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In literarisch dürrer Zeit hat Turgenev mit allen deutschen Autoren korrespondiert, die nur irgend einen Namen hatten - mit dem Übersetzer-Dichter Friedrich Bodenstedt, mit dem Münchener Dichterkreis-Fürsten Paul Heyse, mit Theodor Storm, mit Bertold Auerbach, seit dem Roman Barfüßele auch in Rußland berühmt, zu dessen Roman "Das Landhaus" am Rhein Turgenev in der russischen Übersetzung ein Vorwort beisteuerte, wie auch zu Deutschland ein Wintermärchen von Heine, »dem derzeit bei uns in Rußland populärsten ausländischen Dichter«. Turgenevs Briefe an sie alle sind von feinstem Gespür, erlesener…mehr

Produktbeschreibung
In literarisch dürrer Zeit hat Turgenev mit allen deutschen Autoren korrespondiert, die nur irgend einen Namen hatten - mit dem Übersetzer-Dichter Friedrich Bodenstedt, mit dem Münchener Dichterkreis-Fürsten Paul Heyse, mit Theodor Storm, mit Bertold Auerbach, seit dem Roman Barfüßele auch in Rußland berühmt, zu dessen Roman "Das Landhaus" am Rhein Turgenev in der russischen Übersetzung ein Vorwort beisteuerte, wie auch zu Deutschland ein Wintermärchen von Heine, »dem derzeit bei uns in Rußland populärsten ausländischen Dichter«.
Turgenevs Briefe an sie alle sind von feinstem Gespür, erlesener Höflichkeit, Gastfreundschaft und Humor, sie zeigen uns den großen Russen nicht nur in der Umgebung seines deutschen Exils, sondern zeugen auch von seinem unfehlbaren, absoluten literarischen Gehör. Bis zum Deutsch-Französischen Krieg 1870 und seiner definitiven Übersiedlung nach Paris lebte Ivan Turgenev, gemeinsam mit der Familie der Sängerin Pauline Viardot - Garcia, meistens in Deutschland, in Baden-Baden. »Ich verdanke zu viel Deutschland, um es nicht als mein zweites Vaterland zu lieben und zu verehren. - Von dem aber, was man liebt und verehrt, ist der Wunsch: in seiner eigenen Gestalt auftreten zu dürfen, wohl natürlich.« Der Band enthält 238 Briefe, ausführlich kommentiert und mit einer Zeittafel und einem Nachwort von Peter Urban.
Autorenporträt
Iwan S. Turgenjew, geb. 1818 in Orel, gest. 883 in Bougival bei Paris gestorben, stammt aus altem Adelsgeschlecht. Nach dem Studium der Literatur und der Philosophie in Moskau, St. Petersburg und Berlin war er für zwei Jahre im Staatsdienst tätig. Danach lebte er als freier Schriftsteller und verfasste Erzählungen, Lyrik, Dramen, Komödien und Romane. Turgenjew gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des russischen Realismus und zählt zu den großen europäischen Novellendichtern. Seine Novellistik bedeutet einen Höhepunkt der Gattung in der russischen Literatur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2005

Poesie geht runter wie Butter
Die Demut eines russischen Dichters im Ausland: Turgenjews deutsche Briefe / Von Paul Ingendaay

Wer das Glück hat, Turgenjews Briefwechsel mit Flaubert in der Ausgabe der Friedenauer Presse von 1989 zu besitzen, mit Walter Boehlichs hinreißendem Vorwort und den Anmerkungen von Peter Urban, der bekommt jetzt endlich den passenden Begleiter: Turgenjews Briefe an seine deutschen Freunde, Bekannten und Geschäftspartner. Man ist kein Banause, wenn man bekennt, keine Ahnung von Turgenjews fabelhaftem Schriftdeutsch gehabt zu haben. An den Maler, Zeichner und Journalisten Ludwig Pietsch, seinen engsten deutschen Freund, schreibt er 1865 über die Hochzeit seiner Tochter, es sei doch "ein eigenes Gefühl" gewesen, ein "sonnebeschienenes, weisshalsbindiges kirchenkühl-ceremoniellfreudiges und einfältig lächelndes Rührungsgefühl!" Ein Jahr später, nach dem Hören eines Schubert-Liedes, an denselben Freund: "Man bekommt dabei so ein leises Todesgeriesel im Rückenmark, das sich in kalten Entzückungsthränen auflöst - das müssen Sie hören!"

Manchmal war er aber auch so witzig, laut und deftig, daß es aus dem Brief herauspoltert, nur für die Ohren Pietschens gedacht, und das klingt dann so: "Ich habe eine Novelle beendigt, die auf mich in ihrer Brutalität den Eindruck eines grossen Arsches macht - nicht eines Rubens'schen mit gerötheten Backen, nein, eines ganz gewöhnlichen, feistenblassen russischen Arsches." Aus der Anmerkung Peter Urbans erfahren wir, daß es sich um die Novelle "König Lear der Steppe" handelte.

