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Dieses Buch rekonstruiert die Frontstellungen und Abgrenzungen, denen ein populärer Text wie »Generation Golf« seinen Identifikationswert für die Leser verdankt. Wie produziert der Autor sein Ensemble alltäglicher Beobachtungen und Eindrücke so, dass beim Leser Effekte des »Erkennens« provoziert werden?Die Studie verdeutlicht dabei nicht nur, wie, sondern weshalb z.B. der Begriff »Generation« oder das Datum »68« spontane Zustimmung hervorrufen. Dabei verdeutlicht sie, wie sich Pierre Bourdieus Theorie des literarischen Feldes in ein Analyseverfahren überführen lässt, das in den Sprach- und Literaturwissenschaften eingesetzt werden kann.…mehr

Produktbeschreibung
Dieses Buch rekonstruiert die Frontstellungen und Abgrenzungen, denen ein populärer Text wie »Generation Golf« seinen Identifikationswert für die Leser verdankt. Wie produziert der Autor sein Ensemble alltäglicher Beobachtungen und Eindrücke so, dass beim Leser Effekte des »Erkennens« provoziert werden?Die Studie verdeutlicht dabei nicht nur, wie, sondern weshalb z.B. der Begriff »Generation« oder das Datum »68« spontane Zustimmung hervorrufen. Dabei verdeutlicht sie, wie sich Pierre Bourdieus Theorie des literarischen Feldes in ein Analyseverfahren überführen lässt, das in den Sprach- und Literaturwissenschaften eingesetzt werden kann.
Autorenporträt
Karasek, TomTom Karasek (Dr. phil.) lehrte Sprachwissenschaft an der Universität Siegen. Seine Forschungsschwerpunkte und Interessen liegen in der Diskursanalyse und in der politischen Kommunikation.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.10.2008

Wir waren jung und brauchten die Geltung

Volle Möhre auf die Glosse: Tom Karasek unterzieht die Generation Golf einem Crash-Test und entdeckt bei der Trümmerschau einen Normalismus-Wahn.

Haben Sie Übergewicht? Oder abstehende Ohren? Dann sind Sie nicht normal. Dann kann man Ihnen nur empfehlen, einen Weg zur Normalisierung zu beschreiten. Also abnehmen und Ohren anlegen lassen. Denn normal sein ist heute alles. Wer nicht normal ist, läuft Gefahr, zum sozialen Drop-out zu werden. Und das geht schneller, als man es sich träumen lässt. Was aber die Norm ist, entscheidet das System. Da wir in einem System der Warenwirtschaft leben, ist normal, wer das Erscheinungsbild der perfekt gestalteten Ware ausstrahlt.

Mit diesen schlichten Worten lässt sich die Ideologie der Generation Golf beschreiben, die gerade noch vor kurzem den Anspruch erhoben hat, als Deutschlands junge Edelfäule die kulturellen Räume zu aromatisieren, und die inzwischen selbst in die Jahre gekommen ist. Florian Illies war einer ihrer Wortführer, nicht zuletzt weil er mit seinem gleichnamigen Buch zur Millenniumwende einen Bestseller landen konnte. Illies ist es gelungen, einen Generationsbegriff zu kreieren, der sich von vergleichbaren Versuchen vor allem darin absetzte, dass er selbst sofort als Marke in Erscheinung trat. Während einst die 68er durch ihren Nonkonformismus glänzen konnten, die selbsternannten 78er hingegen gar nicht weiter auffielen und die 89er sofort in die Geschichte eingehen wollten, wurde die Generation, die sich nach dem beliebtesten Gefährt des deutschen Mittelstands, dem VW Golf, benannte, selbst zu einem Markenartikel. Das hatte einen herausragenden Grund: Die Lebenswelt der in den siebziger Jahren Geborenen war restlos zu einer Warenwelt geworden. Es ging nicht mehr um Natur oder Geschichte, sondern einzig und allein um die Artefakte der Konsumgesellschaft. Die sogenannte Pop-Literatur griff diese Gegenstände auf und rekonstruierte ihr Vorkommen im alltäglichen Dasein. Ob Benjamin von Stuckrad-Barre, der frühe Christian Kracht, Florian Illies und viele andere: Pop-Literatur hatte ein einziges übergreifendes Merkmal, an der man sie erkennen konnte: die Liste der gekauften, verbrauchten oder verschmähten Waren und ihrer Namen.

