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  • Broschiertes Buch

Produktdetails
  • Theorie und Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft
  • Verlag: Westfälisches Dampfboot
  • Seitenzahl: 225
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 386g
  • ISBN-13: 9783896911186
  • ISBN-10: 389691118X
  • Artikelnr.: 08983348
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.03.2001

Michael Spehr: Maschinensturm. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2000, 225 Seiten, 48 DM.

"Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter, langsam, langsam, aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen." Nachzulesen ist dieser Satz bei Goethe, in Wilhelm Meisters Wanderjahren. Erstaunlich, wie sich die Szenarien gleichen. Das heutige Wehgeschrei über Globalisierung und Informatisierung findet seine frühe Entsprechung im Protest gegen die Industrialisierung, die Randale in Seattle, Davos und Prag im sogenannten Maschinensturm. Auch die Notwendigkeit realistischer Einwände ist nicht neu: "Goethes romantisches Bild der vorindustriellen sozialen Balance war weit verbreitet und gleichwohl falsch", schreibt Michael Spehr in seinem wohlrecherchierten Buch. Er untersucht Ausmaß, Verbreitung, Entwicklung, Motive und Ziele der Maschinengegner im Vormärz. Dabei räumt er mit einem Negativmythos auf: Die Arbeiter und Handwerker, die gegen Maschinen kämpften, dürften keineswegs mit einer blindwütigen Menge dummer, ängstlicher Technikgegner gleichgesetzt werden. "Maschinenstürmer kämpften für Arbeitsplätze." Alles schon einmal dagewesen.

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Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.07.2001