Iwan Turgenjew (1818 bis 1883), bei weitem der westlichste unter Rußlands großen Schriftstellern und dafür nicht nur von den eigenen Landsleuten angefeindet, sondern von Dostojewski erbarmungslos karikiert, hat etwa die Hälfte seines Lebens im Ausland verbracht - die Studienzeit in Berlin (er hörte bei Leopold von Ranke, lernte Alexander von Humboldt und Varnhagen von Ense kennen), spätere Jahre in Baden-Baden, London, Paris, dazu kamen lange Italien- und häufige Rußlandreisen, wo er nach seinem Gut sah und die Liebe zu seiner Heimat erneuerte. Fünfundzwanzigjährig machte er in St. Petersburg die Bekanntschaft der großen Mezzosopranistin Pauline Viardot-Garcia, deren strahlender Ruhm merkwürdig gefiltert bis in diese Briefe vordringt.

Das liegt daran, daß Turgenjew die Verheiratete liebt und ihr ein Leben lang treu bleibt, ihr, ihrem Mann und ihren Kindern, als Freund des ganzen Clans. Wann immer er in seinen deutschen Briefen allgemeiner wird und kurz davon berichtet, wie es ihm augenblicklich gehe, folgt in neun von zehn Fällen ein Satz darüber, was "M-me Viardot" gerade mache oder gemacht habe, und das wiederum bedeutet: Sprechen von den zahllosen Aktivitäten der Angebeteten, ihren Konzerten, Reisen, Erkältungen und Malheurs, vor allem aber von ihren Erfolgen, den eigenen Kompositionen (Madame schreibt Operetten, eine von ihnen, "Le dernier sorcier", hat Brahms 1869 im Hause Viardot dirigiert), ihren sängerischen Darbietungen, dem lebhaften kulturellen Leben, mit dem sich die Familie in Baden-Baden oder später in Paris zu umgeben wußte und dessen fester Bestandteil auch Turgenjew war.

Später in Paris: Dorthin zog man um nach dem Deutsch-Französischen Krieg, dessen Donnergrollen auch in der Korrespondenz zu vernehmen ist. Manchmal in allzu frivolem Ton ("Was mich betrifft - so bin Ich, wie Sie wohl wissen, ganz und gar Deutsch - schon darum, weil der Sieg Frankreichs der Freiheit Untergang gewesen wäre - nur hätten Sie Strassburg nicht verbrennen müssen. Das war höchst ungeschickt und zweckwidrig"), dann mit entschiedener Ablehnung der großpreußischen Patriotismus. Zwei- oder dreimal muß Turgenjew seinen Freund Pietsch - stellvertretend für andere Deutsche - darum bitten, Empfindlichkeiten zu relativieren und Kritik etwas souveräner einzustecken.

Worum man auch Peter Urban bitten muß, wenn man den Nachnamen nicht so schreibt, wie er es tut. Der Schriftsteller selbst unterschrieb seine Briefe mit: Turgénev, Turgénew, Turgéneff, Turgénjeff oder Turgénjew, was am Ende seine konsequenteste Schreibung blieb. (An Flaubert unterzeichnete er, der französischen Phonologie entsprechend, mit "Tourguéneff".) Mörike schrieb "Turgineff". Dafür schrieb Turgenjew einmal - ob aus Rache, wissen wir nicht - "Möricke". Gut, wir alle wissen, wer gemeint ist.

Sowenig übrigens wie der Briefwechsel mit Flaubert offenbart Turgenjews deutsche Korrespondenz geheime literarische Schatzkammern. Der Schriftsteller war zu gut erzogen, um sich ausführlich in Selbstdeutungen zu ergehen, vielleicht auch zu träge - er selbst bezichtigt sich gern der Faulenzerei, sieht sich als "sehr faules Tier", findet aber wohl vor allem Vergnügen daran, den Briefkonventionen zu entsprechen und sein Gegenüber durch viele Fragen zu Antworten zu ermuntern. Nicht immer scheint er damit Erfolg gehabt zu haben. Urban legt in seinem kenntnisreichen, mit stacheliger Ironie geschriebenen Nachwort nahe, die von Turgenjew ein wenig umworbenen Eduard Mörike und Theodor Storm hätten sich dem Russen gegenüber eher kühl verhalten. Was nicht so sehr verwundert, wenn man dessen Weltläufigkeit und polyglottes Geschick mit der schwäbischen oder norddeutschen Provinzperspektive seiner Kollegen vergleicht. Sympathisch bleiben Turgenjews Neugierde und Aufgeschlossenheit, seine Höflichkeit sowieso, dazu die Bereitschaft, die Bücher anderer Schriftsteller weiterzuempfehlen oder gleich eine Rezension bei befreundeten Feuilletonisten zu bestellen.

