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Der Roman erzählt die Geschichte eines Politikers, der eine Erfahrung macht, die ansonsten dem Wahlvolk vorbehalten bleibt: Alexander Pocke-Pückler, Staatsminister für Kultur, wird von massiver Politikverdrossenheit heimgesucht. Er sieht sich in einen Betrieb eingespannt, in dem es von Wichtigtuern nur so wimmelt. Die Symptome spürt Pocke-Pückler am eigenen Leibe: Er ist müde und fahrig, geheime Sehnsüchte rumoren in ihm. Er ahnt, dass es eine Wahrheit gibt, die mit seinem bisherigen Leben nichts zu schaffen hat. Als er während einer öffentlichen Veranstaltung einen Kollaps erleidet, wird er…mehr

Produktbeschreibung
Der Roman erzählt die Geschichte eines Politikers, der eine Erfahrung macht, die ansonsten dem Wahlvolk vorbehalten bleibt: Alexander Pocke-Pückler, Staatsminister für Kultur, wird von massiver Politikverdrossenheit heimgesucht. Er sieht sich in einen Betrieb eingespannt, in dem es von Wichtigtuern nur so wimmelt. Die Symptome spürt Pocke-Pückler am eigenen Leibe: Er ist müde und fahrig, geheime Sehnsüchte rumoren in ihm. Er ahnt, dass es eine Wahrheit gibt, die mit seinem bisherigen Leben nichts zu schaffen hat. Als er während einer öffentlichen Veranstaltung einen Kollaps erleidet, wird er in eine Rehaklinik im Schwarzwald gebracht. Dort erlebt Pocke-Pückler eine wundersame Genesung: Seine bisherigen Beschwernisse fallen von ihm ab, er sieht die Welt mit anderen Augen. In der Berliner Politik vermisst man ihn nicht, zumal seine Frau Ann-Kathrin, auf Wunsch des Kanzlers, für ihren kranken Mann weitermacht und sein Ministeramt übernimmt. In der Klinik begegnet er dem namenlosen Ich-Erzähler des Romans, der seine besten Tage hinter sich hat. Aus einer Betreuungsanstalt in die Freiheit entlassen, macht dieser sich in einem fremdgewordenen Leben kundig, auf die für ihn bewährte Weise, nämlich als Verlierer, der seine Niederlagen ins Gegenteil verkehrt. Bei einer Generalswitwe in Freiburg nimmt er Quartier und findet Gefallen an ihrer Tochter. Später bekommt er einen Job als Zuwender in jener Rehaklinik Zuwendung nämlich sei das, was den Patienten fehle. Pocke-Pückler und er finden zueinander und zu sich selbst.
Dieser "historische Roman" ist nicht einfach eine Satire über die rotgrüne Republik, er ist eine überschäumende Groteske mit halbrealen Bezügen und ein wehmütiger Abgesang auf die Abenteuer der Selbsterfahrung.
Autorenporträt
Otto A. Böhner, 1949 in Rothenburg ob der Tauber geboren, lebt in Wöllstadt (Wetterau). Studium der Philosophie, Politologie, Soziologie und Literaturwissenschaft an den Universitäten Münster und Freiburg. Promotion mit einer Arbeit über J.G. Fichte. 1983 erschien sein erster Roman , weitere folgten. Funkarbeiten u.a. für den SWR, WDR und BR. Essays und Literaturkritiken u.a. für Die Zeit, die Frankfurter Rundschau, Neue Zürcher Zeitung und die Süddeutsche Zeitung. Mehrere renommierte Auszeichnungen, darunter der Erich-Fried-Preis 2001.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.10.2006

Der Mensch hat keine Überflugrechte
In der Schwarzwaldklinik der Kulturpolitik: Otto A. Böhmers herrlich verwilderter Roman „Der Zuwender”
Bevor der ehemalige Minister, größtenteils Michael Naumann, partiell auch Julian Nida-Rümelin, ungenannt zusammengefasst im Minister a.D. Alexander Pocke-Pückler, kaum genesen, bei bedenklich umspringendem Wind erwartungsvoll zu einer gewissen Schwarzwaldlichtung aufbricht, „bereit für einen ihn befeuernden und auslöschenden Moment”, liest er, zur Wegstärkung, in seinen Notizen: „Gott? Das Geheimnis. Es wird mir aufgetan, in einem einzigen bruchlosen, mich durchglühenden Augenblick.”
Für das blitzartige, nicht willkürlich herbeizuführende Unterbrechen des grauen und kleinlichen Alltags, für die meist mit starken Glücksgefühlen verbundene Sekunde einer Erkenntnis oder Inspiration vor allem im Leben berühmter Philosophen und Dichter, ist Otto A. Böhmer Spezialist. In zahlreichen Fällen hat er poetisch, gelehrt ohne jede Penetranz und nie frei von Komik belegt, wie Gedankengebäude und literarische Werke vom zündenden Funken einer Eingebung oder auch Offenbarung, falls sie zum Schlüsselerlebnis werden, mal verhalten durchschienen, mal durchfunkelt sind.
