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Die Studie, entstanden im Rahmen eines Projektes am Deutschen Historischen Institut Warschau, bietet eine differenzierte Sicht auf das Problem Zwangsarbeit. Sie stützt sich gleichermaßen auf das Werksarchiv der Bayer-AG wie auf Interviews mit über 50 Betroffenen in Polen. Der Autorin war es so möglich, die Perspektive von oben mit einem Blick von unten zu kombinieren. Es wird gezeigt, wie die jungen Polinnen und Polen nach Leverkusen gelangten, auf welchen Arbeitsplätzen sie eingesetzt, wie sie untergebracht, verpflegt und medizinisch versorgt wurden. Breiten Raum nimmt die Frage ein, wie sie…mehr

Produktbeschreibung
Die Studie, entstanden im Rahmen eines Projektes am Deutschen Historischen Institut Warschau, bietet eine differenzierte Sicht auf das Problem Zwangsarbeit. Sie stützt sich gleichermaßen auf das Werksarchiv der Bayer-AG wie auf Interviews mit über 50 Betroffenen in Polen. Der Autorin war es so möglich, die Perspektive von oben mit einem Blick von unten zu kombinieren. Es wird gezeigt, wie die jungen Polinnen und Polen nach Leverkusen gelangten, auf welchen Arbeitsplätzen sie eingesetzt, wie sie untergebracht, verpflegt und medizinisch versorgt wurden. Breiten Raum nimmt die Frage ein, wie sie von Vorgesetzten, deutschen Beschäftigten und der Bevölkerung behandelt wurden. Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erscheinen in der Darstellung nicht nur als Opfer, sondern auch als handelnde Personen: Individuelle Strategien mussten entwickelt werden, um sich in Leverkusen zurechtzufinden und zu überleben.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.06.2000

