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Am Anfang seiner Recherche fühlt es sich für den Autor an wie eine Reise in ein fremdes Land. Als ob da noch ein zweites Deutschland existiere, das auf den ersten Blick nichts mit der Gesellschaft von heute zu tun hat, ein Land, in dem von Ostfronten, von Fahnenjunkern und Pimpfen die Rede ist. Der 28-jährige Christoph Amend hat sich aufgemacht, die Großväter der Bundesrepublik zu treffen: einen früheren Bundespräsidenten, einen renommierten Hitler-Biografen, mehrere Politiker, Kultur- und Mediengrößen. Ihnen allen ist gemeinsam: Sie waren Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Und sie alle erlebten…mehr

Produktbeschreibung
Am Anfang seiner Recherche fühlt es sich für den Autor an wie eine Reise in ein fremdes Land. Als ob da noch ein zweites Deutschland existiere, das auf den ersten Blick nichts mit der Gesellschaft von heute zu tun hat, ein Land, in dem von Ostfronten, von Fahnenjunkern und Pimpfen die Rede ist. Der 28-jährige Christoph Amend hat sich aufgemacht, die Großväter der Bundesrepublik zu treffen: einen früheren Bundespräsidenten, einen renommierten Hitler-Biografen, mehrere Politiker, Kultur- und Mediengrößen. Ihnen allen ist gemeinsam: Sie waren Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Und sie alle erlebten in ihrer Jugend eine Zeitenwende, wie sie auch Amends Generation jetzt gerade durchmachen muss. Die goldenen Neunzigerjahre sind vorbei, viele sind Opfer der Wirtschaftskrise geworden, und alle fragen sich, was die Zukunft bringen wird.
So ist dieses Buch ein doppeltes Generationsporträt: Enkel und Großväter treffen aufeinander und reden über ihre Hoffnungen, Enttäuschungen und Ängste, die einen am Anfang, die anderen am Ende ihres Lebens.
Autorenporträt
Christoph Amend, 1974 in Gießen geboren, ist Redaktionsleiter beim ZEITmagazin.
Er war von 1996 an Redakteur bei "jetzt", dem Jugendmagazin der Sueddeutschen Zeitung, von 2001 an war er verantwortlich fuer die Sonntagsbeilage des Tagesspiegel in Berlin. Sein erstes Buch "Morgen tanzt die ganze Welt" wurde 2004 mit dem Hermann-Hesse-Nachwuchspreis ausgezeichnet
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.06.2003

