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Als Niels Bryde zu verstehen beginnt, wie die Welt funktioniert, verliert er nicht nur seinen Glauben, sondern auch seine Familie. Erst durch die Schrecken des Krieges und den plötzlichen Tod seiner großen Liebe erkennt er seinen Fehler.

Produktbeschreibung
Als Niels Bryde zu verstehen beginnt, wie die Welt funktioniert, verliert er nicht nur seinen Glauben, sondern auch seine Familie. Erst durch die Schrecken des Krieges und den plötzlichen Tod seiner großen Liebe erkennt er seinen Fehler.
Autorenporträt
Hans Christian Andersen wurde am 2. April 1805 in Odense (Dänemark) geboren und wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf. Der Dänenkönig Friedrich VI., dem seine Begabung aufgefallen war, ermöglichte ihm 1822 den Besuch der Lateinschule in Slagelsen. Bis 1828 wurde ihm auch das Universitätsstudium bezahlt. Andersen unternahm Reisen durch Deutschland, Frankreich und Italien, die ihn zu lebhaften impressionistischen Studien anregten. Der Weltruhm Andersens ist auf den insgesamt 168 von ihm geschriebenen Märchen begründet. Andersen starb am 4.8.1875 in Kopenhagen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.12.2003

Aladin und die Papierfresser
Hier spukt der Geist des Fortschritts: Hans Christian Andersens Roman „Sein oder Nichtsein”
Im Epochenjahr 1857 – es erschienen Stifters „Nachsommer” und Flauberts „Madame Bovary” – veröffentlichte Hans Christian Andersen einen Roman, den man nicht zu seinen Hauptwerken rechnet: „At være eller ikke være”, auf deutsch: „Sein oder nicht sein”, Frucht einer intensiven Befassung mit Fragen der Theologie und der exakten Wissenschaften. 120 Jahre nach der letzten Übersetzung gibt es den Roman jetzt wieder auf deutsch zu lesen, vorzüglich übertragen und kommentiert von Erik Gloßmann. Die Neuausgabe könnte dazu beitragen, dass dem Romancier Andersen ein wenig mehr von der Aufmerksamkeit zuteil wird, die ihm als Märchenerzähler seit jeher sicher ist. „Sein oder nicht sein” ist nämlich ein durchaus packender Lesestoff: verkappte Selbstbiographie, spekulativer Essay, Geschichtserzählung und Gesellschaftspanorama in einem. Der Roman erzählt von einem jungen Mann, der im rechten Glauben aufwächst, sodann den Reizen der Freigeisterei erliegt und schließlich – in einem furiosen Finale – in den Hafen des Glaubens zurück findet.
In den Monaten, in denen Andersen, der Schnellschreiber, den Roman verfasste, schlief er schlecht. Wie üblich hatte er sich in adligen Herrenhäusern einquartiert, wo er tagsüber schrieb oder Bücher wie Fabris „Briefe gegen den Materialismus” las und wo sich nachts die Gespenster meldeten. „Heute nacht”, notiert er am 14. Mai in seinem Tagebuch, „träumte ich, ich äße ein Stück von einer Karte, die bitter schmeckte, und auf einmal war mein Mund mit Kartenstücken vollgestopft, und ich riß sie heraus.” Ein andermal träumt ihm, er sitze beim Schreiben und plötzlich fingen die Buchstaben auf dem Papier Feuer.
In Andersen rumort es. „Glaube und Wissen” heißt ein Kapitel des Romans; Glaube oder Wissen, das scheint für Andersen bei Tag und Nacht die Frage. Lange Zeit hat er sich, angeleitet von H. C. Ørsted, dem Entdecker des Elektromagnetismus, dem Wissen verschrieben. Theologische Abrüstung und naturwissenschaftliche Aufklärung heißt die doppelte Devise. „Es sei sonderbar”, lässt Andersen seinen Romanhelden, den jungen Niels Bryde sagen, „selbst bedeutende Denker schienen nicht zu begreifen, dass der Dichter auf der Höhe der Entwicklung seines Zeitalters stehen, das Veraltete in die Rüstkammer der Poesie werfen und die Geister der Wissenschaft bewusst einspannen sollte, um sein Schloss des Aladin zu bauen.”
