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Das war, muss ich sagen, eine körperlich dermassen zerstörerische Entdeckung, dass sie mit mir machte, was sie wollte. Während ich es dachte, war ich fasziniert, ausgelöscht durch meine Gefühle. In der Tat, das war ein Gedanke!, und nicht irgendeiner, sondern ein mir angemessener, genau so gross wie ich, und falls er sich denken liess, konnte ich selber nur noch verschwinden. Wenig später musste ich um ein Glas Wasser bitten. Die Worte 'Geben Sie mir ein Glas Wasser' liessen mich in der Empfindung einer grauenvollen Kälte vereinsamen. Alles schmerzte mich, aber ich war wieder ganz zu mir…mehr

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Produktbeschreibung
Das war, muss ich sagen, eine körperlich dermassen zerstörerische Entdeckung, dass sie mit mir machte, was sie wollte. Während ich es dachte, war ich fasziniert, ausgelöscht durch meine Gefühle. In der Tat, das war ein Gedanke!, und nicht irgendeiner, sondern ein mir angemessener, genau so gross wie ich, und falls er sich denken liess, konnte ich selber nur noch verschwinden. Wenig später musste ich um ein Glas Wasser bitten. Die Worte 'Geben Sie mir ein Glas Wasser' liessen mich in der Empfindung einer grauenvollen Kälte vereinsamen. Alles schmerzte mich, aber ich war wieder ganz zu mir gekommen, und vor allem hatte ich nicht den geringsten Zweifel an dem, was gerade eben geschehen war. Als ich beschloss, mich aus der Affäre zu ziehen, versuchte ich mich an den Lageort der Küche zu erinnern. Im Korridor herrschte ein übermässiges Dunkel, und daran merkte ich, dass meine Verfassung noch immer nicht ganz gut war. Auf der einen Seite lag das Badezimmer, von dem aus eine Tür in das von mir gerade verlassene Zimmer führte, weiter vorn mussten die Küche und das zweite Zimmer liegen: Innerhalb meines Geistes war alles klar, bloss ausserhalb nicht. Hol's der Teufel, warum ist dieser Gang so lang?, dachte ich. Denke ich jetzt wieder an dieses Vorgehen, bin ich extrem erstaunt, wie ich alle diese Mühen auf mich nehmen konnte, ohne mich zu fragen, weshalb sie für mich so aufwendig waren. Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt je eine unangenehme Empfindung verspürte, bis zu dem Augenblick, an dem ich aus einer falschen Bewegung heraus (vielleicht hatte ich mich an der Wand angeschlagen) einen entsetzlichen Schmerz empfand, den rasendsten überhaupt - er spaltete mir den Schädel -, aber vielleicht war er eher rasend als lebendig; es war schwer zu sagen, was er an Grausamkeit und Bedeutungslosigkeit gleichzeitig an sich hatte: Eine entsetzliche Heftigkeit, einen tiefen Abscheu, der umso unerträglicher war, als er mich durch eine märchenartige und ganz aus vergehender Zeit bestehende Schutzschicht hindurch zu erreichen schien, diese brannte ohne Rest in mir, ein ungeheurer und einzigartiger Schmerz, so, als wäre ich nicht in diesem Augenblick, sondern vor Jahrhunderten und jahrhundertelang befallen worden; und das, was an diesem Schmerz abgelaufen und gänzlich verstorben war, konnte ihn durchaus leichter oder auch unerträglicher machen, indem es ihn in eine völlig kalte, unpersönliche Stetigkeit wandelte, beendbar weder durch das Leben noch durch das Ende des Lebens. Mit Sicherheit durchschaute ich das alles nicht gleich.
Autorenporträt
Maurice Blanchots Leben und Werk steht im Zeichen des Paradoxes. Als er vor zwei Jahren starb, war es, als wäre er, der Zeit seines Lebens unfaßbar blieb, erst recht zum Leben erwacht: kein Feuilleton, das etwas auf sich hält, das ihn nicht ausführlich gewürdigt hätte. Doch so angesehen, so prägend der Literatur-Theoretiker Maurice Blanchot für Generationen von Intellektuellen ist, so unbekannt ist er hierzulande als Erzähler geblieben. Dabei ist gerade die Praxis des Erzählers Blanchot der eine Schritt 'au-delà ', über die Literatur hinaus, in ein Jenseits auch der alltäglichen Erfahrung - in einen Raum, den erst die Sprache eröffnet, der aber durch Sprache nicht mehr faßbar ist. Eindrückliches Beispiel dafür ist die Erzählung 'Au moment voulu', erschienen 1951, die hier in der Übersetzung von Jürg Laederach erstmals auf Deutsch aufgelegt wird.So einfach das Setting der Geschichte auch ist - ein Mann besucht seine Freundin in deren Wohnung, die diese mit einer anderen jungen Frau teilt -, so zunehmend labyrinthisch erweisen sich mit jedem Satz sowohl die Wohnung als auch die Beziehungen zwischen Bewohnerinnen und Besucher. Blanchots Sätze sind Spektralanalysen, in denen auch entlegenste Aspekte plötzlich mit blendender Kraft aus dem Dunkel leuchten. Als souveräner Sprach-Metaphysiker fügt er das Zergliederte wieder zu einer bisher unbekannten, uns aber zwiespältig vertrauten Welt zusammen. Er tut dies mit einer Kraft, die jeden Widerstand in Begeisterung umschlagen läßt. Eine solche Literatur ist unheimlich. Sie ist spektakulär.Der Verlag bereitet mit Jürg Laederach weitere Erzählwerke von Maurice Blanchot vor. Siehe auch www.engeler.at/augenblick.html
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2004