Überall Tumultuanten
Deutsche Maschinenstürmer des 19.Jahrhunderts, in Wort und Tat
Maschinensturm in Deutschland, schreibt Michael Spehr, ist ein Gegenstand, über den man „wenig weiß ..., aber viel spekuliert” – der zur Mythenbildung verleitet. Bis heute bietet sich ein doppelt verzerrtes Bild der Maschinenstürmer dar: Den einen gelten sie als blindwütige Modernisierungs- und Fortschrittsfeinde, den anderen als frühe Vertreter einer vernünftigen und verantwortungsvollen Technikkontrolle. Beide Interpretationen würden diesem Phänomen der deutschen Frühindustrialisierung nicht einmal ansatzweise gerecht. Mit seiner sorgfältigen Studie verleiht Spehr dem von der hiesigen Geschichtswissenschaft stiefmütterlich behandelten Thema historische Tiefenschärfe.
Für die Jahre zwischen 1815 und 1848/49 hat er 186 Fälle des Maschinenprotests in den Territorien des Deutschen Bundes und Preußens ermittelt. Diese hohe Zahl, die Deutschland auf den ersten Blick als ein Zentrum der „Fabrikemeute” erscheinen lässt, was es aber – anders als England – nicht war, ergibt sich, weil der Autor dazu nicht nur gewaltsame Aktionen und Aufstände rechnet. Zu unterscheiden seien drei Stufen des Maschinenprotests: erstens Petitionen an lokale Obrigkeiten, Minister und sogar den König gegen die Errichtung neuer Maschinen, zweitens Demonstrationen und Streiks gegen deren Verwendung, drittens schließlich – gleichsam als ultima ratio – die Zerstörung von Produktionsanlagen oder gar ganzer Fabriken. Nur in fünfzig Fällen äußerte sich die Unzufriedenheit der Arbeiter in Aufruhr und Tumult, meistens nachdem schriftliche Beschwerden ohne gewünschtes Ergebnis geblieben waren.
Die deutschen Maschinenstürmer, resümiert Spehr, „gingen weniger auf die Straße, sondern kämpften eher mit Papier und Federkiel gegen neue Maschinen.” Er differenziert – quantitativ wie qualitativ – hinsichtlich Form und Intensität der Aktionen, trifft genaue Aussagen über zeitliche Abläufe, über die Branchen und Regionen, wo es vermehrt zum Sturm kam, wie über soziale Lage, beruflichen Status, Motive und Ziele der Aufständischen. Die Proteste traten gehäuft in politischen Krisenzeiten auf und erlebten drei Höhepunkte: während des Revolutionsjahres 1830, des Weberaufstandes 1844 und der turbulenten Jahre 1848/49, in denen sich 140 aller Fälle ereigneten. Betroffen waren vor allem die fortschrittlichsten Industrieregionen, die preußischen Rheinprovinzen, Sachsen, Thüringen und Böhmen.
Unter den „Tumultuanten” dominierten die Tuchscherer, Kattun- und Buchdrucker. Die von der Mechanisierung am stärksten bedrohten Baumwollspinner wehrten sich indes am wenigsten. Den hausindustriellen Spinnern fehlte es an Organisation und Kommunikation, an Selbstbewusstsein und Gruppenzusammenhalt. Sie waren zu schwach, um zu rebellieren. Widerstand setzte Stärke voraus: „Der Proletarier, der nichts ‚außer seinen Ketten‘ zu verlieren hatte, begehrte keineswegs auf, sondern blieb im Gegensatz zur Marxschen Prognose seinem Schicksal stumm ergeben.” Laut und notfalls mit Gewalt bekundeten ihr Missfallen die hochqualifizierten und gut bezahlten Handwerker-Arbeiter, die die nötigen „Macht- und Gruppenbildungsressourcen” besaßen und als „Aristokraten” unter den Proletariern am meisten zu verlieren hatten.
Anschaulich und detailgenau schildert Spehr mit einer Reihe von Beispielen die Aktionen dieser „exklusiven, privilegierten Arbeiterelite” – von schriftlichen Eingaben über mündliche Verhandlungen bis zu Zerstörungsakten und juristischen Konsequenzen, die sich meist nur gegen die Rädelsführer richteten und im Vergleich zu England insgesamt milde ausfielen. Schon das mehrstufige Vorgehen spricht gegen die These in der älteren Literatur, die Maschinenstürmer hätten ungeplant, ziellos rasend und vom Instinkt getrieben gehandelt. Spehr weist solche „Mob-Theorien” überzeugend zurück und lehnt sich an Eric Hobsbawms Studien über den englischen Luddismus an. Sie interpretieren „machine breaking” und „collective bargaining by riot” als Arbeitskampfmittel in einer Zeit zwischen ständischer und Klassengesellschaft, als andere Mittel der Interessenvertretung noch fehlten.
Die Aufständischen trieb vor allem ein Motiv: die Sorge um ihren Arbeitsplatz. Ihr Zorn richtete sich nicht gegen die neue Technik an sich, sondern entsprang konkreten Existenzängsten. Die Maschinenstürmer wollten Konkurrenz ausschalten – eben jene „eisernen Arbeiter” beseitigen, die „nichts essen und nichts trinken, die keine Kleider brauchen und keine Kinder zu erziehen haben”, aber mit „ihren zahllosen Händen und Fingern” an einem Tag so viel erbringen, wie sie selbst „kaum in hundert zu leisten vermögen”. ALEXANDER GALLUS
MICHAEL SPEHR: Maschinensturm. Protest und Widerstand gegen technische Neuerungen am Anfang der Industrialisierung. Westfälisches Dampfboot, Münster 2000. 224Seiten, 48Mark.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Über "historische Tiefenschärfe" für ein von der hiesigen Geschichtswissenschaft stiefmütterlich behandeltes Thema freut sich Alexander Gallus. Den alten "Mob-Theorien", die in den Maschinenstürmern ziellos Rasende gesehen hatten, wie Gallus erklärt, tritt der Autor überzeugend entgegen. Spehr nämlich unterscheidet: erstens schriftlicher Protest, zweitens Demonstrationen und Streiks und drittens Zerstörung von Produktionsanlagen. Außerdem trifft er "genaue Aussagen über zeitliche Abläufe ... wie über soziale Lage, beruflichen Status, Motive und Ziele der Aufständischen." Den Einfluss von Eric Hobsbawms Studien über den englischen Luddismus will der Rezensent hier erkennen - die Interpretation der Maschinenstürme als Ausdruck "konkreter Existenzängste".

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