Wie wenige Schriftsteller seiner Zeit steht Andersen im Bann des Szientismus – aber was, wenn Aladin tief unten in der Höhle der Wissenschaft doch wieder den alten Kinderglauben zu Tage förderte, etwa in Gestalt der mütterlichen Bibel? Dann würde das Märchen wahr, das dieser vertrackte Desillusionsroman erzählt. An seinem traurig-glücklichen Ende kehrt Andersen den Errungenschaften seines Säkulums entschieden den Rücken zu. Niels Bryde ist ausersehen, diesen Parcours vom Glauben übers Wissen zurück zum Glauben zu absolvieren.
Er ist, wie sein Autor, armer Leute Kind: seine Mutter ist früh gestorben, sein Vater ist Wächter des Runden Turms in Kopenhagen, auf dessen Dach eine Sternwarte früh die kindliche Neugier erregt. Dann aber wird der Vater von einem herabfallenden Fenster erschlagen und der Waise kommt in die Obhut von Japetus Mollerup, einem menschenfreundlichen, aber strenggläubigen Pfarrherrn auf der jütländischen Heide.
Die Pfarrersfamilie nimmt ihn mit Freuden auf, die Tochter Bodil gewinnt den neuen Bruder bald liebt und der begabte Junge entwickelt sich rasch zu einem gelehrigen Schüler, dem naturgemäß der theologische Lebensweg vorgezeichnet ist. Es ist ein eindringliches Bild, das Andersen vom ländlichen Jütland zeichnet, wo in den vierziger Jahren des 19.Jahrhunderts eine Industriestadt aus dem Boden gestampft wird, während ringsherum noch unheimliche Zigeuner über die Heide streifen und Pfarrer Mollerup den Seinen die Gottesfurcht predigt.
Zum Theologiestudium kehrt Niels Bryde nach Kopenhagen zurück, in die Welt der Geselligkeiten und Modetorheiten. Er wird, man ahnt es, den intellektuellen Versuchungen der Zeit erlieglen, mit David Friedrich Strauß das Leben Jesu auseinandernehmen und bei Ørsted in die Schule des mechanischen Materialismus gehen. Als er mit seinen neu erworbenen Ansichten nach Jütland zurück kommt, betrachtet ihn der alte Pfarrer als Ketzer. Der Ketzer will indes nicht länger Pfarrer werden, sondern Arzt.
Überdies hat er sich in Esther verliebt, eine Tochter aus jüdisch-großbürgerlicher Familie in Kopenhagen. Aber Andersen wäre nicht Andersen, wenn die Liebe, gar die fleischliche, am Ende obsiegen würde. Niels zieht in den dänisch-deutschen Krieg um Schleswig und entgeht dem Tod nur um Haaresbreite. Bald nach der glücklichen Heimkehr bricht in Kopenhagen die große Choleraepidemie aus und rafft auch Esther hinweg. Am Sterbebett seiner Verlobten gewinnt Niels Bryde – im Handumdrehen, wie es scheint - den Glauben zurück: „Die Hände falteten sich, und das Gebet war auf seinen Lippen: ‚Gott, mein Gott, gib mir den Glauben!‘” So herzlos, bei aller verbalen Beschwörung des Gegenteils, kann über die Liebe wohl nur ein Autor schreiben, der niemals eigene Erfahrungen mit ihr gesammelt hat. Nein, dieser rasante Rückweg über Leichen zum rechten Glauben kann uns nicht einmal als Märchen überzeugen. Der Rest dafür umso mehr.
CHRISTOPH BARTMANN
HANS CHRISTIAN ANDERSEN: Sein oder nicht sein. Roman. Aus dem Dänischen und mit einem Nachwort von Erik Gloßmann. ars vivendi verlag, Cadolzburg 2003. 288 Seiten, 19, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003

High Life im zweiten Stock
Frech: Andersens "Sein oder nicht Sein" / Von Heinrich Detering