Ein Mann, zwei Frauen, ein Kaminfeuer
Maurice Blanchots Schattenspiel Von Joseph Hanimann

So leicht hat sich Maurice Blanchots komplexe Welt noch selten geöffnet wie auf der Spur des Erzählers und des Übersetzers in dem Eingangssatz dieses Buchs. "Die mit ihr lebende Freundin war abwesend; Judith öffnete mir die Tür." Mögen wir auch auf der Schwelle schon über die Partizipialkonstruktion stolpern, einen Fuß jedenfalls haben wir drin in der Wohnung und damit im Text. Der Flur und das Zimmer, das der Erzähler bei seiner Rückkehr zur früheren Lebensgefährtin dann betritt, erweist sich mehr als Erinnerungs- denn als Ereignisraum. Klavier und Küche, Kaminfeuer und Krankenbett schließen sich nicht zur festen Handlungskulisse, sondern driften in Blanchots eigenem Erzählgenre zwischen Beschreibung und Kommentar so lose durcheinander, daß schon die Intrigenangabe - ein Mann kehrt in die Wohnung zurück, in der er mit seiner Freundin einst lebte, und trifft dort nebst dieser auf eine andere Frau - sich sogleich zurücknimmt.

Den ersten Teil dieser 1951 erschienenen, nun erstmals auf deutsch vorgelegten Erzählung hatte Blanchot zuvor gesondert unter dem Titel "Le retour" in einer Zeitschrift publiziert. Und tatsächlich ist es, als hätte die Grundsituation dieser Wiederkehr ins alte Bekannte vom ersten Satz an einen Drall erhalten, der sich konsequent nach hinten fortsetzt. Konstatiert wird auf der Türschwelle ja die Abwesenheit nicht der bekannten, sondern der "anderen" Freundin, der Freundin der Freundin, die der Erzähler noch gar nicht kennt. Blanchots Strategie des Erzählens in Schablonen, die ohne faßbaren Erlebniskern wie Wolkenbilder immerfort übereinander wegziehen und deshalb den Philosophen Jacques Derrida und seine Denkschule der prinzipiellen Gegenwartsleugnung so sehr interessierte, kommt in diesem Text besonders anschaulich zum Zug.

Der vor zwei Jahren verstorbene Maurice Blanchot handhabte die alle Dinge und Ereignisse aufs selbe Unwirklichkeitsfeld einebnende Erzählkunst mit solcher Perfektion, daß jeder Übersetzungsanlauf an den Rand des Unmöglichen führen muß. Dieser Rand läuft, weit entfernt von der geballten Ausdruckskraft eines Genet oder Céline, bei Blanchot durch die stimmlose "écriture blanche", praktisch durch Roland Barthes' Nullpunkt des Schreibens. Blanchot operiert dort mit einer einzigartigen Dramaturgie der Pronominalformen, die Personen, Dinge und Wörter einander syntaktisch so nahe bringt, bis sie in der Vieldeutigkeit deckungsgleich sind. Schon die eingangs erwähnte Wohnungstür steht beim Geöffnetwerden im Satzbau des französischen Originaltextes so nah bei "ihr", der Freundin, als lebte diese statt mit Judith mit der Tür selbst in abgeschiedener Wohngemeinschaft - "En l'absence de l'amie qui vivait avec elle, la porte fut ouverte par Judith." Der Übersetzer tut hier, was er kann. Er kann nicht alles, aber viel.