Angesichts solcher Innovationen vermochte auch die Literaturwissenschaft in den Auflistungen von Nutella bis Nivea ein neues Paradigma der deutschen Literatur zu erblicken. In der Pop-Literatur wollte namentlich der Literaturwissenschaftler Moritz Baßler bereits 2002, also noch auf dem Höhepunkt des Generation-Golf-Hypes, das Auftreten neuer Archivisten sehen, die, so Baßler unter Berufung auf Boris Groys, darangingen, das kulturelle Archiv um die fehlende Rubrik der Warenliste zu vervollständigen. Die so von wissenschaftlicher Seite geadelte Pop-Literatur gab dennoch bald ihren von vielen ohnehin angezweifelten Geist auf. Immerhin aber hatten diejenigen, die ihr zugerechnet wurden, in kurzer Zeit erreicht, was ein Warenproduzent gemeinhin anstrebt: Sie hatten sich gut verkauft.

Erst jetzt konnte die Eule der Minerva ihren eigentlichen Flug beginnen und das Phänomen mit dem Panoramablick des Sozialhistorikers durchleuchten. Das Ergebnis liegt nun in Form von Tom Karaseks Buch "Generation Golf. Die Diagnose als Symptom" vor. Die Siegener Dissertation zeigt in aufwendiger Weise, weshalb wir uns auf die deutsche Literaturwissenschaft auch angesichts tückischer Gegenstände einfach verlassen können. Karasek versucht dabei nicht nur, Illies' Buch gerecht zu werden; er will über die Analyse des Textes das Psycho- und das Soziogramm einer ganzen Generation, nämlich der heute Dreißig- bis Vierzigjährigen, liefern. Die Diagnose, die Florian Illies getroffen hat, begreift Karasek als Symptom eines umfassenden Geisteszustands im von sich selbst berauschten Spätkapitalismus. Dafür geht er noch einmal alles durch, was in Frage kommt, wenn man über Gegenwartsliteratur sprechen und ihre Texte als Abbilder gesellschaftlicher Verhältnisse verstehen möchte.

Die postmoderne Ursprungsthese Leslie Fiedlers vom Brückenschlag zwischen U- und E-Kultur wird ebenso bemüht wie die Diskursanalysen Foucaults und die soziokulturelle Feldtheorie Bourdieus. Die Thesen zu bürgerlicher Ideologie und Postmoderne von Terry Eagleton halten in Karaseks Methodeninventar so selbstverständlich Einzug wie Jean-Claude Kaufmanns Studien zur Identität und das konsumistische Manifest von Norbert Bolz. Ein bunter Mix ist das, der selbst postmoderne Qualitäten aufweist, aber auch Skepsis auslöst. Dass Karasek damit auf ein doch recht simpel gestricktes Werkchen wie Illies' Bestseller losgeht, erinnert zunächst stark an die auf Spatzen zielenden Kanonen. Man fragt sich, ob man es bei "Generation Golf" nicht eigentlich mit einem Text zu tun hat, der so tiefgreifender Interpretationen gar nicht bedarf, da er selbst alles unverschlüsselt sagt, was zum Zeitgeist zu sagen wäre. Doch das eben ist die theoretische Volte dieser Arbeit: Der sich selbst bezeugende Zeitgeist wird als Symptom einer Geisteshaltung, einer psychischen Verfassung und einer sozialen Lagerung gesehen, die nun ihrerseits die Kennzeichen und Merkmale der Generation aufscheinen lassen, der Illies zugehört. Dass es sich dabei weniger um eine tatsächlich homogene Generation handelt als vielmehr um die Selbstbespieglungen eines sich kulturell profilierenden Neokonservatismus, soll aus Karaseks Analysen deutlich werden. Die Versprechungen des Neoliberalismus seien von der Wohlstandsjugend dankend aufgenommen und als konsumistische Utopie biographisch verallgemeinert worden.