„Das Elend ist kaum zu beschreiben”
Polnische Zwangsarbeiter in Leverkusen: Manch einer bereut, dass er trotz allem nicht geblieben ist
VALENTINA MARIA STEFANSKI: Zwangsarbeit in Leverkusen. Polnische Jugendliche im I. G. Farbenwerk (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau Bd. 2), fibre Verlag, Osnabrück 2000. 585 Seiten, 48 Mark.
Über kaum ein zeithistorisches Thema ist in den vergangenen Monaten mehr berichtet worden als über die Entschädigung der Zwangsarbeiter aus der Zeit des „Dritten Reichs”. Dass diese Diskussion geführt wird, ist auch den vielen Regional- und Lokalstudien zu verdanken, in denen das Prinzip der Sklavenarbeit konkret sichtbar wurde. Eine wichtige Ergänzung dieser Arbeiten hat jetzt die polnische Historikerin Valentina Maria Stefanski vorgelegt. Im Rahmen eines Forschungsprojekts des „Deutschen Historisches Instituts” in Warschau hat sie für ihre Untersuchung über „Zwangsarbeit in Leverkusen” mit polnischen Betroffenen gesprochen, die im dortigen I.G.Farbenwerk arbeiten mussten.
Heimliche Völkerverständigung
In den Mittelpunkt ihrer Studie rückt Stefanski die individuellen Lebenserinnerungen, die sie nach intensiven Recherchen vor allem im Archiv der Bayer-AG durch Dokumente des Unternehmens ergänzen konnte. Ihre Interviewpartner berichten über ihre Wege nach Leverkusen, die Arbeitsbedingungen im Werk sowie über die Zustände in den Lagern. Zumeist mussten die überwiegend jugendlichen Sklavenarbeiter unangenehme und gesundheitsschädliche Tätigkeiten übernehmen, dabei litten sie zunehmend unter der unzureichender Ernährung und dem Mangel an geeigneter Kleidung.
Die von der Betriebsleitung angestrebte Trennung von Polen und Deutschen ließ sich in Leverkusen nicht durchhalten. Allerdings waren Kontakte und Erfahrungen mit Deutschen unterschiedlichster Natur: Während der Werkschutz als „die schlimmste Gruppe unter den Deutschen” erschien, und sich so mancher deutscher Arbeitskollege als „Herrenmensch” gerierte und wegen Nichtigkeiten zuschlug, berichten fast alle Interviewpartner auch von Erfahrungen mit „guten Deutschen”. Zuweilen hätten sie polnische „Kollegen” sogar vor dem Verhungern gerettet.
Kontakte ergaben sich auch in der Freizeit, zugelassene wie bei den Fußballspielen einer polnischen Auswahl gegen die „Bayer-Elf”, aber auch heimliche wie bei den „kleinen Fluchten” in die Stadt Leverkusen oder sogar ins nahe Köln. Hierbei förderte Stefanski in ihren Gesprächen erstaunliche Geschichten von abendlichen Kino-Besuchen oder touristisch anmutenden Fotos vor dem Kölner Dom zutage. Solche Unternehmungen konnten allerdings sehr gefährlich und damit hart sanktioniert werden; drastische Strafen drohten zudem bei sexuellen Beziehungen mit Deutschen. Von solchen wussten die meisten Zwangsarbeiter; in den Gesprächen über „Liebe und Sexualität” erhielt Stefanski zu persönlichen Erfahrungen freilich überwiegend ausweichende Antworten.
Stefanskis Studie reicht über das Kriegsende hinaus. Sie schildert, wie die befreiten Zwangsarbeiter zunächst als „displaced persons” in neuen Auffanglagern landeten, in denen zuweilen regelrechte „Massenhochzeiten” das Lebensgefühl der wiedergewonnen Freiheit spiegelten. Viele der Polen, die in den kommenden Monaten in ihr Heimatland zurückkehrten, waren über die dortige politische Lage nicht informiert. So bewerten viele von ihnen im Sinne einer Lebensbilanz ihre Entscheidung rückblickend als Fehler. Dabei vergisst die Autorin nicht zu erwähnen, dass heute zahlreiche ehemalige Zwangsarbeiter große materielle Not leiden: „Das Elend dieser alten Menschen ist kaum zu beschreiben. ”
Die hier zusammengestellten Erinnerungen der überlebenden Zwangsarbeiter sind zuweilen durchaus widersprüchlich, was bei solchen Forschungsprojekten in der Natur der Sache liegt. Stefanski erinnert zu Recht daran, dass mit Hilfe der „Oral History” historische Ereignisse oder Prozesse nicht exakt rekonstruiert werden können, weil die erinnerte Geschichte ex post interpretiert wird. Und doch gelingt es der Autorin, ein verlässliches Gesamtbild der Zwangsarbeit im Leverkusener Werk zu entwerfen.
Zugleich ist Stefanski einer Eigentümlichkeit historischer Überlieferung auf die Spur gekommen: Die zuweilen heimlich aufgenommenen Fotos wurden von den Zwangsarbeitern zum Teil aufwendig inszeniert. Möglichst „herausgeputzte” junge Frauen und Männer lächeln in die Kamera, um eine „heile Welt” zu dokumentieren – die Autorin spricht von „Bilderlügen”. Das Ergebnis sind irritierende Abbildungen vermeintlich zufriedener Zwangsarbeiter, die – ergänzt durch die I.G.Farben-Propagandafotos – damals wie heute ein entstelltes Bild des „Arbeitseinsatzes” zeichnen können.
Die „Spannbreite der unterschiedlichen Wahrnehmungen und Erinnerungen” bringt es allerdings auch mit sich, dass es der Darstellung zuweilen ein wenig an Klarheit mangelt – hier hätte die Autorin stärker strukturieren können. Dagegen steht das große Verdienst dieser Studie, die Forschung zu diesem Thema um eine Sammlung lebensgeschichtlicher Interviews bereichert zu haben.
TILLMANN BENDIKOWSKI
Der Rezensent ist Historiker und Journalist in Bochum.
Bildlegende aus Nazi-Zeiten: „Hier herrscht eine echt französische Lustigkeit”. Das gestellte Foto zeigt Zwangsarbeiterinnen bei Siemens.
Foto: SZ-Archiv
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht zuletzt die vielen Regional- und Lokalstudien, "in denen das Prinzip der Sklavenarbeit konkret sichtbar wurde", haben dazu beigetragen, schreibt Tilmann Bendikowski, dass es die Frage der Entschädigung der Zwangsarbeiter zu einer so hohen politischen Priorität gebracht hat. Die vorliegende Studie der polnischen Historikerin ist ein weiterer Mosaikstein, der das Bild vervollständigt. Im Zentrum ihrer Arbeit stehen biografische Berichte, deren Mangel an Widerspruchsfreiheit aufgewogen wird durch die Eindringlichkeit der Schilderungen. Das Erleben von Hunger und Kälte, die Feindseligkeit der Umwelt aber auch heimliche Kinobesuche bis nach Köln sind ebenso eindringlich dargestellt wie das Bedauern vieler, überhaupt nach Polen zurückgekehrt zu sein. Denn die heutige materielle Not, so zitiert die Besprechung aus dem Buch, "dieser alten Menschen ist kaum zu beschreiben". Als besonders "eigentümlich" hebt Bendikowski die heimlich aufgenommenen Fotografien hervor, die ähnlich wie deutsche Propagandaaufnahmen streng inszeniert sind und ein idyllisches Bild von der Arbeit in Deutschland abgeben. "Bilderlügen" hat die Autorin diese Fotos genannt, und man hätte sich Aufklärung von Rezensent (oder Autorin) gewünscht, was die Zwangsarbeiter mit diesen Inszenierungen bezweckten. Wurden sie für die Angehörigen zu Hause vorgenommen oder für die Aufrechterhaltung der eigenen Moral? Manchmal, so bemängelt der Rezensent am Schluss, fehlt es an Klarheit, die durch mehr Strukturierung erreichbar gewesen wäre. Aber das große Verdienst dieser Arbeit sieht er dadurch keineswegs geschmälert.

© Perlentaucher Medien GmbH
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