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Drei sehr unterschiedliche Stationen prägten den Lebensweg Wilhelms von Ockham, der nach wie vor als einer der faszinierendsten Denker des Mittelalters gilt: seine Lehrtätigkeit als Theologe in Oxford, der Häresieprozess am päpstlichen Hof in Avignon und, nach seiner Flucht in das Franziskanerkloster München, seine fast zwanzigjährige Stellung als Berater Kaiser Ludwigs des Bayern. Volker Leppin erschließt Ockhams Biographie, indem er sie aus der inneren Entwicklung seiner theologischen, philosophischen und politischen Schriften rekonstruiert. Zugleich bettet er den Theoretiker Ockham stets in…mehr

Produktbeschreibung
Drei sehr unterschiedliche Stationen prägten den Lebensweg Wilhelms von Ockham, der nach wie vor als einer der faszinierendsten Denker des Mittelalters gilt: seine Lehrtätigkeit als Theologe in Oxford, der Häresieprozess am päpstlichen Hof in Avignon und, nach seiner Flucht in das Franziskanerkloster München, seine fast zwanzigjährige Stellung als Berater Kaiser Ludwigs des Bayern. Volker Leppin erschließt Ockhams Biographie, indem er sie aus der inneren Entwicklung seiner theologischen, philosophischen und politischen Schriften rekonstruiert. Zugleich bettet er den Theoretiker Ockham stets in die ihn bestimmenden sozialen und politischen Zusammenhänge - Universität, Kurie und Kaiserhof - ein. Dadurch gelingt es ihm nicht nur, Ockhams oftmals abstrakte Ideensysteme zu konkretisieren, allgemein verständlich darzustellen und gängige Deutungsmuster zu korrigieren, sondern auch ein lebendiges Bild von den geistigen Auseinandersetzungen im 14. Jahrhundert zu zeichnen. Illustrationen, eine ausführliche Auswahlbibliographie und ein Register runden die Gesamtdarstellung ab.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.09.2003