Dieses Fieberträumen des Erzählers zwischen den beiden Frauengestalten, das sich mit keiner Geschichte besänftigen läßt, dieses Daliegen vor den hoch aufgerichteten Frauen am Bett zwischen Schneefall draußen und Feuerglut im Kamin, dieser verborgene Zweikampf mit Claudia, der "anderen" Freundin - all dies ist von Jürg Laederach subtil eingefangen. Im sicheren Abstand zwischen Übersetzertreue und eigenem Erzählton, der aus Laederachs Büchern bekannt ist, wird mitunter eine faszinierende Komplizenschaft trotz der Distanz zwischen Übersetzer und Autor spürbar. Daß Blanchots mathematisch präzise Wortwahl auf deutsch neu aufgeschlüsselt und die häufig wiederkehrende "figure" etwa bald als "Gestalt", bald als "Gesicht" oder der "Gedanke" (idée) des großen Vergessens als "Gefühl" wiedergegeben wird, ist der zu entrichtende Preis einer solchen Übersetzung. Wo die Sprache nicht zur Welt, sondern immer nur zur Wortspur einer sich entziehenden Welt führt, ist es wohl besser, dem Übersetzer sieht mitunter ein Schriftsteller über die Schulter.

Situationen und Bilder fügen sich bei Blanchot stets in neue Situationen und Bilder. Erzählte Wirklichkeit rieselt so wie durch einen Trichter ins Bodenlose. In einer Schlüsselszene steigt im Erzähler ein Erinnerungsbild auf. Darin schaut er auf ein über dem Klavier hängendes Bild von Judith aus frühen Jahren. In der Nähe fängt, zwischen Bilderinnerung und Erinnerungsbild, das Holz im Kamin Feuer, "doch irgendwo noch näher" steht ein lebender Körper, offenbar dem Feuer zugewandt. "Ich streckte die Hand nach diesem Körper aus, und da ich damit auf Hüfthöhe geraten war, wurde ich von der trockenen Hitze gebrannt." Vom Feuer des brennenden Scheites erhitzt, bot die Gestalt dem Erzähler "diesen einzigen belebenden Punkt an". So und nur so kommt bei Blanchot eine Intrige zur Erfüllung und Erlösung: in einer vieldeutigen Überlagerung der Körper. Die Glut kommt dabei nie von innen, sondern von außen, und man muß aufpassen, daß man - anders als der Übersetzer Laederach es an dieser Stelle tut - das Brennen richtig auf die Holzscheite und die Körper verteilt. Die beiden Frauen können nur miteinander, nicht gegeneinander, den Heimkehrer von seiner Erinnerung befreien - so lautet das beinah schon feministische Fazit dieser Erzählung. Doch werden derlei Thesen bei Blanchot natürlich nie ausgesungen, sondern, wie die Opernsängerin Claudia dies bei den Proben zu tun pflegt, nur hingesummt oder "markiert".

Maurice Blanchot: "Im gewollten Augenblick". Erzählung. Aus dem Französischen übersetzt von Jürg Laederach. Urs Engeler Editor, Wien und Basel 2004. 121 Seiten, geb., 17,- [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 05.01.2005