Hervorzuheben ist in jedem Fall die Rolle des Kulturjournalismus bei der Entstehung des Phänomens Pop-Literatur. Die Verselbständigung des Feuilletons in Richtung auf ein permanentes Trendsetting sowie die hohe Schreibschule der Zeitgeistzeitschriften, die eines Tages ein paar ihrer Mitarbeiter auf den Parnass der Literatur entließen, waren eine typische Erscheinung der späten neunziger Jahre; die Gründung der Edel-Zeitschrift "Monopol" durch Florian Illies im Anschluss an seinen Bucherfolg bildete ihre logische Fortsetzung. Karasek kann zeigen, inwiefern der Stil- und Gattungsmix, den gerade "Generation Golf" aufweist, grundlegend auf die journalistische Form der Glosse zurückzuführen ist. Die durch die Glosse flächendeckend ausgestreute Ironie sei denn auch als der intellektuelle Nährboden des gesamten Feldes der Pop-Literatur anzusehen.

Die Thesen Karaseks zur Symptomatik des literarischen Pop gipfeln im Wahn des Normalismus, der vielleicht das bleibende Kennzeichen dieser Literatur darstellen wird. Was sich in den ständigen biographischen Vergewisserungen der eigenen Haltungen, Einstellungen und Outfits als Attribut des Zeitgeistes präsentiere, meint Karasek, offenbare "die Tendenz zur Selbstnormalisierung und Homöostase". Der übergroße Anpassungsdruck nicht nur einer Generation, sondern aller Heranwachsender an die Erfordernisse eines das gesamte Leben kontrollierenden Marktes wird in diesem Streben zu Normalität zum eigentlichen, hinter dem Zeitgeist stehenden Lebensgefühl. Normalismus, zeigt Tom Karasek, ist die ultimative Ideologie einer Warenwelt, die sich als alternativlos begreift. Die ihr unterworfenen Biographien selbst werden warenförmig, und zwar bis zum Verschwinden jeglichen individuellen Zugs hinter der Scheinindividualität genormter Körper und Geister.

Im Vorwort seiner glänzend formulierten, jedoch theoretisch überfrachteten Arbeit dankt der Autor einem Bildungssystem, das ihm "als Student noch ein relativ hohes Maß an Freiheit gewährte und in dem die Begriffe ,Akkreditierung' und ,unternehmerische Hochschule' noch unbekannt waren". Erst wenn man sich den damit angesprochenen Normierungszwang gerade im Bereich von Bildung und Studium vor Augen hält, erahnt man die Leichtigkeit, mit der noch die Generation Illies ihr sanft genormtes Aufwachsen im Ikea-Kinderparadies zu Papier bringen konnte. Längst hat man inzwischen begriffen, dass das Handwerk des Lebens nach einer anderen Literatur verlangt und dass der Wunsch nach Normalität und der Wille zur Kreativität letztlich eine krude Mesalliance bilden.

CHRISTIAN SCHÄRF

Tom Karasek: "Generation Golf. Die Diagnose als Symptom". Produktionsprinzipien und Plausibilitäten in der Populärliteratur. Transcript Verlag, Bielefeld 2008. 304 S., br., 30,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Lange hat es gedauert, aber das Warten scheint sich gelohnt zu haben. Dass mit dieser Dissertation nun ein sozialgeschichtlicher Einordnungsversuch der "Generation Golf" vorliegt, freut Christian Schärf ungemein. Und er staunt nicht schlecht, mit welchem theoretischen Aufwand (Foucault, Bourdieu, Eagleton, Bolz etc.) Tom Karasek antritt, sowohl das Buch von Florian Illies zu analysieren, als auch das Psychogramm einer Generation zu zeichnen. Ist das nicht vielleicht ein bisschen zu viel des Guten? Die Einfachheit von Illies' Generationenbuch scheint das nahezulegen. Schärf jedoch entgeht die theoretische Volte nicht, mit der Karasek die Darstellung einer homogenen Generation als Teil des Problems outet: Hier, ahnt der Rezensent, ist ein sich "kulturell profilierender Neokonservatismus" am Werk. Solche und andere Einsichten (über die Rolle des Kulturjournalismus bei der Entstehung der Pop-Literatur, über den Normalismus als deren Markenzeichen) verdankt Schärf dem "glänzend formulierten" Band.

© Perlentaucher Medien GmbH
Besprochen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.2008, Christian Schärf www.single-generation.de, 26.10.2008