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Dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sein würde, zeichnete sich für Nazi-Deutschland 1943 immer deutlicher ab. Desto mehr hofften die Verantwortlichen auf die geheime Raketenrüstung, auf "Wunder-" und "Vergeltungswaffen", die das Kriegsglück doch noch einmal wenden sollten. Die fieberhaften Rüstungsanstrengungen der Nazis gerieten jedoch von zwei Seiten unter Druck. Erstens wurde im August 1943 die Forschungs- und Produktionsstätte für Raketen in Peenemünde durch alliierte Luftangriffe weitgehend zerstört. Zweitens wurden die Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie immer knapper, je…mehr

Produktbeschreibung
Dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sein würde, zeichnete sich für Nazi-Deutschland 1943 immer deutlicher ab. Desto mehr hofften die Verantwortlichen auf die geheime Raketenrüstung, auf "Wunder-" und "Vergeltungswaffen", die das Kriegsglück doch noch einmal wenden sollten.
Die fieberhaften Rüstungsanstrengungen der Nazis gerieten jedoch von zwei Seiten unter Druck. Erstens wurde im August 1943 die Forschungs- und Produktionsstätte für Raketen in Peenemünde durch alliierte Luftangriffe weitgehend zerstört. Zweitens wurden die Arbeitskräfte für die Rüstungsindustrie immer knapper, je umfassender die männliche deutsche Bevölkerung im "totalen Krieg" für den Fronteinsatz rekrutiert wurde.
Das Konzentrationslager mit dem Codenamen "Dora", im südlichen Harz gelegen, sollte beiden Problemen abhelfen. In einer unterirdischen Fabrik konnte die Raketenproduktion vor Luftangriffen geschützt fortgesetzt werden. Als schier unerschöpfliches Arbeitskräftereservoir dienten die Häftlinge, die ge zwungen wurden, die Fabrik im Tunnel auszubauen und die berüchtigte "V2"-Rakete zu produzieren.
Dora ist bis heute sagenumwoben. Ebensowenig wie die Nazis während des Krieges wollten die Alliierten danach, dass der Schleier um das Geheimlager gelüftet würde, da sie die Forschungsleistungen der Wissenschaftler um Wernher von Braun nun selbst für ihre Raketenprogramme zu nutzen gedachten. So war in der bisherigen Literatur hauptsächlich von den technischen Leistungen die Rede, nicht aber von den barbarischen Bedingungen, unter denen sie umgesetzt wurden
Andre Sellier, Historiker und selbst ehemaliger Lagerinsasse, ist es mit seinem Werk meisterhaft gelungen, diese Verquickung von Fortschritt und Barbarei aufzuzeigen. Er hat hunderte von ehemaligen Häftlingen befragt und die Berichte der Überlebenden mit dem vorhandenen Quellenmaterial über Dora zu einer einzigartigen Chronik dieses Lagers im besonderen und des Lagersystems im allgemeinen verwoben.
Autorenporträt
Sellier, André
André Sellier, Jahrgang 1920, wurde als Mitglied der Résistance 1943 von der Gestapo verhaftet. Von Februar 1944 bis April 1945 war er Häftling im Lager Dora. Nach dem Kriege wurde er zunächst Lehrer und trat dann in den Diplomatischen Dienst ein. Seit seiner Pensionierung im Jahre 1986 schreibt er wissenschaftliche Bücher, u.a. Le dossier des échanges industriels francais und Atlas des Peubles d`Europe centrale. Bei zu Klampen veröffentlichte er »Zwangsarbeit im Raketentunnel« (2000).

Jäckel, Eberhard
Emeritierter Prof. für neuere Geschichte an der Universität Stuttgart
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2001

Niedrigster Stand der Humanität
Das KZ Mittelbau-Dora: Gegen Kriegsende waren Innen- und Außenwelt kaum noch getrennt

André Sellier: Zwangsarbeit im Raketentunnel. Geschichte des Lagers Dora. Aus dem Französischen von Maria-Elisabeth Steiner. Mit einem Vorwort von Eberhard Jäckel. Zu Klampen Verlag, Lüneburg 2000. 627 Seiten, 78,- Mark.

