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Sind Schwäbinnen sexuell unterschätzt? Wie angelt man sich eine bayerische Lederhexe? Mögen Kinder-Prostituierte den Film "Pretty Baby"? Wie hoch ist der Flirt-Faktor im Wellness-Hotel von Tolantongo? Was tun, wenn der Kuschel-Urlaub zur Strafexpedition mutiert? Wie bekämpft man "Chucky - Die Mörderpuppe" im eigenen Büro? Um diese und andere packenden Fragen kreisen die Stories.

Produktbeschreibung
Sind Schwäbinnen sexuell unterschätzt? Wie angelt man sich eine bayerische Lederhexe? Mögen Kinder-Prostituierte den Film "Pretty Baby"? Wie hoch ist der Flirt-Faktor im Wellness-Hotel von Tolantongo? Was tun, wenn der Kuschel-Urlaub zur Strafexpedition mutiert? Wie bekämpft man "Chucky - Die Mörderpuppe" im eigenen Büro? Um diese und andere packenden Fragen kreisen die Stories.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.06.2005

Sanft wie ein Schlagbohrer
Stefan Wimmers Drogenroman „Die 120 Tage von Tulúm”
Das Signum Frauenliteratur ist meist nicht als Kompliment gedacht. Landläufig bezeichnet es jene Gattung, in der entweder spätsommerliche Abschiedstränen in einen matt schimmernden Bergsee sinken, dieweil die Segelyacht des geheimnisvollen Fremden in den Sonnenuntergang gleitet. Oder aber die tapfere Powerfrau, in einer Hand das Handy, in der anderen die tropfnasse Wäsche und in weiteren vier Händen Windeln, Squashschläger, Terminkalender und Ayurvedaöl, gibt endlich dem total süßen, aber vollkommen unreifen Bubitypen den lang verdienten Laufpass - und lernt, sich dabei gut zu fühlen. Das Mysterium Frau darf in dieser zum Klischee geronnenen literarischen Erscheinungsform mithin als entschlüsselt gelten. Was aber ist eigentlich Männerliteratur?
Lange Zeit galt das feministische Diktum, dass in einer von Männern beherrschten Welt alle Literatur geradezu zwangsläufig Männerliteratur sein muss. Die mit Whisky, Männerschweiß und noch herberen Säften geschriebenen Geschichten eines Hemingway, Miller, Bukowski oder Fauser vor Augen, mag man dem zustimmen. Die Gegenwartsliteratur hingegen zeigt sich eher abgeschlafft, selbst in Männermagazinen verdrängen allmählich Psychotests und Diätratgeber traditionelle Themen wie Ferrarikaufberatung und Wet-T-Shirt-Fotostrecke.
Das literarische Debüt des 35 Jahre alten Stefan Wimmer, wohl das testosteronhaltigste Buch des Jahres, trifft da wie ein Faustschlag in die Magengrube des Geschlechterkampfes. Es trägt den beziehungsreichen Titel „Die 120 Tage von Tulúm” und handelt von Ingo. Ingo gehört dem literarischen Typus des Totalversagers an, Tulúm ist eine von Archäologen als weniger bedeutsam geschätzte Mayastadt in Mexiko. Im Buch steht es für den Sündenpfuhl schlechthin. Wo immer den schwanzgesteuerten Helden die zitternde Wünschelrute seines eigenen Geschlechtstriebes auch hinführt, es kommt schlimmer, als man denkt.
Inferno der lockeren Schrauben
Nicht nur, dass Ingo gleich eingangs mit einer schwäbischen Studentin sein „sexuelles Stalingrad” auf einem studentischen Matratzenlager durchleiden muss, in einer Absturzkneipe namens „Fun-Beisl” irgendwo zwischen Titmoning, Tüssling und Petting halten Provinzschläger ein diabolisches Blutgericht über den städtischen Zecher, und auch in Marseille, Barcelona, Mexiko geht es stetig bergab. Die übel beleumundeten Schauplätze dieser Odyssee sind Heteropien im Sinne Michel Foucaults, also Orte, die Individuen vorbehalten sind, deren Verhältnis zur Gesellschaft sich als ein permanenter Krisenzustand beschreiben lässt: Tulúm ist überall.
