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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2000

Das Plätschern geheimnisvoller Bäder
Giorgio de Chiricos "Monsieur Dudron" / Von Rudolf Schmitz

Wer heute im Mailänder Parco di Sempione nach jener Brunnenanlage sucht, die von Giorgio de Chirico 1973 entworfen wurde, trifft auf ein verwahrlostes Etwas. Von einem Maschendrahtzaun umgeben, wirken die "Bagni misteriosi" wie das zeitgenössische Sinnbild des ewigen Ärgernisses de Chirico. Daß die deutsche Übersetzung des autobiographischen Romans "Monsieur Dudron" zehn ganzseitige Abbildungen der 1934 entstandenen Lithographie-Folge "Bagni misteriosi" enthält, ist eine Rehabilitation, die ins Auge fällt. Im Motiv des korrekt gekleideten Bürgers, der die Badekabine betritt, um sie als griechischer Gott zu verlassen, hat man den ganzen de Chirico.

In der vorliegenden Rollenprosa firmiert der Künstler unter dem Alter ego "Monsieur Dudron" - Anagramm von "Du nord"- als Index für Fleiß und Perfektion. Der Maler, der ein frühes Selbstporträt mit den Worten kommentierte: "Was soll ich lieben, wenn nicht das Rätsel?", sieht unter der Oberfläche des modernen Lebens eine Parallelwelt griechisch-klassischen Zuschnitts. In seiner Machart ähnelt "Monsieur Dudron" der Brunnenanlage: Traumverlorene Passagen werden durchbrochen von ironischen Episoden, wobei fünf Theorie-Fragmente die Podeste hohen Tons bilden. In diesen der Muse des Malers in den Mund gelegten Exkursen geht es um die Dekadenz der Moderne und die Rückgewinnung malerischer "Qualität" mittels handwerklichen Könnens. Vor dem wohlverdienten Schlummers sieht der Melancholiker Monsieur Dudron klar; wenn er im Atelier Mittagsruhe hält, formen sich Einsichten: "Vor einer Ewigkeit bereits, sicher schon bald drei Viertel eines Jahrhunderts, haben die Maler den Ariadnefaden verloren. Könnte es meine und Isabella Fars Aufgabe sein, diesen wiederzufinden und ihn unseren Zeitgenossen zu offerieren, die über ihren Paletten gähnen, daß ihnen der Kiefer fast herunterfällt, und die, um den Schein zu wahren, eine prätentiöse und skeptische Attitüde an den Tag legen, die im Grunde genommen nichts anderes ist als der Ausdruck von Unzufriedenheit und Gereiztheit?"

Der Maler de Chirico, den man hier unter diversen Masken kennenlernt, hat die Fünfzig überschritten. "Monsieur Dudron" ist aus dem Körper von "Hebdomeros" (1929) geschnitten - jenes gegen die Surrealisten gerichteten poetischen Pamphlets. Der de Chirico der metaphysischen Malerei (1911 bis 1919) war der Abgott der Surrealisten, doch als er nach einer Tizian-Überwältigung plötzlich altmeisterlichen Stil pflegte, wurde er exkommuniziert wie später der figurative Abweichler Giacometti. Wesentliche Teile des "Monsieur Dudron" aber sind erst nach 1940 entstanden und waren bis zum Lebensende Gegenstand fortwährender Überarbeitung.

In gewisser Weise ähnelt de Chiricos Tonfall demjenigen James Ensors, der ebenfalls auf die Verkennung seiner künstlerischen Bedeutung mit unverdrossenen Reprisen eigener Motive reagierte. Monsieur Dudron ist ein Don Quichotte der Kunstgeschichte - stolze Pedanterie, überschwengliche Sehnsucht und verletztes Ehrgefühl wechseln sich ab. Mit dieser unverwechselbaren Legierung wehrten sich die Sonderlinge der Moderne gegen deren vermeintliche Logik. Gleich in der Exposition des "Monsieur Dudron" mündet der rasende Leerlauf des modernen Lebens - eine moderne Walküre entführt den Maler in ihrem Automobil, um ihm die Schneckenzucht eines Industriellen zu zeigen - in erhabene Stille von Kindheitsvisionen. Im Prinzip war der Grieche de Chirico ein Romantiker des neunzehnten Jahrhunderts. Mit aristokratischer Noblesse verachtet deshalb Monsieur Dudron den "Bluff" der modernen Kunst mitsamt dem Zubehör intellektualisierender Kritiker und schachernder Kunsthändler. Er träumt von einer Welt der Vornehmheit, der handwerklichen Virtuosität, der Verehrung und Hingabe.

Zwar wirken viele Argumente des Monsieur Dudron alias Isabella Far tautologisch, vor allem was die Definition der Qualität eines Bildes oder der Größe eines Künstlers angeht. Aber manche Krankheit der Gegenwart ist mit pöttischem Blick erfaßt: "Die Lawine von Worten, Erklärungen, Annahmen, Aufregungen, unsinnigen Diskussionen etc., von der modernen Kunst ausgelöst, deutet genau darauf hin, daß die moderne Kunst keine Befriedigung verschafft. Ein befriedigter Mensch schweigt still, deshalb applaudieren die Kunstliebhaber, die Produzenten und alle anderen, die als Stützen der modernen Kunst gelten, pausenlos." Mehr noch als über solche Ketzereien freut man sich über das Panorama suggestiver Traumlogik, das Monsieur Dudron und seine Komplizen auszubreiten verstehen. Im Malerfreund, der sich weiß kleidet und schminkt, um, von den Wächtern übersehen, inmitten der luftigen Götterwelt der Akropolis eine Nacht glücklicher Kontemplation zu verbringen, ist Jean Cocteau zu erkennen. Er schrieb seinerzeit die begleitenden Gedichte für de Chiricos Lithographien der "Bagni misteriosi". Der autobiographische Roman "Monsieur Dudron" schließt, wie er beginnt: mit dem verdienten Schlaf des erschöpften Genies am Ende eines Tages, "so reich an großen und schönen intellektuellen Abenteuern".

Giorgio de Chirico: "Monsieur Dudron". Autobiographischer Roman. Aus dem Französischen und Italienischen übersetzt von Walo von Fellenberg. Herausgegeben von Jole de Sanna. Verlag Gachnang & Springer, Bern und Berlin 2000. 136 Seiten, geb., 48,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hansjörg Graf findet, dass der Zeitpunkt der Publikation dieses autobiografischen Essayromans "optimal" gewählt ist, da andere Werke des Malers im Deutschen vergriffen bzw. nicht vorhanden sind. Er preist das Buch als "nobel gedruckt" und begrüßt auch die den Roman begleitenden sechs Aufsätze, die verschiedene Aspekte des Werks und des Künstlers beleuchten, da ein gewisses "Basiswissen", wie er meint, bei diesem Roman unbedingt erforderlich ist. Chirico liefere eine Art "Standortbestimmung" mit diesem posthum veröffentlichten Buch und der titelgebende Monsieur Dudron sei sein Alter Ego, bemerkt der Rezensent, der auf den an Stefan George und Rudolf Borchardt erinnernden "ästhetischen Fundamentalismus" des Sprachgestus hinweist. Er lobt, dass das Buch "eine Lücke schließt", auch wenn er weiß, dass es sich bei dieser Beurteilung um einen "Gemeinplatz" handelt.

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