Jens-Christian Wagner: Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora. Herausgegeben von der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Wallstein Verlag, Göttingen 2001. 640 Seiten, 98,- Mark.

Als am 11. April 1945 Soldaten der 3. Panzerdivision im thüringischen Nordhausen einrückten, machten sie im Industriegebiet am südlichen Stadtrand eine grausige Entdeckung: In den Trümmern einer durch Luftangriffe zerstörten Kaserne fanden sie die Leichen von über 1200 bis auf die Knochen abgemagerten KZ-Häftlingen. Zwischen den Toten lagen einige hundert Kranke und Sterbende, denen ihre Befreier kaum noch helfen konnten. Am gleichen Tag betraten die Amerikaner am Fuß des nur wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernten Bergs Kohnstein ein weitgehend leerstehendes, großes Barackenlager, dessen Insassen bis auf zahlreiche Tote und zurückgelassene Kranke wenige Tage zuvor von den Bewachern verschleppt worden waren.

Das Barackenlager trug die Bezeichnung "Dora" und war das Zentrum eines dichten KZ-Komplexes von zuletzt mehr als vierzig Lagern, der sich über die gesamte Region um Nordhausen erstreckte und von der SS-Verwaltung als "KZ Mittelbau" geführt wurde - berüchtigt durch die geheime unterirdische Produktion der vom NS-Regime als Vergeltungs- oder Wunderwaffe bezeichneten Rakete V2. Wie sich in den gigantischen Tunnelanlagen des Kohnsteins ein "höchster Stand der Technik mit dem niedrigsten Stand der Humanität" (Eberhard Jäckel) verbinden konnte, versucht André Sellier zu erzählen.

Dem Anspruch einer Gesamtdarstellung wird der französische Historiker und ehemalige Mittelbau-Häftling jedoch nicht gerecht. Zu sehr stützt er sich auf ältere Literatur, die von einer Mystifizierung der V-Waffen geprägt ist und die die Beziehungen zwischen den Mittelbau-Lagern und ihrem Umfeld weitgehend vernachlässigt. Warum Sellier für seine Untersuchung, die überwiegend aus Erinnerungsberichten französischer Häftlinge besteht, kaum auf archivarische Quellen zurückgegriffen hat, bleibt unklar - ein Versäumnis, das Jens-Christian Wagner nicht unterlaufen ist. Er hat die Akten und Unterlagen zahlreicher Archive akribisch ausgewertet.

Nach Wagners Recherchen befanden sich die Insassen des Lagerkomplexes Mittelbau nicht auf dem "Planeten Dora" (Yves Béon), wenngleich sie es selbst so wahrnahmen, sondern in Lagern, die integraler Bestandteil ihres gesellschaftlichen Umfeldes waren: "Wie die anderen Konzentrationslager stand das KZ Mittelbau-Dora nicht am Rand der Gesellschaft, sondern in ihrem Zentrum." Anhand des nicht nur für den Leser schwer zu durchschauenden Lagergeflechts mit dem Nebeneinander von KZ-Außenlagern und den vielen Zwangsarbeitslagern anderer Kategorien verdeutlicht der Autor, wie stark sich gegen Kriegsende die Grenzen der Konzentrationslager in die Gesellschaft hineingeschoben hatten: "Von einer strikten Trennung von Innen- und Außenwelt kann kaum gesprochen werden." Für das KZ Mittelbau-Dora - erst in der letzten Kriegsphase eingerichtet - gelte das in noch stärkerem Maß als für andere Konzentrationslager.

Die Geschichte "Doras" veranschaulicht die mörderische Dynamik, mit der sich das KZ-System im "Dritten Reich" entwickelte. Mit dem Mitte 1933 in Sangerhausen eingerichteten KZ der SA hatten die Mittelbau-Lager nur wenig gemeinsam. Einzig der improvisierte Aufbau verband sie neben der Funktion als Terrorinstrument. Wie bei den "wilden" Konzentrationslagern der frühen dreißiger Jahre war das Erscheinungsbild der meisten Mittelbau-Lager nicht das eines isolierten Barackenlagers, sondern das der Scheune, des Tanzsaales im Dorf oder des Fabrikgeländes in der Stadt.

