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Heidegger hat die Welt begeistert und das Denken revolutioniert, indem er die lebendige Existenz des Menschen in den Mittelpunkt gestellt und dem Denken eine ungeheure Macht zugeschrieben hat. Sich selber hat er als Herold der Zeitenwende gesehen, der die abendländische Seinsvergessenheit durchbricht.
Um sein Leben ranken sich ein Gewirr von Legenden, Halbwahrheiten und Ganzlügen. Seine Parteinahme für den Nationalsozialismus und sein gescheiterter Versuch, die deutsche Universität ins Neue Reich zu führen, lösen noch heute erregte Debatten aus.
Wie ist aus dem autoritätshörigen
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Produktbeschreibung
Heidegger hat die Welt begeistert und das Denken revolutioniert, indem er die lebendige Existenz des Menschen in den Mittelpunkt gestellt und dem Denken eine ungeheure Macht zugeschrieben hat. Sich selber hat er als Herold der Zeitenwende gesehen, der die abendländische Seinsvergessenheit durchbricht.

Um sein Leben ranken sich ein Gewirr von Legenden, Halbwahrheiten und Ganzlügen. Seine Parteinahme für den Nationalsozialismus und sein gescheiterter Versuch, die deutsche Universität ins Neue Reich zu führen, lösen noch heute erregte Debatten aus.

Wie ist aus dem autoritätshörigen Priesterkandidaten über Nacht ein radikaler Philosoph geworden? Und wie aus diesem Kritiker philosophischer Elfenbeintürme der Guru einer Seinsreligion, der die Gegenwart in Frage stellt? Warum verliebt sich der Vertreter eines unhinterfragten Antisemitismus in eine jüdische Studentin?

Fischers Charakterstudie fragt nach dem Zusammenhang von Leben und Werk.
Autorenporträt
Dr. Anton M. Fischer studierte Psychologie und Philosophie. Zu seinen eindrücklichsten Erlebnissen gehören die Privatseminare bei Helmuth Plessner und die Vorlesungen von Karl Löwith. Seit seiner Zeit als Klinikpsychologe arbeitet Fischer als Psychoanalytiker, Paartherapeut und Unternehmensberater und hält Vorlesungen am Psychoanalytischen Seminar Zürich. Er lebt in Zürich und im Tessin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2009

Ein Mensch, der sich nie entspannt zurücklehnen kann
Ist an ihm ein Priester der Pius-Bruderschaft verlorengegangen? Anton M. Fischer erklärt Martin Heidegger aus dem Ressentiment

Es gibt Bücher, mit denen sich die Leser schon schwertun, wenn sie sie nur in die Hand nehmen; so ein Buch ist Anton Fischers Heidegger-Biographie mit ihren 840 Seiten und 1368 Gramm. Schwer macht Fischer es seinen Lesern aber auch mit dem Untertitel "Der gottlose Priester". Vor den Gang durch ein langes Denken und Leben wird hier ein Paradox gestellt, vor dem man am liebsten Reißaus nehmen möchte. Ein gottloser Priester? Ihn muss man sich ungefähr so frucht- und trostlos vorstellen wie einen Hundertmeterläufer ohne Zieleinlauf, einen schuhlosen Schuster oder brotlosen Bäcker. Eigentlich möchte man solche Figuren nicht in einer Biographie, sondern allenfalls in einer Farce Ionescos näher kennenlernen.

Es ist auch die Frage, ob die Figur vom "gottlosen Priester" als Heidegger-Double taugt. Klar ist allerdings, was zur Urszene erklärt werden muss, wenn man es darauf anlegt: Es ist ein Brief des knapp dreißigjährigen Heidegger an Engelbert Krebs aus dem Jahre 1919, in dem es heißt, ihm sei "das System des Katholizismus problematisch und unannehmbar gemacht" worden - "nicht aber das Christentum und die Metaphysik (diese allerdings in einem neuen Sinne)". Dieser Brief stellt natürlich nur einen Zwischenschritt in einer längeren Entwicklung dar: Ihm geht voraus, dass Heidegger aus der Priesterlaufbahn ausgeschieden ist; in der Folgezeit wird er sich dann freilich nicht irgendeinem unorthodoxen "Christentum" zuwenden, sondern nur gelegentlich dem Gott oder, lieber noch, den Göttern auf der Bühne seines Denkens, im "Spiegel-Spiel der weltenden Welt" einen Auftritt gewähren. Nach Fischer steht hinter dieser Denkbühne aber weiterhin ein verkrachter "Priester", dem Sinn und Zweck seines Selbstverständnisses abhandengekommen sind und der mit seiner Herkunft hadert.

Diese Deutung liegt übrigens quer zu Rüdiger Safranskis Lesart, der Heidegger dafür gelobt hat, "wie kein anderer in einer nichtreligiösen Zeit den Horizont für religiöse Erfahrung offengehalten" zu haben. Über Bande wird hier die Frage hin- und hergespielt, wie es die moderne Gesellschaft mit der Religion hält. Lockt eine neue Frömmigkeit? Lastet die alte Tradition? Oder kann man diese doch wiederbeleben und die New-Age-Propheten ausbooten?

Man soll ein Buch nicht nur anhand seines Titels beurteilen. Halten wir uns also an Fischers eigenen Kommentar zu dem Brief an Krebs. Er schreibt: "Wenn Heidegger nun Abschied vom System des Katholizismus nimmt, ist er im wesentlichen der Mensch geworden, den er für den Rest seines Lebens auch bleiben wird: voller Ressentiment, unterwürfig und ehrgeizig, aber auch hochmütig, überheblich und ausbeuterisch: ein Mensch, der sich nie entspannt zurücklehnen kann, auch wenn er gerade noch so große Erfolge feiert." Hier wird nun deutlich, worin sich dieses Buch grundlegend von seinen zahlreichen Regalnachbarn unterscheidet: Fischer legt den Philosophen auf die Couch, und er tut dies mit dem Selbstbewusstsein eines praktizierenden Psychoanalytikers. Sein Buch hat über weite Strecken die Züge einer Anamnese: Die Geistesgeschichte wird zur Krankengeschichte, der gottlose Priester ächzt unter der Last eines frühen Verhängnisses.

