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Hinweise zu einer Verbindung von Avantgarde und Terrorismus gibt es bereits viele, fundierte Analysen dazu aber bislang noch nicht. Die Studie geht darum anhand von reichem Material der möglichen Nähe von historischer Avantgarde (Futurismus, Dadaismus, Surrealismus) und terroristischen Kadern (RAF, Weatherman, Tupamaros) nach. Als Bindeglieder fungieren Gruppen wie die Subversive Aktion, die Kommune I und die linken Aktionisten um 1968 (Rudi Dutschke, Provos, Che Guevara-Anhänger). Dabei entsteht das differenzierte Bild von "Spezialisten der Revolte", deren Verlangen nach einer Aufhebung der…mehr

Produktbeschreibung
Hinweise zu einer Verbindung von Avantgarde und Terrorismus gibt es bereits viele, fundierte Analysen dazu aber bislang noch nicht. Die Studie geht darum anhand von reichem Material der möglichen Nähe von historischer Avantgarde (Futurismus, Dadaismus, Surrealismus) und terroristischen Kadern (RAF, Weatherman, Tupamaros) nach. Als Bindeglieder fungieren Gruppen wie die Subversive Aktion, die Kommune I und die linken Aktionisten um 1968 (Rudi Dutschke, Provos, Che Guevara-Anhänger). Dabei entsteht das differenzierte Bild von "Spezialisten der Revolte", deren Verlangen nach einer Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Leben die Rhetorik des gewaltsamen Bruchs mit allem Bestehenden hervortreibt.
Autorenporträt
Thomas Hecken ist Professor für Neuere deutsche Literatur, insbesondere Pop und Populäre Kulturen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2006

Bombt nicht so romantisch
Ist Terror avantgardistisch? Thomas Hecken fragt gelassen nach

Die Bilder glichen sich: Als das World Trade Center am 11. September 2001 von den Flugzeugen der Terroristen in Schutt und Asche gelegt wurde, fühlte sich Jean Clair, Direktor des Pariser Picasso-Museums, an eine Zeile von Louis Aragon aus dem Jahr 1925 erinnert, in welcher der Surrealist genüßlich phantasiert, wie die weißen Häuser von Manhattan in Flammen aufgehen und einstürzen. Unter dem Schock der entdeckten Parallele rechnete Clair unverzüglich mit all jenen Dichtern ab, die einst zu den wichtigsten Begleitern seiner Lesesozialisation gehört hatten und denen er nun vorwarf, in ihrem Haß auf die westliche Zivilisation eine totalitäre, gewaltbereite Gesinnung an den Tag gelegt zu haben, die sie nicht von politischen Extremisten unterscheide. Aus gegebenem Anlaß erinnerte er zugleich an die diversen "Flirts" der Surrealisten mit den Ideologieangeboten ihrer Zeit, vom Kommunismus bis zum Nationalsozialismus.

In Deutschland ist die von Clair ausgelöste Debatte kaum wahrgenommen worden. Gleichwohl setzt man sich in der letzten Zeit auch hier mit den Verbindungen auseinander, die zwischen der künstlerischen Vorhut der Moderne und dem blutigem Terror bestehen, seit man bei kultursoziologischen Rekonstruktionen des Phänomens 1968 mit zunehmender Irritation erkannt hat, daß es in den Jahren der Revolte durchaus strategische und personale Überschneidungen zwischen der subversiven Spaßfraktion und den Aktionisten aus dem gewaltbereiten Flügel gab, der in der Roten-Armee-Fraktion endete: Die Phantasie sollte an die Macht kommen und traf auf Ulrike Meinhof.

Nun hat sich Thomas Hecken dieses Komplexes angenommen, um zumindest für die Wegstrecke von den aggressiven Gebärden der Futuristen bis zu den Programmschriften der RAF die Frage zu klären, wie mit dieser geistigen Achse des Bösen argumentativ zu verfahren sei. Auf die Idee, das Verhältnis könne im Sinne von Anstiftung und Ausführung beschrieben werden, läßt sich der Bochumer Germanist dabei zu Recht nicht ein. Doch die These vom terroristischen Charakter der Avantgarden kann auch er nicht widerlegen. Im Gegenteil - er führt nach Durchsicht durch die Manifeste noch einmal die berühmtesten Stationen ihrer Gewaltphantasmen an: Marinettis Lobpreis anarchistischer Vernichtungstaten, seine Bezeichnung des Faschismus als "futuristisches Minimalprogramm" oder Bretons Definition der einfachsten surrealistischen Handlung, die darin bestehe, "mit Revolvern in den Fäusten auf die Straße zu gehen und blindlings in die Menge zu schießen".

