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Karl August Varnhagen ist meist nur noch bekannt als Mann seiner berühmten Frau, als "Wittwe" und Nachlaßpfleger der Rahel und ihres legendären "jüdischen Salons". Zu unrecht: er war ein liberaler, kosmopolitischer "homme de lettres", Feuilletonist, Kritiker, Sammler, Briefschreiber, Erfinder der biographischen Geschichtsschreibung; ein Meister der "geselligen Lebens-verhältnisse"; der unbequeme Chronist einer romantischen Generation, die um 1800 in Berlin und anderswo in die europäische Moderne aufbrach und meist im nationalen Biedermeier, in der Resignation oder im Exil endete.

Produktbeschreibung
Karl August Varnhagen ist meist nur noch bekannt als Mann seiner berühmten Frau, als "Wittwe" und Nachlaßpfleger der Rahel und ihres legendären "jüdischen Salons". Zu unrecht: er war ein liberaler, kosmopolitischer "homme de lettres", Feuilletonist, Kritiker, Sammler, Briefschreiber, Erfinder der biographischen Geschichtsschreibung; ein Meister der "geselligen Lebens-verhältnisse"; der unbequeme Chronist einer romantischen Generation, die um 1800 in Berlin und anderswo in die europäische Moderne aufbrach und meist im nationalen Biedermeier, in der Resignation oder im Exil endete.
Autorenporträt
Hazel Rosenstrauch, geboren 1945 als Tochter jüdisch-kommunistischer Emigranten in England, wuchs in Wien auf. Sie versuchte zuerst in die USA, dann nach Kanada auszuwandern, und kam 'gerade rechtzeitig zur Studentenbewegung' nach Berlin. Sie blieb 23 Jahre in der BRD, lebte u.a. in Köln, München, Tübingen und immer wieder Berlin und studierte Germanistik und Soziologie, später Empirische Kulturwissenschaft. Ende 1988 Umzug nach Wien, bis zu seiner Einstellung war sie Redakteurin des 'Wiener Tagebuchs'. Seit 1997 wieder in Berlin, wo sie als Lehrbeauftragte an der Humboldt-Universität arbeitet und bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften die Zeitschrift 'Gegenworte' herausgibt. 2012 wurde sie mit dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik geehrt.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.02.2004