1933 waren die Konzentrationslager noch keine Stätten des Massenmordes. Dazu wurden sie erst nach Kriegsbeginn 1939, vor allem nach dem Angriff auf die Sowjetunion 1941 und dem Beginn der systematischen Judenvernichtung, die zunächst überwiegend in der Peripherie des deutschen Machtbereichs geschah. Durch die militärische Wende und die Errichtung eines dichten Netzes von KZ-Außenlagern kehrte der Massenmord 1944 in das Zentrum der deutschen Gesellschaft zurück und wurde zur grausamen Realität des Kriegsalltags. Die Verbrechen der letzten Kriegsphase ähnelten einem kollektiven Amoklauf der Tätergesellschaft. Die Todesmärsche von 1945 stellten die Implosion einer sowohl kollektiv getragenen als auch eigendynamischen Vernichtungspolitik dar, bei der sämtliche Rückkopplungssysteme zusammengebrochen waren.

Das bestimmende Kennzeichen dieser "Entkoppelung" (Ludolf Herbst) waren Auflösungserscheinungen, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des KZ Mittelbau-Dora ziehen. Seine Lager waren das Ergebnis ständiger Improvisation und kriegswirtschaftlich bedingter ideologischer Zugeständnisse seitens der SS, die schrittweise von ihren einstigen Dogmen abwich. 1943 war es beispielsweise noch undenkbar, ein Kleinstlager mit fünfzig Insassen inmitten einer Ortschaft aufzubauen. Dagegen sprach nicht nur die schwierige Bewachung, sondern auch die Sorge, die allzu sichtbare Präsenz des Verbrechens könne sich ungünstig auf das Verhalten der deutschen Bevölkerung auswirken. Der Treibstoffmangel und die häufigen Luftangriffe erschwerten es jedoch zunehmend, die Insassen der größeren Lager täglich zu ihren teils viele Kilometer entfernten Arbeitsstellen zu transportieren. Folglich improvisierte man und richtete in der Nähe provisorische Kleinstlager ein, die manchmal nur von einem Dutzend Häftlingen belegt waren.

In der wechselseitigen gesellschaftlichen Durchdringung ist "Mittelbau-Dora" nicht mit den Lagern der Vorkriegszeit zu vergleichen. Dies zeigt Wagner am ständig erweiterten Rekrutierungsfeld des Bewachungspersonals. Während es der SS unter Theodor Eickes Führung 1933/34 gelungen war, die Konzentrationslager ihrem Herrschaftsbereich einzugliedern, bewachten wegen des Personalmangels ab Frühjahr 1944 zunehmend Wehrmachtssoldaten die Häftlinge in den Außenlagern. Zwar blieben bis Kriegsende die Kommandanturen der Konzentrationslager fest in der Hand "altgedienter" SS-Angehöriger. Im Mittelbau-Lager Harzungen stiegen jedoch Wehrmachtsoffiziere zu Führern von Außenlagern auf und waren damit direkt für die Inhaftierten verantwortlich. Die Existenzbedingungen in den von der Wehrmacht geleiteten Lagern waren meist nicht besser als unter SS-Kommando. Daher betont Wagner zu Recht, daß die Gewaltentladung der letzten Kriegsmonate kein spezifisches Vernichtungsprogramm der SS erforderte.

Die jahrelange Gewöhnung an Gewalt und Ausgrenzung, die Sehnsucht nach "Ordnung" und "Sicherheit", ein durch den Krieg polarisiertes Weltbild und die tiefe Furcht vor allem "Fremden" ließen in der Bevölkerung eine Bereitschaft zu Gewalt und Mittäterschaft entstehen, ohne die das System der Konzentrationslager nicht hätte existieren können. Daß es dazu nicht erst der nationalsozialistischen Ideologie bedurfte, ist ein weiteres Ergebnis von Wagners bemerkenswerter Studie.