Das geschlossene Fenster
Komik der Konfusion: Maurice Blanchots Erzählung „Im gewollten Augenblick”
Von seinem Tod erfuhr die Öffentlichkeit erst, als er schon beerdigt war. Maurice Blanchot lebte zurückgezogen in Paris, wo er im Februar 2003 im Alter von 95 Jahren starb. Der Philosoph und Literaturtheoretiker gilt als philosophischer Vordenker Foucaults und Derridas. Den Romancier haben Pierre Klossowski, Paul de Man, Emmanuel Lévinas und Jacques Derrida gewürdigt. Wie sein Landsmann Louis-Ferdinand Céline schlug er sich als junger Journalist und überzeugter Monarchist in den dreißiger Jahren auf die Seite der Nationalrevolutionäre und schrieb zwischen 1931 und 1944 für zahlreiche Blätter der äußersten Rechten. Jeffrey Mehlman hat diese Zeit für die Zeitschrift „Tel Quel” untersucht und Blanchot in seinem Buch „Legacies of Anti-Semitism in France” schwer beschuldigt. Gleichwohl verband ihn die engste Freundschaft seines Lebens mit dem jüdischen Philosophen Emmanuel Lévinas.
Im deutschsprachigen Raum ist Blanchot nahezu unbekannt. Wahrgenommen wurden allenfalls seine theoretischen Schriften, seine intensive Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse Freuds und mit Heideggers Existenzontologie in der Lesart Sartres. 1962 erschien „Der Gesang der Sirenen”, eine Sammlung von Aufsätzen, die sich die Frage nach der Zukunft der Literatur in einer sich ihr verschließenden Zeit stellen. In den achtziger Jahren folgten „Die Literatur und das Recht auf den Tod” und danach in dichter Folge seine Studie über den Marquis de Sade, die Essays „Der Wahnsinn des Tages” (1986) und sein Buch über Kafka (1989).
Als Erzähler zog sich Blanchot auf den einsamen Posten eines Geschichten erfindenden Denkers zurück, dessen Figuren größte Mühe haben, einfach nur da sein. Wie Sartre begreift er den Menschen als Nullpunkt-Existenz, die in absoluter Freiheit zwischen Sein und Nichtsein zu wählen hat. Die Figuren seiner Erzählungen, bemerkt er in einem seiner Essays, sind, was sie machen. Das Ende der Erzählung „Thomas der Dunkle” bezieht Blanchot auf den Schlusssatz von Kafkas „Prozess”. Die Scham, bei Kafka die letzte humane Reserve des Menschen, gehört zu dem Seinswissen, das der Held dieses existentialistischen Entwicklungsromans sich erwirbt.
Blanchots Figuren sind nie im vollkommenen Besitz ihrer selbst. Sie leben in der Überfülle einer Sphäre, zu der gehört, was sie erkennen können, die Welt und sich selbst, aber auch das andere Ich. Immer bleiben Teilgebiete ihrer selbst dunkel, als Ich-Erzähler aber sind sie mit dem permanenten Postskriptum des eben gewesenen und unumkehrbar verlorenen Augenblicks beschäftigt.
Das bloße Schließen eines Fenster löst in der kürzlich erschienenen, von Jürg Laederach virtuos übersetzten Erzählung „Im gewollten Augenblick” eine regelrechte Panik aus. Der Erzähler schickt sich an, den Vorgang penibel in seine Bestandteile zu zerlegen. War ihm nicht so, als hätte Judith das offene Fenster, durch das der Straßenlärm hereindrang, als führte die Straße mitten durch das Zimmer, vor seinem Eintritt in die Wohnung nicht gestört? Nahm sie ihn womöglich jetzt erst wahr, obgleich sie ihn in die Wohnung eingelassen hatte? Hatte sein eigenes Verhalten verhindert, dass sie ihn wahrnahm?
Mitten in seinen Operationen dämmert ihm, dass etwas in Vergessenheit geraten und er unfähig ist, sich zu erinnern, was es war. Die Absurdität seiner Lage erzeugt einen so rasenden Schmerz, dass er um ein Glas Wasser bittet und ins Badezimmer stürzt, wo er den Schmerz als einen alten Bekannten erkennt, der ihn durch die Schutzschicht der Zeit hindurch erreicht hat.
Spagat über der Wohnungstür
Dem namenlosen Erzähler genügt ein minimales szenisches Arrangement, um die Geschichte anzustoßen. Seine Erzählung hat ihren Beginn schon hinter sich, wenn er die Wohnung betritt, die sich Judith mit ihrer Freundin Claudia teilt, und es endet nicht, wenn das Spiel um Liebe, Leidenschaft und Eifersucht abbricht und die beiden Frauen von der Bildfläche verschwinden, als hätte es sie nie gegeben. Denn der Schauplatz des Erzählens ist der Erzähler selbst, der in der Ichform spricht und bestimmt, ob die beiden Frauen in die Präsenz der Rede einrücken. Das Sprechen ergibt sich aus der Getrenntheit der Teilnehmer. Das Gespräch findet statt, weil es Gemeinsames nicht gibt.