Denkwürdigkeit, geh’ Du voran
Karl August Varnhagen von Ense und das Leben im Salon
Zu den vielen Vorzügen dieses Buches über den liberalen Diplomaten, Sammler, Briefschreiber und Schriftsteller Karl August Varnhagen von Ense (1785 bis 1858) gehört, dass es seinen Helden in Ton und Gedankenführung so präsentiert, wie es einem Mann angemessen ist, der in den Salons seiner Zeit zu Hause war und wegen seiner Kunst der Charakteristik noch heute gelesen zu werden verdient. Es macht den Leser mit Varnhagen wie mit jemandem bekannt, der plötzlich in einer Gesellschaft auftaucht und der näheren Vorstellung gerade deshalb bedarf, weil sofort allerlei Geflüster aufkommt.
Ja, sagt Hazel Rosenstrauch, das ist der Mann von Rahel Varnhagen, aber es lohnt sich, wenn Sie ihn einmal für sich nehmen. Ja, er war 14 Jahre jünger als seine Frau, aber ihr intellektuell unselbständiges Geschöpf, dessen wichtigste Leistung in der Edition ihrer Briefe besteht, ist er nicht. Und auch nicht der „Mann ohne Eigenschaften”, als den Sie ihn vielleicht aus Hannah Arendts maliziöser Abfertigung kennen. Und überhaupt, sagen Sie nicht immer „die Rahel” wie die Feministinnen, Philosemiten und Wiederentdecker Preußens, die sich „die Salonière” zu ihrer Duz-Freundin erkoren haben. Sie hieß „Antonie Friederike”, seit sie sich im September 1814, wegen der Heirat mit Varnhagen, von Schleiermacher taufen ließ. Wissen Sie übrigens, dass Schleiermacher, als ihn Varnhagen 1833 bat, er möge seine alte Freundin Rahel bestatten, dieser Bitte nicht entsprochen hat?
Das Misstrauen gegenüber jeglicher Verklärung und Idyllisierung der „deutsch-jüdischen Symbiose” in den Berliner Salons des frühen 19. Jahrhunderts ist eine Konstante in diesem historischen Essay. Es kommt nicht von ungefähr. Im Blick auf den Chronisten und Zeitzeugen Karl August Varnhagen fasst Hazel Rosenstrauch die „Pubertät Deutschlands” ins Auge, den Weg der Deutschen zum Nationalstaat, dem es am Ende nicht gut bekam, dass es in Deutschland nach den romantisch-revolutionären Aufbruchshoffnungen um 1800 das liberale und kosmopolitische Element so schwer hatte.
Schwarzer Schrank, viel Papier
Bei der Hinrichtung des französischen Königs war Varnhagen, Sohn eines katholischen Vaters und einer protestantischen Französin aus Straßburg, sieben Jahre alt. Seine Kindheit war geprägt von ständigen Aufbrüchen und Umzügen zwischen linkem und rechtem Rheinufer. Der Vater, Arzt, geriet mit der deutschen Obrigkeit wie mit den Jakobinern in Konflikt. Zu Recht betont Rosenstrauch die Prägekraft nicht nur dieser Herkunft aus den Revolutionswirren, sondern zugleich der Erfahrungen des Arztsohnes mit den Naturwissenschaften, der frühen Bekanntschaft mit der Anatomie.
Die medizinische Lehranstalt Pepinière in Berlin und der dortige Mentor Kiesewetter oder der Arzt und Philosoph Johann Benjamin Erhard, dessen „Denkwürdigkeiten” Varnhagen 1830 aus dem Nachlass herausgeben wird, die Familie Cohen und ihr Salon, wo er 1803 Hauslehrer wird, waren eine wichtige Vorschule für die Welt Rahel Levins, die er 1806 kennen und lieben lernt.
Varnhagen, der seit 1811 den erst sehr viel später legitimierten Namenszusatz „von Ense” verwendete, hat in den seit 1837 veröffentlichen „Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens” die Geschichte seiner Jugend selbst erzählt. Die Spannung in Hazel Rosenstrauchs Darstellung dieser Bildungsgeschichte und politischen Biographie zwischen Revolution und Befreiungskriegen ergibt sich aus der konsequent eingehaltenen Doppelperspektive. Stets liest sie die späten Texte ihres Helden, des 1819, im Klima der Karlsbader Beschlüsse entlassenen liberalen Diplomaten und Protegés, ebenso sehr als Kritik der unmittelbaren Gegenwart wie als Auskunft über die Vergangenheit des Verfassers. Hier schreibt einer, dessen Blütenträume nicht reiften, der den Rückblick auf seine Jugend, teils polemisch, teils resignativ, zur hartnäckigen Auseinandersetzung mit der Restauration (und auch der Zensur) nutzt.
Der Privatier Varnhagen, der es ablehnte, je in den Staatsdienst zurückzukehren, schrieb nicht nur wie besessen, er sammelte auch wie besessen die Dokumente seines Zeitalter wie seines Lebens: Briefe, Zeitungsartikel, Dokumente. Manuskripte, Autographen. Sein riesiger, schwarzer Schrank voller Papierschnipsel und Dossiers war auf paradoxe Weise der ungeliebten, postrevolutionären Epoche nach 1848, der er die Leviten las, kongenial. Varnhagen hinterließ, was erst durch das Zusammenspiel von Historismus und Philologie seine moderne Gestalt als Garant der Überlieferung annahm: einen umfangreichen Nachlass, der als solcher intendiert war.
Eine systematische Auswertung des Krakauer Varnhagen-Archivs bietet dieser biographische Essay nicht. Dafür entschädigt er, nicht nur in den Illustrationen, mit einer schönen Würdigung derjenigen Obsession Varnhagens, die an der Seite seiner Kunst der literarischen Charakteristik steht: des Scherenschnitts. Man verzeiht daher diesem Buch sogar, was bei Büchern dieser Art eigentlich unverzeihlich ist: dass es kein Personenregister hat.
LOTHAR MÜLLER
HAZEL ROSENSTRAUCH: Varnhagen und die Kunst des geselligen Lebens. Eine Jugend um 1800. Biographischer Essay. Verlag Das Arsenal, Berlin 2003. 223 Seiten, 19,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Lothar Müller hat eine Perle entdeckt und betrachtet sie voller Freude. Karl August Varnhagen ist eine verkannte Figur, und Hazel Rosenstrauch leistet in seinen Augen weit weit mehr als die fällige Rehabilitierung des Mannes, der oft nur als Anhängsel seiner Frau Rahel gilt. Sie bettet nämlich, so Müller, die Biografie Varnhagens in die Zeit "zwischen Revolution und Befreiungskriegen" ein und liest Varnhagens Schriften über sein Leben "ebenso sehr als Kritik der unmittelbaren Gegenwart wie als Auskunft über die Vergangenheit des Verfassers". So erwachse aus der Geschichte einer Jugend die Darstellung liberaler und kosmopolitischer Träume, die in der Zeit der Restauration zerplatzten. Rosenstrauchs Blick auf Varnhagen, den überaus fleißigen Chronisten, fasse "die 'Pubertät Deutschlands' ins Auge", seine "romantisch-revolutionären Aufbruchshoffnungen um 1800", die dann arg enttäuscht wurden - zum Schaden der jungen Nation. Dabei geht sie so klug und engagiert vor und vermeidet so konsequent jede "Verklärung und Idyllisierung der 'deutsch-jüdischen Symbiose' in den Berliner Salons des frühen 19. Jahrhunderts", dass Müller ihr sogar locker ein fehlendes Personenregister durchgehen lässt.

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