Dass Heidegger mit der katholischen Kirche auf keinen grünen Zweig kommt, hat nach Fischer eine "ungeheure narzisstische Kränkung" ausgelöst; das Leben und Denken des Philosophen besteht dann fast nur aus deren Nachwirkungen, die in diesem Buch abgetastet werden wie die Perlenschnur eines Rosenkranzes (oder besser: Neurosenkranzes). Es etabliert sich, so meint Fischer, ein "paranoides System, das sich selbst endlos fortzeugt". Den "Schuldgefühlen" gegenüber der Mutter, der er den Wunsch der Priesterkarriere nicht erfüllen kann, folgen "Vernichtungsphantasien", in denen Heidegger sich als Opfer fühlt und die er zugleich selbst auslebt; der "Rivalitätszwang" erlaubt ihm, philosophische Autoritäten vom Sockel zu stoßen; als "romantischer Rebell" holt er in den zwanziger Jahren eine "adoleszente Rebellion" nach; der "Egoismus" erlaubt ihm die erotische Ausbeutung Hannah Arendts; "enthemmte Aggression" und "fehlendes Mitgefühl" ebnen den Weg zu den "Allmachtsphantasien" um 1933. Darauf folgt nach Fischer die "Ruhe nach dem Sturm": Heidegger zieht sich aus der realen Welt, an der er sich mit Opfer- und Ohnmachtsgefühlen abarbeitet, in ein sprachliches "Privatuniversum" zurück, zu dem auch so etwas wie ein Ersatzgott dazugehört. Gedeutet wird diese Welten-Doppelung von Fischer als "psychotisches Phänomen", das Züge von "Schizophrenie" aufweist.

Man könnte sagen, seine Darstellung wechsle hin und her zwischen Erdgeschoss und Keller, also zwischen eher traditionellen Referaten zu den Hauptstationen der philosophischen Entwicklung Heideggers und Interpretationen zur psychologischen Dynamik. Beide Ebenen werden eng verzahnt. Ein Beispiel: "Heidegger (. . .) ist überhaupt nicht fähig, Menschen als die wahrzunehmen, die sie an sich sind, losgelöst und unabhängig von ihm, sondern erlebt sie nur als narzisstische Verlängerung seines eigenen Selbst. Das widerspiegelt sich ganz direkt in seiner Vorstellung des Mitseins als eines Existenzials des jeseinigen Daseins." Eine eigentümliche Version der Widerspiegelungstheorie tritt hier aus der Versenkung.

Fischers Buch hat kuriose, unangenehme, symptomatische und auch anrührende Seiten. Kurios ist, wie dieses Buch die Frühzeit der psychoanalytischen Literaturinterpretation wieder aufleben lässt, in der eine Zigarre auch nie nur eine Zigarre sein durfte. Unangenehmerweise kehrt dabei der Größenwahn, den Fischer Heidegger zuschreibt, in seiner eigenen Haltung wieder: Er tut so, als habe er den Philosophen durchschaut, als sei er nicht nur in dessen Berghütte, sondern auch in dessen geistigem Hinterstübchen ein- und ausgegangen; man merkt auch, wie es Fischer in den Fingern juckt, Heidegger die "narzisstische Bedürftigkeit" wegzutherapieren, ohne die er - wie es heißt - "vielleicht tatsächlich zu einem der ganz Großen" geworden wäre. Symptomatisch ist dieses Buch für die (gegenwärtige oder schon gestrige?) Tendenz, Sachen hinter Personen verschwinden zu lassen: Politik hinter Homestories, Produkte hinter Lebensstilen, Bücher hinter Autoren - und nun auch die Philosophie hinter dem Psychogramm. Anrührend ist Anton Fischers Buch immerhin an den Stellen, wo er beschreibt, wie Heidegger manches scharf gesehen, aber oft im letzten Moment verdreht und verzerrt hat, oder auch dort, wo für ein Denken mit menschlichem Maß plädiert wird - inklusive der "blinden Flecken" oder der "Beschränkung und Einschränkung", von denen auch Martin Heidegger, seinem Bruder Fritz zufolge, nicht frei war.

DIETER THOMÄ

Anton M. Fischer: "Martin Heidegger - Der gottlose Priester". Psychogramm eines Denkers. Rüffer & Rub, Zürich 2008. 840 S., Abb., geb., 35,50 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Anton M. Fischers Psychogramm des Philosophen Martin Heidegger hat Uwe Justus Wenzel in keiner Weise überzeugt. Nicht nur vermisst er bei dem Autor einen Begriff von Philosophie, sondern auch eine Theorie des Verhältnisses von Psychologie und Philosophie. Die psychoanalytischen Deutungen der Person Heideggers scheinen ihm teils belanglos, teils unhaltbar. Letzteres vor allem da, wo der Autor aus dem Denker einen Psychotiker mit schwerer narzisstischer Störung macht. Das biographische, keineswegs neue Material, das Fischer zusammenträgt, rechtfertigt nach Wenzels Ansicht "solch weitgehende Krankschreibung kaum". Auch die Deutungen von Heideggers Werken findet er nicht haltbar, zumal sie sich zumeist auf dem Niveau "suggestiver Meinungsäußerung" bewegen.

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