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In den dreißiger Jahren konstruierte Stalins Geheimpolizei NKWD eine »konterrevolutionäre, terroristisch-trotzkistische Organisation«, der in Moskau 70 deutsche Emigranten zugerechnet wurden. Oppositionelle wie linientreue KPD-Funktionäre, die Schauspielerin Carola Neher und Zenzl Mühsam gerieten in das Visier der Parteiinstanzen, wurden denunziert und in der Lubjanka gefoltert.
Neuerschlossene Dokumente aus »Moskauer Geheimarchiven« enthüllen die Funktionsweise des stalinistischen Terrors. Reinhard Müller beschreibt anhand der Schicksale einzelner Politemigranten und der konstruierten
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Produktbeschreibung
In den dreißiger Jahren konstruierte Stalins Geheimpolizei NKWD eine »konterrevolutionäre, terroristisch-trotzkistische Organisation«, der in Moskau 70 deutsche Emigranten zugerechnet wurden. Oppositionelle wie linientreue KPD-Funktionäre, die Schauspielerin Carola Neher und Zenzl Mühsam gerieten in das Visier der Parteiinstanzen, wurden denunziert und in der Lubjanka gefoltert.

Neuerschlossene Dokumente aus »Moskauer Geheimarchiven« enthüllen die Funktionsweise des stalinistischen Terrors. Reinhard Müller beschreibt anhand der Schicksale einzelner Politemigranten und der konstruierten »Wollenberg-Hoelz-Verschwörung« die Strukturen dieses Terrors und die Funktionsweise der Verfolgungsbürokratien von NKWD, Kommunistischer Internationale und KPD.
Autorenporträt
Reinhard Müller, Historiker und Soziologe war von 2010 bis 2012 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur und bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich »Theorie und Geschichte der Gewalt«.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.04.2002