Unbeweisbarer geht es beim sogenannten Normalmenschen zu, dem, obschon nicht zu den illuminierten Stars zählend, solche Heimsuchungen und Zustände durchaus auch widerfahren, ohne dass sie für die Außenwelt manifest und für die erlebende Person annähernd dauerhaft würden. Das macht die Zeitspanne einer dramatischen oder schlichten Erleuchtung im ‚Mann von der Straße‘ weder unwirklicher noch uninteressanter. Ihren Niederschlag kann der Autor nur imaginieren, ihre Darstellung lediglich über Fiktion bewerkstelligen. Der Staatsminister für Kultur, ohne philosophisches System, ohne literarisches Opus, ist nichts als ein etwas extravaganter Fall im Rahmen des Üblichen.
Sein besonderes Schicksal teilt er mit vielen: Ein Schlaganfall hat ihn dienstunfähig gemacht. Dieser Blitz von lebensverändernder Art trifft ihn mitten in einer Rede vor intellektueller Prominenz, gerade als sich der seit Jahrzehnten verheiratete, rhetorisch elegante, doch schon ziemlich marode gewordene Politiker, routiniert vor sich hin sprechend, eine Liebesnacht mit einer Journalistin als sadomasochistisches Erweckungserlebnis ausmalt. Die weiteren Stadien heißen, dem programmierten Verlauf folgend, Rollstuhl und Reha-Klinik. Zunächst noch lallend, fasst der Nietzsche-Verehrer Pocke-Pückler in einer Krankheit Fuß, die ihm zunehmend als anderes, freieres Leben erscheint, während seine Frau Ann-Kathrin, die einstige „himmelstürmende Liebe”, auf Wunsch des rot-grünen Kanzlers und krachend lachenden Machtmenschen die kulturellen Amtsgeschäfte der Republik übernimmt.
Die Schwarzwälder Reha-Klinik ist der Ort, wo der gescheiterte Staatsminister mit dem Erzähler zusammenkommt, sich sogar teilweise mit ihm überschneidet.
Dieser Ich-Erzähler, der gleich zu Beginn des Romans aus einer geschlossenen Anstalt als geheilt entlassen wird, auch er ein Gescheiterter und zur großen Gruppe der unverzweifelten Verlierer in Böhmers Werk gehörend, kommt zu seiner eigenen Stärkung in der Klinik aushilfsweise als „Zuwender” unter. Es ist ein Billigjob, der die Betreuung schwieriger Patienten verlangt und dem Naturell des Mannes entspricht, weil es ihm die unumschränkte Möglichkeit gibt, Wehrlose mit Geschichten zu bombardieren und sie auf diese Art sogar glücklich zu machen. Hier und als Untermieter einer von ihm betreuten Generalswitwe kann er den Phantasien über seine Hausgötter Goethe, Eichendorff, Brentano hemmungslos Auslauf gestatten, zentral dann aber Nietzsche betreffend („er hielt Ausschau nach mir”).
Anders als dem Kulturminister, dem der hochfahrende Philosoph einst Zitatenschatztruhe in jeder Lebenslage war, ist Nietzsche für den Zuwender grandioses, extremes und auch brüderliches Beispiel des Menschen als „kläglicher Überflieger”. Er, der Erzähler, hat beste Gelegenheit, die intimen körperlichen Hinfälligkeiten der Rollstuhlbewohner und gebrechlichen Alten zu schildern, drastisch, vor keinem Purzelbaum, vor keiner Kapriole des herkömmlich guten Geschmacks zurückschreckend, aber ebenso eine subtile Menschenliebe am selben Objekt in einer Weise verratend, daß es den Leser manchmal zu glücklichen, wie kurzfristig eine rüde Welt verbessernden Tränen rühren möchte.
Die Liebe ist, wie das beim noch amtierenden, vielbeschäftigten, viel schwätzenden Pocke-Pückler nur in nostalgischen und sexuellen Anwandlungen der Fall war, Leitstern der von den Launen Fortunas und des eigenen Herzens gebeutelten Ich-Person. Der Zuwender kann keine halbwegs hübsche Frau ansehen, ohne sie auf der Stelle unverschlissenen Gemüts für die größte Flamme seines Lebens zu halten. Um ein Haar haut es sogar noch mit der kaltschnäuzigen greisen Witwe hin, zumindest führen ihn burlesk-beängstigende Umstände in ihr Bett. Bei ihm klappt sowieso alles immer nur beinahe. Die erregte Sehnsuchtskraft jedoch, die Euphorie, das nicht umzubringende Glücksverlangen und Augenblicksentzücken beim romantischen Aufschimmern der Unendlichkeit, die sich momentlang der Anschauung öffnet, sind ihm immer aufs Neue gewiss.
