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Produktdetails
  • Verlag: Rospo
  • Seitenzahl: 76
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 174g
  • ISBN-13: 9783930325337
  • ISBN-10: 3930325330
  • Artikelnr.: 25900304
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.02.2001

Die Speisen sondern tödliches Gift ab
In einem tristen Weiler namens „Neue Welt” hat der polnische Lyriker Ryszard Krynicki den Stein des Zweifels gefunden
Fast ein Jahrzehnt ist vergangen, seit Ryszard Krynicki bei uns mit dem – bei Suhrkamp erschienenen – Gedichtband Wunde der Wahrheit vorgestellt wurde. Nun legt der Hamburger Rospo Verlag eine Auswahl älterer, hier erstmals übersetzter und neuester Gedichte des Autors vor, der mit Adam Zagajewski und Stanislaw Baranczac zu den wichtigsten poetischen Stimmen seiner Generation zählt.
„Nach Empedokles” ist das erste Gedicht des Bandes Der Stein aus der Neuen Welt benannt, nach jenem Vorsokratiker, der, anders als Heraklit oder Parmenides, das Wesen der Welt nicht aus einem Monismus erklärte, sondern als Mischung und Sonderung der vier Elemente. Für die Vermittlung seiner Philosophie wählte der antike Wanderguru, der an der Spitze einer zahlreichen Jüngerschaft gegen die herrschende Oligarchie seiner Vaterstadt putschte, die Form des epischen Lehrgedichts.
In ihrer aphoristisch zugespitzten Knappheit nehmen sich auch einige dieser Gedichte wie Katharmoi, wie Reinigungslehren, aus, deren Duktus und Moral allerdings mitunter Kalendersprüchen entlehnt scheint: „Den Ärmsten dieser Welt / erspart die Schwerarbeit / nicht einmal das Sterben” oder „Das Zeitalter des Fortschritts hat Dämonen entfesselt, / von denen dem Mittelalter / nicht einmal träumte”.
Doch die „Mischung der Elemente” macht sich glücklicherweise nicht nur an der Auswahl unterschiedlich stark durchkomponierter Gedichte fest, sondern vor allem in einer inhaltlichen Symmetrie, die den Band nach kontrapunktischem Prinzip strukturiert. Indiz hierfür ist eine weitere, quasi als Widmungsadresse installierte Persönlichkeit, Max Hölzer. Gemeint ist offenbar Max Hölz, jener Politiker, der an der Gründung der KPD und der Räterepublik beteiligt war. Zwar lasten auf diesem Gedicht die großen Begriffe etwas schwer, (die Liebe folgt dem Tod schon mal in einem Abstand von einer Zeile – in eben dieser Reihenfolge), doch bieten bereits die Titel einen ersten Hinweis auf das kalkulierte Risiko eines Lyrikers, für dessen Werk die existentialphilosophische Fragestellung noch immer mindestens ebenso wichtig ist wie die poetologische: „Nach Empedokles”, „Nach Max Hölzer”. Nach, nicht über.
Es ist die Haltung der Empathie, die diesen Texten zugrunde liegt. Empedokles und Hölz: Beide waren vom hohen Ideal befeuerte Revolutionäre, beide Beobachter, Beteiligte und Opfer politischer wie weltanschaulicher Umbrüche. Beider Ende ist von Legenden umwoben, ihre Todesarten wiederum – der eine stürzte sich der Überlieferung nach in den Krater des Ätna, der andere ertrank unter ungeklärten Umständen – spiegeln symbolhaft das Wirken gegensätzlicher Elemente auf einen gemeinsamen tödlichen Nenner hin.
Vor diesem Hintergrund lesen sich die Gedichte aus den 80er Jahren neben denen vom Ende der 90er als Texte über Zeiten, geschrieben an den Kanten von Epochen, historischen wie inneren gleichermaßen, an den Rändern der Alltagswirklichkeit auch, an welche die Verlierer des Wandels gedrängt werden: „ und hartnäckig wiederholte ratlose Beschwörung / Kilroy was here wie eine Gravierung / im Fels. Im Innern des Dämmers legt der Obdachlose / seine Kartons für die Nacht zurecht. Niemand // spiegelt sich in der Wand”, heißt es in dem von Karl Dedecius übertragenen Gedicht „Ich war hier”.
Unschreibbare Sätze
Es sind Protokolle über Fallzeiten: „sowohl im Winter, / als auch im Sommer, / (die Steilwand des Sturzregens eine Nachahmung fallender Mauern), / währte die Reise so lang wie der Fall von einer hohen Brücke: un / endlich und doch begrenzt von Traum und Zerfall der Sätze, / unschreibbarer Sätze”.
Um die Offenlegung jener Unschreibbarkeit geht es auch in den Fragmenten aus dem Jahr 1989: „stumm, / mit bedecktem Haupt, / stehe ich, den Kiesel im Mund, / vor der Mauer aus Feuer / und Vergessen”. Das mag von Krynicki schon mit außergewöhnlicheren Metaphern deklariert worden sein, doch macht gerade der weitgehende Verzicht auf glanzvolle Effekte ein Gedicht wie das wunderbare zu Tadeusz Peiper so eindringlich: „ Arbeitslose / lasen keine Gedichte, der Staatsanwalt und die Geheimpolizei doch / sehr wohl, auf die nur ihnen eigene Art. Das Kalbskotelett / wurde lebendig unter dem Messer, schmeckte nach Fahne, die Speisen / sonderten tödliches Gift ab. // Tadeusz Peiper glaubte, die Kunst bringe Ordnung / ins Chaos ”.
Der Stein aus der Neuen Welt markiert die Distanz zu diesem Glauben umso deutlicher, als mit der Neuen Welt keineswegs die der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten gemeint ist, und schon gar nicht ein way of life, dessen ungebrochener Fortschrittsoptimismus und rücksichtsloser Wille zum individuellen ökonomischen Erfolg in Zeiten der Globalisierung zum Religionsersatz avancieren. Vielmehr fand Krynicki in einem tristen Weiler dieses Namens einen Grabstein mit verstümmelter Inschrift, einen Stein, der hier für Worte steht, die „immerzu korrigiert, nach so vielen Kriegen, wer weiß wie treu sind”.
SYLVIA GEIST
RYSZARD KRYNICKI: Stein aus der Neuen Welt. Gedichte. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Rospo-Verlag, Hamburg 2000. 76 Seiten, 37 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.09.2000

