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Was Tom Wolfe mit seinem "Fegefeuer der Eitelkeiten" für die achtziger Jahre war, ist Kurt Andersen für das beginnende 21. Jahrhundert. Sein grandioser Milleniumsroman schildert ein Jahr im Leben einer New Yorker Familie und zeigt uns dabei Amerika, wie es in nächster Zukunft sein könnte. Eine gelungene Satire aus der Welt der Medien und des Big Business.

Produktbeschreibung
Was Tom Wolfe mit seinem "Fegefeuer der Eitelkeiten" für die achtziger Jahre war, ist Kurt Andersen für das beginnende 21. Jahrhundert. Sein grandioser Milleniumsroman schildert ein Jahr im Leben einer New Yorker Familie und zeigt uns dabei Amerika, wie es in nächster Zukunft sein könnte. Eine gelungene Satire aus der Welt der Medien und des Big Business.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Fritz Göttler weist darauf hin, dass diesem Roman wegen seiner "Nähe zu VIP- und Klatschgeschichten" (vermutlich in den USA) "die literarische Qualität" abgesprochen wurde. Zu Unrecht, wie er offenbar findet. Denn gerade die fließenden Grenzen zwischen Wirklichkeit und Phantasie gefallen dem Rezensenten überaus, wobei es seiner Ansicht nach keine Rolle spielt, was wirklich ist und was nicht. Um dies genauer zu erklären, verweist Göttler auf den Protagonisten des Buch: "Nur dessen Wirklichkeit ist es, die am Ende zählt", findet der Rezensent. Zentraler Punkt in diesem Buch ist für Göttler das Überleben in Zeiten der neuen Medien und Technologien. So schildere der Autor die Auswirkungen eines Fakes, bei dem Hacker die Nachricht verbreitet haben, Bill Gates und Steve Ballmer seien beim Tauchen von Haien gefressen worden, was wiederum die Börsen und die Weltwirtschaft in eine Krise stürzt. Trotz aller Fantasy- und Überraschungsmomente bescheinigt Göttler dem Autor "klare Linien, (...) einfache Strukturen", was das Lesen offenbar nicht allzu chaotisch werden lässt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.11.2000

