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Eigentlich wirkt der naturverbundene William Strachan sehr sympathisch - die neunjährige Tess betet den Liebhaber ihrer Mutter geradezu an. Doch schon bald zeigt das friedliche Leben auf Williams kleiner Farm dramatische Risse, steuert die scheinbar unbeschwerte und wilde Kindheit im ländlichen Suffolk der Katastrophe entgegen. Sehr einfühlsam erzählt Esther Freud von der Klugheit der Kinder in der verlogenen Welt der Erwachsenen.

Produktbeschreibung
Eigentlich wirkt der naturverbundene William Strachan sehr sympathisch - die neunjährige Tess betet den Liebhaber ihrer Mutter geradezu an. Doch schon bald zeigt das friedliche Leben auf Williams kleiner Farm dramatische Risse, steuert die scheinbar unbeschwerte und wilde Kindheit im ländlichen Suffolk der Katastrophe entgegen. Sehr einfühlsam erzählt Esther Freud von der Klugheit der Kinder in der verlogenen Welt der Erwachsenen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.06.2001

Ravioli kochen reicht nicht
Familienbande, eng verschlungen: Esther Freuds Roman "Wildland"

Ein Jahr lang leben die beiden Restfamilien unter einem Dach. Das Haus, es handelt sich um eine ehemalige Landbäckerei, trägt den beziehungsreichen Namen "Wildland". Wild ist die Landschaft der ostenglischen Grafschaft Suffolk, unkonventionell sind die Familienverhältnisse und reparaturbedürftig scheint nicht nur die Garage. Der Hausbesitzer William Strachan werkelt ohne Unterlaß, er legt auch Gemüsebeete an, letzteres im Hinblick auf die vollwertige Ernährung seiner achtköpfigen Patchwork-Familie. Die besteht aus Honour, Doom und Sandy, seinen drei Töchtern im Alter von vier bis elf Jahren, Francine, seiner neuen Untermieterin und künftigen Partnerin, die den elfjährigen Jake und die neunjährige Tess mit nach Wildland gebracht hat. Francine und William setzen dann noch das Baby Eve in die Welt, sehr zur Freude von Tess, die sich immer schon eine "richtige" Schwester gewünscht hat.

Tess ist die Hauptfigur in "Wildland", dem vierten Roman der britischen Autorin Esther Freud. Das Schulmädchen wirkt unscheinbar und phantasievoll, ihrem Vater Victor schickt sie lakonische Briefe mit treffenden Apercus aus dem Leben der Wohngemeinschaft. Trotz ihrer neun Jahre macht Tess nachts noch ins Bett, dies ist ihre größte Schmach und ein eifersüchtig gehütetes Geheimnis. Ihre Mutter Francine, eine Frau, die sich im Laufe des Romans immer tiefer über das Spülbecken beugen muß, hat dafür nur ein Achselzucken übrig. Als dann der selbsternannte Familienvater William Tess vor allen anderen zur Rede stellt, zerstört er in einem Atemzug all ihre Illusionen. Bis dahin hat Tess um Williams Aufmerksamkeit gebuhlt in der Hoffnung, ihre Familie zu heilen. William, der Bäume fällen und italienische Ravioli kochen kann! Tess geht mit ihm bei Hundewetter zum Segeln, und zum Geburtstag strickt sie dem Ersatzvater bunte Ringelstrümpfe. Umsonst. In kleinen, ernüchternden Wechseln der Erzählperspektive hin zu dem Mann erfährt der Leser, daß ihm die körperliche Nähe von Tess unangenehm ist: "Er spürte ihren Blick im Rücken, ihre runden, dunklen, erwartungsvollen Augen, und er dachte, daß ihr Vater diesen bohrenden Blick vermied, indem er regelmäßig Geld auf ein Konto überwies. Das könnte mir gefallen. Ein Leben als Single. Autos, Frauen und jede Menge Spaß."

Auch Francine verehrt William, nur Jake durchschaut ihn sofort als einen Mann, der milde Lebensregeln an die Küchenwand nagelt, doch stets die eigenen Interessen im Blick hat. Jake, humorvoll, realistisch und sarkastisch, wirft mit seinen elf Jahren einen nüchternen Blick auf die Ereignisse. Für Jake gilt besonders, was im Ansatz bei allen Kindern stattfindet, sie übernehmen Verantwortung und damit die Rolle der Erwachsenen. Ständig ermahnt Tess ihren rebellischen Bruder Jake, sich mit William zu versöhnen. Und Williams Töchter erheischen mit Blicken dessen Einverständnis, bevor sie das Wort "Mutter" in den Mund nehmen.