Geschenkt werden sie sogar seinem geheimen Teilhaber, dem Staatsminister, der, nachdem er in der Klinikeinöde seine Dienste am Geistesbetrieb und das Elend des stets flott rotierenden Kultur- und Medienquatsches mit all den hier glänzend parodierten Politikerreden hinter sich lassen musste, ein Heideggersches Lichtungserlebnis hat: „ein Areal der Helle, in dem nichts mehr stört . . . in den hiesigen Wäldern, in der einen auflodernden Ewigkeitssekunde, die des Rätsels Lösung gewährt. Auf Dauer gedacht . . . ”. Irrtum! Bannen können beide Männer nichts davon, nicht als blendende Einsicht, nicht als vage Emphase. Beide wüssten später nicht zu sagen, welches Geheimnis mit welchen Folgen denn da kurzfristig gelüftet wurde: „ . . . auch das Einleuchtende trägt ein Verfallsdatum. Der Mensch hat keine Überflugrechte.”
Aber er fliegt nun mal, selbst wenn er sich dessen schämt, hin und wieder gern hoch! Nicht nur die fälligen Bauchlandungen, ganz allgemein der Zusammenprall von Ideal und banausischer Endlichkeit, das Auf und Ab von sehr Großem und äußerst Geringem in einer einzigen Person, Empfindung, Situation reizen Böhmer als Stoff, aus dem derbste Kalauer und verfeinerte Komik zu formen sind, stimulieren ihn wie den geschätzten Brentano in seinem „verwilderten” Roman „Godwi”. Es ist eine Lust am Lächerlichen und kurzfristig Erhabenen, die auch dann nicht aufhört, wenn Böhmer hin und wieder einer in sich selbst vergnügten Unverständlichkeit nahekommt.
Ein politischer, kulturpolitischer Roman? Ja, das auch, und zwar entwaffnend konkret. Ein Roman, für den Kunst, Liebe, Natur Existenzfragen sind, das Buch einer selbstironischen Suche nach Glück und Gott. Über allem aber liegt als Lasur, die das Grelle der Luftsprünge, Possenreißereien und Abstürze dämpft, eine Wehmut, die man die Melancholie des Philosophischen nennen könnte. Sie durchtränkt oder besser überwölbt Mann und Maus und Erde, weil sie die Augen vor deren prinzipieller Hinfälligkeit nicht verschließen kann, aber auch nicht vor der unerfüllbaren Sehnsucht, die nach anderem drängt, nach jener Heimat, von der Eichendorff in seinem „Mondnacht”-Gedicht spricht, dessen Schluss dem Erzähler, etwas verblüffend, lange Zeit nicht einfallen will.
Mit diesem bundesrepublikanisch-altdeutschen Roman ist Böhmer ein außerordentlich tröstliches, daher wirklich wichtiges Opus gelungen. Es stellt die Gegenwart in einen metaphysischen Raum, ist selbst dieser Raum. Damit profiliert es sich als Alternative zu einer mühelos wegzuschlürfenden Sound-Literatur. Man muss wohl eine Weile gelebt haben, um über genügend Wissen, Einsicht und Formenreichtum zu verfügen, die für das Verfassen eines so kompakten und ernsten, ausufernden und komischen Werks benötigt werden. Seine Bilanz? Friedrich Nietzsche, Böhmers philosophische Lieblingsgestalt, versprach und drohte einstmals, die Welt sei tief, und tiefer als der Tag gedacht. So und nicht anders ist es!, bekräftigt allen gegenteiligen Meldungen zum Trotz dieser Roman. Und: beweist es. BRIGITTE KRONAUER
OTTO A. BÖHMER: Der Zuwender. Roman. Weidle Verlag, Bonn 2006. 412 Seiten, 23 Euro.
„Gott? Das Geheimnis, mir aufgetan im Augenblick . . .”
„. . . auch das Einleuchtende trägt ein Verfallsdatum.”
Klausjürgen Wussow und Heidelinde Weiss in der bundesrepublikanischen Fernsehserie „Schwarzwaldklinik – Die Heimkehr”
Foto: Cinetext Bildarchiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz hingerissen ist Rezensentin Brigitte Kronauer von diesem Roman Otto A. Böhmers um einen Kulturstaatsminister, der nach einem Schlaganfall in einer Schwarzwälder Reha-Klinik wieder auf die Beine zu kommen versucht. Sie versteht den Roman durchaus politisch, liest ihn als gediegene Satire auf die bundesrepublikanische Kulturpolitik sowie den aufgeblasenen Medien- und Kulturbetrieb. Besonders komisch findet Kronauer dabei die brillanten Parodien von Politikerreden. Aber mehr noch sieht sie in dem Buch ein Werk über die Suche nach dem Glück, das bei allem ausufernden Witz, aller Komik und Ironie von einer Melancholie über die Hinfälligkeit und die unstillbare Sehnsucht menschlicher Existenz geprägt ist. Zugleich unterstreicht Kronauer das Tröstliche dieses Buchs, das sie eben deshalb für ein eminent bedeutendes Werk hält.

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