Wirkliche Zeit
Kurt Andersen hat den Roman des Jahres 2000 geschrieben: „Turn of the Century”, der auf deutsch „Tollhaus der Möglichkeiten” heißt
Am Mittwoch, dem 29.  November, erwischt es Bill Gates und seinen Kompagnon Steve Ballmer, beim Tauchurlaub in Selvapesta, an der Pazifikküste Costa Ricas: „Die Strömungen und Riffe und vulkanischen Höhlen da draußen können tückisch sein” erklärt Homfredo Göring – er betreut die unternehmungsfreudigen Touristen in dem kleinen Küstenort.
„Gates und Ballmer nach Tauchunglück vor der Küste von Costa Rica vermisst” – so geht die Meldung um 14. 22 Uhr Ortszeit New York über den Ticker, und für ein paar Minuten ist die Welt im Innersten erschüttert. Die Männer von Microsoft sind abgesoffen, die menschliche, die globale Zukunft bekommt einen riesigen Sprung. In den küstennahen Gewässern, wo sie vermisst werden, erläutert Homfredo Göring, „leben Weißspitzenhaie, Walhaie, Grauhaie, Barrakudas und Riesenmantas. ”
Die Nachricht ist natürlich ein Fake, eine Hacker-Attacke auf Microsoft, und die ganze Geschichte eine der Episoden der Chronik des Jahres 2000, die Kurt Andersen in seinem Roman „Tollhaus der Möglichkeiten” bietet – der lakonische Originaltitel ist „Turn of the Century”. Die beiden Microsoft-Bosse melden sich quicklebendig zurück, aber für einige Minuten ist ihr Kurs so radikal abgestürzt, dass Ganztags-Börsenspieler das Geschäft ihres Lebens machen konnten.
Vom Überleben erzählt Kurt Andersen in allen möglichen Varianten in seinem Jahrhundertbuch, von den Strömungen und Riffen des neuen Zeitalters, der neuen Medien und der neuen Technologien, und der Männer und Frauen, die damit klar zu kommen versuchen. Ein postmoderner Bildungsroman also, mit Surprise- und Horroreffekten, mit VIPs und Managern, wirklichen und erfundenen, angenehmen und widerwärtigen, in ihren riesigen Büros und luxuriösen Flugzeugen, auf Konferenzen oder Partys. Atemlos, verwundert, schockiert folgen wir dem jungen New Yorker Paar George Mactier und Lizzie Zimbalist Mactier, zwei supererfolgreichen Mitmachern. Er produziert die TV-Serie „Narcs” und bereitet „Real Time” vor, wo er erfundene Geschichten mixen will mit wirklichen, aktuellen Nachrichten. Sie baut sich eine erfolgreiche Software-Firma auf, Fine Technologies, mit einem Superspiel inspiriert von einem Capra-Film.
Kurt Andersen, der das Magazin Spy mitbegründete und heute für den New Yorker schreibt, weiß, dass man der brave new world mit Satire nicht beikommt, weshalb er flott das gute alte Melodram reaktiviert. Ein lüsternes Wochenende in Vegas ist die erste Vorhölle für den ungläubigen George, der kurz danach ins Inferno ehelicher Eifersucht muss – was schon deshalb so höllisch wird, weil ihm dort alle Mittel der totalen Überwachung zur Verfügung stehen.
Kurt Andersen schreibt an der Schnittstelle von Realität und Imagination. Mit der Nähe zur Sensationspresse, zu VIP- und Klatschgeschichten wurde seinem Roman die literarische Qualität abgesprochen – aber gerade dieses Kriterium zerlegt Andersens Roman Seite für Seite. So dass es am Ende unerheblich wird, ob er Vergangenheit beschreibt oder (noch) Zukunft. Ob er die wirkliche Welt schildert oder eine parallele. Society Science Fiction sozusagen. Mit seinem lässigen, aber nie nachlässigen Umgang mit der Wirklichkeit schlägt Kurt Andersen den grüblerischen Tom Wolfe um Längen – sein Buch löst sich elegant in seine Bestandteile auf, man gräbt sich ein ins fiebrige Hirn des Helden. Nur dessen Wirklichkeit ist es, die am Ende zählt. George Mactier will den modernen Medien entgegentreten mit den romantischen Vorstellungen vom Beginn des vorigen Jahrhunderts. „Als er gestern die Zeitung las, dachte George: Das sind die gleichen, verklemmten Beamten- und Krämerseelen, die le Sacre du Printemps nicht ertragen konnten, als es vor siebenundachtzig Jahren erstmals aufgeführt wurde. ”
Kurt Andersen liebt die klaren Linien, die einfachen Strukturen. Mit dem Mann geht es abwärts, die Frau startet zum Höhenflug, zur Fusion mit dem neuen Mediengiganten. Das hat, typisch amerikanisch, auch eine Dimension von Mysterienspiel. In das die Überlegungen ganz gut passen, die der Guru der neuen Technologie, der Computer-Biologie, der instrumentalisierten Körper und der transkörperlichen Erfahrungen entwickelt: Buster Grinspoon, der sich mit gruseligen Katzenexperimenten amüsiert beim Dinner in Captain Bridger’s Pacific Markethouse Lounge and Grill in Seattle, und Lizzie gegenüber reflektiert: „Um 2020 oder 2030, sagt man, werden Computer komplexer sein als das menschliche Hirn . . . Und dann – und jetzt fange ich an zu spekulieren, also haben Sie ein wenig Geduld mit mir – könnte es durchaus sein, dass Computer Methoden entwickeln, uns die Geheimnisse der Welt zu erklären, die wir nicht mehr nachvollziehen können. Wie Eltern das mit Kindern machen, mit Begriffen wie Sex und Liebe und Treue. Darum geht es bei KI. Für diesen Zeitpunkt gerüstet zu sein, um von den Maschinen lernen zu können. ”
Natürlich gibt es keine Chance gegen die Grinspoons. George motzt seine Geschichten mit Wirklichkeitspartikeln auf, dabei kommt die Wirklichkeit immer stärker als Fiktion daher. Das ist Georges Defekt – er hat als Kriegsberichterstatter angefangen, in jener Medienprähistorie, wo Erfahrungen unter physischem Einsatz gemacht wurden – und manchmal unter Verlust der körperlichen Integrität.
FRITZ GÖTTLER
KURT ANDERSEN: Tollhaus der Möglichkeiten. Roman. Aus dem Englischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Karl Blessing Verlag, München 2000. 736 Seiten, 50 Mark.
Beim Sprung von einem Jahrtausend ins nächste sind auch die Grenzen zwischen der Fiktion und dem Realen durcheinander geraten. Wenn Wolfgang Tillmans mit seiner Kamera auf Brooklyn guckt, weiß man nie so recht: Dokumentiert das Foto die Wirklichkeit – oder projiziert der Lichtstrahl des Polizeihubschraubers schon die irrsten Kriminalgeschichten in die Nacht. Wolfgang Tillmans hat dieses Bild fotografiert (aus dem Band „Burg”, der bei Taschen erschienen ist).
Foto: Verlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2000

