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Am Geburtstag Curzio Malapartes ziemt es sich, Wildlederhandschuhe anzuziehen und sich auf die Suche nach Windhunden zu begeben, während an dem von Scott Fitzgerald nichts anderes möglich scheint, als betrunken mit dem Schreibtischstuhl umzukippen. Wir erfahren, dass der Autor einen Drachen steigen lässt, gerade als Rolf Dieter Brinkmann in London von einem Auto überfahren wird, und dass die Freundin sich ausgerechnet an dem Tag verabschiedet, als sich die Band Nirvana von ihrem Schlagzeuger trennt. Was geht vor in einem Schriftsteller, der sich offenbar in einer schöpferischen Krise befindet?…mehr

Produktbeschreibung
Am Geburtstag Curzio Malapartes ziemt es sich, Wildlederhandschuhe anzuziehen und sich auf die Suche nach Windhunden zu begeben, während an dem von Scott Fitzgerald nichts anderes möglich scheint, als betrunken mit dem Schreibtischstuhl umzukippen. Wir erfahren, dass der Autor einen Drachen steigen lässt, gerade als Rolf Dieter Brinkmann in London von einem Auto überfahren wird, und dass die Freundin sich ausgerechnet an dem Tag verabschiedet, als sich die Band Nirvana von ihrem Schlagzeuger trennt. Was geht vor in einem Schriftsteller, der sich offenbar in einer schöpferischen Krise befindet? Er sucht und findet Ablenkung bei Kollegen, die sich für ein Gespräch aus dem Jenseits melden; er greift auf Obsessionen zurück, um ein wenig Alltag in den Abwechslungsreichtum zu schmuggeln; er kennt Strategien, die aus Schreibblockaden herauslocken, um in menschlichen Katastrophen zu enden. Und dennoch: Ein Text über das Schreiben einer Erzählung kann selbst die Erzählung sein.Ausgestattet mit verblüffenden Formulierungen, die sich zeitlichen Ungereimtheiten gegenüber widerständig erweisen, macht Hanno Millesi eines glaubwürdig: Alles ist besser, als in völliger Dunkelheit dem eigenen Gedankenapparat ausgeliefert zu sein.
Autorenporträt
HANNO MILLESI, 1966, Studium an der Universität Wien und der Hochschule für Angewandte Kunst Wien. Lebt in Wien.Bei Luftschacht sind erschienen: Der Nachzügler (2008), Im Museum der Augenblicke (Neuauflage, 2007), Wände aus Papier (2006), Mythenmacher (2005)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2010

Im Rausch der Vorbilder

Was macht ein Autor, um seinen Stil zu finden? Er ahmt prominente Dichter nach. Wenn die aber Rabauken waren, kann das schmerzhaft werden - nachzulesen in Hanno Millesis Geschichten.

Solche Hingabe wie in Hanno Millesis Erzählungen hat die Literatur lange nicht erlebt. In der Geschichte "Alles Gute" zum Beispiel begeht der Erzähler die Gedenktage seiner literarischen Idole mit aufopferndem Einsatz. Er versucht, ihnen am Schreibtisch nachzueifern, muss allerdings gleich in vielerlei Hinsicht scheitern. Im Fall von Gertrude Stein liegt es an ästhetischen Schwächen oder, in den Worten der Figur, daran, "dass ich versucht habe, etwas aus mir herauszuholen, was gar nicht in mir steckt". Aber auch bei jenen Künstlern, die er für ihren exzentrischen Lebenswandel bewundert, fällt die Nachfolge nicht leicht. Den Exzess zu proben ist harte Arbeit, Trink-Exerzitien in memoriam Scott Fitzgerald und Malcolm Lowry sind nichts für Anfänger.

An den Geburtstagen von William Beckford und Sergej Jessenin hat der Bewunderer naturgemäß Lust, "etwas Verrücktes zu machen. Meine Möglichkeiten sind jedoch begrenzt." Schließlich versucht er es in Popstarmanier mit einer Attacke auf die Einrichtungsgegenstände: "Ich weiß nicht, ob es an der persönlichen Beziehung lag, die mich mit den meisten der Möbel meines Zimmers verbindet, jedenfalls wollte sich das angestrebte Gefühl von Hemmungslosigkeit nicht einstellen."