Derlei Sprüche lassen den inneren Ethikrat hellhörig werden. Doch Hecken liefert die interpretatorischen Beruhigungsmittel gleich mit und betont, es handle sich ja letztlich doch nur um Metaphern und Maximen, um formulierte Sehnsüchte nach Zonen "intensiven Lebens", wie sie die Futuristen in Revolutionen, Kriegen oder Erdbeben witterten. Ob die vorlauten Künstler verhinderte Terroristen waren, ist reine Spekulation. Thomas Hecken scheint im Gegenteil eher die Ansicht zu vertreten, daß es sich bei ihnen um Terroristenverhinderer gehandelt habe. Zwar schildert er, wie die Futuristen ihr Publikum mental für eine neue Ungemütlichkeit trainierten; doch zumindest den Surrealisten glaubt er, daß ihre agile Kunst als Experimentierraum gedient habe, der materielle Zerstörungen eben gerade überflüssig machte.

Damit wäre die Sache eigentlich recht angenehm im Sinne einer ästhetischen Erziehung und mit Schillers Spielbegriff gelöst, wenn nicht die Avantgarden die radikalromantische Losung in Umlauf gebracht hätten, die Grenze zwischen Kunst und Leben aufheben zu wollen, um die Welt vollkommen zu erneuern. Hecken bleibt auch hier gelassen und konstatiert, daß die Grenze zwischen Störung und Zerstörung oder, wenn man so will, zwischen Spaß und Ernst von Breton und seinen Kollegen doch nie überschritten worden sei. Außer ein paar kleineren Schlägereien sind tatsächlich keine handfesten Brutalitäten bekannt. Der Autor der Studie sucht den Skandal an einer anderen Stelle: dort nämlich, wo sich Intellektuelle, denen "Kritik und Theorie keinen Ausgleich zu fehlender Praxis" zu bieten schienen, aus der "Sackgasse" des Kunststatus mit immer radikaleren Projekten in die "Non-Fiktion" der Gewalt zu erlösen suchten.

Zwischen den Aktionisten der sechziger Jahre und anarchistischen Attentätern kann und will Hecken kaum einen Unterschied erkennen. Ihm fällt jedoch auf, daß sich die berüchtigten Milieus der "Subversiven Aktion" und der "Kommune I" beharrlich auf die Avantgarden und die provokanten Formen ihrer Performance-Ästhetik beriefen und mit ihrer Strategie Erfolg hatten, Anschläge als Happening auszugeben, um so einen legitimierenden Kunstbezug herzustellen. "Wieso", fragt er entnervt, "bezeichnet man Unruhestifter nicht einfach als Unruhestifter?" Für dieses Phänomen findet er einen famosen Grund: Daß die Provokateure häufig als Poeten durchgingen, erklärt er sich mit ihrer "wenig argumentativen Manier".

In symptomatischen Pamphleten des "Situationisten" Dieter Kunzelmann, der seit Wolfgang Kraushaars jüngstem Enthüllungsbuch "Die Bombe" dringend verdächtig ist, 1969 einen Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus in Berlin versucht zu haben, stellt er hinter dekorativen Parolen einen frappierenden "Mangel an genaueren politischen Begründungen" fest. Als Kuriosum aus dem Fundus der Anarchistenversteher kann er den berühmten Prozeß um die Flugblätter anführen, die Kommunarden 1967 als hämische Reaktion auf einen verheerenden Kaufhausbrand mit dem Slogan "Burn warehouse burn" schmückten; die als Gutachter bestellten Geisteswissenschaftler verwiesen entschuldigend auf die avantgardistische Schockästhetik als Vorbild und verschwiegen deren Anspruch, ins Leben einzugreifen. Bald darauf zündeten Gudrun Ensslin und Andreas Baader, sich als Avantgarde verstehend, selbst ein Kaufhaus an. Wer die anekdotenreichen Verblendungen "unserer kleinen Kulturrevolution" (Gerd Koenen) zum Gegenstand einer Abhandlung macht, begibt sich inzwischen auf ein gut bestelltes Forschungsfeld; allenfalls neu erschlossene Archivbestände oder originelle Auslegungen der bekannten Daten garantieren Aufmerksamkeit.

Hecken allerdings legt weder das eine noch das andere vor. Sein schmaler Band zeichnet sich durch etwas anderes aus: durch den entspannten Stil, in dem die Distanz einer Generation zum Ausdruck kommt, die durch die Gnade der späten Geburt bei der historischen Einordnung der sechziger und siebziger Jahre nicht auch gleich noch offene Rechnungen der eigenen Biographie verarbeiten muß. So kann er ganz unverkrampft mit Zitaten aufwarten, die sonst gerne in den Giftschränken gelassen werden. Zu den prekärsten Parolen aus der Formationsphase der RAF gehören Verlautbarungen von Herbert Marcuse und Jean Paul Sartre, den Denkern des Engagements: Suchte jener "Geächtete und Außenseiter", welche die Gesellschaft "sprengen" könnten, stand es für diesen außer Frage, daß "in der ersten Phase des Aufstands" getötet werden müsse - in der Gewalt, so der Existenzphilosoph, manifestiere sich eben der neu sich schaffende Mensch. Da brauchte Dutschke nur noch mit der Forderung nach einer Berliner Guerrilla nach dem Vorbild der Vietcong nachzulegen. Und die Untergrundzeitschrift "linkeck" warb für "heutige Kristallnächte" mit neuen Feinden.