Der Leberfleck des Kraken
Kurt Andersen im Tollhaus · Von Stephan Maus

George Mactire ist ein erfolgreicher Filmproduzent, seine Frau Elisabeth Zimbalist die Gründerin und Chefin des Internet-Start-ups "Fine Technologies". Er liefert den von den Neuen Medien benötigten Content, sie steckt Claims im Cyberspace ab. Über beide wacht die Hochfinanz mit Dollarzeichen in den Argusaugen. Die Mactire-Zimbalists sind eine moderne Familie, die in den eigenen vier Wänden übers Intranet kommuniziert. Diese Ehe ist die Fortsetzung der Fusion von AOL und Time Warner mit privaten Mitteln.

George und Lizzie leben im auratischen Widerschein der Medien: "Die Vordertreppe ist ungewöhnlich gut erhellt, was an dem neuen Riesenfernseher der Nachbarn liegt. Im bläulichen Lichtschein einer anderthalb Meter großen Nahaufnahme von Agent Scullys Gesicht angelt Lizzie nach dem Haustürschlüssel." Der Produzent Mactire ist eben dabei, ein Nachrichten-Format zu entwickeln, das die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit auflöst. Die Wahrheit ist nirgendwo da draußen! In diesem Roman aus dem Departement Mergers & Acquisitions arbeitet die Fiktion an der Übernahme der Fakten. So finden die Realität und ihre künstliche oder künstlerische Deformation Platz im Gesicht einer Protagonistin, "die ein ganzes Archipel von Leberfleckchen auf der linken Schläfe hat, das aussieht wie die Aleuten, und auf der rechten Schläfe eine dauerhafte Tattoo-Nachbildung (wenngleich abstrakter und geometrischer) des Muttermals".

Es ließe sich eine ergiebige Inventur solcher Schnittstellen zwischen Künstlichem und Natürlichem in dem Text machen. Andersen hat seine Handlung im Jahr 2000 angesiedelt. Der Jahrhundertwechsel gibt dem Original seinen Titel: "Turn of the Century". Da der wirkliche Jahrtausendwechsel erst 2001 stattfindet, wird das Phantom- und-Fake-Jahr 2000 zum literarischen Experimentierfeld für Simulationen. Mactires neue Serie faßt den Verlauf seiner Karriere zusammen und bildet ihren krönenden Abschluß: Vom Kriegsreporter hat er sich in die Welt des Show Bizz hochgearbeitet. Aus ehemaligem Engagement wurde aufgeklärter Zynismus.

Mactires neues Format Real Time spiegelt auch die Funktionsweise des Romans wider, der zwischen New Journalism und klassischem Gesellschaftsroman angesiedelt ist. Andersen forrest-gumpt Hollywood, Wallstreet, Silicon Valley und Alley. The Truman-Show must go on! Das Mediengeschäft ist nicht nur ein Haifischbecken, sondern ein Dauerbad im Haifischunterkieferbassin. Hin und wieder irrlichtern Bill Gates und sein Finanz-Adlatus Steve Ballmer wie ein Doppelgestirn des Bösen durchs Bild. Gegen den Kraken Microsoft helfen nur die zwei deutschen Underground-Hacker Willibald und Heinrich. Einzig, was diese Namensgebung angeht, hätte der Autor etwas besser in der Szene recherchieren sollen.

Ansonsten ist Kurt Andersen ein Profi. Alle Themen, Schauplätze und Soziolekte seines Romans kennt er aus erster Hand. Der Mitbegründer des Satiremagazins "Spy" schreibt erstklassige Satiren. Der ehemalige Reporter der "Time" liefert vorzüglich recherchierte, detailfreudige und präzise gezeichnete Chefetagenstudien. Der Kolumnist des "New Yorker" schreibt bissig und urban witzig. Seine Dialoge sind schnell und comedyreif. Auch über das Internet-Milieu weiß er Bescheid: Andersen hat die Website Inside.com gegründet, in der man Gossip und gut recherchierte Hintergrundberichte aus der Medienwelt lesen kann. Von seinen Investoren bereitgestelltes Startkapital: 23 Millionen Dollar. Also kennt er sich im Milieu der Risikokapitalisten, der Business-Pläne und des Cash Burns aus.