Spitzentier am Morgen
Der polnische Lyriker Ryszard Krynicki · Von Jan Wagner

Neun Jahre nachdem ein von Karl Dedecius übersetzter Band das Werk Ryszard Krynickis dem deutschen Publikum zugänglich gemacht hatte, liegt nun eine zweite Gedichtsammlung vor. Krynicki ist neben Adam Zagajewski der bedeutendste der um 1945 geborenen polnischen Lyriker. In einem Gedicht hatte Krynicki vom "Lärm / des Störsenders" gesprochen: "Das Nichts arbeitet." Dichtung ist für Krynicki Arbeit gegen das Vergessen. Aus den Texten Krynickis, der in der "Solidarno¿sc"-Bewegung aktiv war, dessen Werke von 1976 bis 1980 nicht gedruckt wurden und der oft inhaftiert wurde, spricht die Überzeugung, daß der Dichter mit seiner Lyrik politische und gesellschaftliche Mißstände benennen müsse. Dies ist, auch nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, noch immer der Fall: Der Störsender ist in Betrieb.

Auch in "Stein aus der Neuen Welt", wo die Sentenzen nicht selten einen ironischen oder sarkastischen Ton haben: "Ich bemerke seit einiger Zeit, / wenn ein Besitzer nach seinem Hund pfeift, // dreht sich die Mehrzahl der Passanten um." Krynicki ist ein direkter Nachkomme der Litérature engagée, ein Moralist ohne Erstarrungen, dem in seinen längeren Texten eine Mischung aus Nüchternheit und lyrischem Sprechen gelingt. Dichtung als rationales Abtasten der Welt und der menschlichen Existenz, ohne das Bild und die Metapher zu vernachlässigen, geschult sicherlich am Werk Zbigniew Herberts. Was Herbert und Krynicki neben der Mischung aus kritischem Verstand und lyrischer Kraft verbindet, ist die Tatsache, daß sich beide nicht nur als polnische Lyriker, sondern als Bewahrer und Vermittler eines gesamteuropäischen Kulturerbes verstehen lassen. Wie präsent dieses Erbe in Krynickis Gedichten ist, macht das Bild vom "rosenbrustwarzenen Morgen" deutlich, eine Abwandlung der Homerschen Wendung "als die dämmernde Frühe mit Rosenfingern erwachte".

