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Am 28. Juni 2002 beging Carl Friedrich von Weizsäcker seinen 90. Geburtstag. Als der 17-jährige Abiturient Ende 1929 sein Studium beginnt, ist die Welt des Atoms noch ein weitgehend unerforschter Kontinent. Erst im Laufe der 20er Jahre war mit der Quantenmechanik die Formulierung einer Theorie des Atoms gelungen. Auf Anregung seines Freundes Werner Heisenberg beteiligt sich der junge Weizsäcker an der Ausarbeitung der Kern- und Astrophysik. Parallel dazu entwickelt er sich aber frühzeitig zu einem der wenigen Philosophen, die - wie Grete Hermann und Ernst Cassirer - das neue Weltbild der…mehr

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Produktbeschreibung
Am 28. Juni 2002 beging Carl Friedrich von Weizsäcker seinen 90. Geburtstag. Als der 17-jährige Abiturient Ende 1929 sein Studium beginnt, ist die Welt des Atoms noch ein weitgehend unerforschter Kontinent. Erst im Laufe der 20er Jahre war mit der Quantenmechanik die Formulierung einer Theorie des Atoms gelungen. Auf Anregung seines Freundes Werner Heisenberg beteiligt sich der junge Weizsäcker an der Ausarbeitung der Kern- und Astrophysik. Parallel dazu entwickelt er sich aber frühzeitig zu einem der wenigen Philosophen, die - wie Grete Hermann und Ernst Cassirer - das neue Weltbild der Quantenmechanik zu analysieren vermögen. Dabei ist von Anfang an Weizsäckers Interesse für die Logik der Forschung und die Erkenntnislehre nicht schon alles. Die Erfahrung der NS-Diktatur und der demokratische Neubeginn in der jungen Bundesrepublik bestärken den Naturphilosophen darin, nicht nur über die Stellung des Menschen im Kosmos, sondern auch über die neue politische Situation im Atomzeitalter nachzudenken. Bis hinein in sein 90. Lebensjahr wirkt der Starnberger Philosoph als ein weltweit respektierter christlicher Denker, der unter den Bedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt den Grundwert "Freiheit" mit dem Prinzip "Verantwortung" zu vereinen sucht. "Selten habe ich einen so gründlichen Text meiner Äußerungen kennengelernt." Carl Friedrich von Weizsäcker
Autorenporträt
Konrad Lindner geb. 1952, Studium der Philosophie und Politikwissenschaften in Leipzig, Promotion (1979) und Habilitation (1984). Seit 1991 ist er als Wissenschaftsjournalist für den Hörfunk tätig. Zahlreiche seiner Beiträge beschäftigen sich mit aktuellen Entwicklungen in der mitteldeutschen Wissenschaftslandschaft.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2002

