Produktdetails
  • Verlag: ACHILLA Presse
  • ISBN-13: 9783928398787
  • ISBN-10: 3928398784
  • Artikelnr.: 09851138
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.2002

Reiz des Nachtseitigen
Franz Kreidemanns Erzählung "Der Fluch" ist neu zu entdecken

Wenn es je eine Blütezeit der modernen literarischen Phantastik in Deutschland gegeben hat, dann waren es die Jahre unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Daran hatte nicht nur der Zusammenbruch des Kaiserreichs und seiner Wertesysteme gehörigen Anteil, sondern vor allem die Popularisierung der Forschungen Sigmund Freuds - ohne ein Bekenntnis zu den disparaten Instanzen menschlicher Identität brauchte ein Autor, der sich in der damals populären Manier der "seltsamen Geschichten", "sonderbaren Novellen" oder "Erzählungen des Grauens" versuchte, den Griffel gar nicht erst in die Hand zu nehmen. Was lag da näher, als sich den Träumen zu widmen, die dem Tagesbewußtsein eine eigene Welt, eine ganz andere Persönlichkeit hinzufügen oder - wie im Erfolgsroman "Der Storchkalif" des ungarischen Schriftstellers Mihaly Babits - einen völlig neuen Lebenslauf, der zu der gewohnten Umgebung und der sozialen Stellung des Schlafenden in fundamentalem Gegensatz steht?

"Jeder Morgen führt uns aus den dunklen Tiefen der geheimnisvollen Welt des Unbewußten herauf zum wachen Tag des bewußten Lebens", heißt es in der Erzählung "Der Fluch" des mittlerweile vergessenen Autors Franz Kreidemann, die 1921 erstmals erschienen ist und jetzt von der Achilla Presse wieder ausgegraben wurde: "In dumpfer, vager Erinnerung an unsagbar schauervolle Abgründe, über denen wir zitternd geschwebt, oder in völligem Vergessen einer furchtbaren Schuld, die wir im Traum auf uns geladen, und von der uns nur eine unbewußt nagende Reue zurückblieb, beginnen wir das Werk des neuen Tages."

Den Interferenzen dieser Nachtseite mit dem Tagesbewußtsein gilt Kreidemanns ganze Aufmerksamkeit. Seine Erzählung wendet das Doppelgängermotiv um die gespaltene Persönlichkeit eines Mr. Allibone, der sich halb Spinne, halb Mensch glaubt, vom materialistischen Ansatz eines Stevenson mit seinem Dr. Jekyll und Mr. Hyde zum rein psychischen Phänomen, das keinen geheimnisvollen Trank mehr nötig hat, um die Verwandlung einzuleiten, denn beide Identitäten stehen permanent und unkontrollierbar zur Verfügung, wie eben auch die Dimension des Traumes im Tagesbewußtsein ihr Recht fordert: "Ich glaube, daß es viele Menschen gibt, die, beim Erwachen die Schwelle des Bewußtseins überschreitend, das Tor des nächtlichen Traumgartens bis zur Rückkehr fest verschließen - aber ich glaube auch, daß es mancher offen stehen läßt und während des flüchtigen Umherstreifens im Land des bewußten beherrscht wird vom Rückblick nach dem verlassenen Land der Träume." Mr. Allibone jedenfalls spannt in seinem Haus ein bizarres überdimensionales Spinnennetz auf, in dem sich seine menschlichen Opfer verfangen. Am Ende bricht ein reinigendes Feuer über die Falle und ihre Umgebung herein, und die Tagwelt hat einen flüchtigen Sieg davongetragen, dessen aber niemand so recht froh wird.

In einer Buchreihe mit dem schönen Titel "Mutabor" - auch er verweist wie Babits' Roman auf Wilhelm Hauffs Verwandlungsmärchen vom Kalif Storch - versammelt die Hamburger Achilla Presse seit kurzem deutsche phantastische Erzählungen, die nicht nur mittlerweile ausgesprochen rar, sondern auch für diese Edition eigens illustriert worden sind. Im Fall von Kreidemanns "Der Fluch" erweisen sich die farbigen Holzschnitte Heike Küsters als Glücksfall: Sie fügen dem Text eine groteske Übersteigerung hinzu, die Kreidemanns oft verhaltene Schilderungen zur Kenntlichkeit aufbläht und etwa die behauptete Spinnenhaftigkeit Mr. Allibones durch verlängerte und ausdrucksvoll verdünnte Gliedmaßen anschaulich macht. Der Oberflächenreiz des Schauerlichen, der Kreidemanns Erzählung eine matte Färbung verleiht, tritt in Küsters kühler Bestandsaufnahme zurück. Statt dessen gilt der sezierende Blick der Illustratorin dem hybriden Zustand der Figuren, die sich von dem Reiz des Nachtseitigen, der anderen Identität nicht lösen können. Denn Allibone, soviel ist sicher, unterscheidet sich von seiner Umgebung nur in jenen Nuancen, die ihn die Grenze von Vorsatz und Tat überschreiten lassen.

Franz Kreidemann: "Der Fluch". Illustriert von Heike Küster. Achilla Presse, Hamburg 2001. 38 S., geb., 15,34 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Das ist hübsch. Ob wohl die SZ-Literaturredaktion Herrn Spinnen dieses Gruselbuch über einen fluchbeladenen Spinnenmann extra zum Rezensieren gegeben hat? Es nutzt nichts, er mag es nicht. Die kurze Erzählung stammt aus dem Jahr 1921, was für Spinnen auf bedauerliche Weise spürbar wird: zu pathetisch, schlechte Dramaturgie, "pseudo-aufgeklärter Herrenrundenstil". Schwamm drüber. Auch die bibliophile Aufmachung gefällt dem anspruchsvollen Rezensenten nicht: farbige Holzschnitte, die seines Erachtens "keine aufregende Interpretation des Textes" liefern. Was ihn bestürzt, ist eine kleine Anmerkung im Impressum: dass nämlich über die Person des Autors keine Informationen vorliegen, Nachfahren, Rechtsnachfolger - unbekannt. Dabei habe Kreidemann immerhin drei Bücher geschrieben, weiß Spinnen. Gruselig? Gruselig! meint er. (Der Verlag hatte dann aber doch Informationen zum Autor zu bieten)

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