Die Eingangsszene zeigt beispielhaft das synkopische Gegeneinander von äußerem und innerem Geschehen. Das Überschreiten der Schwelle erzeugt eine solch übermäßige Resonanz im Bewusstsein des Erzählers, dass die Handlung sich staut. Er hängt scheinbar immer noch im Spagat über der sperrangelweit geöffneten Wohnungstür, als er schon die Wohnung mustert, die neu möbliert ist und ihm nicht gefällt. Er hat das Klavier entdeckt und erfahren, dass Judiths deutsche Freundin Claudia es spielt, die Sängerin ist, und dass Judith sich mit ihr die Wohnung teilt, - später wird sich herausstellen, dass die Wohnung ihm selbst gehört und dass sie in der Rue de la Victoire gegenüber der zerbombten Synagoge liegt -, als ihm zu Bewusstsein kommt, dass er etwas vergessen hat, offenbar doch, wie er in die Wohnung geriet.
Zwischen die Naturzeit des Augenblicks und seine Chronik schiebt sich das unendliche Reflexionspotential des Bewusstseins, das dem Geschehen auf den Grund gehen will, aber in reißendes Gewässer gerät. Einen unmittelbaren Zugang zum vergangenen Augenblick sucht es vergeblich. Das Ergebnis ist eine komische Anarchie rekonstruierenden Denkens. Ein Feuer hat im Kamin gebrannt, das Mittagessen ist gemeinsam eingenommen worden und er hat Claudias Gesang am Klavier begleitet, als er frühmorgens neben jemanden erwacht, den er nicht kennt. Das Erwachen hat freilich schon einmal stattgefunden, zwei Seiten zuvor. Der Gesang Claudias hat alles Wahrgenommene, das ihm auf einer innerlichen Oberfläche nicht gegenwärtig war, ausgefiltert und gelöscht, auch den Augenblick der Trennung von Claudia und die Nacht mit Judith, die er beim Erwachen neben sich findet und nicht erkennt.
Später wird Judith einen Eifersuchtsanfall erleiden, weil er mit Claudia schläft. Mitten im Spasmus rekapituliert er das vorangegangene Gespräch mit Judith, so dass es in seinem Kopf zu einer komischem Konfusion der Frauenstimmen kommt, der einen, die er leidenschaftlich umarmt, und der anderen, die ihm höflich ihre Sympathie erklärt. Die Komik seiner Lage potenziert sich, weil er sie als Intrige jener Instanz durchschaut, die im Anspielungsraum der Erzählung auf den Gott Abrahams bezogen wird. Die Liebesstunden mit den beiden Frauen waren freiwillig, aber nicht frei, weil sie im Moment des Vollzugs nicht der ganzen Seele Ausdruck verliehen.
Das wäre der gewollte Augenblick, zu dem sich der Erzähler am Ende reflektierend den Weg bahnt. Die erinnernde Rekapitulation des Gewesenen und die Suche nach der Geschichte, die sich in ihm versteckt, entführt ihn in einen Gedankengang, der gebannt am Anblick der in der Tür stehenden, ihn aufmerksam anblickenden Judith haften bleibt, einer Verdoppelung des Porträts, das über dem Klavier hängt. Die Motivkette verlängernd, die von der beschädigten Synagoge zur Geliebten führt, die er in einem Augenblick hellsichtiger Geistesabwesenheit Judith genannt hat, gelangt er zu Abraham, dem Gott befahl, Isaak zu töten, und der mit einem Widder nach Hause zurückkehrte; nur die anderen sahen in Isaak seinen Sohn. Die Geschichte zu erkennen, die ihm widerfahren ist, überlässt Blanchot dem Leser.
SIBYLLE CRAMER
MAURICE BLANCHOT: Im gewollten Augenblick. Erzählung. Aus dem Französischen von Jürg Laederach. Urs Engeler Verlag, Basel und Wien 2004. 125 Seiten, 17 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Die "einzigartige Dramaturgie der Pronominalformen" und eine "alle Dinge und Ereignisse aufs selbe Unwirklichkeitsfeld einebnende Erzählkunst" des Maurice Blanchot haben Joseph Hanimann schwer beeindruckt. Bereits 1951 ist diese nun auf deutsch erschienene Erzählung in Frankreich publiziert worden und sie verdeutlicht dem Rezensenten auch die Strategie des Autors: das Erzählen "in Schablonen, die ohne fassbaren Erlebniskern wie Wolkenbilder immerfort übereinander wegziehen". Worum geht's? "Ein Mann kehrt in die Wohnung zurück, in der er mit seiner Freundin einst lebte, und trifft dort nebst dieser auf eine andere Frau." Ein großes Lob hat der Kritiker für den Übersetzer Jörg Laederach übrig, der zwar nicht alles könne, aber viel, wie Hanimann meint. Durch dessen zwischen "Übersetzertreue und eigenem Erzählton" angesiedelte Arbeit entsteht so mitunter eine "faszinierende Komplizenschaft trotz der Distanz zwischen Übersetzer und Autor", lobt der Rezensent.

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