Heckens Angebot, die Verbindung zwischen Avantgarden und Terrorismus über die "Rhetorik der Intensität" herzustellen, begnügt sich vorsichtshalber mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Auch andere Schnittmengen hätten sich angeboten, beispielsweise die apokalyptische Denkfigur der Tabula rasa, mit der sich die Vergangenheitsbewältiger beider Strömungen in eine absolute Gegenwart schreiben beziehungsweise bomben wollten. Psychologische Erklärungsversuche der unheimlichen Parallelen deutet der Autor sachte an, wenn vom Syndrom der Langeweile unter den narzißtischen "Subversiven" die Rede ist, die ihr Unbehagen an der freudlosen Welt durch die Schaffung "revolutionärer Situationen" überwinden wollten.

Die Anfälligkeit des zu kurz gekommenen Individuums für kompensierende Herrschaftsszenarien hat eine weit hinter die Avantgarden zurückführende Tradition: "Wir alle sind im Grunde unsres Herzens kleine Neronen, denen der Anblick eines brennenden Roms, das Geschrei der Fliehenden, das Gewimmer der Säuglinge gar nicht übel behagen würde, wenn es so, als ein Schauspiel vor unseren Blicken sich darstellte." Dies notierte der pietistische Seelenkundler und unverdächtige Dichter Karl Philipp Moritz 1787. Bei Thomas Hecken lernt man für so etwas die angemessene Anti-Terror-Geste: Kopfschütteln genügt.

ROMAN LUCKSCHEITER

Thomas Hecken: "Avantgarde und Terrorismus". Rhetorik der Intensität und Programme der Revolte von den Futuristen bis zur RAF. Transcript-Verlag, Bielefeld 2006. 160 S., br., 16,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Roman Luckscheiter gefällt der entspannte Gestus dieser Schrift. Den Parallelen zwischen künstlerischer und intellektueller Avantgarde und dem Terror der RAF scheint ihm Thomas Hecken ausreichend unverkrampft nachzugehen. Die so entdeckte "Rhetorik der Intensität" hält Luckscheiter für einen durchaus angemessenen gemeinsamen Nenner und lobt die Vorsicht, mit der Hecken sein Ziel verfolgt, die "geistige Achse des Bösen" anders als mit dem Schema "Anstiftung und Ausführung" zu erklären. Dass auch Hecken an der Existenz von Gewaltfantasien, etwa der Futuristen, nicht vorbeikommt, wundert Luckscheiter nicht. Um so mehr freut ihn Heckens Entschärfung solcher Auswüchse und eine "famose" Erklärung für die Parallelisierung beider Phänomene: Der Provokateur erscheint als Poet, nicht zuletzt durch seine relative argumentative Armut.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Bei Thomas Hecken lernt man für sowas die angemessene Anti-Terror-Geste: Kopfschütteln genügt.« Roman Luckscheiter, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.07.2006 »Die Fragen politischer Gewalt und sich als radikal gebender Kunst, von Kunst als Politik mit anderen Mitteln sowie der Ästhetisierung der Politik gehören zu den Grundproblemen der Moderne. Der Verdienst von Hecken ist es, die oftmals vorausgesetzte Beziehung der künstlerischen Avantgarde zu den sich als militante Vorhut verstehenden Terrorzirkeln wie der RAF als bloße Konstrukte herauszustellen.« Sven Beckstette, www.sehepunkte.de, 11 (2006) »Thomas Hecken wenigstens weiß am Ende seiner Studie, die ungemein belesen und klug ist, auch nur darauf hinzuweisen, dass die Kluft zwischen Kunst und Leben, und insbesondere zwischen Kunst und Terror unübersehbar ist. Der Wunsch nach dem intensiven Leben jedenfalls, der als unklug und kaum sozialisierbar erscheint, ist zwar beiden gemeinsam. Aber die Konsequenzen, die daraus gezogen werden, sind verschieden genug, um die Linie zwischen Avantgarde und Terror kappen zu können.« Walter Delabar, www.literaturkritik.de, 11 (2006) Besprochen in: Frankfurter Rundschau, 21.06.2006, Rudolf Wather IASLonline, 25.08.2006, Hans-Jürgen Krug testcard, 16 (2006),