Vater der Nassrasur
Und in Wahrheit ein Bruder Oblomows: Volker Leppin beschreibt das Leben des Wilhelm von Ockham
Wie das Leben eines mittelalterlichen Menschen darzustellen sei, wird in der Geschichtswissenschaft kaum durchdacht; in der Flut von Biographien lassen sich nur wenige Werke ausmachen, die mehr bieten als die Neuordnung schon bekannten historischen Stoffes auf der Grundlage neuester Spezialforschung. Den Erwartungen an eine zeitgemäße Realisierung der Gattung werden eigentlich nur solche Biographen gerecht, die – wie Jacques Le Goff in seinem „Ludwig der Heilige” (1996), Michael T. Clanchy in der Biographie Abaelards (1997) und die italienische Mediävistin Daniela Rando in ihrer Monographie über Fürstbischof Johannes Hinderbach von Trient (2003) – an komplexe Persönlichkeiten mit multiplen Identitäten die Frage nach dem Individuum im Mittelalter stellen.
Ein Anspruch dieser Art ließe sich am Fall Wilhelms von Ockham, des Franziskanermönchs, Philosophen, Theologen und politischen Autors des 14. Jahrhunderts, aber keinesfalls realisieren; dazu mangelt es trotz einer eindrucksvollen literarischen Produktivität an Selbst- und Fremdzeugnissen des gelehrten Engländers. Nicht grundlos ist deshalb über Ockham gesagt worden, dass seine Lebensgeschichte mit dem Werk geradezu identisch sei. Es war ein mutiger Schritt des jungen Jenenser Kirchenhistorikers Volker Leppin, die Lebensstationen und das wechselnde Umfeld Ockhams mit dessen Arbeiten so zu korrelieren, dass nicht nur die Verschiebungen der thematischen Schwerpunkte, sondern auch die Abbrüche und Umbrüche im Denkprozess sichtbar werden. Die Kontextualisierung von Ockhams Werk war auch deshalb geboten, weil der mittelalterliche Minderbruder von modernen Autoren vielfach als Wegbereiter in Anspruch genommen wurde; so hat Hans Blumenberg die Eigenverantwortlichkeit des neuzeitlichen Menschen von einer „Willkürfreiheit” Gottes bei Ockham abzuleiten versucht; seine sprachtheoretische Ansätze, die man auch mit Wittgenstein in Verbindung brachte, faszinierten Semiotiker wie Charles S. Peirce und Umberto Eco, und auch der radikale Nominalismus des „lingustic turn” schien aus Ockhams Erkenntnistheorie zu ressortieren.
Der Theologe Leppin fühlt sich Ockham über die Zeiten hinweg als „Berufskollege” verbunden; für ihn hat der Vorgänger das Eigenrecht der Gotteskunde gegen die Philosophie des Hochmittelalters verteidigt. Zwar fehle es der Theologie nach Ockham an Evidenz, aber sie biete doch auch eine logische Durchdringung des Wissensbestandes. Im Unterschied zu Thomas von Aquin versuchte Ockham nicht mehr, Harmonie zwischen philosophischen und theologischen Aussagen zu suchen. Theologische Sätze, die letztlich im eingegossenen Glauben ihre Grundlage hatten, mussten aber den Test auf logische Widerspruchsfreiheit bestehen. Metaphysik interessierte Wilhelm von Ockham kaum; es genügte ihm, den Gottesbeweis des Aquinaten zu widerlegen, ohne das Problem weiterzudenken. Im Anschluss an die Lehre vom unbewegten Beweger des Aristoteles hatte Thomas gelehrt, es könne in der Abfolge der Bewegungen kein Rückschreiten ins Unendliche geben, so dass Gott am Beginn stehen müsse. Ockham wandte dagegen ein, dass ein ursprünglicher Beweger nach seinem Anstoßen nicht dauern müsse, während für Gott der Gedanke der Unsterblichkeit unverzichtbar sei. So scharfsinnig nach Leppin Ockhams Argumentation ist, bewertet er sie doch als bloße „Fingerübung”. Der damals 30-jährige Franziskaner habe sich im intellektuellen Selbstgenuss mit der Widerlegung der Autorität begnügt.
Einmal energisch
Für manche Stelle des vieltausendseitigen Werkes gelingt Leppin, lebensweltlich bedingte Akzentsetzungen Ockhams deutlich zu machen, so etwa bei der Korrelation der Lehre von der „unbegrenzten Gewalt” Gottes mit der Erfahrung des absolutistisch agierenden Papsttums von Avignon. Die konsequent verfolgte Frage nach dem Lebensgang hat auch ein klares Bild der Persönlichkeit Ockhams vor Augen gestellt, das Leppin jedoch nirgendwo selbst gezeichnet hat. Demnach war Wilhelm von Ockham ein ungemein passiver Mensch, mittelalterlich gesprochen ein extremer Repräsentant der vita contemplativa; so sehr seine Geschichte mit kirchlichen und politischen Belangen höchsten Interesses verwoben war, hat er kaum einmal selbst seinem Leben die Richtung gegeben.
Schon in die Entscheidung des um 1285 Geborenen für den Franziskanerorden scheint er sich fraglos, aber auch unengagiert, gefügt zu haben; nach der Weihe zum Subdiakon strebte er das Amt des Priesters wohl nicht an, das ihn zur Predigt verpflichtet hätte. Das Theologiestudium in Oxford konnte er ohne Promotion abbrechen, weil ihn der Orden zur Lehre der Philosophie in seinem Haus in London bestimmte, und als er in Avignon wegen Häresie verklagt wurde, zog er dorthin, um sich dem päpstlichen Gericht zu stellen. Der Prozess verlief im Sande, aber 1328 floh Wilhelm – seine einzige energische Tat – an den Hof Ludwigs des Bayern. Im Schutz des umstrittenen Kaisers blieb der Exkommunizierte hernach in München und starb noch rechtzeitig 1347, bevor er der Kurie ausgeliefert werden konnte.
Stets hat Wilhelm von Ockham, wie Leppin zeigt, auf die Wendungen seines Schicksals als Wissenschaftler reagiert, dabei oft bedächtig und mit der Verzögerung von Jahren. Seinen Einsichten und Grundsätzen ist er treu geblieben, obschon er am Schluss glaubte, die wahre Kirche sei nicht beim Papst und nicht bei seinem Orden, sondern möglicherweise nur noch bei wenigen wie ihm selbst, als einem Nachfolger des Propheten Elias. Die Kontinuität seines Denkens lässt nicht auf eine Persönlichkeit schließen, die sich konsistent entwickelt hätte; hierin muss man Volker Leppin widersprechen.
MICHAEL BORGOLTE
VOLKER LEPPIN: Wilhelm von Ockham. Gelehrter, Streiter, Bettelmönch. Primus Verlag, Darmstadt 2003. 309 Seiten, 29,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.12.2003

