen sei, "das durch Hitler pervertierte Preußentum für das Orginal gehalten. Sie wußten nicht, daß sich in der nächsten Umgebung von Hitler . . . kein einziger Preuße befand, aber 70 Prozent der im Widerstand Umgekommenen aus Preußen stammten. Sie sind offenbar auf den österreichischen Schwindler ebenso hereingefallen wie viele Deutsche."

Der Zeithistoriker Karl Dietrich Bracher zitiert im Zusammenhang mit der 1947 erfolgten Auflösung Preußens aus Friedrich Sieburgs zeitkritischem Buch von 1954 über die "Lust am Untergang" Der Publizist charakterisierte "die Willfährigkeit, mit der das gebildete Volk oder wenigstens seine gebildeten Schichten sich damals von Preußen getrennt haben", als eine "Art von Geschichtsfeindlichkeit, die zum Wesen des modernen Deutschen gehört".

Von der Preußen-Begeisterung, die in vielen Prominenten-Beiträgen und in den verbindenden historischen Zwischentexten durchklingt, heben sich die hanseatisch kühlen Ausführungen von Helmut Schmidt ab. Ihm sind nach der Kleiderordnung der Herausgeber die letzten Worte - besser: die Schlußworte - zugestanden worden. Der ehemalige Bundeskanzler erinnert daran, daß "preußisch" für manche Nachbarstaaten zum Negativbegriff für Obrigkeitsgläubigkeit und Untertanengeist geworden sei. Er habe Vorbehalte gegenüber der Kennzeichnung bestimmter Tugenden als preußisch, weil sie "auch in großen Teilen Deutschlands und Europas selbstverständlich gewesen" seien.

Heutzutage könne man fast täglich von den Rechten und Ansprüchen des einzelnen lesen, kaum aber von den Tugenden und von der Verantwortung: "Eine der Ursachen dafür liegt in der etwas einseitigen Betonung der Grundrechte bei der Schaffung des Grundgesetzes 1948/49 - damals eine sehr natürliche Reaktion auf die totale Mißachtung der Würde und der Grundrechte der Person durch die Nazis und auf deren weitgehend verbrecherische Ausbeutung des Pflichtbewußtseins der großen Mehrheit der Deutschen." Daher seien die Begriffe Pflichten und Pflichtbewußtsein, Verantwortung und Verantwortungsbewußtsein unter Verdacht geraten: "Hinzu kam seit den sechziger Jahren eine zunehmend bewußte Ablehnung des Prinzips der Autorität." Deshalb sei bei "manchen Älteren die sich auf Preußen richtende Nostalgie ein Stück weit verständlich".

Der Militarismus in Preußen-Deutschland habe über die Politik gesiegt, das Pflichtbewußtsein sei zum Kadavergehorsam verkommen. Die Männer des 20. Juli hätten mit ihrem Entschluß zum Widerstand nur die "eigene Ehre gerettet . . . Nicht aber die Ehre des Militärs schlechthin: denn kollektive Ehre kann es genausowenig geben wie kollektive Unehre, genauso wenig wie kollektive Schuld oder Unschuld." So warnt Schmidt davor, "die eigene Geschichte einseitig zu beschönigen" - was allerdings weder eine preußische noch eine deutsche Eigenart des Militärs sei -, und wünscht "unserer Gesellschaft insgesamt" eine breite historische Bildung. Will da etwa jemand widersprechen?

RAINER BLASIUS

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Unter den zahlreichen Beiträgen in diesem Band hebt Rainer Blasius besonders die von Johannes Rau, Richard von Weizsäcker, Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt hervor. Während Rau in Sachen Preußen Schwarz-Weiß-Malerei beklagt und für ein differenziertes Betrachten eintritt, so beschäftigen sich von Weizsäcker und Gräfin Dönhoff mehr mit der Tatsache, dass in sich in Hitlers Umfeld kaum Preußen befunden haben, wohl aber unter denen, die Widerstand gegen Hitler geleistet hätten. Angesichts dieser "Preußen-Begeisterung" begrüßt der Rezensent ausdrücklich den etwas distanzierteren Beitrag Helmut Schmidts, der die Ansicht vertritt, preußische Tugenden habe es durchaus auch in anderen Gegenden Deutschlands und Europas gegeben. Besonders gut scheinen dem Rezensenten darüber hinaus auch Schmidt Gedanken über die sich besonders in den sechziger Jahren wandelnde Haltung zu Begriffen wie "Pflicht und Pflichtbewusstsein, Verantwortung und Verantwortungsbewusstsein" zu gefallen. Schmidt warne davor, 'die eigene Geschichte einseitig zu beschönigen'. Und wenn der Altbundeskanzler dann noch für eine breitere historische Bildung eintritt, kann ihm eigentlich keiner mehr widersprechen, findet Blasius.

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