Dem guten Pietsch kommt hier eine Schlüsselstellung zu, denn nicht nur verfaßt der Freund tatsächlich eine Besprechung von "Väter und Söhne", er korrigiert darin auch die für Turgenjew unglücklich verlaufene, überaus kritische Aufnahme des Romans in Rußland. Lustig wird es, als Turgenjew im April 1874 bei zahlreichen Briefpartnern eine Rezension des neuen Werks seines Freundes Flaubert, "Die Versuchung des heiligen Antonius", anregen will, im Herbst aber dem Literaturhistoriker Julian Schmidt freimütig schreibt: "Was die ,Tentation' betrifft, haben Sie - leider - ganz recht - und Ich muss gestehen, dass das merkwürdige Buch eigentlich ungeniessbar weil unmenschlich ist." Tags darauf, wieder in einem Brief an Pietsch, fertigt er Storms Novelle "Waldwinkel" ab: "Alles ist hart, unmotiviert - man wird von keiner der 3 Figuren gewonnen, selbst vom Hund nicht, der auch etwas litterarisch aussieht - und die Poesie wird wie Butter aufgeschmiert." Wer weiß, daß Turgenjew in diesem Stil Deutsch (und Französisch) schrieb, würde sicherlich gern sein Russisch lesen können.

Tatsächlich nimmt die Sorge ums Russische, also die Übersetzungsfrage, einen guten Teil der Korrespondenz ein. Turgenjew hatte sich für das Leben im Ausland entschieden, nun mußte er dafür sorgen, daß er dort wahrgenommen und gelesen wurde. Ein mühseliges Geschäft. Wegen mangelnder gesetzlicher Regelung konnte jeder deutsche Verleger russische Bücher übersetzen lassen und veröffentlichen, es lag also am Autor, ihm zuvorzukommen und sich um die Erscheinungsform seiner Texte zu kümmern; mit "Kontrolle" hatte das ohnehin nichts zu tun. In seinem Nachwort und den Anmerkungen liefert Urban eine gebündelte Geschichte der Turgenjew-Rezeption im deutschen Sprachraum. Von der zwölfbändigen Mittauer Ausgabe (1873-1884) bis heute geht der Herausgeber mit dem Vermögen deutscher Übersetzer, den Qualitäten der Turgenjewschen Prosa gerecht zu werden, scharf ins Gericht. Er sollte es vielleicht selbst probieren? Von einer modernen, als Ganzes konzipierten Neuübersetzung, wie sie Tschechow oder Dostojewski zuteil geworden ist, kann bei Turgenjew bisher ja nicht annähernd die Rede sein.

Die Übersetzungsnöte sorgen für die komischen Höhepunkte des Briefwechsels. Gegenüber dem Verleger Bernhard Erich Behre beklagt der Schriftsteller, sein Übersetzer habe eine lange Passage, die ihn, Turgenjew, "wahrlich Mühe gekostet" habe und die er "als gelungen betrachte", "ganz ruhig über Bord geworfen - und so in einem fort - in allen bedeutenden Momenten - mit einer Consequenz, die ich als eisern bezeichnen muss". Erhebend ist auch ein Satz, den der Übersetzer mit "Tauben saßen in einem schattigen Baum" wiedergibt, während das russische Original bedeutet: "Enten plätschern in einer schmutzigen Pfütze." Es erforderte Demut, ein russischer Dichter in Deutschland zu sein. Der schöne Band der Friedenauer Presse hat Turgenjews Tugenden, seinen Sprachwitz und ein wichtiges Kapitel russisch-deutschen Literaturaustauschs in helles Licht gerückt.

Iwan Turgenjew: "Werther Herr!" Turgenjews deutscher Briefwechsel. Ausgewählt und kommentiert von Peter Urban. Friedenauer Presse, Berlin 2005. 336 S., geb., 22,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Iwan Turgenjews deutschsprachige Korrespondenz zu lesen ist "wie immer" bei diesem Schriftsteller "ein Vergnügen", schwärmt Yaak Karsunke. Er beschreibt den russischen Autors als "seltenes Musterexemplar" eines uneitlen Schriftstellers, der sich dennoch des eigenen Ranges "durchaus bewusst" war. Die Briefe zeigen unter anderem den "Kampf" um angemessene Übersetzungen ins Deutsche, in denen Turgenjew sich gegen "stilistische Verschlimmbesserungen" oder eigenmächtige Kürzungen seiner Übersetzer wendet, teilt der Rezensent mit, der diese Schwierigkeiten vor allem in der "kulturellen Differenz" zwischen der russischen und der deutschen Literatur verankert sieht. Insgesamt bilden die von Peter Urban ausgewählten Briefe des Bandes einen mit "Witz und Temperament gesegneten" Turgenjew ab, lobt Karsunke erfreut.

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