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'Als ich von der Toilette zurückkomme, ist Hans Olav nicht mehr im Saal mit den de La Tour-Gemälden. Ich schaue mich um, suche den ganzen Raum ab, kann ihn aber nicht entdecken. Ich bin plötzlich nicht mehr sicher, was wir vereinbart hatten, balle die Hände in meinen Rocktaschen zu Fäusten, drehe mich um, bleibe stehen und suche den Raum ab, in dem ich ihn vor knapp einer Viertelstunde zurückgelassen habe. Ein älteres Ehepaar steht vor dem Bild, an dem er zurückgeblieben war. Ich spüre ein Summen im Hals, in der Brust. Warum ist er nicht hier und wartet auf mich?'Ein junges norwegisches…mehr

Produktbeschreibung
'Als ich von der Toilette zurückkomme, ist Hans Olav nicht mehr im Saal mit den de La Tour-Gemälden. Ich schaue mich um, suche den ganzen Raum ab, kann ihn aber nicht entdecken. Ich bin plötzlich nicht mehr sicher, was wir vereinbart hatten, balle die Hände in meinen Rocktaschen zu Fäusten, drehe mich um, bleibe stehen und suche den Raum ab, in dem ich ihn vor knapp einer Viertelstunde zurückgelassen habe. Ein älteres Ehepaar steht vor dem Bild, an dem er zurückgeblieben war. Ich spüre ein Summen im Hals, in der Brust. Warum ist er nicht hier und wartet auf mich?'Ein junges norwegisches Pärchen, Rakel und Hans Olav, reist in die Ferien nach New York City. Ein erster Weg führt sie ins Metropolitan Museum. Rakel läßt ihren faszinierten Mann vor einem großen Gemälde stehen, um schnell auf die Toilette zu gehen. Als sie zurückkommt, ist Hans Olav verschwunden. Rakel sucht ihn. Im Museum. Im Café. Im Hotel. Vergebens. Beklemmend erzählt Mirjam Kristensen in ihrem Roman vom Verlust eines geliebten Menschen, der sich beim Verschwinden als großer Unbekannter entpuppt.
Autorenporträt
Mirjam Kristensen 1978 geboren, stammt aus Lyngdal in Norwegen. Ihr Debütroman erschien im Jahr 2000. Sie erhielt verschiedene Preise und Stipendien für ihre Werke und ihr erster Roman wurde ins Französische übersetzt. 'Ein Nachmittag im Herbst' ist ihr dritter Roman. Mirjam Kristensen lebt in Kristiansand.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.2009

Ich bin dann mal weg
Mirjam Kristensens Roman über ein Verschwinden

"Als ich von der Toilette zurückkomme, ist Hans Olav nicht mehr im Saal mit den La-Tour-Gemälden", so lapidar wie der Anfang ist das ganze Buch, und die Panik kommt so schnell, als wäre die erwachsene Rakel ein kleines Kind, das seine Eltern verloren hat. Es gibt in diesem Roman der jungen Mirjam Kristensen keine Exposition, sie wirft uns kopfüber in ihre packende Geschichte.

"Geh nur, ich bleibe hier", hatte Hans Olav im New Yorker Metropolitan Museum gesagt und war lange vor La Tours Bild der Maria Magdalena stehengeblieben; dass es dieses Bild ist, erfahren wir erst später. Magdalena, mit Schädel auf dem Schoß, schaut, "auf jemanden wartend", in einen Spiegel. Später hört Rakel, dass ihr Mann das Bild kannte, ein Mädchen hatte es ihm als Postkarte geschickt, er war sechzehn. Sonst wissen wir nichts über ihn, es gibt nur die paar Hinweise, der Bruder nennt ihn einmal einen "eingebildeten Mistkerl".

Wir erfahren auch nie, ob Hans Olav nun entführt wurde oder willentlich fortging; hatte ihn das Gemälde veranlasst, sein altes Leben aufzugeben, hatte er an seine Jugendfreundin gedacht oder an eine unbekannte Magdalena, die womöglich auf ihn wartete? So mysteriös, so faszinierend: wir betreten Paul-Auster-Gebiet; ein Schlüsselsatz im Buch lautet: "Wir sind die Einzigen, die sich nicht bewegen, nur Hans Olav bewegt sich immer weiter weg."

Die Suche der jungen Frau ist verzweifelt, hektisch. Sie braucht ihren Hans Olav ja. Sehr spät erst wagt sie andere Gedanken. Als seine Eltern nach New York kommen und die Suche noch hektischer machen, sagt sie: ",Ich glaube nicht, dass ich wissen will, was passiert ist', und empfinde eine Freude bei diesen Worten, dass ich mich schäme." In Schnitzlers Roman "Der Weg ins Freie" sagt die junge Else, als sie hört, dass "die nettesten Menschen in alle Windrichtungen auseinanderstieben": "Wenn ich ein Mann wär, stöb' ich auch." So weit ist Rakel noch nicht, aber sie steuert darauf zu. Mirjam Kristensen zeigt das sehr fein, fast unmerklich, gegen Ende kommt von Rakel der Satz: "Ich werde warten, bis ich die Kraft habe, allein nach Haus zu fliegen und in unsere leere Wohnung zu kommen." Für sie ein unerhörter Schritt. Einem Unbekannten erzählt sie ihre Geschichte, "so leicht, obwohl es mein Leben ist, das gerade verschwindet". Nicht immer geht das Leben einfach weiter. Aber vielleicht gibt es danach noch ein anderes Leben.

Mirjam Kristensens Eleganz liegt nicht in ihrem Stil, sie schreibt (und Ina Kronenberger übersetzt) beinahe trotzköpfig spröde. Aber das passt zur Stimmung. Ein melancholischer Titel, eine im Grunde doch traurige Geschichte. Rakels mögliche Hoffnung und Freiheit gründet sich nämlich auf genau zwei Erkenntnisse: "Ich habe nur mich selbst" und "Die Dinge sind einfach so, wie sie sind." Sie ist allein in einer mittelmäßigen Welt, die nicht zu ändern ist. Auch nicht durch die Liebe, viel zu schwunglos war das Verhältnis zwischen ihr und Hans Olav seit langem. Noch einmal Schnitzlers kluge Else: "Leidenschaften! Ich glaube, die sind so was Seltenes, wie alles Großartige auf der Welt." - Dies Buch hier ist noch seltener, es ist nüchtern, aber trotzdem großartig.

PETER URBAN-HALLE

Mirjam Kristensen: "Ein Nachmittag im Herbst". Roman. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger. Dörlemann Verlag, Zürich 2009. 223 S., geb., 19,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Vom ersten Satz an sieht sich Peter Urban-Halle in Mirjam Kristensens Geschichte um Rakel hereingerissen, deren Mann bei einem gemeinsamen Museumsbesuch in New York spurlos verschwindet. Fasziniert folgt der Rezensent den hektischen und verzweifelten Suchaktionen Rakels und nimmt die äußerst subtil geschilderten Selbstermächtigungsversuche der bis dahin offenkundig sehr von ihrem Mann abhängigen Protagonistin wahr. Der "spröde" Duktus der norwegischen Autorin, den auch die Übersetzung bewahrt, passt in den Augen Urban-Halles hervorragend zur Atmosphäre des Buches. Und so lautet sein Urteil über diesen Roman am Ende: in seiner ganzen Nüchternheit einfach "großartig"!

© Perlentaucher Medien GmbH