Anstehen vor der Lubjanka
Deutsche Nazi-Gegner im sowjetischen Exil durchlitten Verfolgung und Verhaftung durch den KGB
REINHARD MÜLLER: Menschenfalle Moskau. Exil und stalinistische Verfolgung, Hamburger Edition, Hamburg 2001. 501 Seiten, 35 Euro.
In der Geschichte des modernen Glaubensterrors spielen die umfassenden Säuberungswellen und berüchtigten Moskauer Schauprozesse der Jahre 1936 bis 1938 unter Stalin eine exemplarische Rolle. Stalin hatte einen gigantischen bürokratischen Apparat mit Geheimpolizei, Parteikontrollkommissionen und Folterexperten aufgebaut, um die Kader der KPdSU zu einer disziplinierten Maschine zu schmieden. Monolithische Geschlossenheit, ideologische „Reinheit” und organisatorische Schlagkraft sollten die Partei auszeichnen.
Die stalinistische Inquisition inszenierte Säuberungsrituale und informelle Schauprozesse in den Parteizellen, um den Gehorsam der „Parteisoldaten” zu formen. Diese Säuberungsmethode wurde auch auf die Organe der Komintern (der Kommunistischen Internationale) übertragen und in die angeschlossenen „Bruderparteien” exportiert.
Schon zu Beginn der dreißiger Jahre operierte die Komintern als bürokratische Säuberungsmaschine. Sie sammelte Dossiers und Kaderakten der Funktionäre, forschte nach „dunklen” Punkten in ihrer Vergangenheit und konstruierte das „Kompromat”, also kompromittierendes Material über Sünden an der Partei, welche zu Parteiausschluss, Verbannung in Straflager oder in den Tod führten.
Schule der Vernichtung
Reinhard Müller gehört zu den besten Kennern des Schicksals der deutschen Emigranten im Moskauer Exil, die vor dem Naziterror flohen und dennoch in das Räderwerk der Stalinisten, eine „Menschenfalle” für gläubige Kommunisten gerieten. Müller gelingt es, die Funktionsmechanismen der Säuberungen anhand von Fallstudien über Kader zu rekonstruieren, die in der KPD eine wichtige Rolle gespielt haben. Aus den von ihm erschlossenen Archivmaterialien ergibt sich ein facettenreiches Bild der Vernichtungsmethoden, welche die angeklagten Politemigranten sozial isolierten sowie Folter, Hunger, zuletzt physischer Vernichtung auslieferten.
Zu Recht bemüht der Autor die Semantik, welche die römische Amtskirche in der Ketzerverfolgung entwickelt hatte. Anders seien die qualvollen Exerzitien, die permanenten Selbstbezichtigungen, die abstrusen Anklagen, die paranoiden Denunziationsepidemien und die hysterischen Appelle zu „Wachsamkeit” und „bolschewistischer Härte”, welche in den deutschen Emigrantenkolonien grassierten, nicht zu begreifen. Im Labyrinth der stalinistischen Inquisition, in den Folterkammern der Lubjanka, fand die Inszenierung des Dramas einer politischen Religion statt, welche glaubenstreue Genossen in die Hölle der „Schädlinge”, „Volksfeinde”, „Doppelzüngler”, „Giftschlangen”, „Trotzkisten”, „Gestapo-Agenten”, „Konterrevolutionäre” und „Spione” verbannte.
Im Bezugsrahmen dieser Vernichtungslogik konstruierte das NKWD systematisch immer dann „Verschwörungen” gegen die Parteidisziplin, wenn informelle Treffen von Parteigenossen stattfanden. So diente eine Zusammenkunft von Parteifunktionären am 5. März 1933 in der Moskauer Wohnung von Elsa und Hermann Taubenberger, welche die Ergebnisse der Reichstagswahl im Radio verfolgten, als Anhaltspunkt für die Bildung einer parteifeindlichen Fraktion, der „Wollenberg-Hoelz-Organisation”. Das NKWD sammelte Dossiers über die Teilnehmer. Diese dienten wiederum zu einem späteren Zeitpunkt als Grundlage für Verhaftung, Folterung, Ausschluss, Verbannung oder Liquidierung der „entlarvten Parteifeinde”.
Brisant wurde diese Verschwörungsfiktion des NKWD besonders dadurch, dass mit Erich Wollenberg, Max Hoelz und Zenzl Mühsam prominente Akteure des Moskauer Exils erfasst wurden. Dem KPD-Militärexperten Wollenberg war 1934 die Flucht aus der Sowjetunion gelungen; danach konnte er vom NKWD leicht zum Leiter einer „trotzkistisch-faschistischen Agentur” deklariert werden.
Ausführlich geht Müller auch auf die Dissidentenkarrieren von Max Hoelz, einem proletarischen Sozialrebellen der Weimarer Republik, und Zenzl Mühsam, der Witwe des im KZ Oranienburg ermordeten Anarchisten Erich Mühsam, ein. Max Hoelz konnte sich nicht in die starre und bürokratische Befehlshierarchie der sowjetischen Partei einordnen. Aus dem gefeierten antibürgerlichen Proleten wurde ein lästiger Parteirebell, der schließlich 1933 von Schergen des NKWD ermordete wurde. Zenzl Mühsam wurde mit dem Versprechen der Publikation des Nachlasses ihres Mannes aus dem Prager Exil nach Moskau gelockt und dort 1936 – auch wegen ihrer kritischen Äußerungen zur Sowjetmacht – verhaftet.
Die ausführliche Dokumentation des Geheimprozesses in der Lubjanka gegen Zenzl Mühsam gehört zu den faszinierendsten Kapiteln des Buches. Müller präsentiert die Verhörprotokolle, in denen die Angeklagte listig und standhaft die inkriminierten Handlungen leugnet, ohne gleichzeitig in die Rolle der Denunziantin auszuweichen. Ihr von Verbannung, Armut und Isolation geprägter Leidensweg endet schließlich in der DDR, deren Staatssicherheit die schwerkranke, unter Depressionen leidende 74-jährige Frau noch anwerben wollte. Die Urheberrechte für die Arbeiten von Erich Mühsam wurden ihr schließlich eine Woche vor ihrem Tod abgerungen und der Ostberliner Akademie der Künste übertragen. Der amtierende Berliner PDS-Kultursenator hätte hier eine Gelegenheit, diese bisher verschwiegene Geschichte über das Ende einer bemerkenswert tapferen und standhaften Frau kritisch aufzuarbeiten. KLAUS–GEORG RIEGEL
Der Rezensent hat einen Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Trier.
Meisterquäler: KGB-Chef Lawretnij Berija.
Foto:
SZ
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Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hermann Weber ist des Lobes voll über Reinhard Müllers "Menschenfalle Moskau". Der Autor habe durch die nun mögliche gewordene Einsicht in russische Archive eine "ungeheure Menge von Quellen" ausgewertet. Die Fakten, die dieses Buch auf den Tisch legt, ließen den Leser erschauern und weisen seinen Autor als intimen Kenner der Schreckenszeit der dreißiger Jahre in Moskau aus, weiß Weber. Vor den Augen des Lesers entstehe ein genaues Bild "einer totalitären Diktatur mit ihren Unterdrückungs- und Verfolgungsinstrumenten", berichtet er. Als einzigen Kritikpunkt führt Weber die manchmal verwirrende Detailfülle an, die den Leser manchmal den "roten Faden" verlieren lasse, ein Minuspunkt, den der Rezensent in Anbetracht des hohen Informationswertes des Buches billigend in Kauf zu nehmen scheint.

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