THOMAS SPECKMANN

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Speckmann bespricht zwei Bücher, die sich mit dem Konzentrationslager Dora befassen, in dem während des Zweiten Weltkriegs von Häftlingen Raketen gebaut wurden.
1) Jens-Christian Wagner: "Produktion des Todes"
Speckmann lobt die akribische Recherche Wagners, mit der dieser die grausame Besonderheit dieses Konzentrationslagertyps herausgearbeitet habe. Denn die kleinen Lager waren in frappierender Weise in die Gesellschaft integriert - eine Auswirkung der Versorgungsenge zu Kriegsende. Sie seien daher gekennzeichnet durch eine gewisse Improvisation; in den letzten Kriegsmonaten musste die SS von ihren Dogmen abweichen und etwa Kleinstlager inmitten von Ortschaften einrichten, weil die größeren Lager immer schwerer zu erreichen waren. Daher seien diese Lager nicht mit denen vor dem Kriege zu vergleichen; die wechselseitige gesellschaftliche Durchdringung sei Kennzeichen auch des KZs Mittelbau-Dora. So wurden zunehmend Wehrmachtssoldaten zur Lagerverwaltung eingesetzt, wobei sich die Existenzbedingungen für die Häftlinge nicht verbesserten. Speckmann unterstreicht an dieser Stelle, dass Wagner zu recht betont, dass die Gewalt in den Lagern kein spezifisches Vernichtungsprogramm der SS mehr erforderte. Die Bereitschaft der Bevölkerung an Mittäterschaft und Gewalt werde durch diese Studie Wagners deutlich. Bemerkenswert nennt Speckmann ein weiteres Ergebnis des Buches von Wagner, dass es nämlich für die Bereitschaft zur Mittäterschaft, die das System der Konzentrationslager erst ermöglichte, nicht erst der nationalsozialistischen Ideologie bedurfte.
2) André Sellier: "Zwangsarbeit im Raketentunnel"
Für sehr viel weniger gelungen hält Speckmann André Selliers Buch zum selben Thema. Der Autor und ehemalige Dora-Häftling werde seinem Anspruch einer Gesamtdarstellung nicht gerecht. Er stütze sich zu sehr auf ältere Literatur, die die Beziehung des Lagers zu ihrem Umfeld vernachlässige. Warum Sellier zudem hauptsächlich Erfahrungsberichte französischer Häftlinge konsultiert und kaum auf archivarisches Material zurückgreift, bleibt dem Rezensenten unklar.

© Perlentaucher Medien GmbH
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"Dieses gewichtige Buch ist wie ein Bergwerk voller Informationen. Durch seine Präzision und seinen Reichtum an Details verhilft es uns zu einer genaueren Vorstellung vom Lagersystem." (La Quinzaine litteraire)

"Das Fehlen von jeglichem Pathos in diesem Buch springt besonders ins Auge. Es ist so klar und mit Distanz geschrieben, als handle es sich um eine klinische Studie. Während bei der Lektüre der zahlreichen Zeugenberichte immer wieder die Emotionen aufwallen, bleibt das Vorgehen des Autors von Vernunft und kritischem Geist geleitet." (L'Histoire)

"Zwangsarbeit im Raketentunnel ist nicht nur die beste Geschichte von Dora, sondern sogar eine der besten überhaupt über ein Konzentrationslager. Die Dichte der Information, die Sachlichkeit und die Klarheit der Struktur lassen die Begabung eines wahren Historikers erkennen, die man um so höher einschätzen muß, als die schmerzlichen Erfahrungen eines ehemaligen Häftlings zu überwinden waren." (Eberhard Jäckel)

"Sellier (...) v ereint in seinem rund 600 Seiten starken Band den Häftlingsbericht mit einem historischen Standardwerk." (Buchmarkt)

"Er hat ehemalige Häftlinge befragt und deren Berichte mit dem Quellenmaterial über "Dora" zu einer einzigartigen Chronik dieses Lagers im besonderen und des Lagersystems im allgemeinen verwoben." (Literatur-Report)

"Das Buch ist ein Werk gegen das Vergessen." (Norddeutscher Rundfunk)