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Produktdetails
  • Verlag: Parthas
  • Seitenzahl: 219
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 607g
  • ISBN-13: 9783932529788
  • ISBN-10: 3932529782
  • Artikelnr.: 09032015
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Alles nicht so einfach mit dem Echten und dem Falschen, stellt Anne Zielke nach Lektüre dieses Buches fest. Nicht nur sind (das behauptet sie ganz ohne Konjunktiv) sechzig Prozent der Werke toter Künstler Fakes, nein, auch die Fakes können zur Kunst werden. Als Beispiel wird der Vermeer-Imitator Van Meegeren genannt, dessen Werke nun unter seinem eigenen Namen für zigtausend Dollar verkäuflich sind. All das machen Kretschmanns "reportageartige Ausflüge in die neuere Fälschungsgeschichte" klar, die Rezensentin findet sie schätzenswert. So erzählt sie auch gleich noch von Duchamps Ready-mades, die als nur scheinbar noch funktionale, in Wahrheit aber unbrauchbar gemachte Alltagsgegenstände "paradoxerweise Original und ihre eigene Fälschung zugleich" waren. Das Ergebnis des Durcheinanders: eine Art von "Gleichberechtigung" von Fälscher und Künstler, die Erkenntnis, dass "Fälschung als Passion" den Fälscher durchaus selbst zum Künstler machen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Schwindlers Listen
Finden Sie den Unterschied: Georg Kretschmann prüft Fälschers Echte / Von Anne Zielke

Es war merkwürdig, für einen Moment nur und spät am Abend; ein paar der anderen Gäste waren endlich sichtbar geworden, weil sie die Dunkelheit des Gartens verlassen hatten und in die Küche kamen. Darunter war eine Blonde. "Das ist Aline", stellte einer der Anwesenden vor. Sie nahm sich ein Glas Wasser und verschwand. Sekunden später kam Aline wieder, irgend etwas irritierte, blond war sie noch immer, das konnte man nicht übersehen. Aber hatte sie nicht Hosen angehabt? "Das ist M.", sagte der Mann, der Bescheid wußte. "M. ist Alines Zwillingsschwester." Er hatte den Moment der Irritation bemerkt: Eine Verdoppelung fordert den zweiten Blick heraus. Und der zweite ist auch der skeptische Blick - weil er der vergleichende ist. Nur bei Zwillingen schaut man auf die Unterscheidungen, ohne sich zu fragen, ob es ein Original und eine Kopie gibt. "Suchen Sie fünfzehn Unterschiede", fragt dagegen ein Spiel, das sich der Skepsis des zweiten Blicks beugt. "Links sehen Sie das Original, rechts die Fälschung."

So ähnlich funktionieren auch einige der Abbildungen in Georg Kretschmanns Buch "Faszination Fälschung": Man vergleicht zwei Versionen eines Hundert-Franc-Scheins und erkennt auf einmal, daß Napoleons Stirnlocke auf dem einen Bild locker wie bei einer Fönfrisur, auf dem anderen nach Haarwachs aussieht. Eine erste Vermutung scheint sich zu bestätigen: Zuerst war das Echte, das Original, und davon abgeleitet kann die Fälschung nur als Imitation des Echten existieren. So wie die Kunst einst selbst nur die Natur zu imitieren versuchte, kopierte die Fälschung eine materielle Vorlage. Sie hatte ihren Platz in einer Hierarchie.

Das alte Verhältnis von Original und Fälschung gilt mittlerweile nur noch für falsche Fünfziger oder Hunderter, wo die Genauigkeit der Kopie Voraussetzung für eine gelungene Täuschung ist. Bei der Kunst ist es längst anders. Das wird klar, wenn man Kretschmanns Geschichten liest, die im Halbschatten einer Daueraktualität dämmern: Mindestens sechzig Prozent der Werke verstorbener Künstler sind sogenannte Fakes, weitere dreißig Prozent unter Verdacht. Kretschmann, Journalist und Dokumentarfilmer, unternimmt reportageartige Ausflüge in die neuere Fälschungsgeschichte, streift dabei alle möglichen Formen der Imitation in Literatur, Politik, Wirtschaft und Kunst.

Ein Betrüger, der Kunsthändler Han van Meegeren, blieb beim Malen. Allerdings hatten seine Nachahmungen Jan Vermeer van Delfts einen entscheidenden Fehler - sie waren unfaßbar echt. Denn als man einen vermeintlichen Vermeer in Görings Besitz fand und van Meegeren als Händler identifizierte, warf man ihm mit der Wucht vaterländischer Empörung den Ausverkauf holländischer Kunst und Kollaboration mit den Nazis vor. Um also zu beweisen, daß es kein Vermeer-Bild war, mußte van Meegeren ein letztes Mal Vermeer sein: Im Gefängnis schuf er "Jesus unter den Schriftgelehrten".

Die gelungene Kunstfälschung folgt ihrem eigenen Gesetz. Sie ist nicht mehr so sehr auf die Kopie eines Originals ausgerichtet, sondern rückt den Fälscher in den Vordergrund. Und er ist es, dem Kretschmann im Grunde sein Buch gewidmet hat. Auch wenn die Anekdoten scheinbar sachlich bleiben - bereits im Vorwort zeigt sich, daß die Idee von Fälschung als Identifikation das gesamte Buch durchzieht: In einer Art vorgezogenem Resumé spricht Kretschmann generalisierend von Fälschern als "Fälschern aus Passion", die sich soweit in einen anderen hineinfühlten, daß sie, fast wie Süchtige oder Liebeskranke, "nicht mehr aufhören konnten".