In Krynickis Lyrik klingt die Hoffnung an, daß, wenn auch das Individuelle verschwinden muß, doch alles in veränderter Form erhalten bleibt - nicht umsonst ist das erste Gedicht des Bandes mit "Empedokles" betitelt. In einem früheren Gedicht, "Poesie lebt", hört sich diese Hoffnung so an: "Poesie - ist / wie eine Blutübertragung für die Arbeit des Herzens: Sind auch die Spender längst tot / durch plötzlichen Unfall, so lebt / ihr Blut - macht fremde Kreisläufe verwandt // und belebt die fremden Lippen". So führt ein Kreislauf von Catulls "Odi et am" - "Ich hasse und ich liebe" - zu der Anrede "Geliebte Verhaßte" bei Krynicki - eine paradoxe Formel, die die zahlreichen Liebesgedichte in "Stein aus der Neuen Welt" prägt. Auch sie sind im Grundton melancholisch, und in ihnen zeigt sich neben der politischen die existenzielle Seite von Krynickis Lyrik.

Nur selten findet der Dichter in der Liebe die "Gnade der Augen und Lippen" und einen Augenblick der Geborgenheit. Liebe, Kindheit, Unschuld, das Leben - all das ist flüchtig, und das Glück der Ruhe währt nicht lange: "Kaum erhebst du dich vom Kniefall, / wirst du zum Bannfluch." So ist für Krynicki in der Liebe wie in der Welt die grundlegende Gegebenheit ein Gefühl des Fremdseins und der Entfremdung von den Dingen; der Mensch ist "in fremden Traum gefaßt, in den Gefängnisdrillich der Haut".

Im Politischen wie im Zwischenmenschlichen zwingt die Wunde zum Erinnern und ist demnach willkommen. Hieraus entsteht die Dialektik in Krynickis Gedichten, und deshalb muß "diese eine, körperlose / am schmerzlichsten entblößte, / die dich nicht leben läßt - und dich doch / am Leben hält, diese einzige, auf / immer unverkrustete, allein dir / gegebene", diese für Krynicki notwendige Wunde offenbleiben. Seinen Gedichten wohnen auch Humor und Selbstironie inne, etwa wenn "die Spitzentiere / aus dem landwirtschaftlichen Musterbetrieb / die Ausflugsgruppe unserer herausragenden Kunstschaffenden betrachteten". Die Eleganz der Gedichte läßt hoffen, daß viele von ihnen außerhalb der Reichweite des Störsenders liegen, daß Krynicki selbst einer der "Schamanen" sein möge, von denen Herbert in seinem in Verse gefaßten Brief "An Ryszard Krynicki" sprach: "Nicht viel wird bleiben Richard wirklich nicht viel / von der Dichtung dieses Wahnsinnsjahrhunderts sicherlich Rilke und Eliot / auch ein paar andre würdige Schamanen, die das Geheimnis kannten / widerstandsfähige Wörter gegen die Wirkung der Zeit zu beschwören / ohne die es keine erinnerungswerte Phase gibt und die Sprache wie Sand ist."

Ryszard Krynicki: "Stein aus der Neuen Welt". Gedichte. Aus dem Polnischen von Esther Kinsky. Rospo Verlag, Hamburg 2000. 80 S., geb., 37 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Jan Wagner berichtet in seiner Besprechung zunächst aus der Zeit, als Krynicki in der Solidarnosc-Bewegung aktiv war. Damals sei dessen Überzeugung gewachsen, "dass der Dichter mit seiner Lyrik politische und gesellschaftliche Missstände benennen müsse”. Dass der Leser dieser Überzeugung nicht unbedingt Krynickis beste Gedichte zu verdanken hat, lässt der Rezensent erst am Ende durchblicken. Vorher hat er lobend viele Facetten dieser Lyrik geschildert, an denen er besonders die Mischung aus "Nüchternheit und lyrischem Sprechen” schätzt. Wir haben von der Eleganz dieser Verse gelesen, ihrem Humor, vom melancholischen Grundton mancher Gedichte und "vom sarkastischen Ton mancher Sentenzen”. Und wir haben die Hoffnung des Kritikers gespürt, Krynicki möge endlich mit Haut und Haar in der neuen Zeit ankommen, über die er schon ein paar so schöne Gedichte geschrieben hat.

© Perlentaucher Medien GmbH"