Um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts galt Hans Christian Andersen in Deutschland als ein großer Romanautor, der nebenbei auch Märchen schrieb. Bücher wie "Der Improvisator" oder "Nur ein Geiger" gehörten zur Lieblingslektüre eines an der Spätromantik geschulten und auf einen neuen Realismus neugierigen Lesepublikums. Diese abenteuerlichen Künstlerromane, hinter deren Biedermeierkulissen sich beunruhigende Seelentiefen auftun, sind aus dem Gedächtnis der Bücherwelt nie ganz verschwunden. Anders der vorletzte, 1857 erschienene Roman, der schon im Titel versprach, sich über alle Fragen von Künstler- und Bürgertum, Psychologie und Geschlechtlichkeit hinaus mit den ersten und letzten Dingen zu befassen. "Sein oder nicht Sein" geriet, obwohl oder gerade weil es zu Andersens ehrgeizigsten Projekten gehörte, sehr bald in den Ruf eines etwas verworrenen Unternehmens, in dem sich essayistische Reflexion, Liebes- und Zeitgeschichte unglücklich vermengten. So kommt es, daß es mit Erik Gloßmanns Neuübersetzung zum ersten Mal seit 1883 wieder auf Deutsch vorliegt. Man soll mit dem Wort "Wiederentdeckung" vorsichtig umgehen, aber dies ist eine.

Nicht nur, weil wir uns in den vergangenen anderthalb Jahrhunderten etwas besser an die Verschränkung von Erzählung und Essay gewöhnt haben als Andersens kopfschüttelnde Zeitgenossen, sondern auch, weil vielleicht erst jetzt der Witz, die Kühnheit und Klugheit dieses Romans nach Verdienst zu schätzen sind. Wer die Frage nach dem Verhältnis von Naturwissenschaft und christlichem Glauben in der Rede vom Menschen, von Leib und Seele, Leben und Sterben in derselben Weise für erledigt hält, wie es hier die fortschritts-optimistischen Materialisten tun, der braucht sich auch um Niels Bryde nicht weiter zu kümmern. Alle anderen sollten ihn kennenlernen. Denn diese Hauptfigur, die kein Held ist, durchläuft mit Siebenmeilenstiefeln den Kursus der Orientierungsversuche, die einem neugierigen Intellektuellen in der anbrechenden Moderne zugänglich waren, vom Kinderglauben zur liberalen Theologie, von Christentum und Judentum zu Soziologie und Seelenkunde, von der Begeisterung für Dampfmaschine und Eisenbahn zur Frage nach ihren Folgekosten, von "Faust" zu Feuerbach - und das alles auf kaum 280 Seiten. Das Tempo dieser Geschichte ist nicht weniger atemberaubend als die entschlossene Frechheit, mit der Andersen hier alles, was auch nur von ferne nach Stier aussieht, bei den Hörnern packt. "Unsterblichkeit" lautet eine Kapitelüberschrift, "High life im zweiten Stock" eine andere; und beide zusammen geben eine Ahnung davon, was für ein grundsonderbares Buch dies ist.

Dabei geraten Niels Brydes Lebensgeschichte und seine langen Debatten mit der judenchristlichen Freundin Esther oder mit Antipoden wie der frommen Bodil und dem freigeistigen Herrn Svane so wenig zu einem Thesenroman wie einige Jahrzehnte später diejenige des Hamburger Ingenieurs, der unversehens zwischen die Herren Naphtha und Settembrini gerät. Denn der Kunstgriff, zusammen mit den Thesen auch deren Vertreter plastisch vorzuführen, sie beim Reden und Zuhören zu zeigen, hält auch hier schon das eindringlichste Plädoyer auf Distanz - und läßt keinen Augenblick vergessen, daß es hier nicht bloß in unverbindlicher Plauderei von der Hölle durch die Welt zum Himmel geht, sondern in existenziellem Ernst.

Nicht daß die großen Fragen von Zeit und Ewigkeit hier abschließend beantwortet würden, auch wenn Andersen sich alle Mühe gibt. Aber sie werden, in der Kindheit eines Zeitalters, so erfrischend und verfremdend formuliert wie die Aussichten auf jene noch nebulöse Zukunft, in der wir mittlerweile leben. Nicht nur für die metaphysischen und moraltheologischen Erörterungen gilt das, sondern auch für Gedankenexperimente wie die Frage, ob man nicht mithilfe elektromagnetisch geladener Drähte eine Art Hörverbindung schaffen könnte, mit deren Hilfe zwei Pianisten in verschiedenen Weltgegenden vierhändig spielen könnten. Auch der Vorschlag, der bevorstehende deutsch-dänische Krieg solle doch ersetzt werden durch ein Duell patriotischer Dichter auf einer Insel im Großen Belt, liest sich als noch immer bedenkenswertes Modell.