Die ehemalige Mutter Felicity, der ehemalige Vater Victor gelten als unerwünschte Personen, wie zwei Satelliten umkreisen sie den Mikrokosmos von Wildland. Mit Victor, der in London ein Leben als Bohemien mit wechselnden Frauen führt, treibt Esther Freud das Spiel der sich reihenden Familien auf die Spitze. In der Übertreibung verwirft sie die Ideale der Nach-Hippie-Generation, weder die libertinären noch die ökologischen oder esoterischen Ideen erweisen sich als tauglich, jedenfalls nicht für Kinder: "Ich wander', ich wander', ein Kind in der Nacht" müssen die singen, als Francine und William ihr neues Baby Eve nach Hause bringen.

Bemerkenswert ist der Gestus dieses Romans. Trotz aller Ironie fehlt der agitatorische Reflex, den man bei vielen Nachgeborenen der 68er Generation beobachten kann. Es fehlen auch der Zorn und die Sentimentalität, was dem Roman gut bekommt. Esther Freud gibt zu verstehen, daß Kinder zäher sind, als man gemeinhin annimmt. Und wie in ihrem Debüt "Hideous Kinky" (1991) sind die Kinderstimmen besonders gelungen. "Wildland" ist in einer schlichten und betont unprätentiösen Sprache gehalten, die Dialoge überwiegen, die Figuren sind bemerkenswert gut konturiert. Der Roman öffnet nur winzige Fenster in die Vergangenheit der Beteiligten, diese Auslassung entspricht der kollektiven Amnesie der Familie. So entsteht eine Erzählgegenwart, die viel verrät von Freuds früherem Beruf als Schauspielerin. Vielleicht hat sie sich deshalb auch zu einem dramatischen Finale hinreißen lassen, das entbehrlich gewesen wäre - Jake erhebt die Flinte gegen William, als der Francine gegen eine Siebzehnjährige eintauscht.

Wenn in einem Roman die Ideale der Eltern verhandelt werden, lohnt sich meist ein Blick in die Biographie des Autors. Esther Freud, eine Urenkelin von Sigmund Freud, verbrachte als Fünfjährige ein Jahr im Schlepptau ihrer Hippie-Mutter in Marokko. Ihr Vater, der Maler Lucian Freud, ist beruflich sehr erfolgreich, darum war er für seine Kinder meist abwesend. "Wildland" zeigt den Werdegang von solchen sich selbst verwirklichenden Dynastien auf. Dabei ist der Roman so konservativ geraten, wie es alle Kinder sind.

TANYA LIESKE

Esther Freud: "Wildland". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Chris Hirte. Verlag Ullstein Berlin, Berlin 2001. 221 S., geb., 36,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Katharina Döbler rezensiert einen Roman von Esther Freud. Dieser sei, wie alles von Esther Freud, ein weiterer Abschnitt in der eigenen Autobiografie und hat die "Hölle der Väter" zum Thema. Allerdings mit dem umgekehrten Vorzeichen, dass der Vater der Romanfigur, der neunjährigen Tess, kein klassischer Patriarch sondern ein klassischer 68er sei. Erzählt wird eine Enttäuschung, so die Rezensentin, in der letztendlich die Unfähigkeit der Väter artikuliert wird. Den Vätern gelinge es nicht ihre Rolle anders auszufüllen als es ihre Feindbilder, die bürgerlichen Familienoberhäupter tun. Das einzige, was sich verändere, sei die Fassade. Die kindliche Erzählperspektive wird von Döbler ausdrücklich gelobt, das Beharren auf "Erklärungen" breche aber "die Kohärenz des Romans". In der Geschichte hört Döbler stets den "Urgroßvater Sigmund" mitklingen, in der Welt der Romanfigur wird dieser "Grundton" mit den nordischen Göttersagen geliefert, die in der Schule behandelt und bei "jeder Gelegenheit genüsslich referiert werden". Neben einer zugespitzten Dramaturgie bezeichnet Döbler die "Beschreibung ... der gleichbleibenden Hölle des Vaters unter den Umständen des ländlich-sittlichen Hippietums" als gelungen. Abschließend bemerkt die Rezensentin, dass es letztendlich egal ist, wie man das Väterthema bearbeitet. Freud tue es jedenfalls auf "literarisch interessant" Art und Weise.

© Perlentaucher Medien GmbH
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