Letztlich arbeitet Kretschmann mit den gleichen Mitteln: Er versetzt sich soweit in seine Personen, daß er sie sogar in wörtlicher Rede sprechen läßt. Leidenschaft wird zur Notwendigkeit der Fälschung. Kretschmanns Zuschreibungen umkreisen dieses Motiv unaufhörlich und machen es zum eigentlichen Thema: Den Moment nämlich, wo die Fälschung aufhört, Mimesis zu sein und durch die Kraft der Leidenschaft selbst zum kreativen Prozeß wird. "Der Reiz des Artifiziellen lockt ein großes Publikum, die Menschen sind fasziniert", stellt Kretschmann fest. "Das zeigt nur, daß Fälschung gesellschaftsfähig geworden ist."

Die Fälschung als scheinbar Eigenständiges - man muß diese Aussage zunächst wörtlich nehmen. Hitlers selbsternannter Ghostwriter Kujau zum Beispiel hat bis zu seinem Tod in Berlin seine "Galerie der Fälschungen" betrieben, selbstverständlich als legale Option. Der Gefängnis-Vermeer wurde im November 1990 unter van Meegerens eigenem Namen bei Sotheby's versteigert - für immerhin 23 000 Dollar. Das Falsche hat offensichtlich seinen epigonenhaften Charakter verloren, das Original den absoluten Status. Die einstige Hierarchie ist zerstört. Schaut man sich die Beschreibungen an, wird das Verhältnis von Echt und Falsch tatsächlich längst als Gleichberechtigung beider Seiten wahrgenommen. Es mündet in eine Osmose: Im Echten hat man Falsches erkannt, und im Falschen Echtes.

Als Aussage haben sich Wechselspiel und Auflösung von Falsch und Echt auch bei Duchamps Ready-mades gezeigt; in einem Maße sogar, das man lange Zeit nicht einmal geahnt hat. Fahrrad-Rad, Schneeschaufel und andere schienen bis vor kurzem authentische, unveränderte Alltagsgegenstände zu sein, die nur durch den Kontext im Namen der Kunst getauft waren und so ihre neue Authentizität als Kunstwerke erhielten. Bis sich die Vermutung verstärkte, daß sämtliche Objekte durch leichte, absurde Veränderungen unbrauchbar gemacht waren: Das Rad eiert aufgrund einer künstlich versetzten Nabe, die Schneeschaufel würde, gebrauchte man sie, wegen einer Verkürzung sofort zerbrechen. Mit diesen Manipulationen, die Duchamp niemals ausgewiesen hat und die als bewußte Täuschungen vielleicht das Leitmotiv seiner Arbeit waren, sind die Ready-mades paradoxerweise Original und ihre eigene Fälschung zugleich.

Was bleibt dann dem Fälscher, wenn die Künstler dessen Part schon in ihr eigenes Werk integrieren? Er kann dann nur als Lover existieren, als illegitimer Liebhaber der Kunst. Die Leidenschaft gibt dem Falschen etwas grundsätzlich Echtes. Zwar bleibt Kretschmann in seinen Beschreibungen immer auf der Ebene der Sachverhalte und historisch-genetischen Motive. Aber aus den Beschreibungen selbst entspringt der zweite Text: Fälschung als Passion, nicht als Verbrechen, umhüllt den gesamten Komplex wie eine parfümierte Wolke. Während die detailgetreue Kopie einer materiellen Vorlage doch eher einen kühlen Kopf und eine ruhige Hand verlangt, ist jener Phänotyp der Fälschung, der Kretschmann fasziniert, vom neuen Topos des Gefühls durchdrungen. Van Meegeren zum Beispiel malte nie, was Vermeer gemalt hatte, sondern wie Vermeer gemalt hätte. Man glaubte van Meegeren anfangs nicht, was er ernst meinte: "Ich war Vermeer." Er war es aber tatsächlich, ein emotionaler Doppelgänger.

Der Sieg der Intuition über die Imitation - dieses Motiv durchzieht auch die Beschreibungen und Selbstbeschreibungen der Kunstkritiker, Fälschungsdetektive und Falschgeldspezialisten. "In gewissen Abständen wurden von erfahrenen Kassierern immer wieder falsche Bonapartes aufgespürt, ohne daß die betreffenden Angestellten sagen konnten, was konkret falsch war", heißt es etwa bei Kretschmann über das "Genie auf Abwegen", den Geldfälscher Czeslaw Bojarski, der Napoleons Frisur auf den Hundert-Franc-Scheinen neu gestylt hatte. "Genauere Untersuchungen führten dann fast immer zur Bestätigung der Vermutung." Legendär ist eine von Nicholas Shakespeare berichtete Anekdote über Bruce Chatwin, einst auch bei Sotheby's unter Vertrag, der einmal bei einer Auktionsvorbereitung in den Saal stürmte und mit dem Zeigefinger blitzschnell auf die Hälfte der Exponate zielte und dazu folgende Worte abschoß: "That's a fake. That's a fake. That's a fake." Es zeigte sich: Er hatte recht.

Georg Kretschmann: "Faszination Fälschung". Kunst-, Geld- und andere Fälscher und ihre Schicksale. Parthas Verlag, Berlin 2001. 250 S., Abb., geb., 38,- DM.

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