Wenige Andersen-Leser haben diese fortdauernde Aktualität bemerkt. Zumindest einer aber hat sie, im Übergang zum zwanzigsten Jahrhundert, literarisch fruchtbar gemacht. Daß Andersens Niels Bryde zu den Ahnen von Jens Peter Jacobsens "Niels Lyhne" gehört - und damit zu den Vorfahren auch Tonio Krögers oder Malte Laurids Brigges -, das läßt schon die Namensverwandtschaft erraten. Auch die platonischen Dreiecksbeziehungen zwischen ihm, der schönen Esther und ihrem nicht minder schönen Bruder Julius weisen aus Andersens Experiment auf Jacobsens Jahrhundertroman voraus, nicht anders die schleswig-holsteinischen Kriege, in die der Held hier wie dort aus seiner ländlichen Weltferne hineingerissen wird (nur daß hier Niels überlebt, während der Freund Julius stirbt). Vor allem aber ist es der epochale Grundkonflikt um Christentum und Atheismus, der den einen Niels mit dem anderen verbindet. Anders als Jacobsens melancholischer Zweifler findet Andersens glücklicher Held am Ende zum Glauben zurück. So leuchtet hier an derselben Stelle, an der im Fin de siècle der "schwierige Tod" stehen wird, in altem Glanz die Hoffnung auf die Ewigkeit.

Dieser von Beginn an unterschätzte Roman ist ein kleines Monstrum - tollkühn balancierend zwischen Dilettantismus und anarchischer Spielfreude, zwischen Komik und Pathos, Naivität und Scharfsinn und manchmal einer ganz einfachen, frommen Weisheit. Erik Gloßmann hat es jetzt wiederentdeckt und so pointiert und frisch übersetzt, als seien erst wir die Adressaten dieser Flaschenpost von 1857. "Bring mir ein gutes Buch mit", lautet der wie immer medias in res purzelnde erste Satz. Das sollte man beim nächsten Einkaufsbummel unbedingt beherzigen.

Hans Christian Andersen: "Sein oder nicht Sein". Roman. Aus dem Dänischen übersetzt und mit einem Nachwort von Erik Gloßmann. Verlag Ars vivendi, Cadolzburg 2003. 288 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Als Wiederentdeckung feiert Rezensent Heinrich Detering diesen Roman von 1857, der seinen Informationen zufolge mit dieser frischen und pointierten Neuübersetzung zum ersten Mal seit 1883 wieder auf Deutsch vorliegt. Kühnheit und Klugheit dieses "grundsonderbaren" Romans sind seiner Ansicht nach vielleicht erst jetzt "nach Verdienst" zu schätzen. Nicht nur, weil wir uns inzwischen etwas besser an die Verschränkung von Erzählung und Essay gewöhnt haben, sondern auch weil die Hauptfigur des Buches mit Siebenmeilenstiefeln den Kursus der Orientierungsversuche durchlaufe, die einem neugierigen Intellektuellen in der anbrechenden Moderne zugänglich gewesen seien. Das Tempo der Lebensgeschichte von Protagonist Nils Bryde (der von Detering zu den literarischen Vorfahren von Niels Lyhne, Tonio Kröger und Malte Laurids Brigge gezählt wird) findet er nicht weniger atemberaubend als "die entschlossene Frechheit", mit welcher der Rezensent Andersen "alles, was nur von ferne nach Stier aussieht, bei den Hörnern" packen sieht. Dieser von Beginn an unterschätze Roman sei ein kleines Monstrum, "tollkühn balancierend zwischen Dilettantismus und anarchischer Spielfreude, zwischen Komik und Pathos, Naivität und Scharfsinn und manchmal einer ganz einfachen, frommen Weisheit".

© Perlentaucher Medien GmbH"