Abendspaziergang eines Kosmologen
Carl Friedrich von Weizsäckers treuster Jünger Konrad Lindner hat ihm ein „dialogisches Selbstporträt” geschenkt
Übermenschliche Größe kann ein endlicher Mensch nur durch Projektion erreichen. Der Bruch zwischen einem großartigen Lebenswerk eines Sterblichen mit allen Erfolgen und Fehlern und dem charismatischen Führer und Übervater lässt sich nicht mit Taten und Verdiensten erklären, sondern nur durch Unterlassung. Wer diesen Karriereschritt plant, benötigt die grenzenlose Toleranz, sich von jedermann als Projektionsfläche für das jeweils eigene Weltbild missbrauchen zu lassen.
Wer immer sich nach dem Krieg in Deutschland für Physik interessierte oder für Politik, wer es für wichtig hielt, Fragen über Gott und das Universum zu stellen und die Wahrheiten der Wissenschaft als wesentliche Randbedingung jeder aufrichtigen Antwort anerkannte – kurzum, jeder ist irgendwann mit den Schriften Carl Friedrich von Weizsäckers in Berührung gekommen, die versprechen, all dies auf der Grundlage des besten uns Menschen zur Zeit möglichen wissenschaftlichen Wissens zu erörtern: den bestirnten Himmel über uns und das moralische Gesetz in uns.
Offizielle Sprachregelung
Wer so viel für die Geistesbildung der Nachkriegsdeutschen geleistet hat, hat sich schöne und ehrenvolle Geburtstagsgeschenke redlich verdient. Kurz vor Carl Friedrich von Weizsäckers 80. Geburtstag erscheint heute ein Sammelband mit Interviews, ein „dialogisches Selbstportrait”. Der Journalist Konrad Lindner hat Weizsäcker im letzten Jahrzehnt des öfteren besucht und mit ihm Gespräche über viele Themen geführt. Neu arrangiert ergeben die Fragen und Antworten einen Spaziergang durch das Leben. Und dann hat Lindner noch viele Freunde und Weggefährten befragt, und neunundzwanzig würdevolle „Stimmen über Weizsäcker” bilden ein weiteres Kapitel des Buchs. Ein langes produktives Leben als öffentliche Figur und Autor hat zur Folge, dass alles, was Weizsäcker über sein Leben preisgeben möchte, schon längst und mehrfach veröffentlicht ist. Hat er die Gelegenheit von Lindners Interviews zum Anlass genommen, Neues mitzuteilen, öffentliche Meinungen über ihn zu korrigieren, Kämpfe mit Gegnern auszutragen? Nein.
Die offizielle Selbstdarstellung hat sich in Weizsäckers Antworten bis hinein in Satzbau und Wortwahl stabilisiert. Es wäre schwer gefallen, von seiner bisherigen Politik abzuweichen – bei diesen Fragen, die nichts unversucht lassen, das vollständig festgefügte Weizsäckerbild von Lindner, den Kanon der früheren Sprachregelungen nochmals vom alten Weizsäcker absegnen zu lassen.
Den Mangel an Neuigkeiten über Weizsäcker kompensiert Lindner mit Neuigkeiten über sich selbst. Konrad Lindner, erfährt man in seinen manchmal zweiseitigen Fragen an Weizsäcker, ist ein Kind der DDR. Schon früh hat er bei Autoritäten Halt gesucht; anfangs als Jünger des Marxismus-Leninismus, nach der Wende bei Carl Friedrich von Weizsäcker. Schellings Idealismus gab ihm die ersten Anstöße zur Konversion. An Weizsäcker schätzt er alle schellingesken Züge. Andere verzeihen Weizsäcker seine manchmal ins Nebulöse abgleitenden Betrachtungen über das Wesen des Universum, weil sie darin ein aufrechtes Bemühen um ein leider zu großes Rätsel erblicken. Lindner hingegen liebt Weizsäcker gerade deswegen. Je abgehobener, desto besser. Er ist süchtig nach Charisma.
Lindner, so scheint es, erkennt in Weizsäcker die Apologie seines eigenen Lebens; in Weizsäckers uneindeutigem und zum Teil später bereutem Wirken im Nationalsozialismus die Rechtfertigung seiner DDR-Vergangenheit. Der Ausweg vor der Notwendigkeit zum Eingeständnis von Irrtümern ist die Flucht ins Abstraktmetaphysische, ins unverbindlich Transzendente. Was sind schon ein paar Fehlurteile als junger Mann gegen die Größe des Universums, die tiefsinnigen Dimensionen reiner Verantwortung des Menschen vor Gott?Will Lindner, so fragt man sich, Weizsäcker vor sich selbst schützen; hat er Angst, Weizsäcker könnte auf seine alten Tage eine neue Ehrlichkeit entwickeln, seinen alten Jüngern in den Rücken fallen und sich neue Freunde machen?
Ein 30seitiges Kapitel ist tagesaktuell geschrieben: „Im Focus: Kopenhagen 1941”. Das letzte Interview führte Lindner nach der Veröffentlichung von privaten Dokumenten von Niels Bohr vor einem Monat. Die Wahrnehmung, wie Bohr den Besuch von Weizsäcker und Heisenberg während des Kriegs erlebte, hätte eine Gelegenheit sein können, sich von den Versuchen einer zu plumpen Hagiographie seines Lebens zu distanzieren. Weizsäcker selbst will sein Wirken im Dritten Reich nicht als heldenhaft verklärt wissen (SZ vom 8. Februar). Aber was kann er schon zur Richtigstellung beitragen, wenn er zwei Wochen später von Lindner gefragt wird – nach wiederum zweiseitiger Vorbereitung: „Ich habe so viele Fragen, wenn ich an den personalen und politischen Kontext der neuesten Dokumente aus dem Bohr-Archiv denke. Können Sie dieses Durcheinander an Fragen verstehen?” Weizsäckers Antwort: „Gewiß. Schon.”
ULRICH KÜHNE
KONRAD LINDNER: Carl Friedrich von Weizsäckers Wanderung ins Atomzeitalter. Ein dialogisches Selbstportrait. Mentis Verlag, Paderborn 2002. 235 Seiten, 19,80 Euro.
Neuigkeiten über Carl Friedrich von Weizsäcker?
Foto:
Regina Schmeken
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Kurz vor C.F. von Weizsäckers 80. Geburtstag erscheint dieser Sammelband mit Interviews, die so geordnet sind, dass sie einen "Spaziergang durch das Leben" des bekannten Physikers erlauben, wie es Ulrich Kühne formuliert. Kühne befremdet es, dass von Weizsäcker im Dialog mit dem Journalisten Lindner nicht die Gelegenheit ergriffen hat, sein öffentliches Bild zu ergänzen oder zu korrigieren. Was also von Weizsäcker und auch seine nationalsozialistische Vergangenheit angeht, muss Kühne feststellen, gibt der Band absolut nichts Neues her. Selbst ein aktuell eingebautes Interview zum Bohr-Nachlass sei völlig unergiebig. Um so mehr erfahre man dagegen über von Weizsäckers Gesprächspartner, den aus der DDR stammenden Lindner, für den sein Gegenüber eine Art Apologie des eigenen Lebens in einer Diktatur darstelle. Statt Irrtümer einzugestehen, trete man vorzugsweise "die Flucht ins Abstraktmetaphysische" an, schreibt Kühne.

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