In diesem Roman finden sich sämtliche Themen der aktuellen Wirtschaftspresse wieder. Vom WAP-Handy bis zum B2B-Computerprogramm ist hier alles so up to date, daß selbst die zitierten Aktienkurse real time zu sein scheinen. War bei Stendhal der Roman noch ein Spiegel, der über die Landstraße wandert, wird er bei Andersen zum Real-Time-Candle-Stick-Diagramm. Er ist der Balzac der New Economy. Er wird ihr allerdings mit sehr herkömmlichen Techniken der Good Old Literature Herr. Perfektes Handwerk, aber keine Experimente. Durch einen geheimnisvollen, umgekehrt proportional sich entwickelnden Magnetismus scheinen sich die neumodischsten Themen immer in die herkömmlichsten Schreibformen zu gießen. Verblüffend auch, daß eine Satire auf die Unterhaltungsindustrie zur Inkarnation des makellosen Unterhaltungsproduktes, des kalkulierten Bestsellers gerät.

Andersen parodiert gekonnt die überdrehte Sprache der Programmacher, den Slang der PR-Strategen, die Motivations-Hexensprüche und den Dummlekt der Management-Coaches. Die Personen sind mit 3D-Technik entworfen. Andersens Figurenverwaltung ist effizient, er schöpft seine human resources gewinnbringend aus. Dem Autor ist ein plastisches Erzähl-Hologramm gelungen. Wenn schon Realismus, dann so einer. Von spannender Spekulationsattacke gegen Microsoft bis hin zu New Yorker Garden Party mit impressionistisch hingetüpfelten Glühwürmchen ist alles über die oberen Zehntausend drin, die sich ebenso exquisit kleiden, wie sie essen.

Den deutschen Titel "Tollhaus der Möglichkeiten" hat der Verlag aus der erfolgversprechenden DNS von Tom Wolfes "Fegefeuer der Eitelkeiten" frech geklont. Das wäre nicht nötig gewesen. Andersens Vanity Fair ist besser als Tom Wolfes; stilistisch origineller und auch weniger schematisch in seiner klassischen Dramaturgie des Rise-and-Fall.

Nach 600 Seiten ist das Abwehrsystem des Romans allerdings geschwächt durch all die Hollywood-Viren, die er sich zum Thema gemacht hat. Andersen steuert zu sehr auf ein happy end zu, das eine um einige bittere Erfahrungen reichere, aber glückliche amerikanische Familie zeigt. Die reinigende Kraft des Purgatoriums war groß, geläutert geht die Ehe Mactire-Zimbalist aus privatem Konkurrenzkampf und Hierarchie-Paranoia hervor. Kurz vor dem Absturz wird das binnenfamiliäre Betriebssystem neu gestartet, surrt und schnurrt beim Hochfahren, und die Soundcard spielt Geigen. Der abgebrühte Mactire findet seinen jugendlichen Idealismus wieder und fliegt mit seiner Tochter nach Mexico, um eine Reportage über den Zapatisten-Widerstand zu drehen.

Der Kampf all der kleinen Robin Hoods gegen monopolisierende Software-Giganten und übermächtige Investmentbanker, gegen Gates, Morgan Stanley, Fidelity & Co ist erfolgreich. Zum Millenniums-Weihnachten wird gespendet, was die Spekulationsgewinne hergeben. Vielleicht verlangten das die Verbrauchertests und Beta-Lektüren des amerikanischen Verlages Random House, einem Unternehmen der weltumspannenden Bertelsmann-Krake, der auch der Karl Blessing Verlag gehört. Heiliger Bill, die Wege der Medien-Kapitalströme sind unergründlich. Bei Andersen sind sie Wasser auf die Mühlen eines perfekten Big-Business-Schmökers. Da hilft auch kein deutscher Underground-Hacker. Brillant, möchte man rufen und sich diskret ein, zwei Bertelsmann-Stammaktien zustecken lassen.

Kurt Andersen: "Tollhaus der Möglichkeiten". Roman. Aus dem Amerikanischen von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann. Karl Blessing Verlag, München 2000. 735 S., geb., 50 DM.

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