Generation Volkswagen
Ein Gesprächsangebot an jene, für die Fahnenjunker und Pimpfe noch lebendig sind
Ein Jahr lang ist der Journalist Christoph Amend auf eine Reise gegangen, die ihn in ein anderes, ein zweites Deutschland führte. Der Neunundzwanzigjährige hat Deutschlands Großväter besucht: den früheren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, den Autoren Herbert Reinecker, den Politologen Iring Fetscher, den Schriftsteller Erich Loest, den Willy-Brandt- Berater Egon Bahr, den Publizisten Joachim Fest, den Schriftsteller Hellmuth Karasek, den Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter. Und einen jungen Mann: Ernst Jüngers Enkel, Martin Jünger.
Amend, der selbst Kriegsdienstverweigerer ist, wollte wissen, wie es im Krieg war – „was es heißt, Soldat gewesen zu sein und getötet zu haben, was es bedeutet, in den Abgrund hinabgeblickt zu haben, in den Abgrund anderer und in den eigenen” – eine ungeahnt aktuelle Fragestellung im Angesicht der Debatte um den Irak-Krieg, in der sich auch die junge Generation jetzt hervortat. Auf seiner Reise glaubte Amend ein Deutschland zu entdecken, das mit dem heutigen nichts zu tun hat – eines, in dem es noch Ostfronten, Fahnenjunker und Pimpfe gibt. Hier sind Tod und Gewalt noch immer prägende Größen. Dieser Parallelwelt stellt Amend seine eigene entgegen. Diese ist geprägt von Berliner Clubs, Debatten über Terrorismus und Amerika – doch für Amend ist sie nicht zu trennen von der Vergangenheit: „Wir müssen uns zunächst klar werden, woher wir kommen, bevor wir entscheiden können, wohin wir gehen wollen.”
Wirklich spektakuläre Einblicke in die Abgründe der deutschen Großväter sind Amend nicht gelungen. Dennoch hat er es vermocht, von jedem seiner Gesprächspartner ein faszinierend persönliches Bild zu entwerfen, das verstehen lässt und neugierig macht auf mehr. Joachim Fest etwa erzählt die Geschichte von seinem besten Freund, einem Soldaten, der vor mehr als sechzig Jahren starb. Seine intensive Erinnerung und seine lang währende Trauer lassen erahnen, wie stark die Kriegsjahre Deutschlands alte Männer prägten. Es scheint, als habe diese Generation nichts mehr schrecken können: Wer den Krieg überlebt hat, so scheint es nach der Lektüre, der überlebt alles.
Vor dieser Selbstdarstellung, die bisweilen etwas kokett Heroisches hat, zeigt auch Amend spürbare Hochachtung: Kritisches Hinterfragen hat in seinen Gesprächen keinen Platz. Eine deutliche Position bezieht er nur in der Beschreibung des weit jüngeren Martin Jüngers: Dessen Wegsehen gehe ihm auf die Nerven, klagt er; es müsse doch möglich sein, den eigenen Großvater als komplexe Person zu betrachten und nicht nur in ausgewählten, angenehmen Aspekten? Jünger habe sich das Bild seines Großvaters zurechtgelegt: ein cooler Opa war er, der mit LSD experimentiert habe. Die Kriegstagebücher hingegen hat der Enkel nicht gelesen. Viel sympathischer ist Amend da Hellmuth Karasek. Der ehemalige Napola-Schüler komme ihm nicht älter vor als er selbst. Amend fühlt sich Karasek nah – dessen Versuch, unangenehme Erinnerungen zu verdrängen, sei nachvollziehbar.
Der junge Journalist hat einen scharfen Blick für die Eigenheiten und Schwächen seiner Gesprächspartner, er stellt sie aber nie bloß. Weitaus schwächer ist allerdings das Portrait, das Christoph Amend von seiner eigenen Welt gezeichnet hat. Er berichtet von der „Generation Golf” und ist bemüht, seine Altersgenossen zu verorten. Amend stellt ihnen ein schlechtes Zeugnis aus: Oberflächlich seien sie, egozentrisch und an Politik und Gemeinwesen nicht interessiert. Die meisten seiner Freunde hätten, wie er selbst, ein Leben mit Technopartys, IT-Technologie, Geld und Karriere dem sozialen Engagement vorgezogen – und es sich leicht gemacht. Deshalb sei auch der Zivildienst so beliebt: „Es ging nicht so sehr um Pazifismus, es ging um Partytourismus. Bundeswehr, das klang nach Disziplin und Spießigkeit.”
Das Doppelporträt zweier Generationen, das der Leiter der Sonntagsbeilage des Tagesspiegel hier versucht hat, ist nicht gelungen – was das Lesevergnügen jedoch über weite Strecken nicht mindert. Der Schlagabtausch mit seinen Gesprächspartnern, schlagfertig und souverän, lohnt das Zuhören.
SUSANNE KATZORKE
CHRISTOPH AMEND: Morgen tanzt die ganze Welt. Die Jungen, die Alten, der Krieg. Karl Blessing Verlag, München 2003. 224 Seiten, 20 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Rezensent Patrik Schwarz zieht seinen Hut vor Christoph Amend, wage er es doch, sich mit dem Zweiten Weltkrieg auf ganz neuartige Art und Weise zu befassen. "Enkel trifft Opa", so bringt der Rezensent Amends Konzept auf den Punkt und findet diese äußere Form durch Gespräche mit prominenten Kriegsteilnehmern, darunter Egon Bahr und der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter, gelungen umgesetzt. Er stellt allerdings fest: "Nicht was die Alten erzählen, ist neu, sondern wie der Enkel es wahrnimmt." Diese Wahrnehmung wird auch durch den entspannten Umgang des ehemaligen "Jetzt"-Autors mit Elementen des Pop-Romans und des Dokudramas unterstützt, erläutert Schwarz. Doch trotz der innovativen Herangehensweise bleibt laut Rezensent auch hier nur die Erkenntnis, dass sich die Erfahrungen des Krieges ab einem gewissen Punkt nicht mehr artikulieren lassen. Trotzdem scheinen für Schwarz nach der Lektüre dieses ungewöhnlichen Buches dieser "alte, liegen gebliebene Krieg" und vor allem die deutsche Nachkriegsgesellschaft greifbarer geworden sein.

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