Schließlich will ich ja nur begreifen, welchen Begriff man sich vom Begriff machen soll
Was Umberto Eco rosig antippt, buchstabiert diese gut lesbare Studie aus: Volker Leppin stellt uns Wilhelm von Ockham als einen Logiker der großen Fragen vor

Bislang konnte man sich nicht einmal des genauen Sterbejahres gewiß sein: War es das erste Jahr des Wütens des Schwarzen Todes 1348? Oder doch erst 1349? Mittlerweile jedoch kann der Text der (nicht mehr erhaltenen) Grabplatte als gesicherte Angabe übernommen werden: 9. (oder 10.) April 1347. Mit der großen Pest hatte das Ableben Williams von Ockham demnach nichts zu tun. Sein Fortleben in der Geistesgeschichte aber hängt, so meint zumindest Volker Leppin, auch mit einigen Mißverständnissen über die Schriften des Franziskaners zusammen, die er sich anschickt, in seinem neuen Werk über den Gelehrten aus einem kleinen Ort in Surrey zurechtzurücken.

Leppin, Theologe und seit drei Jahren Ordinarius für Kirchengeschichte an der Universität Jena, betrachtet das letztlich Fragment gebliebene Opus seines mittelalterlichen Kollegen von der einleuchtenden Annahme her, daß dieser als Theologe dachte und schrieb, und stützt dies auf die nur in spärlichen Zügen zu rekonstruierende Biographie Williams.

Der Verfasser ist sicher einer der besten Kenner von Ockhams Werken, leitet er doch seit 1999 die Ockham-Forschungsstelle (einst Heidelberg, jetzt Jena), die, im Bereich der Kirchengeschichte angesiedelt, dem englischen Bettelmönch ihren Namen verdankt. Leppin verfügt über die Gabe, komplexe und bisweilen fast nur für Philosophen oder Theologen plausible Gedankengebilde und Fragestellungen in eine allgemein verständliche Sprache zu übersetzen. So ist der eng mit dem Wirken Williams von Ockham verbundene Universalienstreit zwischen Realisten und Nominalisten genannten Kontrahenten dem Leser spätestens seit Umberto Ecos "Der Name der Rose" zumindest als Schlagwort bekannt. In Leppins Buch wird nicht nur die geistesgeschichtliche Rolle des Nominalismus gut faßbar - Ockhams philosophischer Einfluß bis hin zu Leibniz und Kant -, sondern es wird auch der kirchengeschichtliche Zusammenhang mit anderen Theoriemodellen der Zeit verglichen.

Williams Vordenker Johannes Duns Scotus, seine Gegner wie der Kanzler der Universität Oxford Johannes Lutterell oder Papst Johannes XXII. und nicht zuletzt seine Gefährten wie der nach München zum Kaiser Ludwig geflüchtete Michael von Cesena kommen in Zitaten zu Wort (das lateinische Original ist fast immer als Fußnote beigefügt). Dies führt dazu, die Positionen Ockhams in einem Kontext zu verorten, der zu dem Schluß führen kann, den auch Volker Leppin zieht: William von Ockham war seiner Zeit nicht unbedingt voraus, wie gerne behauptet wird, er hat nur einen anderen als den zeitüblichen Aspekt der damaligen Theologie und Philosophie bearbeitet.

Seine Arbeit war der Logik gewidmet, und diesem Gebiet näherte er sich auf verschiedene Weise an. In seiner Vorlesungszeit in England behandelte er Aristoteles und versuchte die Logik rein aus der Sprache her aufzubauen. Auf diesen Vorlesungen, die in Williams Hauptwerk "Summe der Logik" gipfeln sollten, beruhte zum Teil die (dann urteilslose) Anklage wegen Häresie in Avignon. In seinen der Kategorie "Quodlibeta" (eine Reihe von Fragen und Antworten in dialogischer Form zu beliebigen, meist universitär angehauchten Problemstellungen) zugeteilten Schriften, die Leppin vorsichtig, aber überzeugend nicht vor Williams Zeit im Hausarrest in Avignon abgeschlossen sehen will (meist werden sie in seine englische Zeit datiert), entwickelt sich die Frage nach der Allmacht Gottes, die streng logisch nicht mehr begründbar scheint. Leppin meint dazu: "Für Gott hat Ockham dieses Bild eines absoluten Souveräns aufrechterhalten. Für den Papst sollte er es noch in erheblichem Maße revidieren."