In Wimmers Buch wird dieses modische Konzept in einer Episode über den flackernden Theoriewahn eines Universitätsprofessors nur kurz abgefrühstückt, denn die Figuren zieht es in die Praxis, und das heißt meistens: in den hemmungslosen Exzess. Mit der Zielstrebigkeit eines apokalyptischen Reiters stürzt sich der Ich-Erzähler in das alltägliche Inferno. In Mexiko City etwa treibt es ihn in die Drogen-Höhlen ausgebrannter Vorstadtslums, in Veracruz verfällt er einer Kinderprostituierten, und in Spanien gerät er an einen kleptomanischen Transvestiten - und all dies, so lernt Ingo im Verlaufe seiner Abenteuer, ist gegen den ganz normalen Wahnsinn der Vogue lesenden Münchner Studentinnen fast harmlos. Dass Frauen eine Schraube locker haben, illustriert die Leidensgeschichte seiner sexuellen Frustrationen überdeutlich, um die männlichen Helden ist es aber auch nicht gerade zum Besten bestellt.
Zusammengehalten werden die Episoden von der Entwicklung ihres Helden, der im Verlaufe des Buches eine radikale Degenerierung durchleidet. Anfangs noch ein starker Gewohnheitstrinker, begegnet einem am Ende ein hoffnungsloser Amphetamin-Junkie, gegen dessen Konsum sich Hunter S. Thompsons Drogentrip nach Las Vegas ausnimmt wie ein Kuraufenthalt in Bad Gastein. In den wenigen klaren Momenten seines Deliriums hält der Ich-Erzähler inne, um mit rot geränderten Augen und brennenden Nasenschleimhäuten selbstironisch die niederschmetternde Bilanz eines verschwendeten Daseins zu ziehen. Und natürlich die nächste Line.
Dem Münchner Stefan Wimmer, der auf einschlägige Erfahrungen als Playboy-Redakteur zurückblicken kann, gelingt bei alledem eine schnörkellose, aber durchaus trunkene Prosa: „Die Sonne arbeitete sich den Himmel empor und feuerte mit Flammengarben auf die Stadt.” Oder über eine vernarbte Kneipenexistenz mit Topfschnitt: „Seine Augen waren sanft wie zwei Schlagbohrer.” Ob solche dezent an Paul Zech und Jerry Cotton erinnernden expressiven Wortgemälde vor einer künftigen Literaturwissenschaft Gnade finden werden, ist ebenso fraglich wie egal. „Die 120 Tage von Tulúm” beschenken das zeitgemäße Genre des Versagerromans mit einem neuen Hauptwerk und brechen den abgehobenen theoretischen Geschlechterdiskurs mit brachialer Kraft wieder hinunter auf Matratzenniveau. Und ganz nebenbei hat Stefan Wimmer das unterhaltsamste, ehrlichste und komischste Stück Männerliteratur der vergangenen Jahre geschrieben. Gewidmet hat er es dem Weißbier - und den Frauen.
BODO MROZEK
STEFAN WIMMER: Die 120 Tage von Tulúm. Stories. Maas Verlag, Berlin 2005. 316 Seiten, 16,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Bodo Mrozek schlägt das literarische Debüt von Stefan Wimmer, in dem der stetige Abstieg des "Versagers" Ingo von einem "Gewohnheitstrinker" zu einem "hoffnungslosen Amphetamin-Junkie" geschildert wird, der "Männerliteratur" - als Pendant zur bekannten Gattung der "Frauenliteratur" - zu. Es ist das "testosteronhaltigste Buch des Jahres", in dem der "schwanzgesteuerte" Protagonist von einem Exzess in den anderen stürzt, was ihn an ferne Orte wie Mexiko City, Veracruz oder eben Tulum führt, so der Rezensent. Die "dezent an Paul Zech und Jerry Cotton" erinnernden Beschreibungen von sexuellen Ausschweifungen und Drogendelirien werden in ihrer expressiven Wortgewalt möglicherweise nicht den Beifall der Literaturwissenschaft erringen, räumt Mrozek ein, dem das einerlei ist, weil er findet, dass Wimmer eines der "unterhaltsamsten, ehrlichsten und komischsten" Bücher auf dem Gebiet der Männerliteratur gelungen ist. Hier ist der Geschlechterdiskurs "mit brachialer Kraft" auf "Matratzenniveau" gebracht, so der Rezensent hingerissen.

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