Es sind die Dramen einer fremdbestimmten Selbstumkreisung, in die Hanno Millesis elf Geschichten den Leser führen. In ihrem Mittelpunkt steht zumeist ein Schriftsteller, geplagt vom Gefühl beruflichen Ungenügens. "Ich ist ein anderer", hat uns Rimbaud (dessen Geburtstag nicht begangen wird) gelehrt. Hier aber ist das Ich gleich viele andere - und die sind bekanntlich die Hölle. Auf den ersten Blick mag es vielleicht vielversprechend sein, wenn André Breton in die Bresche einer Schreibkrise des Erzählers springt und als Geisterstimme nachts dessen Tonbänder bespricht. Bald jedoch erweisen sich die avantgardistischen Anweisungen als Sprengmittel für die Beziehung des Künstlers zu seiner Freundin, ja für seine ganze bürgerliche Existenz.

Als ebenso wenig autorenalltagstauglich stellt sich Jack Kerouacs Spontanprosa für einen Aspiranten heraus, dem die letzte Beatnik-Lockerung in jeder Hinsicht fehlt. Die von Kerouac empfohlenen "zum eigenen Vergnügen wild mit der Schreibmaschine vollgetippten Seiten" hofft sich der Erzähler mit Hilfe des Zwerghasen seiner Nachbarin zu erschwindeln. Das Tier soll seine Haken über die Tasten der Schreibmaschine schlagen. Aber selbst mit animalischer Schützenhilfe ist das Wilde in der Kunst nicht zu gewinnen.

Inwieweit ist das Innenleben mit äußeren Systemen koordinierbar, lautet also die Frage, die Hanno Millesi in seinen Geschichten stellt. Und wie wörtlich darf ein Autor die Texte von Kollegen nehmen? Die Protagonisten, unermüdlich damit beschäftigt, den Mangel an Produktivität durch die Mühen der Anverwandlung wettzumachen, erleben dabei die Tücken des Realismus am eigenen Leib. Einer findet einen Romanhelden auf gut Glück im Wiener Telefonbuch und ist bitter enttäuscht, dass der Betreffende, wie sich bei einem Hausbesuch herausstellt, den in seinen Namen gesetzten Erwartungen in keiner Weise entspricht. Die Geburt der literarischen Figur aus dem Verzeichnis der Wirklichkeit - ein Rohrkrepierer.

So sind diese zweifelhaften Anleitungen zum Künstlerglück einerseits eine satirische Abrechnung mit dem nach wie vor quicklebendigen Geniekult und seinen Dichtermythen (auch jenen der Avantgarde), andererseits führt der Autor ein Werkstattgespräch mit sich selbst.

"Ein Text über das Schreiben einer Erzählung soll selbst die Erzählung sein" - solche Sätze lassen bei metafiktionsgeprüften Lesern die Alarmglocken schrillen. In Millesis raffinierten Szenarien verliert die Erkenntnis, dass der Metatext zugleich der Text ist, jedoch ihren Schrecken. Dank penibler Spracharbeit hält beim Lesen das Vergnügen stets mit dem Erkenntniswert Schritt.

DANIELA STRIGL

Hanno Millesi: "Das innere und das äußere Sonnensystem".

Luftschacht Verlag, Wien 2010. 176 S., geb., 18,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Derart hingebungsvoll wie Hanno Millesi in seinen Erzählungen hat sich schon lange kein Prosaautor mehr seinen literarischen Vorbildern gewidmet, stellt Rezensentin Daniela Strigl fest. In elf Geschichten wird der Leser Zeuge quälender "Selbstumkreisung", erfahren wir. Millesis Helden, überwiegend Schriftsteller, schlagen sich mit ihren Schreibblockaden herum und erhoffen sich Inspiration und Rettung durch Annäherung an ihre literarischen Idole. Man hält also nicht nur eine Geniekultsatire in Händen, sondern darf auch einen Blick in die Schriftstellerwerkstatt werfen, freut sich Strigl. Aber keine Angst: Trotz aller Metafiktion hat der Rezensentin die Lektüre großes Vergnügen bereitet.

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