Erst fünf Jahre nach seiner Flucht nach München (Ankunft 1330) lassen sich wieder größere Schriften aus seiner Feder nachweisen, und sein "Dialogus", schon in der Planung ein Ungetüm, bleibt unvollendet. (Die richtige Internetadresse dazu lautet übrigens, anders als im vorliegenden Band angegeben: http://www.britac.ac.uk/pubs/dialogus/ockdial.html.) In diesen Werken aus dem Exil am Kaiserhof leitet sich auch hauptsächlich die Beurteilung Williams von Ockham als modernen Denkers her, wurden doch die im Streit des Kaisers mit der Kurie entwickelten Thesen als Forderung nach einer Trennung von Staat und Kirche aufgefaßt. Doch wie so oft wird bei Fragen an mittelalterliche Werke das Problem gerne von seiner Lösung her betrachtet. Ockham hatte in einer konkreten Auseinandersetzung Partei ergriffen, dem päpstlichen Hof in Südfrankreich die Legitimität bestritten.

In der Kirchengeschichte wohlbewandert, scheint Leppin in der politischen oder der Mentalitätsgeschichte jener Zeit nicht immer gleichermaßen sattelfest. Die Sträuße, die das Papsttum in jener Zeit mit so ziemlich allen Königen und keineswegs nur mit dem Kaiser ausfocht, die wechselnden Bündnisse der Potentaten, streift er leider nur kurz. Zwar sind diese berechtigterweise vom Thema des Buches her nicht das vordringlichste Problem, man wünschte sich aber doch im Vergleich zu den zum Beispiel vorzüglichen Milieuschilderungen der Welt der Londoner Universität etwas mehr Sorgfalt.

Auch sollten Mutmaßungen über prophetische Anwandlungen der Zeitgenossen zu den militärischen Auseinandersetzungen zwischen England und Frankreich ab 1337, die in späterer Zeit Hundertjähriger Krieg genannt wurden, getrost unterbleiben. Aber das sind nur kleine Verstimmungen. Leppins Buch stellt einen überaus gewichtigen Beitrag zur Geistesgeschichte des vierzehnten Jahrhunderts dar.

MARTIN LHOTZKY

Volker Leppin: "Wilhelm von Ockham". Gelehrter, Streiter, Bettelmönch. Primus Verlag, Darmstadt 2003. 319 S., 5 Abb., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Biografien über mittelalterliche Menschen bieten nach Ansicht von Rezensent Michael Borgolte oft nicht mehr als die Neuordnung eines schon bekannten historischen Stoffes auf der Grundlage neuester Spezialforschung, nur wenige stellten die Frage nach dem Individuum im Mittelalter. Im Fall Wilhelms von Ockham, des Franziskanermönchs, Philosophen, Theologen und politischen Autors des 14. Jahrhunderts, ließe sich dies wegen der geringen Zahl an Selbst- und Fremdzeugnisse auch kaum realisieren, hält Borgolte fest. Als "mutigen Schritt" würdigt er daher Volker Leppins Methode, die Lebensstationen und das wechselnde Umfeld Ockhams mit dessen Arbeiten so zu korrelieren, "dass nicht nur die Verschiebungen der thematischen Schwerpunkte, sondern auch die Abbrüche und Umbrüche im Denkprozess sichtbar werden". Anders als Thomas von Aquin habe Ockham nicht mehr versucht, Harmonie zwischen philosophischen und theologischen Aussagen herzustellen, Metaphysik interessierte ihn kaum. Seine scharfsinnige Widerlegung von Thomas' Gottesbeweis bewerte Leppin als bloße "Fingerübung" des damals 30-jährigen Franziskaners. Borgolte hebt hervor, dass es Leppin gelingt, für manche Stelle des umfangreichen Werkes die "lebensweltlich bedingte Akzentsetzungen" Ockhams zu verdeutlichen. Dass die Kontinuität seines Denkens auf eine Persönlichkeit schließen lasse, die sich konsistent entwickelte, wie Leppin meint, hält Borgolte allerdings für nicht haltbar.

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